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4. Paul Tillich

4.3. Formale Religionsphänomenologie

In Tillichs phänomenologischer Religionssystematik lassen sich zwei Auf-gabenstellungen und Vorgehensweisen unterscheiden, die aber in der Durchführung dieses Programms nicht trennscharf nebeneinanderstehen, sondern sich überlagern und durchdringen. Die erste nenne ich «Religi-onsarchäologie», die zweite «Religionstypologie».

Die Aufgabe der «Religionsarchäologie» besteht darin, den in der Reli-gionsgeschichte auftretenden religiösen Erscheinungen gewissermaßen auf den Grund zu gehen und dort allgemeine Grundelemente, Dimensio-nen und Strukturen zu entdecken. Es handelt sich dabei um eine Phäno-menologie der Erfahrung des Göttlichen, die religiöse «Archetypen» und ihre Bedeutung wahrnehmen und beschreiben will.

Die Aufgabe der «Religionstypologie» besteht darin, aus der Betrach-tung der Religionsgeschichte idealtypische Religionsformen (wie Mono-theismus, Polytheismus usw.) herauszuarbeiten und die Beziehung zwi-schen ihnen zu bestimmen, d. h. sie in ein entwicklungsgeschichtliches Schema einzuordnen.

Die «Religionsarchäologie» arbeitet also auf der Elementenebene und zielt auf eine Kategorientafel der Erfahrung des Unbedingten, die «Religi-onstypologie» bewegt sich dagegen auf der Systemebene und zielt auf ein Ordnungsschema der Religionsgeschichte. In 4.3.1. werde ich diese Ele-mente, Dimensionen und Strukturen skizzieren, in 4.3.2. die von Tillich unterschiedenen Religionstypen.

4.3.1. Strukturanalyse religiöser Phänomene

Tillich geht davon aus, dass sich die Erscheinungsformen der Religionen (nota bene: der authentischen Religionen im Unterschied zu den quasi-Religionen) in Erfahrungen des Heiligen als des unbedingten Seins- und Sinngrundes gründen. Dabei schöpfen diese Vergewisserungen aus einem gemeinsamen Pool von religiösen Erfahrungselementen und Ausdrucks-gestalten. Die in den Religionen zum Ausdruck kommenden Erfahrungen

des Unbedingten können somit nach einem bestimmten Kategorien-system schematisiert werden. Darin erschließt sich eine Art Grammatik der Ausdrucksgestalten von Religion, die sich durch die Religions-geschichte hindurch im kollektiven religiösen Bewusstsein der Menschheit entwickelt und abgelagert hat. In jeder authentischen (d. h. auf Offenba-rungen des Unbedingten beruhenden) Erfahrung des Heiligen lassen sich daher die genannten Elemente – unterschiedlich stark ausgeprägt – aus-machen. Darin besteht eine basale Kontinuität zwischen den geschichtli-chen Religionsformen und in dieser Kontinuität liegt die Vergleichbarkeit der Religionen begründet.

Die Strukturelemente der Erfahrung des Heiligen stellen dabei nicht nur religionsdiagnostische Wahrnehmungsmuster dar, die vom Betrachter an die Religionen herangetragen werden. Sie gründen in der Wirklichkeit des Unbedingten selbst. In einer universalen Offenbarung32 bzw. Grundoffen-barung33 manifestiert sich diese Wirklichkeit immer und überall in der Geistes-, Kultur- und Religionsgeschichte. Der letzte Grund für die Ver-gleichbarkeit der Religionsformen liegt also in der Einheit des göttlichen Wirklichkeitsgrundes.

Die grundlegende Übereinstimmung zwischen den Religionen auf der Elementenebene wird mit dem Religionsbegriff im Singular zum Aus-druck gebracht. Religion ist die Summe der Erfahrungen des Göttlichen und deren Manifestationen in der Religionsgeschichte. Das Individuati-onsprinzip, das den singularischen Religionsbegriff mit dem pluralischen vermittelt, besteht in der Art, wie die Erfahrung des Göttlichen jeweils konstelliert ist. Das Bezogensein auf den einen universalen Seins- und Sinngrund und den von ihm ausgehenden Impuls zur Transzendierung des Lebens auf diesen Grund hin wird zu einer jeweils konkreten religiö-sen Erfahrung schematisiert. Auf diese Weise lasreligiö-sen sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Religionen erklären. Sie kommen dadurch zu-stande, dass in jeder von ihnen bestimmte Elemente vorherrschen und damit strukturbestimmend sind. Ihr jeweiliges Charakteristikum lässt sich im Religionsvergleich an der Gewichtung, Konstellierung und Relationie-rung der Elemente erkennen.

Tillich strebt nun danach, die einzelnen Elemente und die Beziehungen zwischen ihnen aufzuweisen, d. h. ein Strukturschema der Erfahrungen

32 ST I, 164ff u. ö.

33 GW VIII, 91ff.

des Heiligen und deren religiöser Manifestationen zu entwickeln. Diese Strukturen sind gewissermaßen der Schaltplan der Religionsphänomeno-logie. Die «religionsarchäologische» Methode Tillichs besteht also im Auf-suchen archetypischer Grundelemente, aus denen dann ein Struktur-schema gebildet wird, das als Kategoriensystem zur Einordnung und Deutung der konkreten Religionsformen dient.

Vor allem gegen Ende seines Lebenswerkes hat Tillich immer neue Anläufe unternommen, um die Elemente zu bestimmen und einander zu-zuordnen.34 Dabei nahm er Anregungen von den führenden Religionswis-senschaftlern seiner Zeit, vor allem von Mircea Eliade35, auf. Zwar gibt er an, dass seine «Systematische Theologie» vor den gemeinsamen Seminaren mit Eliade entstanden sei36, doch dürfte der persönlichen Begegnung die literarische Beschäftigung vorangegangen sein. Ich gehe im Folgenden von dem Schema aus, das Tillich in dem Fragment «In Combining these two Polarities» entwickelt hat37, und ziehe zur Darstellung der Elemente Material aus weiteren Quellen an.

Tillich stellt in diesem Fragment ein Koordinatensystem von zwei sich überlagernden und überkreuzenden Polaritäten vor, einer horizontalen und einer vertikalen: Die horizontale Koordinate verläuft zwischen der ethischen und der mystischen Dimension, die vertikale zwischen der sak-ramentalen und der prophetisch-kritischen («protestantischen»).

(a) Die sakramentale Dimension betont die geschichtliche Manifestation des Göttlichen. In der Symbolisierung des Heiligen tritt der Symbolträger in den Vordergrund. Das Heilige ist in bestimmten Gegenständen und Vollzügen materialisiert, die priesterlich vermittelt werden (wie etwa in den Sakramenten). Wenn es dabei zu einer Objektivierung des Heiligen und einer Heiligung des Objektiven kommt, bei der dem bedingten Symbol-material unbedingte Würde zugesprochen wird, versteigt sich die

sakra-34 Vgl. dazu: Dirk Chr. Siedler: Paul Tillichs Beiträge zu einer Theologie der Religionen (siehe Anm. 7), 161–164.

35 Vgl. dazu auch: Mircea Eliade: Paul Tillich and the History of Religions, in:

Paul Tillich: The Future of Religions, hg. von Jerald C. Brauer, New York 1966, 31–36.

36 Paul Tillich: Die Bedeutung der Religionsgeschichte (siehe Anm. 9), 154.

37 Dieses bisher nicht veröffentliche Fragment befindet sich im Amerikani-schen Paul-Tillich-Archiv, Nr. 391, 411/13, S. 7–9. Ich verdanke diesen Hinweis Dirk Chr. Siedler: Paul Tillichs Beiträge zu einer Theologie der Religionen (siehe Anm. 7), 161.

mentale Ausrichtung zu einem Sakramentalismus. Das in jeder Symboli-sierung des Heiligen und damit in jeder authentischen Religion enthaltene sakramentale Element verabsolutiert sich dabei in einer Weise, in der die

«heiligen» Gegenstände und Vollzüge nicht mehr als Verweis auf die ihnen transzendente und sich in ihnen symbolisierende göttliche Wirklichkeit aufgefasst werden, sondern selbst als machtvolle und verehrungswürdige Gegenwart des Göttlichen erscheinen. Damit gerät die von diesem Ele-ment bestimmte Religionsform in die Gefahr der Dämonisierung, der Ver-götzung von Natur- und Kunstgegenständen, von Riten, Bekenntnissen und Lehren. Sakramentalismus neigt zur Veräußerlichung der Religiosität, bei der nur noch der bloße Vollzug entscheidend ist, und führt damit auf den Weg der Selbsterlösung.

(b) Dem ist das Element der prophetischen Kritik entgegengesetzt, die solche Verobjektivierungen aufbricht und immer wieder die Entzogenheit des göttlichen Seinsgrundes in Erinnerung ruft. Es hält die Spannung auf-recht zwischen Religion im Sinn des unbedingten Angegangenseins und Religion im Sinn konkreter historischer Symbolsysteme oder – symbol-theoretisch gewendet: zwischen Gehalt und Gestalt des Symbols. Bei diesem «protestantischen Prinzip» handelt es sich um den Einspruch gegen die Verendlichung des Unendlichen und um den Impuls, sich der vom göttlichen Seinsgrund ausgehenden permanenten Transzendierungs-bewegung immer neu auszusetzen. Wo dieser Impuls allerdings die gesamte Religion dominiert, kann das zu ihrer Vergeistigung, zur Über-betonung der Transzendenz Gottes und zur Unterbewertung seiner geschichtlich-religiösen Selbstvermittlungsgestalten führen.

(c) Die mystische Dimension betont die Unmittelbarkeit der Gottes-gegenwart. Wenn auch die Mystik «auf den Abgrundcharakter des Sein-Selbst» hinweist38, so geht es ihr doch nicht primär um die Transzendenz der göttlichen Wirklichkeit, sondern um das Einswerden mit ihr. Religiöse Vermittlungen verlieren dadurch an Bedeutung. Das Einswerden kann im Rahmen einer interpersonalen Beziehung als innige Gemeinschaft, aber auch als Aufgehen in einer transpersonalen Seinssphäre gedacht sein. Wie alle Grundelemente der Religion enthält auch das mystische Element ein unaufgebbares Wahrheitsmoment – es verweist auf «die Gegenwart des Göttlichen in jeder religiösen Erfahrung. In diesem Sinn ist das Mystische

38 ST I, 167.

das Herz aller Religionen.»39 Wenn dieses Wahrheitsmoment allerdings verabsolutiert wird, kommt es zur Entweltlichung der Gegenwart des Seins-Selbst und auch des religiösen Subjekts, das den kategorialen Unter-schied zwischen Gott und Mensch nicht nur übersteigen, sondern gänz-lich aufheben will.40 Ein zweites Problem besteht in der Spannung zwischen dem personalistischen Gottesverständnis der biblischen Über-lieferung und der mystischen Tendenz zu transpersonalen Auffassungen des Seinsgrundes.

(d) Die ethische Dimension ist der mystischen entgegengesetzt und in den meisten religionsphänomenologischen Arbeiten Tillichs weitgehend mit der prophetischen verbunden. Das mystische und das ethische Ele-ment werden dabei als unterschiedliche Ausprägungen der prophetischen Kritik am Sakramentalismus gedeutet. In der ethischen Dimension ist zum einen die Personalität Gottes und des sich selbst bestimmenden religiösen Subjekts betont, was dazu führt, die Gott-Mensch-Relation nicht als sub-stanzielle Verschmelzung, sondern als personale Interaktion zu deuten, die auf die Regulation des Lebensvollzugs und damit mehr auf das Sein-Sol-lende als auf das Seiende abzielt. Zum anderen wird die geschichtliche Vermitteltheit der Gottesgegenwart hervorgehoben, die sich in wort-, ding- und akthaften Medien symbolisch repräsentiert. Während das mys-tische Element eher die Ausrichtung auf die Gottheit und die Hoffnung auf Erlösung in den Vordergrund stellt, was nicht selten zu einer Passivität im weltlichen Handeln führt, kommt beim ethischen der Weltbezug des Glaubens und die aktive Gestaltung der Lebensverhältnisse stärker zum Tragen. Die Gefahr dieses Elements liegt in einem ethischen Legalismus und in einem doktrinalen Intellektualismus, aber auch in der Anthropo-morphisierung Gottes (als Gesetzgeber und Richter usw.) und der Säkula-risierung der Welt (als menschlicher Handlungsraum).

Zwischen den entgegengesetzten, sich aber gegenseitig bedingenden Polen besteht eine Spannung, die eine Dynamik erzeugt.41 Wird etwa das sakramentale Element dominant, so erbebt sich der «Protest» des prophe-tischen Elements dagegen, wie es bei der Entstehung des Protestantismus der Fall war. Die spannungsreichen Polaritäten führen auf diese Weise zu

39 ST II, 92.

40 In ST III, 170, spricht Tillich von der «Gefahr, dass das zentrierte Selbst, das Subjekt der Geisterfahrung, ausgelöscht wird».

41 Vgl. GW V, 78.

permanenten Transformationsprozessen – bis hin zur Bildung neuer Religionsformen.

Blicken wir von hier aus noch einmal auf die «religionsarchäologische»

Methode Tillichs zurück und fragen, wie er zu den polaren Anordnungen der Elemente kommt. Diese ergeben sich aus analytischen Leitfragen, die sich auf die Struktur der Erfahrung des Göttlichen beziehen:

– Die Frage nach der Transzendenz (gegenüber der geschichtlichen Immanenz) des Göttlichen führt zur Unterscheidung von Unbedingt-heit und KonkretUnbedingt-heit und damit zur Dialektik zwischen dem prophetisch-kritischen und dem sakramentalen Element in der Reli-gion.

– Die Frage nach dem Weltbezug einer Religionsform (gegenüber ihrer Ausrichtung auf Weltüberwindung durch Erlösung) leitet an zur Gegenüberstellung des Ethischen und des Mystischen.

– Die damit zusammenhängende Frage nach der Vernunfthaftigkeit des Gottesglaubens stellt vor die Polarität des rationalen (bzw. struktur-bildenden) und des ekstatischen (bzw. struktursprengenden) Ele-ments.

Als sich Tillich am Ende seines Lebensweges im Dialog mit dem Buddhis-mus engagierte, war er überzeugt davon, dass es die von ihm entwickelte Religionssystematik erlaube, diese Religion wie überhaupt die nichtchrist-lichen Religionen in ihrer spezifischen Eigenart wahrzunehmen und mit ihnen in einen Dialog über die sie bestimmenden fundamentalen Prinzi-pien einzutreten. Er verband damit die Hoffnung, Gehalte, die in der eigenen Religion in den Hintergrund getreten sind, wiederzuentdecken.

4.3.2. Typologie der Religionsformen

In der Vielfalt der Religionen in Geschichte und Gegenwart lassen sich nach Tillich einige wenige Grundtypen bestimmen. Schleiermacher hat zwischen Monotheismus, Polytheismus und Fetischismus unterschieden (s. o.: 1.1.). In Rezeption der Religionswissenschaft seiner Zeit schlägt Til-lich eine Typologie vor, die dieser ähnelt, aber eigene Akzente setzt.42

42 Zu Tillichs Auseinandersetzung mit Schleiermacher siehe: Paul Tillich, Ingeborg C. Henel: Religion des konkreten Geistes, Stuttgart 1968 (darin: Paul Tillich: Friedrich Schleiermacher. Vorlesung; und: Ingeborg C. Henel: Schleier-macher und Tillich, Essay).

Die von ihm unterschiedenen Religionsformen sind nicht identisch mit den historischen Religionen. Es sind Idealtypen. «Typen sind Idealstruk-turen, denen die konkreten Dinge nur nahe kommen, ohne sie jemals zu erreichen.»43 Sie werden durch «eidetische» Abstraktion aus den Phäno-menkomplexen rekonstruiert.

In ST I unterschied Tillich im Rahmen der Gotteslehre zwischen den Typen des Polytheismus und des Monotheismus. Den Polytheismus schlüsselte er weiter auf in einen universalistischen, einen mythologischen und einen dualistischen Typus, den Monotheismus in einen monar-chischen, einen mystischen, einen exklusiven und einen trinitarischen Typus.44

Tillichs Typologie ähnelt in den Grundzügen der Schleiermachers, hat aber die Weiterentwicklung der religionsphänomenologischen Theorie-bildung in sich aufgenommen. Wie in Kapitel 1 dargestellt, hat Schleier-macher in den «Reden» aus der Polarität von Einheit und Vielheit drei Arten, das Universum anzuschauen, abgeleitet: als «Chaos», «Vielheit ohne Einheit» und «Einheit in der Vielheit».45 In der Einleitung zur «Glaubens-lehre» wendete er dieses Schema auf die Religionsgeschichte an und unterschied dort die drei Stufen «Fetischismus», «Polytheismus» und

«Monotheismus».46 Tillich leitete die Unterscheidung zwischen Polytheis-mus und MonotheisPolytheis-mus dagegen aus der Polarität von Konkretheit und Unbedingtheit ab: «Die Konkretheit dessen, was den Menschen unbedingt angeht, treibt ihn zu polytheistischen Gestalten; die Reaktion des abso-luten Elements gegen diese treibt ihn zum monotheistischen Gestalten […].»47

Wie oben bei der Darstellung der «religionsarchäologischen» Methode kann man auch hier bei der Typologisierung der Religionsformen fragen, wie Tillich zur systematischen Unterscheidung dieser Typen und damit zur Typologie insgesamt kommt. Und auch hier kann man diese als Antwor-ten auf Leitfragen verstehen. Sie beziehen sich auf die Art, wie das Gött-liche selbst vorgestellt ist, wie die Beziehung zu ihm bestimmt wird und

43 ST I, 255.

44 ST I, 258–267.

45 Friedrich Schleiermacher: Über die Religion (siehe Anm. 1 in Kapitel 1), 126f (KGA 244f).

46 CG2, § 8.4 (I/64–73).

47 ST I, 257.

wie das Verhältnis des Göttlichen zum Weltlichen, des Heiligen zum Pro-fanen konzipiert ist.

– Die Frage nach der äußeren Einheit (gegenüber der Vielheit) des göttli-chen Prinzips führt zur Polarität des monotheistisgöttli-chen und des poly-theistischen Religionstypus.

– Die Betrachtung der inneren Einheit des göttlichen Prinzips differen-ziert sich aus in eine monistische und eine dualistische Gottesidee, der Tillich dann die trinitarische gegenüberstellt.

– Die Frage nach der bildhaften Anschaulichkeit (gegenüber der Abstrakt-heit) der Gottesvorstellungen resultiert in der Unterscheidung zwi-schen der «mythologizwi-schen» Vorstellung von individuellen göttlichen Wesenheiten und der «logischen» Idee eines universalen Gottes-begriffs.

Ein differenzierteres Schema findet sich in Tillichs Pneumatologie in ST III48. Dort stellt er vier religionsgeschichtliche «Stadien» der Geister-fahrung dar. Die Religionsgeschichte ist Manifestationsgeschichte des Gott-Geistes bzw. die Geschichte unterschiedlicher Erfahrungen des sub-jektiven mit dem obsub-jektiven Geist. Dabei werden die früheren Formen der Erfahrung von den späteren nicht einfach überwunden, sondern wirken in ihnen fort.49 Tillich kennzeichnet das von ihm entwickelte Schema hier als «dynamische Typologie».

(a) Wie Gerardus van der Leeuw sieht er die erste und grundlegende Form in der «originalen Mana-Religion», in der der Geist als universale Substanz in der Tiefe des Seins erfahren wird. Van der Leeuw hat den Typus der Mana-Religion als Erscheinung der frühen Religionsgeschichte von den späteren Hochreligionen unterschieden. Sie sei bestimmt durch das Erlebnis der Macht des Numinosen («Mana») und den zur Magie nei-genden Versuch, diese Macht zu beeinflussen. Ein Transzendenz- bzw.

«Gottes»-Bewusstsein sei darin noch nicht ausgebildet. Die Typen der spä-teren Stadien sind nach Tillich als Formen des Kampfes gegen diese magische Dämonisierung der Geisterfahrung zu verstehen. Doch wirken Elemente dieser Religionsform auch in den Hochreligionen weiter, etwa in den christlichen Sakramenten.50

48 ST III, 165–171.

49 Vgl. dazu: GWE IV, 149.

50 ST III, 168.

(b) Im zweiten Typus, den «Religionen der großen Mythologien», die Tillich etwa in Indien oder im antiken Griechenland lokalisiert, sind die göttlichen Mächte von der Welt geschieden und in einer Überwelt ange-siedelt. Sie ziehen Natur und Geist in ekstatischen Überhöhungen in ihre übernatürliche Sphäre hinauf und beeinflussen die profane Welt durch ihre Manifestationen in außergewöhnlichen Erscheinungen und Ereignun-gen, so etwa in den Mysterienkulten. Auch Phänomene dieses Stadiums finden sich im Christentum, in seinen charismatischen Ausprägungen oder auch in der «ekstatischen Teilnahme am Schicksal des sterbenden Got-tes»51.

(c) Der dritte Typus der Geisterfahrung ist der metaphysische Dualis-mus, wie er sich etwa im persischen Zoroastrismus findet. In ihm wurde Gott entdämonisiert, indem man den Seinsgrund spaltete und das Dämo-nische auf den Gegengott verlagerte. Auch dieser Typus hat seine Resi-duen im Christentum, vor allem in der Figur des Teufels und in bestimm-ten – exorzistischen – Formen des Taufritus.

(d) Die spätesten Stadien der Geisterfahrung bestehen einerseits in den mystischen Religionen Asiens und Europas und andererseits im propheti-schen Monotheismus des Judentums mit seinen Fortentwicklungen in Christentum und Islam. Hier greift Tillich auf Friedrich Heilers Unter-scheidung zwischen mystischer und prophetischer Religion zurück52 und sieht die entscheidende Differenz zwischen diesen beiden Ausprägungen in der Rolle des Geschichtlichen und des Personalen. Indem die Mystik den Geist von allen geschichtlichen Trägern lösen und damit das Endliche mit seiner Subjekt-Objekt-Struktur überwinden will, gerät sie nach Tillich in die Gefahr, das Subjekt der Geisterfahrung auszulöschen. Die westliche, vom jüdischen Prophetismus geprägte Religionsform bleibt demgegen-über an das Subjekt und die Gemeinschaft der Geisterfahrung gebunden.

Der Geist geht hier von einem personalen Gott aus, der sich in die Ge-schichte vermittelt und der Menschheit zugewandt ist.

Tillich will die Systematisierung der Religionsformen als wertfreies Schema verstanden werden. Doch enthält sie – wie bei Schleiermacher – eine Wertung. Diese ergibt sich aus der geisttheologischen Deutung der Religionsgeschichte, in der der Geist allmählich zur Entfaltung und zum Verständnis seiner selbst kommt. Die späteren Stadien der Geisterfahrung

51 ST III, 169.

52 Siehe Anm. 19 in Kapitel 2.

sind deshalb den früheren gegenüber «reiner». Bei den ersten drei der von Tillich unterschiedenen Stadien handelt es sich demnach um defizitäre Formen der Geisterfahrung. Die «Mana-Religion», die in etwa dem ent-spricht, was Schleiermacher «Fetischismus» genannt hat, vergöttlicht nach Tillich Endliches, ist magisch geprägt und vollzieht damit eine Dämoni-sierung der Erfahrung des Geistes. Die «Religionen der großen Mytholo-gien» trennen demgegenüber die Sphäre des Göttlichen von der des Welt-lichen, erfahren den Geist als Kraft, die zum ekstatischen Aufstieg der Menschenseele über die gewöhnliche Wirklichkeit hinaus bis hin zur mys-tischen Verschmelzung mit dem Göttlichen führt, worin eine Vergottung des Menschen und damit ebenfalls eine Tendenz zur Dämonisierung der Religion liegt. Der «metaphysische Dualismus» spaltet den Seinsgrund.

Auch die «mystischen» Formen im vierten Entwicklungsstadium der Geis-terfahrung erscheinen Tillich defizitär. Denn in ihnen werde das Ge-schichtliche und das Personale, das heißt: die Bedeutung der «leiblichen Trägersubstanz», an der sich der Geist symbolisiert, und die Subjektivität dessen, der den Geist erfährt, zurückgedrängt.

Damit sind diese Typen und die historischen Formationen der Reli-gion, in denen sie sich verwirklichen, als graduelle Fehlformen beurteilt, die das Heilige eher verstellen als offenbaren. Auch im prophetischen Religi-onstypus gibt es Verzerrungen, doch ist dieser nach Tillich für die Auf-nahme der Offenbarung unzweideutigen Lebens besser disponiert als die anderen Typen. Er bringt die Offenbarung authentischer zum Ausdruck, denn in ihm ist der «prophetische Protest» gegen die Profanisierung und Dämonisierung der Geisterfahrung am stärksten ausgeprägt und das sak-ramentale und das prophetische Moment der Religion sind in ein

Damit sind diese Typen und die historischen Formationen der Reli-gion, in denen sie sich verwirklichen, als graduelle Fehlformen beurteilt, die das Heilige eher verstellen als offenbaren. Auch im prophetischen Religi-onstypus gibt es Verzerrungen, doch ist dieser nach Tillich für die Auf-nahme der Offenbarung unzweideutigen Lebens besser disponiert als die anderen Typen. Er bringt die Offenbarung authentischer zum Ausdruck, denn in ihm ist der «prophetische Protest» gegen die Profanisierung und Dämonisierung der Geisterfahrung am stärksten ausgeprägt und das sak-ramentale und das prophetische Moment der Religion sind in ein