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3. Karl Barth

3.1. Barths theologischer Religionsbegriff

Barths theologische Überlegungen zum Thema Religion und Religionen, die er vor allem in der zweiten Auflage seines Römerbriefkommentars (1922), in § 17 der KD (1938) und in § 67 der KG (1959) entfaltet, sind eminent religionskritisch. Während diese Kritik in der ersten Auflage des Römerbriefkommentars noch kaum zutage tritt, nimmt sie in der zweiten Auflage breiten Raum ein. Besonders im 7. Kapitel deutet er die paulini-sche Kritik am «Gesetz» ganz im Sinn einer Kritik an «Religion». In dieser sieht er das selbstherrliche Bemühen des Menschen, von sich aus – aus eigener Potenz und Anstrengung – eine Beziehung zu Gott zu etablieren und zu kultivieren. Damit widerspricht sie radikal der Gnade Gottes. Da-mit nimmt Barth die reformatorische Gegenüberstellung von Gesetz und Evangelium auf und schreibt die Religion in diese ein. Dabei ist Barths Sicht der Religion als Auflehnung gegen Gott negativer als Paulus’ Sicht des Gesetzes, das immerhin in einer Verordnung Gottes gründet. Religion

12 A. a. O., 96.

13 In der folgenden Darstellung nehme ich Material auf aus: Reinhold Bern-hardt: Der Absolutheitsanspruch des Christentums (siehe Anm. 1 in der Einlei-tung zu diesem Band), 149–173; ders.: Karl Barths Beitrag zu einer gegenwärtigen Theologie der Religionen, in: ThZ 71, 2015, 97–113; ders.: Religion als Götzen-dienst? Barth und die Religionstheologie, in: Susanne Hennecke (Hg.): Karl Barth und die Religion(en). Erkundungen in den Weltreligionen und in der Ökumene, Göttingen 2018, 89–106; ders.: Karl Barths Lehre von der Gnade Gottes in inter-religiöser Perspektive, in ThZ 75/4, 2019, 266–283.

korreliert dem in der Natur des Menschen angelegten sündigen Gebrauch des Gesetzes.

Wie Barth es dann vor allem in § 17 der KD herausarbeitet, hat Reli-gion zwei Seiten: Die eine betrifft die Epistemologie, also die Gotteser-kenntnis, die andere ist auf die Soteriologie bezogen, d. h. auf die Recht-fertigung und Heiligung des Menschen.

Zum einen besteht Religion demnach im Versuch des Menschen,

«Gott von sich aus zu erkennen»14, anstatt sich der Selbstmitteilung Gottes auszusetzen und sie im Glauben anzunehmen. Dieser Versuch führt aber nach Barth immer nur zur Kreation von Gottesbildern, so wie es Feuer-bach beschrieben hat. An die Stelle des göttlichen Werks wird ein mensch-liches Gemächte – eine «Projektion» – geschoben.15 In seinem Entwurf zum § 77 der KD («Eifer um die Ehre Gottes») bringt Barth den Unter-schied zwischen Offenbarung und Religion auf den Punkt: Die Offenba-rung bringt sich selbst zur Geltung; in den Religionen finden sich dagegen nur Surrogate des Göttlichen.16 Barths ganze Theologie lebt aus dem Ver-trauen in die Selbstmitteilungs- und Selbsterschließungskraft der Offenba-rung.

Zum anderen besteht die Religion im Streben des Menschen, Gott mit sich (dem Menschen) zu versöhnen, anstatt sich von Gott versöhnen zu lassen und diese Versöhnung im Glauben als unverdientes Geschenk ent-gegenzunehmen. In der Zurückweisung dieses Versuchs des Menschen, sich selbst zu rechtfertigen und zu heiligen, bestand das Herzstück der reformatorischen Theologie. Auch in dieser Hinsicht besteht der Grund-fehler der Religion nach Barth darin, Gott gegenüber eigenmächtig tätig werden zu wollen und das allein ihm mögliche Werk in die eigenen Hände zu nehmen. Demgegenüber betont Barth den Tatcharakter der Offenba-rung: Sie ist die Tat Gottes, durch die er den Menschen in eine heilshafte Beziehung zu sich selbst setzt.

Religion ist stolze Selbstbehauptung des Menschen gegenüber Gott und darin nichts anderes als Sünde. Die menschliche Gottsuche wider-spricht aber der Selbstmitteilung des menschensuchenden Gottes.

Wäh-14 Vgl. KD I/2 (1938), 328.

15 »[A]n die Stelle der göttlichen Wirklichkeit, die sich uns in der Offenbarung darbietet und darstellt, [tritt] ein Bild von Gott, das der Mensch sich eigensinnig und eigenmächtig selbst entworfen hat» (ebd).

16 Karl Barth: Das christliche Leben: Die kirchliche Dogmatik IV/4, Frag-mente aus dem Nachlass, Vorlesungen 1959–1961 (GA 7), Zürich 19993, 213.

rend die Bewegungsrichtung der Religion vom Menschen hin zu Gott geht, geht die Bewegungsrichtung der Offenbarung in unumkehrbarer Einseitigkeit von Gott zum Menschen hin. Gott hat von sich aus längst den entscheidenden Schritt auf die Menschen zu getan: im Ereignis der Selbstoffenbarung in Christus. Der Mensch braucht sich dieser Offenba-rung nur zu unterstellen; nichts braucht er dazuzutun, nichts kann er dazu-tun und nichts darf er dazudazu-tun, will er die von Gott eröffnete Beziehung nicht verfehlen.17

In diesen beiden Blickrichtungen – der epistemologischen und der soteriologischen – ist Barths Religionstheologie also Religionskritik, die im Satz gipfelt: «Religion ist Unglaube; Religion ist eine Angelegenheit, man muss geradezu sagen die Angelegenheit des gottlosen Menschen.»18 In die-sem Verdikt fließen die beiden oben genannten Ströme der Religionskritik zusammen: die theologische Kritik der Reformatoren an menschlicher Selbsterhebung gegenüber Gott, die sich in der Rechtfertigungslehre arti-kuliert, und die philosophische Religionskritik Feuerbachs, die sich in der sogenannten Projektionstheorie Ausdruck verschafft hat.

Die von Barth vorgenommene methodische Operation kann man beschreiben als Ausdehnung der Rechtfertigungslehre über den Bereich der Soteriologie hinaus auf den Bereich der Gotteserkenntnis. Gnaden- und Offenbarungstheologie sind ineinander verschränkt. Diese Ver-schränkung durchzieht die ganze Theologie Karl Barths und spiegelt sich gewissermaßen negativ auch in seiner Religionskritik.

Die erste Antwort, die Karl Barth in KD, § 17 auf die Frage nach dem Wesen der Religion gibt, lautet demnach: «Götzendienst und Werkgerech-tigkeit ist alle Religion auch auf der vermeintlich höheren Stufe, auf der sie den Götzendienst und die Werkgerechtigkeit aus ihren eigenen Kräften und auf ihren eigenen Wegen überwinden zu wollen scheint.»19

Barth radikalisiert damit die theologische Religionskritik: Diese kann sich nicht damit begnügen, Götzendienst und Werkgerechtigkeit in der Religion zu kritisieren. Sie hat die Religion selbst und als solche als

Götzen-17 Falk Wagner unterzieht dieses in seinen Augen autoritäre Verständnis von Offenbarung einer scharfen Kritik: «Die Offenbarung Gottes wird als unbedingte Herrschaftsmanifestation des seine unmittelbare Selbstbestimmung durchsetzen-den Substanz-Subjekts gefaßt.» (Falk Wagner: Metamorphosen des modernen Protestantismus, Tübingen 1999, 623).

18 KD I/2 (1938), 327.

19 KD I/2 (1938), 343.

dienst und Werkgerechtigkeit zu durchschauen. Damit ist die außertheo-logische Religionskritik theologisch rezipiert.

Im Kampf gegen diesen Götzendienst schienen Barth sogar Bilderstür-merei und Tempelzerstörung gerechtfertigt zu sein: «Es hatte und hat frei-lich seine Notwendigkeit und seinen guten Sinn, wenn in Zeiten eines wa-chen christliwa-chen Empfindens zum Schmerz aller Ästheten heidnische Tempel dem Erdboden gleichgemacht, Götter und Heiligenbilder zer-stört, Glasmalereien entzweigeschlagen, Orgeln ausgeräumt wurden.»20 Diese Aussage ist nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Gegenwart und die Zukunft bezogen («hatte und hat»). Sie legitimiert christlich motivierte Zerstörungswut gegen Sakralgebäude und -objekte außerchristlicher Religionen.

Dieser ersten Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Religion – Religion ist Götzendienst – stellt Barth eine zweite gegenüber, die er aller-dings nur auf die christliche Religion bezieht. Sie lautet: Religion ist der Dar-stellungsraum der Offenbarung Gottes. Es gibt Gottes Offenbarung in Jesus Christus nicht formlos, sondern immer nur im irdenen Gefäß der Religion. Barth sieht darin einen Ausdruck der «Menschlichkeit» der Of-fenbarung, d. h. der Zuwendung Gottes zum Menschen.

Schon im «Römerbrief» hatte er konstatiert, dass es «Gnade nicht ohne Gnadenerlebnis, nicht ohne um dieses Erlebnis sich kristallisierende Reli-gion»21 gibt. In § 17 der KD räumt er dann ein, dass Gottes Offenbarung

«auch als «Christentum» und also auch als «Religion» und also auch als menschliche Wirklichkeit und Möglichkeit» verstanden werden müsse.22 Als Religion (d. h. als Kulturschöpfung des Menschen) steht das Christentum auf der gleichen Ebene mit den anderen Religionen. Von Gott her aber ist sie mehr (und anderes) als das: Sie ist der Darstellungsraum der Offenba-rung. Die christliche Religion ist von Gott sola gratia dazu erwählt worden, zum Gefäß seiner Offenbarungswahrheit zu werden. Indem er ihr die Sünde der Religion vergab, enthob er sie der sündigen Solidargemeinschaft der Religionen, rechtfertigte und heiligte sie. Er verlieh ihr den Namen Jesu Christi und erhob sie damit zur wahren, weil christlichen Religion.

Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus erscheint bei Barth «not-wendig als ein Besonderes auf dem Felde des Allgemeinen, das man

Reli-20 KD I/2 (1938), 328.

21 Karl Barth: Der Römerbrief (1922), Zürich 198413, 212.

22 KD I/2 (1938), 308.

gion nennt: ‹Christentum› oder ‹christliche Religion›, ein Prädikat an einem Subjekt, das auch andere Prädikate haben kann, eine Spezies in einem Genus, zu dem auch andere Spezies gehören. Es gibt ja außer und neben dem Christentum auch Judentum und Islam, Buddhismus und Shintois-mus, animistische und totemistische, asketische, mystische und prophe-tische Religion aller Art.»23

Gerade diese Verwechselbarkeit auf der Ebene der Erscheinungs-formen macht aber die Unterscheidung im Blick auf den Grund und den Inhalt notwendig. Diejenige Religion, die dem – mit dem Christusnamen verbundenen – definitiven Gotteswort Gestalt gibt, ist von allen anderen Religionen kategorial «unterschieden und ausgesondert»24. Daher sind auch alle ihre Lehren und Lebensformen der Vergleichbarkeit mit außer-christlichen Analogien enthoben.

Gewiss wird Barth nicht müde, die Unverfügbarkeit, den vollkommen unverdienten Geschenkcharakter dieser Gnadengabe zu betonen und auch der von Gott wahrgemachten Religion entgegenzuhalten, in ihr selbst liege nichts, was eine Würdigkeit für diese Auszeichnung begründen könnte. Im Gegenteil sei und bleibe auch sie immer noch Unglaube, genauso, wie auch der gerechtfertigte Sünder immer noch Sünder bleibt.

Und doch steht die christliche Religion – im Lichte der Offenbarung betrachtet – nicht mehr auf einer Ebene mit, auch nicht auf einer Stufe über den anderen Religionen, sondern in kategorialer Unterschiedenheit ihnen entgegen – wie das Licht der Finsternis und die Wahrheit der Lüge.25 Sie ist

«der Welt der Religionen und dem über sie gesprochenen Urteil und Gericht entrissen wie ein Brand dem Feuer»26. Von Gott zur starken Kundgebung seiner Offenbarung erhoben, kann sie den Religionen nun in ungebrochenem Selbstbewusstsein begegnen27 und sie in einer von Gott bevollmächtigten Mission zur Umkehr auf den Christusweg auf-fordern.28 Auch wenn Barth davor warnt, das göttliche Urteil, dass Reli-gion Unglaube sei, ungebrochen in menschliche Verurteilungen zu über-setzen, so steht es für ihn als göttliches Urteil über die Religionen eben doch fest und wird im christlichen Glauben erfasst.

23 Vgl. KD I/2 (1938), 306.

24 KD I/2 (1938), 393.

25 KD I/2 (1938), 377.

26 KD I/2 (1938), 392.

27 KD I/2 (1938), 362–364.

28 KD I/2 (1938), 392.

Die eine Seite der Dialektik, die Barths theologischen Religionsbegriff kennzeichnet – Religion als Götzendienst – wird also auf alle Religionen, einschließlich der christlichen, angewendet, die andere Seite – Religion als Darstellungsraum der Offenbarung – nur auf die christliche Religion. Die nichtchristlichen Religionen (wobei das Judentum hier zunächst auszu-nehmen ist) werden also nur durch die erste der beiden Aussagen qualifi-ziert.

Als Barth am 2. Mai 1962 in Princeton gefragt wurde, ob er die Gül-tigkeit von Offenbarungen in außerchristlichen Religionen akzeptiere, war seine Antwort ebenso kurz wie klar: «Nein»29. In der Bibel würden die Religionen der umliegenden Völker und die der Welt nicht als eine Offen-barung behandelt. «[I]m Alten und Neuen Testament haben wir einen Kampf des sich selbst offenbarenden Gottes gegen das, was ‹Religion›

genannt wird. […] Die schlimmste Sache der Welt ist Religion, und die Bibel ist gegen Religion.»30

An der Eigenbedeutung der Religionen und ihrem Selbstverständnis hatte Barth dementsprechend kein Interesse. Wolf Krötke konstatiert zu Recht: Die Religionen treten bei Barth «als Ausdruck jener menschlichen Fähigkeit in den Blick, für Gott oder das Göttliche empfänglich zu sein und in der Verehrung Gottes oder des Göttlichen zu leben. Sie werden nicht unter dem Gesichtspunkt ihrer eigenen Erfahrung einer Offenbarung Gottes gewürdigt.»31 Das zeigt sich besonders deutlich an Barths ver-einzelten Bemerkungen zum Islam, auf die wir noch zu sprechen kommen.

Es kommt Barth auf die Blickrichtung an: Die Offenbarung soll nicht von der Religion her, sondern die Religion(en) von der Offenbarung her betrachtet werden. Er ist sich bewusst, dass es neben dem Blick von der Christusoffenbarung her auch andere Blicke (etwa religionswissenschaft-liche oder philosophische) auf die Religion geben kann. Er sieht seine theologische Aufgabe aber nicht darin, sich mit diesen anderen Blicken

29 Karl Barth: Gespräche, 1959–1962 (GA 25), Zürich 1995, 301.

30 Ebd.

31 Wolf Krötke: Impulse für eine Theologie der Religionen im Denken Barths, in: ZThK 104, 2007, 320–335, hier 320f (Hervorhebung W. K.). Von unveröf-fentlichten Vorlesungsmanuskripten Barths (etwa vom ursprünglichen Paragra-fen § 42 der KD «Gott und die Götter») ausgehend zeigt Krötke Ansatzpunkte für eine Theologie der Religionen auf.

auseinanderzusetzen, sondern einzig den Blick von der Christusoffen-barung her zu entfalten.32

Ein in dieser Weise im Singular gebrauchter und offenbarungstheolo-gisch aufgeladener Religionsbegriff scheint nun aber weder an religionswis-senschaftliche noch auch an vorwissenschaftlich-alltagssprachliche Verständnisse von «Religion» anschlussfähig zu sein. Die in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart geführten religionstheologischen Debatten gehen jedoch von diesen Verständnissen aus: nicht von einem theologischen, sondern von einem empirischen Religionsbegriff, nicht von «Religion» (im Singu-lar) als anthropologischer Potenz, sondern von den «Religionen» (im Plural) als historischen Gemeinschaften und Bewegungen mit einem be-stimmten Transzendenzbezug. Seit den 1960er Jahren hat sich in der Religionstheologie ein empirical turn vollzogen. Nicht im Barth’schen Gegenüber zu «Offenbarung» und «Glaube» wird «Religion» seither vorwiegend thematisiert, sondern im Gegenüber des Christentums in seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu den anderen real existie-renden Religionen.

Auch wenn es eine ungerechtfertigte Einseitigkeit ist, die Religions-theologie Barths dem Modell des religionstheologischen Exklusivismus zuzuordnen33, weil damit die Dialektik dieses Ansatzes unterschlagen wird, so scheint dieser doch für eine respektvoll-würdigende

Beziehungs-32 Eine interessante Analogie zu Barths religionstheologischem Ansatz findet sich im Judentum um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Samson Raphael Hirsch, der Begründer der jüdischen Neo-Orthodoxie, lehnte den Religionsbe-griff als menschliche Vorstellung ab und stellt ihm die Thora als Offenbarung Gottes gegenüber (Samson Raphael Hirsch: Betrachtungen zum jüdischen Kalen-derjahr – Siwan, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd 1, Frankfurt/M. 1902, 80–

113, bes. 83–88).

33 Exemplarisch für eine solche Einordnung: Alan Race: Christians and Reli-gious Pluralism. Patterns in the Christian Theology of Religions, London 1983, 11; Paul J. Griffiths: Problems of Religious Diversity, Malden, MA, 2001, 151–

154; David Pitman: Twentieth century Christian responses to religious pluralism.

Difference is everything, Farnham 2014, 25–41. John Hick hat Barths reli-gionstheologischen Ansatz gar als «sublime bigotry» bezeichnet (John Hick: God has many names, Philadelphia 1982, 90). – Zu Recht konstatiert Sven Ensminger:

«[T]he charge of Barth as an exclusivist originates from a very narrow reading of Barth’s writings» (Sven Ensminger: Karl Barth’s Theology as a Resource for a Christian Theology of Religions, London 2014, 216).

bestimmung zu außerchristlichen Religionen kaum hilfreich zu sein. Vor allem die Aussagen über den Islam lassen kaum eine dialogische Ver-hältnisbestimmung zu dieser Religion zu.

Barth stellt nicht die Religion des Christentums, sondern den christli-chen Glauben den anderen Religionen gegenüber. Der eigentliche Konflikt der Wahrheitsansprüche tritt aber erst zutage und wird erst bearbeitbar, wenn man Religion gegen Religion, Glaube gegen Glaube, Offenbarung gegen Offenbarung stellt.

Auf eine (kritische) Auseinandersetzung mit den Wahrheitsansprüchen anderer Religionen auf gleicher Augenhöhe wollte sich Barth aber nicht einlassen, weil er darin das Erstgeburtsrecht des christlichen Glaubens un-ter den Religionen verspielt sah, das diesem von Gott verliehen worden ist.34

In einer Zeit, in der sich das Interesse auf die Etablierung dialogischer Beziehungen zwischen den Religionen richtet, muss eine solche Haltung Anstoß erregen. Die offensichtliche Inkompatibilität zwischen Barths Re-ligionstheologie und den gegenwärtigen religionstheologischen Debatten hat ihren Grund darin, dass Barth die Religionen insgesamt unter das Ver-dikt sündhafter menschlicher Selbstüberhebung stellt, den christlichen Glauben demgegenüber aber in der Initiative Gottes gegründet sieht. Ein Interesse an dialogischen Beziehungen zu anderen Religionen kann daraus nicht erwachsen. Barths Beziehungsbestimmungen des christlichen Glau-bens zum Judentum, zum Islam und zu den östlichen Religionen sind von theologischen Interessen bestimmt, die in seinem offenbarungstheolo-gisch-christozentrischen Theologieprogramm wurzeln. Wenn demgegen-über heute nach einer Christologie im Kontext der Religionstheologie ge-fragt wird, ist die Fragerichtung in der Regel die umgekehrte. Es wird nicht gefragt, welche Konsequenzen sich aus einem bestimmten Verständnis der Christologie für die interreligiösen Beziehungsbestimmungen ergeben, sondern wie eine Christologie beschaffen sein müsste, die interreligiöse Dialogoffenheit auf eine theologisch verantwortbare Weise ermöglicht.

34 KD I/2 (1938), 364.