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Im Rahmen des von ihm vollzogenen theologischen Paradigmenwechsels hat Schleiermacher die Religionstheologie neu – und für die auf ihn fol-gende protestantische Theologie maßgebend – begründet. In kritischer Auseinandersetzung mit der theologischen Orthodoxie, in Aufnahme der durch die Aufklärung gestellten Herausforderungen, inspiriert durch seine pietistische Prägung sowie durch die Geisteswelt der Frühromantik und

93 CG2, § 13.1 (I/110). In § 93.3 (II/46) ist die Rede von einem «schöpferi-schen göttlichen Act, in welchem sich als einem absolut größten der Begriff des Menschen als Subject des Gottesbewußtseins vollendet».

94 CG1, § 116.3 (II/29).

95 CG2, § 94.2 (II/56).

96 Ebd.

97 CG2, § 68.3 (I/417).

des philosophischen Idealismus gab er der theologischen Reflexion über Religion und Religionen ein neues Format. Klassische apologetische Mus-ter zur UnMus-terscheidung des christlichen Glaubens von außerchristlichen Religionen und zur theologischen Deutung dieser Religionen (wie «dämo-nische Verführung», «Apostasie», «Götzendienst», «Irrlehre») weist er (zuweilen mit Empörung) zurück. Durch die anthropologische Veranke-rung der Religion und durch die Ableitung einer formalen Religionstypo-logie aus den Ausprägungen des religiösen Bewusstseins verlieren solche Deutemuster ihre Geltung. Andere apologetische Unterscheidungen (wie Gesetz und Evangelium) werden in die Religionstypologie miteinbezogen und dem bewusstseinstheologischen Ansatz entsprechend neu interpre-tiert. Auch die Vorstellung, dass Religionen ihre Prägung von ihren jewei-ligen historisch-kontingenten Zentralanschauungen her bekommen, lässt es nicht mehr zu, die christliche Religion von anderen Religionen katego-rial zu unterscheiden. Nur noch relational und qualitativ lässt sich die Stel-lung dieser Religion zu den anderen Religionen bestimmen: als Antwort auf die Frage, wie sich ihr Wesen zum Wesen der Religion verhält.

Die über den Kontext seiner Zeit hinausreichende Bedeutung dieses religionstheologischen Entwurfs liegt weniger in seiner inhaltlichen Bezie-hungsbestimmung des christlichen Glaubens bzw. der christlichen Reli-gion zu anderen ReliReli-gionen. Sowohl die formale Typologisierung religiö-ser Bewusstseinsformen als auch die Versuche einer Wesensbestimmung der Religion und der Religionen sind nicht mehr zeitgemäß. Die Bedeu-tung dieses Entwurfs für die gegenwärtige religionstheologische Debatte liegt vielmehr in den Grundentscheidungen zur Konstitution der Religi-onstheologie, besonders in der Unterscheidung und Zuordnung der theo-logischen Binnenperspektive und der von Glaubensüberzeugungen mög-lichst freien religionsphilosophischen Metaperspektive.

Dogmatik hat nach Schleiermacher die Aufgabe, den Glauben der Kir-che in einer systematisKir-chen Weise darzustellen. ReligionsphilosophisKir-che Reflexionen klären die Rationalitätsstandards der Theologie und setzen sie in Beziehung zu anderen Wissenschaften und zur allgemeinen Geistes-kultur. Sie sollen ohne Glaubensvoraussetzungen auskommen und auch Menschen erreichen, die nicht in den Lehrtraditionen der Kirche verwur-zelt sind. In der Komplementarität dieser beiden Perspektiven hat sich die Religionstheologie auch in der Gegenwart zu entfalten.

Wo diese Komplementarität nach der einen oder nach der anderen Seite hin aufgelöst wird, ergeben sich religionstheologische Probleme.

Iso-liert sich die religionsphilosophische Betrachtung von der theologischen Entfaltung des Selbstverständnisses einer Religionstradition (wie es in manchen Entwürfen der Pluralistischen Religionstheologie der Fall ist98), entfremdet sie sich von den Trägergruppen dieser Religionstradition und wird von ihnen nicht akzeptiert werden. Entfaltet sie sich demgegenüber ganz aus der theologischen Innenperspektive heraus und lehnt die religi-onsphilosophische Metaperspektive ab (wie es etwa in Karl Barths Theo-logie der Fall ist99), dann wird sie Mühe haben, sich in ein konstruktives Verhältnis zum Selbstverständnis anderer religiöser Traditionen zu setzen und pluralitätsoffen zu sein. Wo sich jedoch die theologische Binnenper-spektive ihrer selbst als einer BinnenperBinnenper-spektive bewusst wird, wo sie also in Rechnung stellt, dass sich in ihr eine bestimmte religiöse Tradition ihres Selbstverständnisses vergewissert, hat sie im Grunde schon die religiöse Pluralität anerkannt. Dann führt sie in all ihren Vollzügen das Bewusstsein mit sich, dass es daneben andere Religionstraditionen gibt, die ihre eigenen Selbstreflexionen entwickelt haben. Diese für theologisch irrelevant zu erklären und ganz bei der eigenen Sache zu bleiben, kann nicht mehr befriedigen. Die Frage nach der Verhältnisbestimmung zu diesen anderen Traditionen drängt sich unüberhörbar auf.

Es braucht eine religionsphilosophische Theorie des religiösen Plura-lismus, die den Versuch unternimmt, die verschiedenen theologischen Binnenperspektiven einander zuzuordnen. Schleiermacher entwickelt diese Theorie aus seiner Analyse des religiösen Bewusstseins und deutet die geschichtlichen Religionen von dorther. Wo man diesem Ansatz nicht folgen will, braucht es eine funktionale Analogie dafür, d. h. eine andere Theorie des religiösen Pluralismus.

Ein an Schleiermacher anknüpfender Ansatz einer Theorie des religiö-sen Pluralismus findet sich in aktuellen theologischen Stellungnahmen zu diesem Thema. So wird etwa in dem 2015 veröffentlichten Grundlagen-text des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland die theologische Anerkennung des religiösen Pluralismus mit dem Wesen des christlichen Glaubens als einer je eigenen individuellen Gewissheit begründet. Als sol-cher könne er nicht verantwortlich vertreten werden, «ohne das Recht

98 Siehe dazu Kapitel 6 dieser Studie.

99 Siehe dazu Kapitel 3 dieser Studie.

divergierender religiöser Überzeugungen […] zu stärken»100. Anderen reli-giösen Überzeugungen muss demnach ein eigener Überzeugungswert zugesprochen werden, dessen Validität zumindest für ihre Anhänger gilt.

Eine solche Pluralismustheorie ist im Verständnis der Theologie als Glau-benslehre verankert. Glauben als personale Gewissheit gibt es aber in ver-schiedenen Formen in den unterschiedlichen Religionen. Mit der Bestim-mung des Glaubens als personaler Gewissheit ist das Bewusstsein von einer Pluralität von Glaubensformen verbunden. Nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit muss diesen Glaubensformen zumindest eine formale Anerkennung entgegengebracht werden.

Die Notwendigkeit, Schleiermachers religionstheologischen Ansatz weiterzudenken, ergibt sich im Blick auf das Selbstverständnis des christ-lichen Glaubens in der Beziehung zu anderen Religionen. Über die von ihm entwickelte religionsphilosophische Theorie des religiösen Pluralis-mus hinaus braucht es eine religionstheologische Reflexion der eigenen Binnenperspektive, die den christlichen Glauben auf seine potenzielle religiöse Pluralismusfähigkeit hin auslotet. Dabei werden nicht Forde-rungen nach interreligiöser Anerkennung von außen an ihn herangetragen und/oder zur Norm seines Selbstverständnisses gemacht. Es geht viel-mehr darum zu fragen, wo in der Mitte dieses Glaubens selbst solche Potenziale liegen.

Schleiermachers Religionstheologie ist demgegenüber von apologeti-schen Interessen geleitet: Das Christentum soll als die Erfüllung des Wesens der Religion dargestellt werden. Andere Religionen kommen dabei nicht ihrem Selbstverständnis gemäß zur Sprache, sondern werden in die formale, aber wertende Religionstypologie eingeordnet und im Gegenüber zum christlichen Erlösungsverständnis beurteilt. Mit den ihnen zugeschriebenen Charakteristika erscheinen sie dem Christentum gegenüber als defizitäre Realisierungen dieses Wesens der Religion.

Die Genitivverbindung «Theologie der Religionen» ist im Blick auf Schleiermachers Ansatz als ein genitivus objectivus zu deuten. Demzufolge werden die außerchristlichen Religionen zum Objekt der Theologie degra-diert, das heißt zum stummen Gegenstand theologischer Selbstexplika-tion. Sie stellen das Objekt theologischer Aussagen dar, ohne selbst mit

100 Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gütersloh 2015, 21.

eigener Stimme zu Wort zu kommen. Die Bedeutung des christlichen Glaubens wird in Differenz zu ihnen entfaltet. Wenn Gottes erlösende Selbstvergegenwärtigung in Christus das Wesen der Religion vollkommen erfüllt, dann gibt es keinen Grund, andere Religionsformen in ihren Selbst-aussagen ernst zu nehmen. Denn was über sie zu wissen und zu sagen ist, erschließt sich aus ihrer Beziehung zum allgemeinen Religionsbegriff und dessen Erfüllung. Sie sind nicht potenzielle Quellen von Wahrheitserkennt-nis, sondern Gegenstand von Deutung und Beurteilung.

Schleiermachers Religionstheologie bringt durchaus die Erkenntnis zur Geltung, dass sich christliche Theologie nicht unter Absehung oder in Ab-wehr von außerchristlichem Gottesdenken entfalten kann, sondern nur im Bezug darauf, dass sie den interreligiösen Kontakt braucht, um sich in ihrer Spezifität selbst zu erkennen und zu verstehen. Das führt ihn aber nicht dazu, mit theologisch motivierter Wertschätzung nach dem authentischen Selbstverständnis anderer Religionstraditionen zu fragen und auf diese Weise «Theologie der Religionen» im Sinn eines genitivus subjectivus aufzufassen und zu betreiben und die christliche Glaubenslehre in Bezug dazu zu entfalten. Das wäre auch in seiner Zeit und seinem theologischen und kulturellen Kontext nicht zu erwarten gewesen. Heute dagegen stellt sich diese Herausforderung.

«Theologie der Religionen» im Sinn eines genitivus subjectivus erhebt die Religionen zu «Subjekten» der Theologie. Die christliche Theologie hat auf deren eigene Stimmen zu hören und sich mit ihrem Selbstverständnis aus-einanderzusetzen. Im Bild gesprochen: Die Stimmen außerchristlicher Religionsgemeinschaften und -traditionen bekommen ein «Gastrecht» in der Theologie gewährt, so wie es in der Geschichte und Gegenwart der Theologie im Blick auf die Stimmen aus der Philosophie und anderen Wissenschaften, im Blick auf die Stimmen aus der Literatur und anderen Formen der Kunst, wie überhaupt im Blick auf die Stimmen aus der säkularen Umwelt auch der Fall war und ist. Das vorrangige Muster der Beziehungsbestimmung kann dann nicht mehr das der abwertenden Apologetik und der monologischen Missionstheologie sein. Vielmehr ist nicht nur die religionstheologische, sondern die theologische Reflexion generell religionsdialogisch anzulegen.

Ein solches Modell der interreligiösen Beziehungsbestimmung leitet dazu an, sich in der Kunst der Übernahme anderer religiöser Perspektiven zu üben, ohne dabei der Sachmitte des christlichen Glaubens untreu zu werden. Eine religionsdialogisch praktizierte Theologie würdigt die ihr

begegnenden anderen Religionstraditionen in deren möglichst authentisch repräsentierter Eigen- und Andersheit und begibt sich in ein offenes Gespräch damit, um ihre eigenen theologischen Themen in diesem Hori-zont darzustellen. Dieses virtuelle oder reale Gespräch kann zu Klärungen und Vertiefungen des eigenen Glaubensverständnisses führen.

Damit wird die Einsicht Schleiermachers noch tiefer zur Geltung gebracht, dass sich christliche Theologie nicht unter Absehung oder in Abwehr von außerchristlichem Gottesdenken entfalten kann, sondern nur im Bezug darauf, dass sie den interreligiösen Kontakt braucht, um sich in ihrer Spezifität selbst zu erkennen und zu verstehen.