• Keine Ergebnisse gefunden

Zusammenfassung des Forschungsbedarfs

Perspektive der Wissenschaft

3.3 Zusammenfassung des Forschungsbedarfs

Der Blick auf die Ergebnisse der Literatursichtungen in den einzelnen Scoping Reviews ver-deutlicht, dass die Forschung im Kontext psychischer Gesundheit zwar umfangreich, gleich-zeitig aber auch relativ unspezifisch ist. Der an dieser Stelle zusammenfassend dargestellte, darüber hinausgehende Forschungsbedarf trägt der Tatsache Rechnung, dass es zum einen an praxisnahen Studien mangelt, die Aufschluss über wirksame Gestaltungsmaßnahmen zur psychischen Gesundheit geben, und zum anderen neue Forschungsfragen entstehen, die sich aus dem Wandel der Arbeit, d. h. aus den Veränderungen von Tätigkeiten, Arbeitssystemen und organisatorischen Rahmenbedingungen, ergeben.

Grundsätzlich verfolgt das Projekt dabei das Ziel, solche Lücken und offenen Forschungs-fragen zu benennen, die für die Zielsetzung des Projekts – Ableiten von Handlungsoptionen vorrangig für Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung – Erkenntnisfortschritte erwarten lassen.

An dieser Stelle ist zu betonen, dass damit aus Sicht des Projekts nicht alle ungeklärten oder unzureichend beantworteten Fragen in eine Forschungsagenda zu überführen sind.

Belastungskonstellationen werden in nur wenigen Untersuchungen genauer analysiert, ganz-heitliche Betrachtungen fehlen weitgehend. Dennoch wäre auch hier eine generelle Forderung nach Studien zur Analyse vielfältiger Belastungskonstellationen nicht zielführend: Erfolg ver-sprechender scheint eher, typische Muster für das Auftreten der in Abschnitt 4.2.1 beschrie-benen Schlüsselfaktoren zu identifizieren und für verschiedene Formen von Tätigkeitstypen genauer zu analysieren, um auf dieser Grundlage Gestaltungsaussagen für Tätigkeitsklassen zu formulieren.

Insbesondere vor dem Hintergrund einer sich stetig wandelnden Arbeitswelt ist davon aus-zugehen, dass permanente Anpassungs- und Nachsteuerungsprozesse in Organisationen die Beantwortung der Frage, was eigentlich wirkt, erschweren. Dies bedeutet, dass Längs-schnittstudien erforderlich sind, die zu mehreren Messzeitpunkten und über einen längeren Zeitraum hinweg relevante Arbeitsbedingungen und Belastungskonstellationen analysieren, um Veränderungen und zeitlich kumulative Wirkungen adäquat erfassen zu können.

Belastungskonstellationen

Dies berücksichtigend stellt sich in den einzelnen Themenfeldern der Forschungsbedarf im Überblick wie folgt dar:

Im Themenfeld „Arbeitsaufgabe“ werden für den Arbeitsbedingungsfaktor Arbeitsintensität substanzielle Zusammenhänge zu verschiedenen Indikatoren der psychischen Gesundheit berichtet. Hier sollten Studien die zeitlichen Verläufe hinsichtlich der Dauer der psychischen Belastung sowie die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten analysieren, um genauere Aussagen zu Wirkzusammenhängen auf die psychische Gesundheit treffen zu können.

Tätigkeitsspielraum und ganzheitliche Aufgabengestaltung sowie soziale Unterstützung werden vorrangig als Ressourcen wirksam. Hier stellt die Untersuchung von Wechselwirkun-gen dieser Faktoren mit anderen Arbeitsbedingungsfaktoren ein wünschenswertes, jedoch komplexes Forschungsdesiderat dar, bei dem potenzielle nicht lineare Effekte zu berücksichti-gen sind.

Der arbeitswissenschaftlichen Forschung zur Arbeitszeit lag in der Vergangenheit – bis auf sehr wenige Ausnahmen – eine strikte Trennung von Erwerbsarbeit und Nicht-Erwerbsarbeit zugrunde. Aktuell wird deutlich, dass bei der Betrachtung der Dynamik von Arbeits- und Ruhezeit insbesondere die Schnittstelle der beiden Lebensbereiche Arbeit und Privatleben zunehmend in den Fokus der Forschung rücken sollte.

Der Erholung bzw. psychischen (und auch physischen) Regeneration nach Arbeitsbelastun-gen kommt eine zentrale Rolle zu, wenn es darum geht, psychische Gesundheit zu erhalten.

Forschung sollte stärker die Dynamik von Belastung und Erholung in den Fokus rücken.

Hierzu sind Zeitverlaufsstudien bzw. Tagebuchstudien sinnvoll. Dabei sollten zum einen kurz-fristige Wirkungsdynamiken von Erholungsprozessen untersucht werden, d. h. auf Tages- und Wochenebene. Andererseits sollten auch langfristige Entwicklungen und Dynamiken betrach-tet werden, um so Kumulations- und Kompensationseffekte von Arbeitszeitanforderungen und -ressourcen über einen längeren Zeitraum zu untersuchen.

Für das Themenfeld „Führung und Organisation“ wurde Führung als Schlüsselfaktor iden-tifiziert. Aufgrund der diversen Querverbindungen mit anderen Arbeitsbedingungsfaktoren sollten mehr Erkenntnisse zu den Arbeitsbedingungen der Führungskräfte insbesondere ihrem Führungsverhalten in stark veränderlichen Unternehmensumfeldern gewonnen wer-den – etwa auf Basis qualitativer Studien, die sowohl die spezifischen Interaktionsmuster zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, aber auch die zugrunde liegenden (mehr oder weniger unterstützenden) organisationalen Strukturen und Konzepte analysieren. Auch ist die Arbeitssituation der Führungskräfte selbst sowie ihre Handlungsspielräume mehr in den Blick zu nehmen.

Bei den technischen Faktoren besteht Forschungsbedarf vor allem zu den qualitativen Aus-prägungen der physikalischen Faktoren Lärm und Beleuchtung: So sind Fragen der extraaura-Zeitverlauf

Wechselwirkungen von Stressoren und Ressourcen

Betrachtung der Dynamik von Arbeits- und Ruhezeit

Zusammenschau aus der Perspektive der Wissenschaft

Bei der Mensch-Technik-Interaktion steht vor dem Hintergrund der Digitalisierung der Ar-beitswelt die Frage, wie sich Schnittstellen- und Interaktionskonzepte vor dem Hintergrund neuer Technologien weiterentwickeln werden. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, welche Tätigkeiten sich für den Einsatz neuer Technologien eignen und wie die Übertra-gung von dequalifizierenden Restarbeiten auf den Menschen vermieden werden kann. Die technologiezentrierte Perspektive und die Orientierung an technologischen Aspekten des Mensch-Maschine-Systems, die sich auch im Ansatz von Industrie 4.0 widerspiegeln, sollten stärker ganzheitlich betrachtet werden. Diese betont das Zusammenspiel von Mensch und Maschine in einem Arbeitssystem und trägt zur Entwicklung von integrierten Konzepten der Mensch-Technik-Interaktion bei, bei denen verstärkt Fragen der Verortung und Wahrnehmung von Entscheidungen und Verantwortung zu berücksichtigen sind.

Wenngleich die Prävalenz psychischer Störungen insgesamt stabil ist, besteht aus arbeits-medizinischer Perspektive Klärungsbedarf zum attributablen Risiko, d. h. zur Frage, in wel-chem Ausmaß Arbeitsbedingungen zu psychischen Störungen und Erkrankungen beitragen.

Hier besteht Bedarf an qualitativ hochwertigen Längsschnittstudien als Voraussetzung für Interventionen zur Prävention von psychischer Gesundheit sowohl im engeren als auch im weiteren Sinn (d. h. von körperlichen Erkrankungen). Zu hinterfragen ist auch, welche Berufs-gruppen besonders gefährdet sind. Weitere Ansatzpunkte arbeitsmedizinischen Handelns liegen in der Evaluierung von Angeboten zur Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. Vor allem qualitative Forschung könnte dazu beitragen, die Kooperation zwischen den verschie-denen Präventionsakteuren (Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheitsfachkräfte, Betriebsingenieure, Arbeitspsychologen) besser zu verstehen und in Beispiele guter Praxis zu überführen.

Im Bereich übergreifender Gestaltungsansätze spielen die Umsetzungs- und die Evaluations-forschung eine entscheidende Rolle: Hier besteht die Aufgabe darin, in Maßnahmen beglei-tenden Studien, wie z. B. überbetriebliche und betriebliche Regelungen oder auch betriebliche Interventionen, herauszufinden, ob und unter welchen Bedingungen (Interventionsebenen, Antezedenzien) diese wirksam und nachhaltig sind oder ggf. auch scheitern, um auf der Grundlage dieser Erkenntnisse weitere Handlungsoptionen ableiten zu können. Nicht zuletzt sind Untersuchungen zu Gestaltungsprozessen, insbesondere bezogen auf die Rolle aller be-teiligten Akteure, stärker zu fokussieren. Daher kommt betrieblichen Interventionsprojekten im Kontext der Forschung eine besondere Bedeutung zu, wobei betriebsnahe Zugänge durch ein enges Zusammenwirken von Forschung und betrieblicher Praxis realisiert werden sollten.

Schnittstellen- und Interaktionskonzepte

attributable Risiken

Evaluierung von Angeboten zur Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention

Umsetzungs- und Evaluationsforschung

4.1 Relevanz psychischer Belastung als Gegenstand