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Evidenz zu den Arbeitsbedingungsfaktoren

TECHNISCHE FAKTOREN

2.2 Themenfeld „Arbeitsaufgabe“

2.2.2 Aktuelle Bedeutung der Arbeitsbedingungsfaktoren

2.2.3.1 Evidenz zu den Arbeitsbedingungsfaktoren

Im Überblick ist zunächst festzustellen, dass die Arbeitsbedingungsfaktoren Zusammen-hänge zu verschiedenen Befindensindikatoren wie Arbeitszufriedenheit, Stresserleben oder emotionalem Befinden zeigen. Darüber hinaus lassen sich für einzelne Komponenten der Faktoren Tätigkeitsspielraum, vollständige Tätigkeiten, Emotionsarbeit, Störungen und Unterbrechungen sowie Arbeitsintensität auch Assoziationen zu psychischen Störungen identifizieren.

So ergeben sich beim Tätigkeitsspielraum sowie Handlungs- und Entscheidungsspielraum mittlere positive Effekte zu Motivation und Arbeitszufriedenheit sowie kleine bis mittlere Effekte für Depression, depressive Symptome, depressive Störungen, Burnout-Symptome, emotionale Erschöpfung und Depersonalisation. Bei den gesundheitsbezogenen Outcomes werden neben linearen auch kurvenlineare Wirkzusammenhänge diskutiert, da sich in einigen Studien bei hoch ausgeprägtem Tätigkeitsspielraum negative gesundheitliche Effekte erga-ben. Allerdings erfolgte bisher keine systematische Prüfung der zwei Wirkungsmodelle gegen-einander. Darüber hinaus lässt sich nicht ausschließen, dass die gefundenen nicht linearen Effekte auch durch andere, parallel mit einem hohen Tätigkeitsspielraum auftretende Faktoren

Störungen und Unterbrechungen

Tätigkeitsspielraum, Handlungs- und Entschei-dungsspielraum

wie z. B. Rollenunklarheit oder erhöhte Arbeitsintensität bedingt sind: Der Tätigkeitsspielraum könnte unter diesen Bedingungen mit einer größeren Verantwortung verbunden gewesen sein, die nicht zu den Leistungsvoraussetzungen der Beschäftigten passte, oder bezog sich eventuell auf Tätigkeiten, die nicht als legitime Aufgaben wahrgenommen wurden. In der Mehrzahl der Publikationen ließ sich jedoch die förderliche Wirkung des Tätigkeitsspielraums auf die Gesundheit belegen, der damit eine Ressource repräsentiert (vgl. ausführlich Bradtke et al., 2016b; Bradtke & Melzer, 2016b; Rosen, 2016b).

In Untersuchungen zur Emotionsarbeit wird Burnout in vielen Fällen als interessierendes Outcome-Maß erfasst. Empirisch zeigt sich in diesen Studien, dass insbesondere das Surface Acting (Oberflächenhandeln) und die emotionale Dissonanz als Komponenten der Emotions-arbeit mit erhöhter emotionaler Erschöpfung und Depersonalisation der Beschäftigten einhergehen. Darüber hinaus sind Surface Acting und emotionale Dissonanz auch abträglich für die Arbeitszufriedenheit. Die Stärke dieser Zusammenhänge variiert zwischen klein und mittel und stützt aufgrund der Richtung des Zusammenhangs die Einordnung dieses Faktors als Stressor (vgl. ausführlich Schöllgen & Schulz, 2016c).

In ähnlicher Weise wie bei der Emotionsarbeit sind auch Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit mit Burnout, emotionaler Erschöpfung, Distanzierung sowie Depressivität verbunden. Auch die Arbeitszufriedenheit sinkt, wenn häufig Störungen und Unterbrechun-gen auftreten, sodass zusammenfassend festgestellt werden kann, dass dieser Arbeitsbedin-gungsfaktor einen Stressor darstellt, der mit kleinen bis mittleren Effekten auf die Gesundheit assoziiert ist. Die Wirkzusammenhänge können allerdings je nach Art der unterbrochenen Tätigkeit und nach Art der Unterbrechung unterschiedlich ausgeprägt sein und sind somit kontextabhängig. So zeigten sich nicht nur Assoziationen zu negativen Indikatoren psychi-scher Gesundheit, sondern beispielsweise auch eine geringere Ermüdung bei repetitiven Tätigkeiten. Weiterhin gibt es Berufe, bei denen Störungen – etwa in der Notfallmedizin – be-rufsimmanent sind und dementsprechend eher als legitim wahrgenommen werden, sodass weniger starke Beanspruchungsfolgen daraus resultieren (vgl. ausführlich Rigotti, 2016b).

Für die quantitativen Anforderungen als Komponente der Arbeitsintensität, die sich auf Arbeitsmenge, verfügbare Zeit und Arbeitstempo beziehen, liegt eine Vielzahl von Befunden zur psychischen Gesundheit, insbesondere zu Burnout, vor. In Übereinstimmung mit den theoretischen Annahmen des Job-Demand-Control-Modells zeigen Beschäftigte mit hohen quantitativen Anforderungen verstärkt emotionale Erschöpfung und Depersonalisation, darüber hinaus sind sie in hohem Maß von Depression und Angst betroffen. Auch hier sind die Befunde wieder von kleiner bis mittlerer Stärke und weisen diesen Faktor ebenfalls als Stressor aus (vgl. ausführlich Stab, Jahn & Schulz-Dadaczynski, 2016b; vgl. dazu auch Stab &

Schulz-Dadaczynski, 2017).

Wechselwirkungen der Arbeitsbedingungsfaktoren mit anderen Faktoren wurden in den Emotionsarbeit

Störungen und Unter brechungen

Arbeitsintensität

Befunde des Projekts

Insgesamt treten zwischen den Arbeitsbedingungsfaktoren große Abweichungen in der An-zahl der jeweils verfügbaren Studien auf. So liegt eine hohe Zahl an Untersuchungen sowohl für die quantitativen Anforderungen als Komponente der Arbeitsintensität als auch für den Tätigkeitsspielraum vor, was sich u. a. darauf zurückführen lässt, dass beide Faktoren durch ihre Fundierung im Job-Demand-Control-Modell bzw. im Job-Demands-Resources-(JDR-) Modell wissenschaftlich gut etabliert sind und daher häufig untersucht werden. Wenn zu anderen Prädiktoren-Kriterien-Assoziationen kaum Befunde verfügbar sind, darf daraus somit nicht geschlossen werden, dass hier keine Wirkungen bestehen: Sie sind nur seltener Gegen-stand von Forschung.

2.2.3.2 Gestaltung

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Aussagen zur Gestaltung der Arbeitsbedingungsfak-toren in der Mehrzahl der Studien auf Zusammenhangsanalysen basieren und damit als Gestaltungsempfehlungen gelten können, während eine nur sehr geringe Anzahl an Interven-tionsstudien vorliegt, aus denen sich begründetes Gestaltungswissen ergibt. Dabei werden sowohl verhältnispräventive Maßnahmen, die an den Arbeitsbedingungen ansetzen, als auch verhaltensorientierte Maßnahmen, die auf die Beschäftigten fokussiert sind, vorgeschlagen.

Als verhältnispräventive Maßnahmen haben sich die Schaffung von Tätigkeitsspielräumen, also Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, und vollständigen Tätigkeiten aufgrund der überwiegend positiven Wirkungen auf Gesundheit, Befinden und Leistung bewährt. Weiter-hin zeigen die empirischen Befunde, dass sich die negative Wirkung eines Faktors durch die Gewährung sozialer Unterstützung und die Schaffung von Tätigkeitsspielräumen reduzieren lässt. Damit sollten die Arbeitsbedingungen im Sinne der Verhältnisprävention so gestaltet werden, dass soziale Unterstützung und Tätigkeitsspielraum optimal ausgeprägt sind. Weiter-hin sind die Beschäftigten im Sinne der Verhaltensprävention zu befähigen, diese Faktoren für sich nutzbar zu machen. Eine Schulung der Führungskräfte zur Unterstützung ihrer Mitarbei-tenden kann mit dazu beitragen, die Wirkung dieser Gestaltungsmaßnahmen zu erhöhen.

Darüber hinaus lassen sich die Arbeitsbedingungsfaktoren aber auch selbst gestalten: Bei der Arbeitsintensität könnten eine angemessene Personalbesetzung, die Pausenorganisation, die Schaffung von Rollenklarheit und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Beschäftigten mögliche Gestaltungsansätze darstellen. In Bezug auf den Tätigkeitsspielraum wird z. B. das Prinzip der Arbeitsplatzrotation als günstig für Gesundheit und Befinden vorgeschlagen, wenn daraus keine Arbeitsintensivierung folgt.

In ähnlicher Weise gilt Job Enrichment für den Faktor Vollständigkeit als mögliches Gestal-tungsprinzip, das positiv mit Gesundheit, Arbeitszufriedenheit/Motivation sowie Leistung assoziiert ist, bei entsprechender Qualifizierung der Beschäftigten. Gut gestaltete Aufgaben umfassen nicht nur vorbereitende, ausführende und kontrollierende Tätigkeiten, sondern werden darüber hinaus auch als inhaltlich sinnvoll wahrgenommen.

An den vorgestellten Beispielen wird deutlich, dass Gestaltung sowohl negativ wirksame Arbeitsanforderungen reduzieren und die Einführung von Ressourcen einen adäquaten Um-gang mit ihnen stärken kann. Für einzelne Faktoren lassen sich kritische Merkmalsausprä-gungen formulieren, die es zu vermeiden gilt, wenn beispielsweise die Menge an Aufgaben in der vorgegebenen Zeit bei einer festgelegten Qualität nicht zu erledigen ist oder während

positive gesundheitliche Wirkung von Tätigkeitsspiel-raum und Handlungs- und Entscheidungsspielraum

Gestaltung der Arbeitsbedin-gungsfaktoren selbst

des gesamten Arbeitstags Störungen und Unterbrechungen möglich sind. Liegen kritische Ausprägungen eines Faktors vor, ist betrieblicher Handlungsbedarf gegeben.

Die Befunde zeigen weiterhin, dass die Arbeitsbedingungsfaktoren unspezifisch, d. h. auf verschiedene Indikatoren der psychischen Gesundheit gleichzeitig wirken. Allerdings bleibt zu beachten, dass die Effektivität eines auf einen Faktor bezogenen Gestaltungsansatzes immer auch von der Ausprägung der anderen Faktoren, d. h. von der jeweiligen Belastungskonstel-lation, mit abhängt und damit eine spezifische Maßnahme nicht zwangsläufig zum Erfolg führen muss. Relevant sind hier auch die arbeitsbezogenen Orientierungen (z. B. Überen-gagement) und Strategien der Beschäftigten bei der Bewältigung der Arbeitsanforderungen.

Weiterhin ist hier zu berücksichtigen, dass Gestaltungsmaßnahmen auch mit Auswirkungen auf andere Organisationseinheiten oder Kunden verbunden sein können.

Dementsprechend erscheint es sinnvoll, dass nicht nur Experten ihr Wissen um Gestaltungs-prinzipien und -regeln, sondern auch die Beschäftigten ihre konkreten betrieblichen Kennt-nisse über die Arbeitsbedingungen vor Ort mit in den Gestaltungsprozess einbringen. Dabei lassen sich branchen- und betriebsübergreifend gültige Gestaltungslösungen nur begrenzt und in eher allgemeiner Form formulieren. Erfolg versprechend erscheinen spezifische Gestaltungsmaßnahmen innerhalb eines Betriebs, deren Effekte erst zu prüfen sind, bevor weitere Maßnahmen umgesetzt werden. Des Weiteren darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich Gestaltungsziele z. T. widersprechen können, weil die Arbeitsbedingungsfaktoren nicht unabhängig voneinander wirken und sich gegenseitig beeinflussen. Solche Zielkonflikte müssen transparent werden.

2.2.3.3 Forschungsbedarf

Die einzelnen Arbeitsbedingungsfaktoren des Themenfelds „Arbeitsaufgabe“ wirken nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in Wechselwirkung mit anderen Arbeitsbedingungs-faktoren. Allerdings wurden diese Interaktionen bisher kaum untersucht, sodass hier noch deutlicher Forschungsbedarf besteht.

Weiterhin wird in den Scoping Reviews deutlich, dass in den empirischen Untersuchungen zu Wirkzusammenhängen zwischen Arbeitsbedingungsfaktoren und der psychischen Gesund-heit der Frage nach der zeitlichen Stabilität sowie der zeitlichen Kumulation der untersuchten Arbeitsbedingungsfaktoren kaum nachgegangen wurde. Die Arbeitsbedingungsfaktoren wur-den häufig einmalig zu Studienbeginn gemessen und die Ermittlung der Zusammenhänge zu den Kriterienmaßen erfolgte unter der Annahme einer gleichbleibenden Wirkung der Faktoren über die Zeit. Da Arbeitsbedingungen zukünftig einer noch größeren Dynamik unterliegen dürften, sind Untersuchungen notwendig, die solche zeitlichen Veränderungen oder kumula-tive Effekte zu berücksichtigen erlauben.

Da der größte Teil der Studien auf Querschnittsuntersuchungen basiert, sind weiterhin spezifische betriebliche

Gestaltungsmaßnahmen

zeitliche Stabilität und Kumulation der

Arbeits-bedingungsfaktoren

Befunde des Projekts

vorgenommen wurde. Hier ist zu klären, ob derartige kurvilineare Effekte möglicherweise auf Drittvariablen zurückzuführen sind, die die lineare Wirkung eines Arbeitsbedingungsfaktors überlagern.

Speziell bei traumatischer Belastung sollten Maßnahmen zur Erhöhung der wahrgenomme-nen Sicherheit im Alltag der Beschäftigten sowie Studien zur Überprüfung der Effektivität von Trainings zur Vorbereitung auf derartige Ereignisse initiiert werden.