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Programme und Aktivitäten zu psychischer Gesundheit auf der betrieblichen Ebene

Im Dokument Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt (Seite 109-114)

4 Zusammenschau aus der Perspektive der Praxis

4.2 Regulativer Rahmen und programmbezogene Aktivitäten zu psychischer Belastung

4.2.4 Programme und Aktivitäten zu psychischer Gesundheit auf der betrieblichen Ebene

4.2.4.1 Programme und Aktivitäten zu psychischer Belastung auf der betrieblichen Ebene Die vorliegenden Projektergebnisse verdeutlichen die systemische Komplexität des Felds psychischer Gesundheit und weisen darauf hin, dass effektive und nachhaltige Prävention zu psychischer Belastung nicht allein durch Regulation und die damit verbundenen Verfahren und Instrumente erreicht werden kann. Von ebenso großer Bedeutung ist die Befähigung der Betriebe zum Umgang mit einer betrieblichen und tätigkeitsbedingten Spezifik psychischer Belastung und zur Umsetzung geeigneter Maßnahmen. Als Personengruppen haben hierbei betriebliche Arbeitsschutzakteure, die betrieblichen Sozialpartner, Führungskräfte und auch die Beschäftigten selbst wichtige Rollen und Funktionen. Die Programme, Initiativen und Aktivitäten auf der betrieblichen Ebene zielen sowohl auf den Auf- und Ausbau von Wissen und Kompetenzen bei den für den Arbeitsschutz Verantwortlichen und deren Unterstützung bei der Implementierung und Anwendung von Konzepten und Instrumenten, als auch auf die Etablierung und Gestaltung von Prozessen, die einen sachgerechten und betrieblich an-gemessenen Umgang mit psychischer Belastung ermöglichen.

Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen stehen Programme, Initiativen und Ansätze, die sich explizit mit der psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt befassen. Wir betrachten aber auch ausgewählte Programme, die zwar breiter aufgestellt, aber geeignet sind einen nennens-werten Beitrag zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt zu leisten.

Eine Systematisierung der Programme und Aktivitäten zu psychischer Belastung auf der betrieblichen Ebene kann anhand dreier Strukturmerkmale erfolgen:

Empfehlungen zur Qualifi-zierung betrieblicher Akteure für die Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung

Zusammenschau aus der Perspektive der Praxis

Bei den Zieldimensionen der Programme lassen sich idealtypisch Sensibilisierung und Infor-mation, Entwicklung und Verbreitung von Lösungsansätzen, Handlungshilfen und Instrumen-ten sowie KompeInstrumen-tenzentwicklung bei betrieblichen Arbeitsschutzakteuren unterscheiden.

In der Praxis sind jedoch hybride und mehrdimensionale Zielsetzungen nicht selten. Sensi-bilisierung und die Verbreitung von Instrumenten gehen oftmals Hand in Hand, sei es durch differenzierte Angebote unter einem gemeinsamen „Dach“, etwa im Rahmen der GDA oder umfangreicherer Projekte wie dem INQA-Projekt PSYGA, sei es durch die Integration der Ziel-setzungen in einer einzigen umfassenden Handlungshilfe oder einem anderen Instrument.

Mit Maßnahmen der Sensibilisierung und Information soll bei Organisationen, Akteuren und Beschäftigten zunächst ein Bewusstsein für die Relevanz psychischer Gesundheit in der Ar-beitswelt sowie deren grundlegende Faktoren und Zusammenhänge hergestellt und in einem zweiten Schritt Möglichkeiten zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema aufgezeigt werden („Awareness Raising“). Entsprechende Angebote verfolgen oftmals einen dezidiert niedrigschwelligen Ansatz: Besonderes Vorwissen wird nicht vorausgesetzt, die eingesetzten Medien und Formate sind einfach zugänglich und nutzbar, Darstellungsweise und Sprache leicht verständlich.

Eine weitere Zielkategorie stellt die Entwicklung und Verbreitung von Lösungsansätzen, Handlungshilfen oder Instrumenten dar. Hierbei besteht die besondere Herausforderung oftmals darin, wissenschaftlich fundierte Angebote zu entwickeln und diese so auszugestal-ten, dass sie an betriebliche Ausgangslagen, Handlungslogiken und Praktiken anschluss - fähig sind. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang Handlungshilfen zur Um-setzung gesetzlich vorgeschriebener Unternehmerpflichten – etwa der Gefährdungsbeurtei-lung – oder empfohlener Verfahren und Vorgehensweisen, etwa zu gesundheitsförderlichem Führungsverhalten. Darüber hinaus werden in diesem Zusammenhang oftmals betriebliche Best-Practice-Beispiele und Benchmark-Ansätze genutzt, mit denen Unternehmen erfolg-reiche Umsetzungsbeispiele „auf Augenhöhe“ näher gebracht werden und der eigene Status, bzw. Entwicklungsstand im Vergleich mit anderen Unternehmen betrachtet werden kann.

Die Verbreitung von Lösungsansätzen und Instrumenten ist häufig auch mit Maßnahmen zur Nutzung von Beratungsangeboten verknüpft. So wird der Einsatz bestimmter Instrumente, insbesondere aber die Durchführung komplexerer, beteiligungsorientierter Organisations-entwicklungsverfahren in betrieblichen Programmen und Initiativen häufig durch Beratungs-angebote flankiert. Zu deren Durchführung steht etwa im INQA-Kontext ein Pool speziell qualifizierter Beraterinnen und Berater zur Verfügung. Kleine und mittlere Unternehmen, die bei der Einführung und Umsetzung von Maßnahmen oftmals vor besonderen Heraus-forderungen stehen, können bei der Inanspruchnahme solcher Beratungsleistungen zudem auch finanzielle Unterstützung durch das BMAS-Förderprogramm „unternehmenswert:

Mensch“ (www.unternehmenswert-mensch.de) erhalten. Zu nennen wäre hier zudem das Audit „Zukunftsfähige Unternehmenskultur“ der Initiative Neue Qualität der Arbeit (www.inqa-audit.de). Es ist das erste Audit, welches in Deutschland sowohl von den Arbeit-geberverbänden und Kammern, den Gewerkschaften, der Bundesagentur für Arbeit sowie von der Politik getragen wird. Dabei handelt es sich um ein Angebot das Geschäftsleitungen sowie Beschäftigte in Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen dabei unterstützt, ein besseres Arbeitsumfeld zu entwickeln und somit u. a. geeignete Maßnahmen zur ganz heit-lichen Verhältnisprävention einzuleiten. Ziel des Audits ist es, unter Einbindung der

Sensibilisierung und Unterstützungsangebote, z. B.

„unternehmenswert: Mensch“

Beispiel Audit „Zukunftsfähige Unternehmenskultur“

Beschäftigten nachhaltige Veränderungsprozesse anzustoßen und so die Arbeitsbedingungen langfristig zu verbessern. Letztlich existieren zahlreiche Programme und Initiativen, bei denen die Entwicklung individueller Kompetenzen im Vordergrund steht. Die konkrete Zielsetzung reicht dabei von eng verhaltenspräventiv-orientierten Angeboten zur individuellen Stressbe-wältigung für Beschäftigte, über die Entwicklung gesundheitsförderlichen Führungsverhaltens bis hin zu spezifischen Angeboten für Experten des Arbeitsschutzes.

Als Zielgruppen von Programmen und Initiativen lassen sich Fachkräfte des betrieblichen und überbetrieblichen Arbeitsschutzes, Unternehmer und Führungskräfte sowie Beschäftigte und deren Vertretungen unterscheiden. Deren Aufgaben, Zuständigkeiten, Handlungs- und Einflussmöglichkeiten differieren ebenso wie das vorhandene Wissen zum Thema psychi-scher Belastung und psychipsychi-scher Gesundheit. Effektive, praxisnahe Angebote sind sensibel für diese Heterogenität und richten ihre Angebotsformate danach aus. Von besonderer Bedeutung dürfte dies bei den Gruppen sein, in deren Professionen und in deren Aus- und Weiterbildung das Thema nicht zwangsläufig eine Rolle spielt. Dies gilt häufig für die Ziel-gruppe der Führungskräfte sowie der Beschäftigten, insbesondere in kleineren Unternehmen und dort, wo keine systematische Führungskräfteentwicklung erfolgt.

Die vorhandenen Programme und Initiativen lassen sich auch hinsichtlich ihrer Trägerschaft unterscheiden. Diese finden sich auf unterschiedlichen Regierungs- und Verwaltungs - ebenen (EU, Bund, Bundesländer), bei den Unfallversicherungsträgern, den Krankenkassen sowie einer Vielzahl weiterer Akteure aus arbeits-, gesundheits- oder sozialpolitischen Zusammenhängen sowie auf der Ebene der Wirtschafts- und Branchenverbände und der Gewerkschaften.

Besonders hervorzuheben sind hierbei diejenigen Institutionen und Initiativen, in denen Partner mit unterschiedlichen Zugängen, Kompetenzen, Verantwortungen und Aufgaben kooperieren. Zu nennen sind hier auf EU-Ebene die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (EU-OSHA), in der nicht nur die Regierungen der europäischen Mitgliedstaaten sowie die EU-Kommission zusammenarbeiten, sondern über deren Ver-waltungsrat auch Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter in die strategische Planung einge-bunden sind.

Akteursübergreifende Initiativen mit Zielsetzungen im Feld psychischer Gesundheit existieren auch im nationalen Kontext. Zu nennen ist an dieser Stelle zunächst die zwar nicht formal institutionalisierte, aber vom Gedanken gemeinsamer Umsetzungsverantwortung getragene Kooperation von Bundesregierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften, die in der „Gemein-samen Erklärung Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ des BMAS, der BDA und des DGB aus dem Jahr 2013 zum Tragen kommt. Als weitere Beispiele sind die Initiative Neue Qualität der Arbeit, in der Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft und der Gewerkschaften sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Arbeits- und Sozialminister-Zielgruppen

Trägerschaften und Akteure

Zusammenschau aus der Perspektive der Praxis Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt

Ebene und Tab. 17 Beispiele für Programme und Aktivitäten zu psychischer Belastung auf der betrieblichen Ebene. Quelle: Eigene Darstellung

4.2.4.2 Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz Eines der Hauptziele der in den Jahren 2014 bis 2015 durchgeführten Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“ der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesund-heitsschutz am Arbeitsplatz (www.osha.europa.eu) war die Sensibilisierung und Verbesserung der Kenntnisse in Bezug auf Stress und psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz. Für die Kam-pagne wurden ein KamKam-pagnenleitfaden sowie zahlreiche Materialien entwickelt, die konkrete Umsetzung erfolgte in den EU-Mitgliedstaaten durch die Verbreitung und Bekanntmachung des Kampagnenmaterials, der Organisation von Seminaren und Workshops, der Weiteremp-fehlung der verfügbaren Instrumente, einem Europäischen Wettbewerb für gute praktische Lösungen sowie zentralen Veranstaltungen im Rahmen einer Europäischen Woche für Sicher-heit und GesundSicher-heitsschutz bei der Arbeit. Parallel erfolgte die Entwicklung und Veröffentli-chung eines digitalen „Leitfadens zum Mana gement von Stress und psychosozialen Risiken“, der Informationen über arbeitsbedingten Stress und psychosoziale Risiken bereitstellt. Der Leitfaden richtet sich schwerpunktmäßig an Arbeitgeber und Beschäftigte in kleinen Unter-nehmen, die sich erstmalig mit psychosozialen Risiken bei der Arbeit auseinandersetzen und hierbei Unterstützung benötigen. Er enthält einfache Erklärungen zu arbeitsbedingtem Stress und psychosozialen Risiken, beschreibt mögliche Auswirkungen auf das Unternehmen und die Arbeitnehmer und stellt praktische Beispiele vor, wie Risiken verhindert und bewältigt werden können. Abschließend wird auf nationale Rechtsvorschriften sowie weitergehende Informationsangebote und Instrumente hingewiesen.

4.2.4.3 Gemeinsame Erklärung psychische Gesundheit in der Arbeitswelt des BMAS, der BDA und des DGB

Als Ergebnis eines Diskurses zwischen den Sozialpartnern und der Politik, der stark von dem im Mai 2013 durch den vom Bundesrat vorgelegten Verordnungsentwurf zu Gefährdungen durch psychische Belastung geprägt war, wurde im September 2013 von der Bundesver eini-gung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die „Gemeinsame Erklärung

Europäische Kampagne

„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“

Aktivitäten von Bundes-regierung und Sozialpartnern

psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ unterzeichnet. Darin wird betont, dass der Schutz vor gesundheitlichen Risiken sowohl aus ethischen als auch aus ökonomischen Gründen verbessert werden muss und hierfür das Wissen über mögliche Gefährdungen, deren Vermei-dung und die damit verbundenen Verfahren gestärkt werden soll. Im Teil III der gemeinsamen Erklärung werden die Aktivitäten von Bundesregierung und Sozialpartnern genannt, mit denen sie die Rahmenbedingungen und die Umsetzung betrieblicher Prävention positiv wei-terentwickeln wollen. Ein Schwerpunkt hierbei bildet die Erhöhung der Handlungssicherheit bei der Durchführung von Maßnahmen, die insbesondere durch die Information und Fortbil-dung betrieblicher Akteure und die Bereitstellung von Handlungshilfen zur Durch führung der Gefährdungsbeurteilung im Hinblick auf psychische Belastung und zur menschengerechten Arbeitsgestaltung gefördert werden soll. Bei der Umsetzung der geplanten Aktivitäten spielen die etablierten Koordinations- und Kooperationsinstitutionen eine wichtige Rolle. So erfolgt etwa die Einbindung der Arbeitsschutzinstitutionen der Länder und der Unfallversicherungs-träger in das geplante Vorgehen im Rahmen der GDA, praxistaugliche Instrumente und Bei-spiele guter Praxis werden durch das INQA-Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt (PSYGA)“ entwickelt und verbreitet.

4.2.4.4 Initiative Neue Qualität der Arbeit

Die von Politik und Sozialpartnern getragene Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) bietet in ihren vier Handlungsfeldern – Personalführung, Chancengleichheit & Diversity, Gesundheit sowie Wissen & Kompetenz – zahlreiche Hilfestellungen für Unternehmen und Beschäftig-te. Diese umfassen Instrumente zur Bestandsaufnahme der betrieblichen Situation in den genannten Handlungsfeldern, Leitfäden und Umsetzungshilfen sowie Beratungs- und Audi-tierungsprogramme. Themen der psychischen Gesundheit und der psychischen Belastung werden in zahlreichen INQA-Projekten und den dort entwickelten Angeboten, insbesondere den Unternehmenschecks (INQA-Check-Gesundheit, INQA-Check Gute Führung), aufgegrif-fen oder angesprochen (www.inqa.de).

Wichtigstes Element der Initiative zum Thema psychische Gesundheit in der Arbeitswelt ist das Projekt PSYGA mit seinem umfassenden Informationsangebot und zahlreichen praxis-nahen Leitfäden und Handlungshilfen (www.psyga.info). Diese liegen in differenzierter Form für unterschiedliche Branchen und Zielgruppen, z.B. Führungskräfte, Fachkräfte des Betrieb-lichen Gesundheitsmanagements, Beschäftigte, vor. Dabei adressieren sie eine breite Palette an Themen, die von der Gestaltung von Change-Management-Prozessen bis hin zur Förde-rung psychischer Gesundheit durch FühFörde-rungshandeln reicht und die jeweils mit Instrumen-ten, Ratgebern und Praxishilfen untersetzt sind. Die Differenziertheit und Praxisnähe des Angebots, die Einbindung zahlreicher Kooperationspartner und die Unterstützung durch die Öffentlichkeitsarbeit der Initiative eröffnen vielfältige Möglichkeiten zur Verbreitung der An-gebote, was sich in einer großen Nachfrage hinsichtlich der angebotenen Materialien sowie einem allgemein großen Interesse am Projekt und seinen Ergebnissen widerspiegelt.

INQA-Unternehmenschecks

INQA-Projekt PSYGA

Zusammenschau aus der Perspektive der Praxis

Im Dokument Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt (Seite 109-114)