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Hinweise aus den Stakeholdergesprächen mit Vertretern des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Initiative Neue Qualität der Arbeit

Im Dokument Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt (Seite 117-123)

4 Zusammenschau aus der Perspektive der Praxis

4.3 Diskurs mit der Arbeitsschutzpraxis und der Politik

4.3.2 Hinweise aus den Stakeholdergesprächen

4.3.2.4 Hinweise aus den Stakeholdergesprächen mit Vertretern des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Initiative Neue Qualität der Arbeit

In den weiteren Diskussionen wurde verstärkt die Gestaltungsverantwortung der Sozial-partner beim Thema der psychischen Belastung auf betrieblicher Ebene hervorgehoben.

Ausdrücklich gewünscht wurde eine weitergehende Konkretisierung der gefundenen Er-kenntnisse, auch im Sinne einer Übersetzung in Handlungs- und Gestaltungsoptionen für die betriebliche Praxis. Die Systematik der Arbeitsbedingungsfaktoren und ihre Bewertung als Stressor oder Ressource wurden in mehreren Diskussionen als hilfreich und notwendig bewertet. Angeregt wurde die Auswertung betrieblicher Beispiele erfolgreicher Arbeitsge-staltung im Problembereich psychischer Belastung. Dieses Wissen sollte systematisch zum Aufbau praxisnahen Gestaltungswissens genutzt werden. Die dem Gestaltungsziel einzelner Arbeitsbedingungsfaktoren zugrunde liegende Annahme der Optimierung im Vergleich zur ansonsten im Arbeitsschutz verfolgten Strategie der Minimierung von arbeitsbezogenen Risiken, wurde bestätigt. Zur Sprache kam auch die Frage nach geeigneten Instrumenten und Zugangswegen nicht nur zur Prävention, sondern auch zur Wiedereingliederung von Beschäf-tigten. Anzustreben seien Kooperationen von Akteuren des Arbeitsschutzes und betrieblicher Gesundheitsförderung in den Unternehmen.

Zusammenschau aus der Perspektive der Praxis

5 Empfehlungen

Mit dem Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ hat die Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin den Stand der Wissenschaft zu psychischen Arbeitsbedingungs-faktoren aufgearbeitet. Ziel war es, Zusammenhangs- und Gestaltungwissen zu Arbeit und Gesundheit aufzubereiten und vor dem Hintergrund des Wandels der Arbeit zu reflektieren, um so einen Beitrag zur sachgerechten und zeitgemäßen Ergänzung und Weiterentwicklung von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu leisten. Bei der Formulierung unserer Schlussfolgerungen und Empfehlungen wollten wir aber auch über den Bereich des Arbeits-schutzes im engeren Sinne hinausgehen, wann immer dies fachlich geboten schien. Im Kon-text des Projekts sollten ferner relevante Forschungslücken und Wege zu ihrer Bearbeitung aufgezeigt werden.

Dafür wurden in der Projektphase I Scoping Reviews zur wissenschaftlichen Studien lage durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Arbeiten wurden in der Projektphase II mit wissen-schaftlichen Experten beraten und vor dem Hintergrund bewährter arbeitswissenschaftlicher Standards, insbesondere zur Arbeitsgestaltung (z. B. prospektive Gestaltung technisch-orga-nisatorischer Arbeitssysteme), sowie aktuellen Erkenntnissen zum Wandel der Arbeit einge-ordnet. Dabei ergaben sich – je nach Arbeitsbedingungsfaktor – eine Reihe von allgemeinen und in der betrieblichen Praxis erprobte Gestaltungshinweise. Deutlich weniger Erkenntnisse gab es dagegen im Bereich des gesicherten Gestaltungswissens. Im Anschluss wurde auf Basis des so entstandenen Zwischenberichts in der Projektphase III mit den arbeitsschutz-politischen Akteuren diskutiert. Gleichzeitig wurden die Erkenntnisse mit dem derzeitigen Stand des Arbeitsschutzes, wie er sich beispielsweise in der Evaluation der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) oder der Arbeit der staatlichen Arbeitsschutzaus-schüsse widerspiegelt, sowie mit übergreifenden Programmen, Initiativen und Kampagnen im Feld „Arbeit und Gesundheit“ abgeglichen. Auf Basis aktueller Befragungsdaten konnten schließlich Aussagen zur Relevanz der Arbeitsbedingungsfaktoren für die Erwerbstätigen ge-troffen werden. Mit dem nun vorliegenden Gesamtbericht werden die Ergebnisse des Projekts dargestellt sowie abschließend Empfehlungen – auf Basis einer Priorisierung und Gesamtab-wägung durch die BAuA – formuliert.

Dabei ist insgesamt – auch auf Basis der Ergebnisse des Projekts – von einem großen Hand-lungsbedarf im Bereich der psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt auszugehen, der die Gestaltungs- und Umsetzungsdefizite auf der betrieblichen Ebene adressiert. Die psychi-schen Arbeitsbedingungsfaktoren sind entsprechend der vorliegenden Daten prägend für die Arbeitsbedingungen vieler Erwerbstätiger – in Kombination mit anderen Arbeitsbedingungen – und es zeigen sich deutliche Zusammenhänge ungünstiger Belastungskonstellationen mit möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen. Ebenso lässt sich auf Basis der Studien zeigen,

dass gut gestaltete Arbeit, insbesondere hinsichtlich adäquater arbeitsbezogener Ressourcen, deutlich positive Auswirkungen auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Erwerbstätigen haben kann.

Betrachtet man jedoch auf der anderen Seite die Verankerung der psychischen Arbeitsbedin-gungsfaktoren in den Routinen des Arbeitsschutzes, des betrieblichen Gesundheitsmanage-ments und anderer systematischer Prozesse und Vorgehensweisen der Arbeitsgestaltung, so ist diese nach wie vor unzureichend. Die Gründe hierfür sind, so zeigte es sich auch in den Gesprächen in der Projektphase III, sehr vielfältig und werden von verschiedenen Akteursgruppen auch sehr unterschiedlich reflektiert. Gleichwohl lassen sich einige zentrale Handlungsoptionen aufzeigen, die unseres Erachtens geeignet sind, einen Beitrag zu einer besseren betrieblichen Umsetzung systematischer Arbeitsgestaltung im Bereich der psychi-schen Arbeitsbedingungsfaktoren zu leisten.

Bei der Ableitung solcher Handlungsoptionen ist eine differenzierte Betrachtung der wissen-schaftlichen Befunde notwendig, denn die von uns untersuchten Arbeitsbedingungsfaktoren sind, wie wir im vorliegenden Bericht dargelegt haben, sehr heterogen und einer faktoren-übergreifend standardisierten Systematik daher nur bedingt zugänglich. Lassen sich für den Zusammenhang zwischen Arbeit und Gesundheit in der Regel noch relativ konsistente Zu-sammenhänge über verschiedene Studien hinweg aufzeigen, ist gesichertes Gestaltungswis-sen für die betriebliche Praxis nur punktuell verfügbar, so dass Gestaltungsempfehlungen nur mit hinreichender Vorsicht und großer Sorgfalt abzuleiten sind. Auch sind die Eindeutigkeit und der Konkretisierungsgrad der Befunde hinsichtlich der verschiedenen Arbeitsbedingungs-faktoren unterschiedlich. Dies lässt sich zum Teil mit dem jeweiligen Stand der Forschung erklären: So sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu relativ neuen Themen, wie beispiels-weise der Mobilität, weniger konsistent als diejenigen zu langfristigen Forschungslinien wie Arbeitszeit oder sozialen Beziehungen. Oft ist es aber auch der Charakter der Faktoren selbst, der ausschlaggebend dafür ist, dass mehr oder weniger konkretes und abgesichertes Zusam-menhangs- und Gestaltungswissen vorhanden ist. Zudem, und dies ist für unsere Fragestel-lung von besonderer Bedeutung, bieten sich für die unterschiedlichen Faktoren je nach ihrem Charakter auch unterschiedliche Zugänge zu ihrer betrieblichen Gestaltung an.

So stehen im Fokus des institutionellen Arbeitsschutzes bisher (neben Unfallrisiken) vor allem als potenziell kritisch geltende Faktoren, für die idealerweise objektive Messinstrumen-te und normative SchwellenwerMessinstrumen-te vorliegen, die nicht überschritMessinstrumen-ten werden dürfen (wie etwa beim Lärm) bzw. bei denen prinzipiell eine weitest mögliche Minimierung der Exposition nach technischen Standards vorzunehmen ist (wie bei Gefahrstoffen). Zwar sind auch für einen Teil der psychischen Arbeitsbedingungsfaktoren quantitativ definierte Belastungsgren-zen vorhanden (z.B. Dauer der Arbeitszeit) oder zumindest tätigkeitsspezifisch denkbar (etwa extraaural wirkender Lärm). Auch erscheint in einigen Fällen die Perspektive der Expositions-minimierung durchaus angemessen (etwa im Hinblick auf

Daueraufmerksamkeitsanforde-Empfehlungen

einem positiven Zusammenhang mit der Gesundheit stehen und im Sinne einer gesundheits-förderlichen Gestaltung von Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen zu stärken sind.

Schließlich ist zu bedenken, dass viele der psychischen Arbeitsbedingungsfaktoren in starkem Maße durch betriebliche Aushandlungsprozesse und soziale Interaktionen sowie spezifische arbeitsorganisatorische Lösungen bestimmt und auch deswegen einer technisch-experten-zentrierten Bearbeitung nur begrenzt zugänglich sind.

Vor dem Hintergrund des zuvor Gesagten kommen wir zu einer zentralen Prämisse unserer Überlegungen und Empfehlungen: Unser Ziel ist es nicht, die von uns untersuchten Arbeits-bedingungsfaktoren möglichst anschlussfähig an vorhandene Instrumente und Vorgehens-weisen des Arbeitsschutzes oder anderer Systeme zu (re)definieren. Vielmehr geht es uns darum, dem Charakter der jeweiligen Faktoren entsprechend – dominierende Wirkung als Stressor oder Ressource, technisch geprägt oder primär Gegenstand betrieblicher Aushand-lung bzw. sozialer Interaktion, tätigkeitsübergreifende quantitative Grenzwerte möglich oder nicht etc. – den jeweils geeignetsten und der Relevanz des Faktors entsprechenden Zugang vorzuschlagen, ohne andere möglicherweise zusätzlich sinnvolle Zugänge auszuschließen.

Auch müssen wir uns dem in der Regel multifaktoriellen Wirkgefüge verschiedener zusam-menwirkender Faktoren und ihrer hohen Tätigkeitsspezifik angemessen stellen.

Wir erlauben uns also, im Rahmen unserer nachfolgenden Empfehlungen verschiedene Akteurskreise anzusprechen, die explizit oder implizit, formell oder informell zur Gestaltung gesundheitsgerechter Arbeit beitragen – die Akteure des institutionellen Arbeitsschutzes, die Sozialpartner, Führungskräfte und Beschäftigte, die Akteure der Prävention und Gesundheits-versorgung. Ebenso nehmen wir Bezug auf verschiedene für unsere Fragestellung relevante Systeme der Rechts- und Regelsetzung, die des Arbeitsschutzes genauso wie der überbe-trieblichen und beüberbe-trieblichen Mitbestimmung, des Arbeitszeitrechts oder der Prävention.

Im Vordergrund unserer Überlegungen stehen Handlungsoptionen, die geeignet sein können, zentrale Umsetzungslücken deutlich zu reduzieren und somit zur gesundheitsgerechten Arbeitsgestaltung im Bereich der psychischen Arbeitsbedingungsfaktoren beizutragen. Dabei zeigen wir Wissens- und Kompetenzlücken auf, sofern sie zur besseren Umsetzung beitragen können. Ob und in welcher Weise die Systeme der Rechts- und Regelsetzung durch regulative Ergänzungen weiterzuentwickeln wären, wird in den vorliegenden Empfehlungen nicht beur-teilt, sondern vielmehr dem weiteren politischen Diskurs überlassen.

In den nun folgenden Empfehlungen 1 bis 6 beziehen wir uns vor allem auf die vier Themen-felder „Technische Faktoren“, “ Arbeitszeit“, „Arbeitsaufgabe“, „Führung und Organisation“

und die entsprechenden wissenschaftlichen Überblicksarbeiten unseres Projekts. In den Empfehlungen 7 bis 10 nehmen wir dann eine übergreifende Perspektive hinsichtlich Instru-menten, Vorgehensweisen, professioneller Rollen sowie möglicher Begleitprozesse ein.

Empfehlung 1:

Im Dokument Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt (Seite 117-123)