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Zusammenfassende Diskussion – Organisiertes Hinschauen als „Lösung“

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 153-159)

7. Techniken der politisch-administrativen (Ent- (Ent-)Problematisierung tourismusbedingter Konflikte

7.5 Probleme partizipatorisch thematisieren

7.5.4 Zusammenfassende Diskussion – Organisiertes Hinschauen als „Lösung“

Im aktiven Verwalten tourismusbedingter Konflikte spielen die o.g. Formate des organisierten Hinschauens eine zentrale Rolle. Die Gründung von Organisationseinheiten (Geschäftsstelle Akzeptanzerhaltung), die Etablierung ausdifferenzierter Projektstrukturen (Arbeitsbereiche des HIER IN BERLIN-Projekts), die Gremienarbeit (beim Runden Tisch Tourismus, in internationalen Städte-Netzwerken) wie auch die Pflege verschiedener Beteiligungsformate

162 Aus der Kreativ- und Umsetzungswerkstatt resultierte die Idee des Bürgerbeirats sowie der HIER IN BERLIN-Kiez-Tour.

(Kiez-Tour/-Werkstätten, geplanter Bürgerbeirat) werden als „Lösungen“ zur Konflikt-Bearbeitung geltend gemacht. Die verschiedenen Formate des organisierten Redens und Nachdenkens über konflikthaften Tourismus sind insofern „lösungsorientiert“, als dass sie eine Beschäftigung mit tourismusbedingten Problemen ermöglichen. Was Bröckling auf Mediationsverfahren bezog, lässt sich gewissermaßen auch auf die Formate des organisierten Redens und Nachdenkens über konflikthaften Tourismus übertragen: sie „nähren die Suggestion, dass Streitfälle sich beilegen lassen, wenn man nur lang genug und in geeigneter Form miteinander redet“ (Bröckling 2015: 185).

Organisiertes Hinschauen „funktioniert“ als Technik der (Ent-)Problematisierung tourismus-bedingter Konflikte – was nicht heißt, dass in den diversen Formaten des organisierten Hinschauens tourismusbedingte Konflikte (auf)gelöst werden. Mit Hajer und Wagenaar (2009:

12) können die Foren des organisierten Hinschauens als „new interactive policymaking practices“ verstanden werden; sie ermöglichen eine fortwährende Verständigung über tourismusbedingte Probleme, vor allem aber auch die Demonstration eines politisch-administrativen Willens zur Lösung selbiger.

Analytisch gilt es bei dieser Technik der (Ent-)Problematisierung tourismusbedingter Konflikte zunächst zu berücksichtigen, dass die Formate des organisierten Hinschauens primär vom Destinationsmanagement bewerkstelligt werden (müssen). Dass das organisierte Hinschauen als der dominante Ansatz zur Bearbeitung tourismusbedingter Konflikte erscheint, ist vor dem Hintergrund der Steuerungsmöglichkeiten der DMO visitBerlin nicht überraschend: „Im Gegensatz zum lokalen Staat besitzen sie [die DMOs] in keinem externen Handlungsbereich ein Recht auf hierarchische Koordination. Sie können nichts verordnen“ (Wöhler 2013: 106)163. Dies wird in der vorliegenden Fallstudie deutlich. Während vergleichsweise „harte“

Maßnahmen (z.B. Zweckentfremdungsverbot, Intensivierung der Stadtreinigung) politisch erlassen und administrativ umgesetzt werden können, kann die DMO visitBerlin allenfalls auf eine kommunikative Steuerung (vgl. Saretzki 2013) zurückgreifen. In Ermangelung eines Recht[s] auf eine hierarchische Koordination, geschweige denn eines „Sanktions- bzw.

Kontrollrecht[s]“ (Wöhler 2013: 106), besteht die zentrale Governance-Ressource von visitBerlin im „Management von Kommunikation“ (Crozier 2007: 7, zit. n. Saretzki 2013: 162).

Für die Bearbeitung tourismusbedingter Konflikte wird dabei zum einen auf „neue Ansätze des

163 Wöhler stellt (ebd.) treffend fest, dass die DMO unabhängig von ihrer nicht vorhandenen Verordnungsmacht

„als eine für die Destination verantwortliche, quasi externe halb-öffentliche Einheit verstanden“ wird, die infolgedessen in der Pflicht stehe, für Destiantionen essentielle Steuerungs- und Koordninierungsaufgaben zu übernehmen“ (Wöhler 2013: 106 bezugnehmend auf Bieger und Widmann 2008).

Tourismusmarketings“ (SfW 2016b: 3) gesetzt; es werden also verstärkt dezentrale touristische Angebote kommuniziert, um eine Entzerrung des Tourismus zu unterstützen. Vor allem aber beinhaltet das Management von Kommunikation im Hinblick auf die Handhabung tourismusbedingter Konflikte nicht nur „einfache Formen des Informierens oder Überzeugens“

(Saretzki 2013: 162). Die DMO visitBerlin unternimmt vielmehr das, was Saretzki (ebd. 173, Herv. i. Orig.) als Praxisanforderung für DMOs formuliert: sie schafft „voice- (sowie ear- und listen-)Optionen“. Eine dergestalt betriebene „Organisation von Kommunikation“ (ebd.) muss, im Anschluss an Saretzki, auf ihre Effekte befragt werden. Welche Ergebnisse zeitigen die Foren des organisierten Hinschauens und in welche Machtverhältnisse sind sie eingebettet?

Die Empirie legt nahe, dass Organisiertes Hinschauen zum einen der Konsensproduktion dient.

Die Fallstudie von Füller et al. (2018: 24) zur Governance von „night-time use-conflicts“ in Friedrichshain-Kreuzberg (z.B. Lärm, Müll, etc.) liefert hierzu einen empirisch nahen und analytisch hilfreichen Impuls. Füller et al. weisen am Beispiel des fair.kiez-Projekts Mechanismen des „(un-)governing“ (ebd.) nach, mittels derer der Umgang mit „night-time use-conflicts“ konsensualisiert wird. Das fair.kiez-Projekt stifte dahingehend ein akteursgruppenübergeifendes Problembewusstsein, dass etwas gegen konflikthafte „night time consumption practices“ getan werden müsse. Gleichzeitig werde der Konsens etabliert, dass den Nutzungskonflikten eine „unsolvable nature“ innewohne, sie wenigen devianten PartytouristInnen anzulasten und räumlich auf wenige hotspots begrenzt seien. Die Bearbeitung der Nutzungskonflikte erschöpfe sich schließlich in einem „symbolic approach, that is less about changing the actual use of the city but predominantly about demonstrating awareness and effort“ (ebd. 30).

Die zahlreichen o.g. Formate des organisierten Hinschauens dienen – ähnlich wie das fair.kiez-Projekt – dazu, „awareness and effort“ (Füller at al. 2018: 30) zu demonstrieren. Genauso wenig wie das fair.kiez-Projekt zielt organisiertes Hinschauen darauf, den „actual use of the city“

(ebd.) zu verändern. Ob es sich deshalb um eine symbolpolitische oder gar post-politische Praxis handelt, sei an dieser Stelle dahingestellt.164 Wie Wöhler (2013: 124 f., Herv. i. Orig.) ausgehend vom „Kampf um den Kreuzberger Tourismus“ verallgemeinert, lässt sich festhalten,

164 Die Foren des Organisierten Hinschauens sind nicht zwangsläufig Indizien für eine Ent-Politisierung zu werten.

In Abgrenzung zu parteipolitisch ausgetragenen Debatten sehen Hajer und Wagenaar (2009: 12) in „new interactive policymaking practices [...] often the first instance where people who share a particular space [...]

actually meet”. Es könne gezeigt werden (ebd.), dass, “the discussions within these policymaking practices generate much more than straightforward debates on solutions for shared problems. Interactive policymaking now is a practice within which people generate new identities [...] Whereas previously policies were the outcome of political battles among political parties, we nowadays see how citizens themselves get worked up about various policy initiatives (or the lack thereof) and become politically active for the very first time”.

dass Konflikte innerhalb einer Destination einen „Bedarf an Sinngebung“ im Hinblick auf die

„Bestimmungsrichtung des Tourismus“ auslösen. Die Foren des organisierten Hinschauens bedienen diesen Bedarf, sich über (konflikthafte) Tourismusentwicklung zu verständigen. Da

„Governance eine Koordination von Akteuren zur Verfolgung eines gemeinsamen Ziels ist [...], das geteilter Situationsdeutung entspricht“ (ebd. 103), schlussfolgert Wöhler, dass widersprüchliche Wirklichkeitsdeutungen zwar nicht in Übereinstimmung gezwungen werden können, aber in eine geteilte Wirklichkeitsdeutung integrierbar sind. So gesehen, dienen die Formate des Organsierten Hinschauens dazu, tourismusbedingte Nutzungskonflikte als Phänomene einer geteilten Wirklichkeitsdeutung prinzipiell anzuerkennen. Mit der Rede von Nutzungskonflikten werden widersprüchliche Ansprüche (an Stadt, von Tourist*innen, Anwohner*innen) anerkannt. Allerdings werden auf dieser Basis nicht unbedingt

„Handlungsalternativen oder Szenarien entwickelt, aus denen dann eine Handlungsauswahl erfolgt“ (Wöhler 2013: 125). Organisiertes Hinschauen erfüllt in der politisch-administrative (Ent-)Problematisierung tourismusbedingter Konflike vielmehr folgende drei Funktionen:

1. Die organisierte Kommunikation über tourismusbedingte Konflikte entlastet von politisch-administrativem Handlungsdruck. Die vorliegende Fallstudie legt nahe, dass Organisiertes Hinschauen an sich zu einer aufwendigen, kontinuierlich aktualisierten Dauerlösung für die Daueraufgabe „Akzeptanzerhaltung“ wird. Der Lösungscharakter der Foren des Organisierten Hinschauens – wie auch der auffordernde Impetus der Beteiligungsformate („mitdenken“,

„mitmachen“) – entlastet visitBerlin wie auch die SfW von Handlungsdruck im Hinblick auf die Bearbeitung tourismusbedingter Konflikte.

2. Die organisierte Kommunikation über tourismusbedingte Konflikte dient einer dezentralen Handlungsabstimmung mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen, Profiteur*innen, Betroffenen. Mit Wöhler (2013: 125) lässt sich die Arbeit an gemeinsam geteilten Wirklichkeitsdeutungen in der „Schwebe [...] dezentraler Handlungsabstimmungen“ verorten.

Der Runde Tisch Tourismus mag etwa für Vertreter*innen der Tourismuswirtschaft ein geeignetes Format darstellen (DEHOGA-Chef, IHK), um den „richtigen“ politischen Umgang mit konflikthaftem Tourismus zu thematisieren – in der politiknahen Gremienarbeit kann die Gefahr eines „tourist bashing“ als Betriebsrisiko akzentuiert werden, dem es zu begegnen gilt.

Anwohnerorientierte Partizipationsformate (Kreativwerkstätten, direkte „1:1-Gespräche“ im Rahmen der HIER IN BERLIN-Kiez-Tour, geplanter Bürgerbeirat) ermöglichen es, unmittelbar gegenüber Anwohner*innen „awareness“ im Hinblick auf eine zu vermeidende

„Disneyfizierung“ zu demonstrieren. Je nach involvierter Anspruchsgruppe kann in den Foren

des organisierten Hinschauens ein spezifisch akzentuiertes Problembewusstsein konsensualisiert werden.

3. Die organisierte Kommunikation über tourismusbedingte Konflikte ist vergleichsweise unverbindlich. Da die Foren das Organisierten Hinschauens an sich schon als Lösungsansätze geltend gemacht werden, scheint es zweitrangig zu sein, wie genau mit Ergebnissen dieser organisierten Kommunikation verfahren wird. So ist es etwa nicht möglich, sich auf die Beratungsergebnisse des Runden Tisches Tourismus zu berufen, weil die Protokolle dieses Gremiums nicht öffentlich sind. Was aus den Ergebnissen der Kreativwerkstätten (2014-2016) jenseits der HIER IN BERLIN-Kiez-Tour und der Idee des Bürgerbeirats hervorgegangen ist, ist unbekannt. Dass keine Maßnahmen und Ideen aus den Beteiligungsformaten dokumentiert sind, ist ein klares Indiz dafür, dass das organisierte Hinschauen kaum Rechenschaftspflichten zeitigt.

Zusammenfassend lässt sich argumentieren, dass politisch-administrativer Handlungsdruck im aktiven Verwalten tourismusbedingter Konflikte durch Formate des organisierten Hinschauens abgebaut wird. Die Technik des organisierten Hinschauens ist aufwendig. Um organisiertes Hinschauen immer wieder aufs Neue als Maßnahme geltend machen zu können, müssen die entsprechenden Formate der organisierten Beschäftigung mit konflikthaftem Tourismus fortwährend aktualisiert werden. So werden Formate ins Feld geführt, die nie realisiert wurden (z.B. die Expertenrunden zur Problemidentifikation und -beseitigung oder der moderierte Stammtisch mit Touristen und Berlinern); andere Formate werden wieder aufgegeben (Arbeitsgruppe Akzeptanzerhaltung beim Runden Tisch Tourismus); etablierte Foren (Kreativ- bzw. Kiezwerkstätten) werden in „neue“ Projektstrukturen eingegliedert (HIER IN BERLIN);

Beteiligungsformate werden institutionalisiert (geplanter Bürgerbeirat). Die politisch-administrative (Ent-)Problematisierung tourismusbedingter Konflikte kommt hier also in der fortwährenden Anpassung von Formaten des organisierten Hinschauens zum Tragen; ihr Lösungscharakter erschöpft sich darin, dass sie es ermöglichen, Problembewusstsein und Lösungswillen zu artikulieren. Die Frage, die sich aufdrängt, lautet, wie lange diese Technik des Organisierten Hinschauens „funktioniert“?

Nun kann man den partizipativen „Diskurs- und Verhandlunsgverfahren“ mit Feindt (2002: 3) zunächst eine zumindest zweitweise funktionierende „List“ unterstellen. Und zwar in dem Sinne, dass allein ihre Einrichtung den „Handlungskontext der Akteure in einem Politikfeld so veränder[t], dass eine kooperative Einstellung erleichtert, Vertrauen gebildet und (zumindest temporär) Netzwerke gebildet werden, die antagonistische gesellschaftliche Gruppen

übergreifen“ (ebd.). Wenn organisiertes Hinschauen jedoch als eine Art „Scheinlösung“ das non-decission-making im Umgang mit tourismusbedingten Konflikten begünstigt, wird das kooperative Miteinander in Anbetracht sich anstauender Probleme zusehends strapaziert. Dies zeigt sich an verschiedener Stelle. Von Seiten des Destinationsmanagements wird eine konfrontative Anwohner*innen-Haltung diagnostiziert, die v. a. auf öffentlichen Diskussionsveranstaltungen165 zum Tragen käme. Nachbarschaftsinitiativen wiederum stehen partizipativen Formaten auch kritisch gegenüber. So wird an den in der Tourismusstrategie 2018+ angedachten Partizipationsformaten u. a. kritisiert, dass diese keine Mitentscheidungsbefugnis für Bürger*innen enthielten und u.a. dazu dienten, lediglich

„Akzeptanz [gegenüber dem Tourismus] zu steigern“ (z.B. Bizim Kiez 2018: o. S.).166 Die Anrainer sehen die Gefahr einer „Scheinbeteiligung [...], die einerseits Marketingzielen dienen und andererseits den Akzeptanzerhalt in touristisch stark nachgefragten Stadtteilen sichern soll“

(Die Anrainer 2018: o. S). Die organisatorische Bearbeitung tourismusbedingter Konflikte im Rahmen konsensproduzierender Foren des organisierten Hinschauens ist also zunehmend umstritten.

Genauso wie die politisch-administrative Betonung der ökonomischen Gemeinwohleffekte des Tourismus (Arbeitsplätze etc.) als konsenstiftendes Framing tourismusbedingter Konflikte hinterfragt wird, stehen auch die Formate des organisierten Hinschauens an sich in der Kritik.

Insofern sind die von Füller et al. (s.o.) am Beispiel des fair.kiez-Projekts identifizierten „tactics and tools of depoliticisation“ (Flinders und Buller 2006: 294 zit. n. Beveridge und Koch 2018:

289) auch im Hinblick auf die Handhabung tourismusbedingter Konflikte zu beobachten.

Allerdings zeichnet sich ab, wie die vorliegende Fallstudie zeigt, dass neu etablierte Verfahren der partizipatorischen Konsensproduktion von betroffenen Anwohner*innen(-Initiativen) zunehmend kritisch hinterfragt werden und ständig weiterentwickelt werden müssen. In der Konsequenz des auf Dauer gestellten organisierten Hinschauens wird nicht der Konsens über einen angemessenen Umgang mit tourismusbedingten Konflikten stabilisiert, sondern das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit des städtischen Tourismusmanagements untergraben.

165 Bspw. 2. Berlinweiter Erfahrungsaustausch ‚Stadtverträglicher Tourismus‘ (25.02.2016), Morgenpost-Leserforum „Wie viel Tourismus verträgt Berlin?“ (26.04.2016).

166 Im Zuge der Konzepterstellung war eine systematische Berücksichtigung von Anwohner-Perspektiven nicht Teil des Auftrages.

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 153-159)

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