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Techniken der wechselseitigen Harmonisierung von Problemen und Lösungen

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 71-76)

4. Handhabbare Probleme und machbare Lösungen

4.2 Techniken der wechselseitigen Harmonisierung von Problemen und Lösungen

4.2 Techniken der wechselseitigen Harmonisierung von Problemen und Lösungen

Wenn politisch-administrative Problembeschreibungen als “intimately linked to the availability of […] solution[s]” (Li 2007: 7) gedacht werden, gilt es – in einem nächsten Schritt – das Verhältnis zwischen Problemen und Lösungen konzeptuell präziser zu fassen. Die Leitfrage für diese konzeptuelle Präzisierung ist, wann und wie die politisch-administrativen Problem-Lösungs-Kombinationen Bestand haben und zur Geltung gebracht werden. Aus dem Grund-verständnis einer problemorientierten Forschung heraus scheint es zunächst naheliegend, tourismusbedingte Konflikte als Start- oder Ausgangspunkt zu denken, von dem ausgehend eine Policy entwickelt, angewendet, evaluiert wird etc. Die Praxis des städtischen Tourismus-managements sperrt sich allerdings einer solchen linearen oder zirkulären Schematisierung von

78 Man denke zum Beispiel an Städte- bzw. Destination-Rankings, die „als Selbstvergewisserungsrituale im Wettbewerbshandeln städtischer Tourismusförderung“ (Sommer 2016a: 22) maßgeblich durch DMOs reproduziert werden. Das Zahlenwissen über touristisches Geschehen (Destinations-Rankings, Aufenthaltsdauer, Zuwächse aus Quellmärkten etc.) spielt als Bewertungsgrundlage für tourismuspolitisches Handeln eine entscheidende Rolle.

„policy making“; die Kritik von Shore und Wright (2011) an selbiger ist für die vorliegende Arbeit ein wichtiger Denkanstoß. In Anlehnung an Shore und Wright kann eben nicht davon ausgegangen werden, dass tourismusbedingte Konflikte zu einem bestimmten Zeitpunkt als ein bestimmtes Problem erkannt und gerahmt werden, dann eine entsprechende Policy ersonnen, ausgearbeitet und verabschiedet wird, ehe diese wiederum evaluiert und überarbeitet wird.

4.2.1 Wann und wo Problem-Lösungs-Kombinationen Bestand haben

In Anbetracht der vielfältigen, zeitversetzten Interventionen des Berliner Tourismus-managements im Hinblick auf tourismusbedingte Konflikte scheint es eher angemessen, diesen politisch-administrativen Aktivitäten eine „messiness and complexity“ (Shore und Wright 2011: 8) zu unterstellen, die „policy processes“ (ebd.) im Allgemeinen zu eigen ist. Es gibt also nicht die eine, terminierbare Policy im politisch-administrativen Umgang mit konflikthaftem Tourismus. Policy-Prozesse sind unübersichtlich, es scheint eher angemessen, sie als

„contested narratives“ (Shore und Wright 2011: 13) zu denken, die fortwährend hergestellt werden (vgl. Clark et al. 2015). Mehr noch: Mit Müller und Lange (2016) lassen sich die Diskrepanzen zwischen stringenten, tourismusplanerischen Rationalitäten einerseits und der im täglichen Tourismusmanagement immer wieder neu zu bewältigenden Unordentlichkeit des touristischen Geschehens andererseits als Grundbedingung der Tourismusmanagement-Praxis verstehen.79

In Kenntnis der „messiness and complexity“, die Policy-Prozessen zu eigen ist, ist allerdings noch nicht die Frage geklärt, wie die politisch-administrative (Ent-)Problematisierung tourismus-bedingter Konflikte konzeptuell festgemacht werden kann: Wenn konflikthafter Tourismus andauernd, zwischen Routine und Reformvorhaben, Gegenstand politisch-administrativer Problematisierung ist, wann hat eine Intervention gegen konflikthaften Tourismus dann eigentlich Bestand? Wenn politisch-administrative Interventionen konflikthaften Tourismus betreffend ständig zwischen vielen Fertigungs-, Diskussions- und Anwendungszusammenhängen hin und her übersetzt werden – wie lassen sie sich dann konzeptuell fassen und analysieren?

Die Anthropologen Shore und Wright (2011: 13) machen hier einen hilfreichen Vorschlag.

Bezugnehmend auf Fairclough (1989) argumentieren sie, dass „policy narratives“ in

79 Das Tourismusmanagement (oder die planerische Praxis im Allgemeinen) kommt offensichtlich gut damit zurecht, dass es sich bei seinen rationalisierten Problembeschreibungen und -bearbeitungsstrategien (z. B. in Form einer Tourismusstrategie) lediglich um temporär haltbare Ordnungsversuche handelt.

verschiedenen „political and social spaces“ genrespezifisch zur Geltung gebracht werden müssen. Mit der Übersetzung eines „policy narratives“ in das jeweils passende Genre (z. B.

eine Rede, einen Gesetzestext, eine Umsetzungsverordnung) wird eine Policy sozusagen immer wieder aufs Neue repräsentiert und zum Tragen gebracht. Anknüpfend an diesen Gedanken der fortwährenden Übersetzung mehr oder weniger umstrittener „policy narratives“ wird in der Dissertation davon ausgegangen, dass die (konflikthafte) Komplexität touristischen Ge-schehens immer wieder aufs Neue politisch-administrativ handhabbar gemacht werden muss.

„Policy narratives“ (hier: den Umgang mit konflikthaftem Tourismus betreffend) spielen dabei eine wichtige Rolle; sie sind wesentlich durch die Relationierungen von Problemen und Lösungen geprägt. Das Aufeinanderabstimmen von Problemen und Lösungen kommt nicht nur in genrespezifischen, textlichen Diskursbeiträgen (z. B. Pressemitteilungen) zum Tragen. Auch ereignishaft angelegte Zusammenkünfte (z. B. im Rahmen eines Partizipationsworkshops) oder mehrmonatige Projektarbeiten (z. B. Erstellung einer Tourismusstrategie) stellen Arbeits-formate des Tourismusmanagements dar, in denen die wechselseitige Harmonisierung von Problemen und Lösungen eine zentrale Rolle spielt, um konflikthaftes touristisches Geschehen handhabbar zu machen.

Um die wechselseitige Aufeinanderabstimmung von Problemen und Lösungen als analytisch-konzeptuelle Fokussierung weiterführend zu begründen, werden im Folgenden präzisierende theoretische Überlegungen aus der Literatur aufgegriffen und zusammengeführt. Auch hierfür lässt sich gut von einem gouvernementalitätstheoretisch geprägten Begriff ausgehen, und zwar vom Begriff der Technologien oder Techniken des Regierens (vgl. Rosol und Schipper 2014;

Füller und Marquardt 2009).

4.2.2 Technologien des Regierens: Fokus auf Prozeduren und Neutralität

In der Literatur ist nicht eindeutig geklärt, auf welcher analytischen Ebene Technologien des Regierens als Analysekategorie(n) in Anwendung zu bringen sind. Rosol und Schipper (2014) fassen zum Beispiel Städterankings als „Technologie des Regierens“ (ebd. 281); Lemke et al.

(2012: 27) weisen darauf hin, dass Foucault „den Staat selbst“ als „Regierungstechnik“ (ebd.) konzeptualisiert. Allgemeiner gesprochen sind unter Technologien des Regierens „Komplexe von Apparaten, Verfahren, Institutionen, Rechtsforen etc.“ zu verstehen, „die es erlauben sollen, die Objekte und Subjekte einer politischen ‚Rationalität‘ entsprechend zu regieren“

(Lemke et al. 2000: 21, zit. n. Rosol und Schipper 2014: 275). Ausgehend von diesem Grundverständnis weisen Rosol und Schipper (ebd.) in einem engeren Sinne u. a. auf

„Techniken“ hin, „die ein Wissen über die Realität und den praktischen Umgang mit ihr

prägen“. Auf der Ebene dieser „ways of seeing in urban governance“ (Valverde 2011: 277) ist der Begriff der Regierungstechnik analytisch-konzeptuell insbesondere in zwei Hinsichten aufschlussreich:

Erstens hilft der Begriff, die analytische Aufmerksamkeit auf Prozeduren des Einwirkens auf zu regierende Phänomene zu richten (vgl. Rosol und Schipper 2014; Füller und Marquardt 2009). Mit dem Fokus auf die Prozesshaftigkeit der Handhabbarmachung und Bearbeitung der zu regierenden Phänomene lässt sich der Grundgedanke aufgreifen, „practices of governance“

(Füller und Marquardt 2009: 97, Herv. d. Verf.) (und damit nicht nur Absichten) zu untersuchen. Zweitens sind Technologien des Regierens in ihrer „eigenen Materialität“ (Rosol und Schipper 2014: 275) zu betrachten. Das heißt, die Technologien, mit welchen „different authorities seek to enact programs of government in relation to the materials and forces to hand and the resistance and oppositions anticipated or encountered“ (Rose 1996: 42, zit n. nach Rosol und Schipper 2014: 275) sind nicht zwangsweise an bestimmte (etwa neoliberale, post-politische) Rationalitäten gekoppelt. Nach Valverde (2011: 277) sind „ways of seeing in urban governance“ als „compatible with a variety of political projects“ (ebd. 302) zu denken.

Unter Berücksichtigung der Prozessualität und der politisch vielfältigen Anschlussfähigkeit von Regierungstechniken gilt es im Hinblick auf die Handhabung tourismusbedingter Konflikte durch das städtische Tourismusmanagement zu fragen, welche „Verfahren, Apparate, Techniken genutzt werden, um bestimmte Problemsichten und Lösungsvorschläge nahezulegen und so das Handeln anderer zu strukturieren“ (Rosol und Schipper 2014: 275). Die analytische Aufmerksamkeit gilt dabei insbesondere jenen Regierungstechniken, „die ein Wissen über die Realität und den praktischen Umgang mit ihr prägen“ (ebd.).

Um die konzeptuell-analytische Aufmerksamkeit gegenüber den Regierungstechniken der wechselseitigen Harmonisierung von Problemen und Lösungen weiter zu schärfen, werden hier zwei weitere konzeptuelle Impulse aufgegriffen. Die machtanalytischen Überlegungen von u.

a. Bachrach und Baratz (1962) sensibilisieren für Verfahren des organisierten Wegschauens, die in der empirischen Untersuchung der Relationierung von Problemen und Lösungen mitbedacht werden müssen. Die „Seeing like a City“-These von Mariana Valverde (2011: 277) sensibilisiert für die Gleichzeitigkeit verschiedener – bisweilen vermeintlich widersprüchlicher – „ways of seeing“, die in Governance-Prozessen mobilisiert werden.

4.2.3 Die Möglichkeit der Aberkennung von Problemen (non-decisionmaking)

Die Möglichkeit eines organisierten Wegschauens geht auf u. a. Bachrachs und Baratz‘ (z. B.

1962) Überlegung zu einem „second face of power“ (Lukes 2005: 7) zurück, das politische Ent-scheidungsprozesse prägt. Bachrach und Baratz (1962: 948) haben darauf aufmerksam ge-macht, dass politische Macht ausgeübt wird, indem Entscheidungsprozesse auf „relatively

‘safe’ issues“ begrenzt werden. Das heißt, in Prozessen der politisch-administrativen Problematisierung kann mit Bestrebungen gerechnet werden, bestimmte Probleme „gar nicht [Anm. d. Verf.: erst] zum Gegenstand kontroverser Debatten werden zu lassen“ (Häußermann et al. 2008: 346). Die sogenannten „nondecisions which confine the scope of decision-making”

(Lukes 2005: 22) sind dabei durchaus ihrerseits als „(observable) decisions“ (ebd.) zu betrachten – wenn es auch schwierig ist, wie Page (2009) kritisch feststellt, empirisch nachzuweisen, wie potenziell entscheidungsbedürftige Themen bzw. Gegenstände aktiv von einer Agenda ferngehalten werden. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum das „concept of non-decision making“ für die Analyse von Entscheidungsprozessen in der Tourismus-Governance zwar wertvoll ist, aber selten herangezogen wird (Hall 2009: o. S.). Wie produktiv ein Rückgriff auf u. a. die Macht der „non-decisions“ indes sein kann, zeigt die bereits thematisierte Analyse von Füller et al. (2018).

Füller et al. (ebd. 24) zeigen wie „night-time use conflicts“ in Friedrichshain-Kreuzberg im Zuge eines „[m]anufacturing [of] marginality“ auf unverfänglich-konsensuale Aspekte80 reduziert werden. Durch diese konsensuale Beschränkung des „scope of decision-making“, um mit Bachrach und Baratz (1962: 948) zu sprechen, werde ein aktives „(Un-)governing“ (Füller et al. 2018: 24) von Lärmkonflikten möglich. Für die konzeptionelle Ausrichtung der vorliegenden Fallstudie auf das Aufeinanderabstimmen von Problemen und Lösungen bedeutet dies, zu berücksichtigen, dass manche Probleme durch Techniken eines „active non-decision making“ womöglich gar nicht als solche zugelassen, sondern im Vorfeld politisch-administrativer Entscheidungsprozesse von der Agenda abgedrängt werden.

4.2.4 Die Vielfalt politisch-administrativer (Wissens-)Techniken

Ein zweiter wichtiger konzeptueller Impuls, der bei der Analyse des wechselseitigen Auf-einanderabstimmens von Problemen und Lösungen zu berücksichtigen ist, betrifft den

„epistemologically hybrid approach to governing space“ (Valverde 2011: 277, Herv. d. Verf.).

80 Damit ist der Konsens über Handlungsbedarf sowie die Unlösbarkeit der Konflikte gemeint, die noch dazu wenigen devianten Partytourist*innen anzulasten und räumlich auf wenige Hotspots begrenzt seien.

Als „seeing like a city“ thematisiert Valverde die heterogenen Wissenstechniken städtischer Governance, in der modernistische thin simpifications (Scott 1998) genauso zum Tragen kommen wie „embodied, experiential and relational categories“ (Valverde 2011: 308), die Valverde als „premodern“ bezeichnet. Valverde bringt die allgegenwärtigen baurechtlichen Ausnahmeregelungen (Widersprüche zu formal klassifizierten Gebietskategorien) als anschauliches Indiz dafür ins Spiel, dass Scotts modernistische „seeing like a state story“ (ebd.

291) nicht der Planungsrealität entspricht. Am Beispiel der Auslegung von „nuisance laws” in Gerichtsverfahren zeigt Valverde das vermeintlich widersprüchliche Zusammenspiel moderner und vormoderner Wissenspraktiken. Die Gesetzgebung formuliere zwar modernistische, numerische Standards im Hinblick auf Ruhestörungstatbestände (Ruhezeiten, Lautstärke), in der juridischen Praxis würden aber genauso „embodied, experiential and relational categories“

herangezogen, „depending on the make-up and characteristics of the community residents involved“ (Valverde 2011: 303).

Im Kern zielt Valverde also auf die heterogenen Wissenstechniken, mit denen städtisches Zusammenleben in seiner Komplexität reduziert und so für Governance verfügbar gemacht wird. Für die vorliegende Arbeit ist Valverdes „Seeing Like a City“-These in zweierlei Hinsicht informativ. Zum einen sensibilisiert Valverde (2011: 302) dafür, dass die wissenschaftliche Analyse städtischer Governance ergebnisoffen von Fall zu Fall überprüfen müsse, für welche politischen Projekte die heterogenen Wissenstechniken mobilisiert und kombiniert werden.

Außerdem geht mit der konzeptuellen Annahme heterogener Wissenstechniken die Bemühung einher, „to reflexively question the abstractions that critical thinkers end up reproducing as they denounce abstract thinking“ (ebd. 309). 81

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 71-76)

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