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Die Kontinuität der moralischen Disqualifizierung bzw. Begrenzung von Tourismuskritik

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 105-109)

7. Techniken der politisch-administrativen (Ent- (Ent-)Problematisierung tourismusbedingter Konflikte

7.2 Debattierbarkeit moralisch begrenzen

7.2.1 Die Kontinuität der moralischen Disqualifizierung bzw. Begrenzung von Tourismuskritik

(v. a. vom Regierenden Bürgermeister und visitBerlin-CEO) als Frage von Toleranz thematisiert. Dieses rhetorische Manöver fungiert als Positionierung in einer medial-öffentlichen Debatte, die die Notwendigkeit eines vertieften „policy making“ im Hinblick auf konflikthaften Tourismus relativiert. Die Darstellung tourismuskritischer Stimmen als intolerant kommt – so die Argumentation in diesem Kapitel – einer moralischen Disqualifizierung und Begrenzung von Tourismuskritik gleich: Eine xenophob motivierte Tourismuskritik kann nicht der Anlass für eine Debatte über tourismusbedingte Konflikte sein.

7.2.1 Die Kontinuität der moralischen Disqualifizierung bzw. Begrenzung von Tourismuskritik

Es ist zunächst wichtig darauf hinzuweisen, dass die Disqualifizierung von Tourismuskritik (wie auch die Relativierung zunehmender Tourismusintensität als Gewöhnungssache) vor allem in der medial ausgetragenen Debatte über konflikthaften Tourismus zum Tragen kommt.

In der teilnehmend-beobachtenden Feldforschung waren diese Problemdeutungen kaum anzutreffen. In diesen medial artikulierten Disqualifizierungs- und Relativierungsthesen artikuliert sich nichtsdestoweniger eine relevante tourismuspolitische Position. Konzeptuell gesprochen kommt eine Position in verschiedenen Prozessen von Politik (Debatte, Verfahren und Policy) zur Geltung und verknüpft die Artikulation von Problembewusstsein, Maßnahmen und Haltung zu einer festen Einheit (vgl. Scheffer 2013). So gesehen kann eine mediale Positionierung in einer Debatte eine Policy „dynamisieren“, indem sie „neue Schemata aus Problem und Maßnahme einführt“ (Scheffer 2014: 386). Genauso kann eine Positionierung in einer Debatte das „policy making“ jedoch auch ausbremsen, in dem sie ein Thema (hier:

konflikthaften Tourismus) für eine weiterführende Befassung (z. B. in politischen Entscheidungsprozessen, als Aufgabe des städtischen Tourismusmanagements) disqualifiziert.

Im Hinblick auf die um 2011/12 aufkommende Tourismuskritik ( Kapitel 3.2) lässt sich durchaus konstatieren, dass diese frühe Tourismuskritik schon im tourismusbezogenen „policy making“ thematisiert wurde (z. B. im Wirtschaftsausschuss des AGH). Gleichzeitig wurde diese Tourismuskritik in der medial-öffentlichen Debatte nachweislich marginalisiert. Und zwar insofern, als dass Tourismuskritik eben nicht zum Anlass für eine „Grundsatzdiskussion“

(Kieker 2011a: o. S. zit. n. Plarre, P. [taz]) genommen werden sollte.

Die Disqualifizierungsthese lässt sich mit wissenschaftlichen Quellen, vor allem aber mit Aussagen aus der tourismuspolitischen Praxis selbst stützen (s. u.). Aus wissenschaftlicher Warte kommt Holm (2015: o. S.) zu der Einschätzung, dass „tourismuskritische Bewegungen“

in „öffentlichen Diskursen […] schnell in die Nähe von Fremdenfeindlichkeit und Zukunftsverweigerung gestellt“ wurden. Die „politische Verantwortungslosigkeit, bis heute nur Marketingstrategien, aber keine Tourismuspolitik zu haben, [könne] sich bisher hinter den Diskussionen um die angeblichen ‚Touristenhasser‘ (Morgenpost, 11.05.2011) gut verstecken“

(Holm 2014: 16). Novy (2014: 264) konstatierte etwas vorsichtiger, dass sowohl die Landesregierung als auch die Tourismuswirtschaft nach dem Ausbrechen der Tourismusdebatte in Kreuzberg „eher darauf bedacht“ schien, „diese zu kritisieren (‚wirtschaftsfeindlich‘,

‚provinziell‘, ‚fremdenfeindlich‘) als sich ernsthaft mit ihr auseinanderzusetzen“.

Im Kontext einer überblicksartigen Beschreibung der Berliner Tourismuspolitik scheint die von Novy und Holm vertretene Diagnose in die richtige Richtung zu gehen. Die Dissertationsforschung legt dennoch in zweierlei Hinsicht Differenzierungen nahe. Zum einen drängen explizite Aussagen aus der Tourismuswirtschaft, konflikthaften Tourismus als eine Art

„Betriebsrisiko“ ernst zu nehmen, die Frage auf, inwiefern sich dieses tourismuswirtschaftliche Problembewusstsein zum politisch-administrativen (Nicht-)Handeln im Hinblick auf konflikthaften Tourismus verhielt ( Kapitel 3.1.1). Zum anderen zeigt die Dokumentenanalyse, dass die Disqualifizierung der Tourismuskritik als intolerant bis fremdenfeindlich eine Problemzurichtung darstellt, die weniger von der Tourismuswirtschaft (von Verbänden und Unternehmen) ausging, sondern vor allem vom Senat sowie dem städtischen Tourismusmanagement.

Zwar teilten Akteur*innen aus Tourismuswirtschaft und Senat die Einschätzung, dass die vorgetragene Tourismuskritik problematisch sei, da sie die Gastfreundschaft und Willkommenskultur der Stadt beeinträchtigen und das Image der Offenheit beschädigen könnte. Aus diesem Befund wurden nun allerdings unterschiedliche Schlüsse gezogen. Als ein namhafter Vertreter der Berliner Tourismuswirtschaft mahnte der damalige DEHOGA-Geschäftsführer Willy Weiland an, sich der Debatte zu stellen (vgl. Weiland 2012). Der Senat schlussfolgerte indes, dass die diskutierten tourismusbedingten Konflikte lokal moderiert (vgl.

SfW 2011b) bzw. durch das Ordnungsamt, die Bezirke oder die Polizei lokal gelöst werden müssten. Tonangebend für diese Zuständigkeitsverweise war jedoch eine vielfach belegte Disqualifizierung von Tourismuskritik als ausgrenzend bis intolerant – womit in Summe jeglicher Handlungsbedarf auf Landesebene negiert wurde. Was spricht nun empirisch für diese Kritik-Diskreditierung?

In seiner 2012er Regierungserklärung äußerte sich der damalige Bürgermeister Wowereit – der den Tourismus schon 2004 zu seiner „Chefsache“110 erklärt hatte – kritisch zur Tourismuskritik.

In besagter Regierungserklärung schloss Wowereit (2012a: 236)111 seine Ankündigung, dass der neue Senat die Tourismusförderung fortsetzen wolle, im Hinblick auf die aufkeimende Tourismuskritik so:

Lassen wir nicht zu, dass Besucher in unserer schönen Stadt ausgegrenzt werden! Wir heißen die Gäste in dieser Stadt willkommen, auch in Kreuzberg-Friedrichshain.

Vor einem „tourismusfeindlichen Tonfall“ warnte der für Tourismus zuständige Wirtschaftssenator Harald Wolf (= SfW 2011b: 7448) schon Anfang 2011. Auf diese Gefahr wies damals112 auch visitBerlin-Geschäftsführer Burkhard Kieker hin. In der taz wurde Kieker (2011a: o. S., zit. n. Plarre, P. [taz]) bezugnehmend auf die in Kreuzberg aufkommende Tourismuskritik beispielsweise113 mit folgendem Satz zitiert: „Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit können wir hier überhaupt nicht brauchen“. Wie Wirtschaftssenator Wolf äußerte Kieker Verständnis dafür, dass kontrovers diskutierte, vermeintlich (party-)touristische Phänomene (sogenannte bottle parties auf der Admiralbrücke, „Bierbikes“ oder öffentliches Urinieren) für Anwohner*innen ärgerlich seien. Entsprechende Konflikte müssten „vor Ort“

(SfW 2011b: 7448) gelöst werden oder seien „Dinge fürs Ordnungsamt“ (Kieker 2011a: o. S.

zit. n. Plarre, P. [taz]). In der (Kreuzberger) Tourismuskritik sah Kieker jedoch auch gegen Ende 2012 noch keinen Anlass für eine „Grundsatzdiskussion“ (ebd.)114, sondern nach wie vor einen Ausdruck von Intoleranz. Davon zeugt ein Ende 2012 veröffentlichter Tweet des heutigen Justizsenators Dirk Behrendt, in dem es heißt: „Lobby-Kieker erzählt auf der

110 Anlässlich der Einrichtung des Gremiums Runder Tisches Tourismus zur Abstimmung der künftigen Tourismusförderung zwischen Politik und Branchenvertreter*innen bezeichnete der ehemalige Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, die Förderung des Tourismus mit Blick auf seine Teilnahme an diesem Gremium als

„Chefsache“ (Wowereit 2004 zit. n. Sontheimer [Spiegel Online]: o. S.).

111 Es handelt sich hier um ein Zitat aus der dokumentierten Erklärung des Regierenden Bürgermeisters zu den Richtlinien der Regierungspolitik (Senat Wowereit IV), Plenarsitzung der Berliner AGH vom 12.01.2012 (im Literaturverzeichnis Wowereit 2012a: 236). In der Erklärung heißt es außerdem, dass „die ambitionierte Zahl von 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr in den nächsten Jahren auch erreichen [wird]“ (Wowereit 2012a: 235).

112 Unter dem Titel Sommer in Berlin veranstaltete visitBerlin am 13.05.2011 gemeinsam mit der Club-Commission (Interessensvertretung der Berliner Clubs) eine Pressekonferenz.

113 Kieker befand die Debatte über die Folgen des wachsenden Tourismus auch an anderer Stelle als nachteilig für die Stadt. So etwa in einem Interview mit der Zeitung Die Welt (26.04.2011): „Ja, das schadet“ antwortete er auf die Frage, ob die von den Kreuzberger Grünen angeregte Debatte der Stadt schade. Die Debatte passe gar nicht zu Berlin, da die Berliner „extrem gastfreundlich und offen“ (ebd.) seien. Es gelte aufzupassen, „dass nicht eine Minderheit von Menschen, die Schwierigkeiten mit der Welt haben, den Eindruck von Berlin trüben.“ (Kieker 2011b: o. S., zit. n. Richter, C. [Die Welt])

114 Vor einer solchen „Grundsatzdiskussion“ warnte Kieker auch an anderer Stelle, etwa in einem Interview mit der ZITTY (17.05.2011): „Ich will nicht alles schönreden. Bekanntestes Beispiel ist der Lärm auf der Admiralbrücke. Allerdings ist das ein Fall für das Ordnungsamt und darf nicht Anlass sein, eine provinzielle und fremdenfeindliche Grundsatzdiskussion anzustoßen“ (Kieker 2011c: o. S.)

#Tourismuskonferenz wieder einmal vom guten Tourismus und den intoleranten Kreuzberger Touri-Hassern“ (Behrendt 2012 o. S.). Auch abzüglich der womöglich oppositionspolitisch motivierten Prägung dieser „Deutung der Deutung“ ist nicht von der Hand zu weisen, dass gegenüber der sich entfaltenden Tourismuskritik der disqualifizierende Vorwurf der Intoleranz immer wieder in Stellung gebracht wurde – und zwar von oberster (tourismus-)politischer Stelle wie auch aus der Chefetage der Destinations-Management-Organisation visitBerlin.

Vor dem Hintergrund der geschilderten Disqualifizierung tourismuskritischer Stimmen ist es tatsächlich überraschend, dass der visitBerlin-Geschäftsführer zweitweise noch eine weitere – in gewisser Weise gegensätzliche – Deutung der Tourismuskritik einbrachte. Demnach mache die (Kreuzberger) Tourismus-Debatte Berlin „nur noch interessanter“. Letztere Einschätzung ist in einem Bericht zur Sommer in Berlin-Pressekonferenz (13.05.2011) dokumentiert (vgl. o.

V. 2011); Kieker brachte sie aber auch 2015 der o. g. Diskussions-Veranstaltung der Linksfraktion sowie in einem Interview mit dem Stadtmagazin tipBerlin (Kieker 2012: o. S.) ein: „Nehmen Sie diese ‚Berlin doesn’t love you‘-Kampagne: Das hat die Stadt nur noch interessanter gemacht, die Aktion hätte von uns sein können.“

Man kann letztere Einordnung durchaus als Indiz dafür sehen, dass der Ruf Berlins, eine

„Hochburg des stadtpolitischen Protests“ (Holm 2014: 7) zu sein, längst vom Tourismus-Marketing vereinnahmt wurde (vgl. ebd.). Allerdings ist auch festzuhalten, dass die Auslegung von Tourismuskritik als etwas, das die Stadt interessanter mache, zuletzt nicht mehr (öffentlich) sagbar schien. Zumindest finden sich entsprechende Äußerungen nicht mehr in der Medienberichterstattung.

Die Disqualifizierung von Tourismuskritik als explizit „fremdenfeindlich“ scheint also überkommen,115 allerdings fanden sich jüngst Debattenbeiträge, die die Tourismuskritik als provinziell, ausgrenzend und besitzstandswahrend markierten und insofern durchaus die o. g.

Deutungen aktualisierten (vgl. Sommer 2019). Während im Jahr 2011 die Podiumsdiskussion der Kreuzberger Grünen mit dem provokanten Titel Hilfe, die Touris kommen!

Abwehrreaktionen aus der Senatskanzlei und dem Hause visitBerlin auslösten, waren es acht Jahre später öffentlich vorgetragene Zweifel einer Linken-Abgeordneten an Sinnhaftigkeit von

115 Wobei Tourismuskritik durchaus noch hin und wieder als „feindselig“ dargestellt wird, so etwa von Florian Swyter, dem ehemaligen tourismuspolitischen Sprecher der FDP im Berliner AGH. Auf einen Tweet der Grünen AGH-Fraktion (03.08.2019), in dem es bezugnehmend auf die Tourismusentwicklung in Prag hieß, dass „durch Massentourismus & steigende Mieten … große Teile der Bewohner*innen aus der Innenstadt verdrängt“ wurden, stellte Swyter fest, dass Tourismus kaum „feindseliger“ betrachtet werden könne und Berlin der Tourismusbranche dankbar sein sollte (Swyter 2019 o. S.).

Stadt- und Tourismusmarketing.116 „Diese Äußerungen […] zur Einschränkung von Tourismus schaden unserer Stadt. Sie zerstören unser Selbstverständnis als europäische Metropole“, verlautbarte Michael Müller auf Twitter (Müller 2019, o. S.). visitBerlin-CEO Burkhard Kieker stellte indes klar: „Die Aufgabe der Hauptstadt ist es, Schaufenster der Republik und gastfreundlich zu sein“ (Kieker 2019b: o. S., zit. n. Šustr [neues deutschland]), tourismusfeindliche Äußerungen würden das Image der Stadt beschädigen.

In einem Interview betonte Kieker ausgehend von der „Comeback-Story“ Berlins (Kieker 2019a: o. S. zit. n. Maroldt 2019 [Der Tagesspiegel]) zwar, dass Tourismus gesteuert werden müsse: visitBerlin werde „gemeinsam mit der Politik verhindern, dass Berlin zu einer Art Disney-Land“ (ebd.) werde. Gleichzeitig werden kritische Stimmen zu der Frage, wie viel Tourismus(-marketing) Berlin vertrage bzw. brauche, marginalisiert. Die ganze Diskussion sei

„erstaunlich provinziell“ (ebd.). Bei denjenigen, die vom Tourismus genervt seien, handele es sich um „eine kleine, aber artikulierte Minderheit, die gern unter sich bleiben möchte“ (ebd.).

Insbesondere Zugezogene würden darauf pochen, „dass alles so bleibt, wie es ist“ (ebd.). Die

„rasante Entwicklung Berlins“ beunruhige manche Leute und das würde „der Einfachheit halber beim Tourismus abgeladen“ (ebd.). Berlin sei „kein Kuhdorf mit Schlagbaum, sondern entwickelt sich zu einer Weltstadt, ob uns das passt oder nicht. Das ist die DNA als Hauptstadt, diese Rolle müssen wir annehmen“ (ebd.). Die zitierten Einlassungen machen deutlich, wie Tourismuskritik öffentlich-medial marginalisiert wird. In letzterem Zitat klingt die bereits Anfang der 2010er Jahre postulierte „Gewöhnungsthese“ an ( Kapitel 7.1).

7.2.2 Die mediale Disqualifizierung von Tourismuskritik als argumentum ad hominem

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 105-109)

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