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Barcelona – Paradebeispiel eines „nachhaltigen“ Tourismusmanagements

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 31-34)

2. Die „Overtourism“-Debatte und die Forschung zu konflikthaftem Tourismus

2.2 Von Laissez-faire bis weitsichtig: wissenschaftliche Interpretationen der Konflikt-Governance in europäischen Städten

2.2.3 Barcelona – Paradebeispiel eines „nachhaltigen“ Tourismusmanagements

Barcelona wird in der Literatur als Stadt beschrieben, die sowohl mit enormen Heraus-forderungen eines stetig wachsenden Tourismus konfrontiert ist; die aber auch „zumindest in der Theorie“ einem „‚Musterbeispiel‘ verantwortungsvoller Tourismusentwicklung“ (Joppe 2019: 255, Übers. d. Verf., Herv. i. Orig.). entspricht. Mit der Problematisierung tourismusbedingter Konflikte durch die Bürgerplattform Barcelona en Comú20 im 2015er Kommunalwahlkampf hatte konflikthafter Tourismus definitiv einen außerordentlichen

20 Zu deren Gründer*innen zählte die heutige Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau. Colau (2015, o. S.; zit.

n. Goodwin 2016: o. S.) generalisierte ausgehend von den tourismusbedingten Konflikten in Barcelona: „Any city that sacrifices itself on the altar of mass tourism will be abandoned by its people when they can no longer afford the cost of housing, food and basic everyday necessities”.

stadtpolitischen Stellenwert erreicht.21 Dieser Politisierung im Wahlkampf war eine auf Demonstrationen artikulierte Tourismuskritik vorausgegangen („Barceloneta Crisis“22), die insbesondere auf die Zweckentfremdung von Wohnraum zielte, aber auch Lärm, öffentlich-exzessiven Alkoholkonsum und Vermüllung zum Gegenstand hatte.

Der „Imperativ, Tourismus besser zu regieren“ (Goodwin 2019: 130, Übers. d. Verf.) prägte den tourismuspolitischen Diskurs der katalanischen Stadt jedoch nicht erst seit der „Barceloneta Crisis“ im Jahr 2014 (vgl. Goodwin 2019; Joppe 2019). Anfang der 2000er Jahre hob das lokalstaatliche Verständnis eines nachhaltigen Tourismus noch auf die Förderung eines

„Qualitätstourismus“ (García und Claver 2003: 121) ab, womit die Fokussierung auf zahlungskräftige touristische Zielgruppen, Kreuzfahrtgäste sowie Kongress- und Geschäftsreisende gemeint war.23 Doch schon 2008 formulierte die Stadtregierungen einen Strategic Tourism Plan, der eine bessere „Balance zwischen der Lokalbevölkerung und den Tourist*innen sowie den Erhalt der identitären Werte der Stadt“ (Ajuntament de Barcelona und Barcelona Turisme 2020: 5, Übers. d. Verf.) vorsah. Nach Goodwin (2016, 2019) sucht Barcelonas evidenzbasierter Ansatz des „Overtourism“-Managements in Europa aus drei Gründen seinesgleichen: So werde in der katalanischen Hauptstadt (1.) legislaturperiodenübergreifend an einem „verantwortungsvollen Tourismus“ (2019: 130, Übers. d. Verf.) gearbeitet, (2.) seien Tourismusmanagement und -marketing institutionell getrennt worden und (3.) sei das Tourismusmanagement von einem „bemerkenswerten Maß demokratischen Engagements und demokratischer Transparenz“ (ebd., Übers. d. Verf.) geprägt.

In der Literatur wird Barcelona also als Musterbeispiel einer progressiven und verantwortungsvollen Tourismuspolitik beschrieben. Da sich in der Literatur keine konzeptuelle Einordnung dieses Barcelona-Modells in die Governance-Modelle der Tourismusforschung findet, sollen hier die konkreten Maßnahmen etwas genauer beleuchtet werden, die die Tourismuspolitik der katalanischen Hauptstadt ausmachen. Ohne den Anspruch auf eine systematische Maßnahmenanalyse zu erheben, ist es doch aufschlussreich, die (Ent-)Problematisierung des konflikthaften Berlin-Tourismus ( Kapitel 7) im Lichte des

21 Die Tourismuskritik wurde von „urban social movements“ (Fava und Rubio 2017: 291) allerdings schon in den 2000er Jahren artikuliert. Im Zuge der Kritik an der „Barcelona Brand“ (ebd.) wurde Tourismus zu einem der

„‘enemies‘ to fight because it was strictly related [to] the economy of scale and its externalities“ (ebd., Herv. i.

Orig).

22 Der Ausdruck „Barceloneta Crisis“ zielt auf eine Reihe tourismuskrtischer Demonstrationen, die im August 2014 insb. von Einwohner*innen des Stadtteils Barceloneta organisiert wurden.

23 Die Förderung eines so genannten „Qualitätstourismus“ (ein Anspruch, den Berlin heute für sich entdeckt) stellt eine der etablierten „solutions to overtourism issues“ (Dodds und Butler 2019c: 263) dar.

administrativen Aufwands zu betrachten, den Barcelona offenbar im Hinblick auf das Management tourismusbedingter Konflikte betreibt.

Zunächst ist es bemerkenswert, wie in Barcelona Governance-Formate für die Auseinandersetzung mit tourismusbedingten Konflikten geschaffen wurden. So beschloss der Stadtrat von Barcelona schon im Jahr 2008, eigens ein „ad hoc Strategic Plan Office“

(Ajuntament de Barcelona und Barcelona Turisme 2010: 6) einzurichten. Die Aufgabe dieser

„Abteilung“ war es, die zwei Jahre andauernde Analyse- und Konzeptarbeit für den 2010–2015 Strategic Tourism Plan zu koordinieren. Während dieser umfassenden zweijährigen Analyse- und Konzeptionsphase wurde wiederum ein sogenanntes Tourism and City Technical Committee gegründet, um Tourismus als Querschnittsaufgabe der Stadtentwicklung bearbeiten zu können; die Ressortabstimmung (von u. a. Wirtschaft, Verkehr, Stadtplanung) wurde also in einem dauerhaften Gremium institutionalisiert; mit dem 2016 etablierten „City and Tourism Council“ (Ajuntament de Barcelona 2015: 10) wurde ein dauerhaftes, gewähltes Gremium unter Leitung der Bürgermeisterin geschaffen, in dem Vertreter*innen aus der Bürgerschaft, Tourismuswirtschaft, Kultur, Politik und der Verwaltung zu Fragen der Stadt- und Tourismusentwicklung beraten.

Die genannten organisatorisch-institutionellen und konzeptionellen Anstrengungen sprechen zunächst dafür, dass Barcelona einen Tourismus-Governance-Wandel vollzogen hat; und zwar weg von einer rein marketingorientierten Tourismuspolitik hin zu einem neuen Selbstverständnis, das Marketing und Management als wesentliche Anliegen der Tourismus-Policy integriert (vgl. INSETUR Higher Institute for Tourism Research 2014). Während Goodwin (2019) dem 2010–2015 Strategic Tourism Plan sowie dem 2017 verabschiedeten Strategic Tourism Plan 2020 zu Recht hohe Ambitionen im Hinblick auf eine verantwortungsvolle Tourismusentwicklung zuschreibt, steht eine wissenschaftliche Evaluation der Wirksamkeit der umgesetzten, konkreten Maßnahmen noch aus. Hier gälte es z.B. die Umsetzung des Urban Plan for Tourism Accomodation (der u. a. die Neueröffnung eines Beherbergungsbetriebs nur erlaubt, wenn ein anderer schließt) zu überprüfen, genauso wie die Ahndung der Zweckentfremdung von Mietwohnungen. Außerdem müssten die

„micromanagement interventions“ (Goodwin 2019: 136) evaluiert werden, die etwa auf die Begrenzung von Souvenirshops zielen oder den innerstädtischen Reisebusverkehr stadtverträglicher gestalten sollen.

Im Hinblick auf die Wirksamkeit der beispielhaft genannten Maßnahmen ist festzuhalten, dass die Stadt Barcelona immerhin eine Evaluation ihrer Tourismusstrategie durchführt. Martins

(2018) identifiziert auf Basis dieser Selbstevaluierung eine offenkundige Kluft zwischen der tourismusplanerischen Zielvorstellung und den tatsächlichen Effekten der Governance-Interventionen. Eine solche Diskrepanz zwischen „Theorie und Praxis, oder dem was gesagt und was getan wird“ (Abram und Weszkalnys 2011: 14, Übers. d. Verf.) ist in der (Raum-)Planungspraxis jedoch allgegenwärtig und für eine Bewertung der Barceloner Governance-Praxis zu pauschal. Für die vorliegende Dissertation ist der Bezug auf die Literatur zu Barcelona wichtig, weil sie zeigt wie ein „leading example“ (Goodwin 2019: 136) im Hinblick auf den politisch-administrativen Umgang mit konflikthaftem Tourismus beschrieben wird.

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 31-34)

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