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Tourismusbedingte Konflikte als „Betriebsrisiko“ der Tourismuswirtschaft

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 41-44)

2. Die „Overtourism“-Debatte und die Forschung zu konflikthaftem Tourismus

3.1 Tourismuspolitik als marketingorientierte Wirtschaftsförderung

3.1.1 Tourismusbedingte Konflikte als „Betriebsrisiko“ der Tourismuswirtschaft

„Langweilige Innenstädte mit Hotels und Bonbonläden, wie etwa in Prag, will auch die IHK nicht haben“ (Kröger 2019: o. S.) hieß es in einem Artikel der überregionalen Tageszeitung neues deutschland anlässlich eines wirtschaftspolitischen Frühstücks mit dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer. „Sie [Anm. d. Verf.: die Industrie- und Handelskammer zu Berlin] ist ebenfalls für die Berliner Mischung“, so Kröger, der hier auf die zuletzt vieldiskutierte Problematik der Gewerbegentrifizierung anspielte. Tourismusbedingte Konflikte im Allgemeinen scheinen aber schon früher durch die Vertreter*innen der Tourismuswirtschaft als Problem erkannt worden zu sein. „Mittel- und langfristig“, so Novy (2013: 281), bestehe „das Kalkül der Tourismuswirtschaft“ darin, dass „ein Verlust der Lebens- und Freiräume innenstadtnaher Kieze sowie der ihnen innewohnenden Angebote und Prägungen auch einen Verlust für den Tourismusstandort [...]“ darstellen würde. Es lohnt sich, dieser Feststellung etwas genauer nachzugehen. Schließlich wirft die tourismuswirtschaftliche Anerkennung tourismusbedingter Konflikte als eine Art „Betriebsrisiko“ die wichtige Frage auf, wie sich dieses tourismuswirtschaftliche Problembewusstsein zur politisch-administrativen (Ent-)Problematisierung tourismusbedingter Konflikte verhält.

Zu Beginn der 2010er Jahre teilten Akteur*innen aus Tourismuswirtschaft und Senat offenbar die Einschätzung, dass die insbesondere in Friedrichshain-Kreuzberg vorgetragene Tourismuskritik ( Exkurs zur Kreuzberger Tourismuskontroverse am Ende von Kapitel 3.2)

problematisch sei: Die Tourismuskritik könne die Gastfreundschaft und Willkommenskultur der Stadt beeinträchtigen und das Image der Offenheit beschädigen ( Kapitel 6.3). Aus diesem Befund wurden nun allerdings unterschiedliche Schlüsse gezogen – Vertreter*innen der Tourismuswirtschaft sahen in der Tourismuskritik bzw. in den Effekten touristischer (Über-)Nutzung ein Problem für die eigene Branche.

Als wichtiger Vertreter der Tourismuswirtschaft mahnte der damalige DEHOGA-Präsident Weiland (2012: 37 f.) schon 2012 im Wirtschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses an, sich der Debatte über konflikthaften Tourismus zu stellen. Im Rahmen einer Anhörung31 (22.10.2012) wies Weiland darauf hin, dass sich der beim Regierenden Bürgermeister angesiedelte Runde Tisch Tourismus schon mehrfach mit Fragen der

„Tourismusverträglichkeit“ (ebd.) beschäftigt habe:

Es gibt eine Umfrage von Forsa, die hat Herr Kieker [Anm. d. Verf.: CEO von visitBerlin] das letzte Mal beim Runden Tisch Tourismus dargestellt, die das nicht ganz so tragisch sieht, aber ich denke, wir müssen sehr sorgfältig darauf achten. […] Der Runde Tisch hat sich auch mehrmals mit dem Thema Tourismusverträglichkeit beschäftigt: Welche Probleme kommen da auf uns zu, was müssen wir machen, wie können wir es angehen?

Ganz ähnlich äußerte sich Jörg Zintgraf (2012: 24), Geschäftsführer der StattReisen GmbH, in eben jener Anhörung:

Wir freuen uns selbstverständlich über die Wachstumsimpulse des Wirtschaftsfaktors Tourismus und auch die Prognose für die nächsten Jahre, möchten das aber noch ein bisschen kritischer beleuchten. Wachstum ist auch immer eine Frage: Ist das ein gesundes Wachstum, das der Stadttourismus bedient? Wohin soll die Reise gehen? – Da, denke ich, ist es mal ganz gut, ein paar Aspekte herauszugreifen und die mit im Auge zu haben, das heißt, den Tourismus nicht zu verteufeln, das will ich auf keinen Fall tun, wir sind selber sozusagen daran beteiligt, sondern auch zu gucken: Was müsste eigentlich begleitend passieren, wenn man sieht, was passiert?

Mögliche Interventionen, um die einschlägigen Konfliktbereiche zu entschärfen, schlug Zintgraf ebenfalls vor.32 In Summe gehe es, so der Geschäftsführer der StattReisen GmbH, darum, Antworten auf die Frage zu finden, wie das Wachstum gestaltet werden soll – es gehe

31 Die Anhörung fand anlässlich der Veröffentlichung der Studie Wirtschaftsfaktor für Berlin: Tourismus- und Kongressindustrie (visitBerlin 2012a) statt.

32 Um etwa Konflikten entgegenzuwirken, die aus Lärm und übermäßigem Alkoholkonsum im öffentlichen Raum resultierten, bedürfe es Kommunikationsstrukturen, „in denen man miteinander darüber ins Gespräch kommt: Wie gehen Bewohner mit Touristen um und auf der anderen Seite die Touristen mit den Bewohnern Berlins?“ (Zintgraf 2012: 24). Außerdem seien die tourismusbedingte „Verteuerung von Wohnraum“ (ebd.: 25) sowie entstehende

„Monostrukturen“ (ebd.) – etwa in der Oranienstraße – zu hinterfragen.

nicht um die Frage, „ob Wachstum, ja oder nein“ (ebd. 25)33, sondern um ein „gesundes Wachstum“ (ebd. 24).

Es lässt sich festhalten, dass die Tourismuswirtschaft einen gestaltenden Umgang mit tourismusbedingten Konflikten schon früh thematisierte. Während jüngst der Hotelier Andreas Becker34 gar vor der „sozialen Sprengkraft“ (Becker 2019, o. S., zit. n. Kluge [Der Tagesspiegel]) eines „Massentourismus“ warnte, den es zu integrieren gelte, waren tourismusbedingte Konflikte wie auch Tourismuskritik schon zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts als Betriebsrisiko der Tourismuswirtschaft anerkannt. „Stadtveträglichkeit“ des Tourismus sei etwas, so DEHOGA-Präsident Weiland (2012: 23), worauf es perspektivisch sorgfältig zu achten gelte. „Stadtverträglichkeit“ sei „ein ganz wichtiger Ansatz, um sicherzustellen, dass die Gäste, die zu uns kommen, nicht von den Einwohnern feindlich angesehen werden“ (ebd.).35

Die Diskrepanz zwischen der (medial, zivilgesellschaftlich und bezirkspolitisch) angetriebenen Debatte über tourismusbedingte Konflikte einerseits, und den allem Anschein nach verhaltenen politisch-administrativen Gegenmaßnahmen auf Landesebene andererseits, scheint mit dem gezeigten tourismuswirtschaftlichen Problembewusstsein eine weitere Facette zu erhalten.

Diese Diskrepanz kann – so ließe sich schlussfolgern – nicht mit dem einem (Des-)Interesse der Tourismuswirtschaft begründet werden. Wenn auch nicht herausgefunden werden konnte, worin der konkrete Beitrag der Tourismuswirtschaft zu einem stadtverträglicheren Tourismus

33 Die für diese Dissertation durchgeführte Feldforschung bestätigte diese Aufgeschlossenheit der Hotellerie gegenüber Fragen stadtverträglicher Tourismusentwicklung: Christina Aue (IHK-Präsidiumsmitglied) und Evelyn Schönherr-Knaak (stellv. Vorsitzende des IHK-Tourismusausschusses) wiesen in einem 2017 geführten Expertinnengespräch (Tourismuskonzept 2018+) darauf hin, dass Tourismus weiterwachsen solle, da Menschen davon leben würden. Dieses Wachstum müsse man allerdings im Kontext zur Stadtentwicklung sehen, es gehe auch darum, Bürger*innen mitzunehmen und eben „gesund“ zu wachsen. Einen weitereren Hinweis auf diese tourismuswirtschaftliche Problemsensibilität gab ein für die Hotellerie zuständiger Mitarbeiter von visitBerlin. In einer Bereichsbesprechung (an der der Verfasser im Zuge des Forschiungspraktikums teilnahm) erörterte der Key Account Manager, dass die Partnerhotels von visitBerlin immer Verständnis hätten, wenn er berichte, dass visitBerlin eben nicht nur Tourismusmarketing nach außen mache, sondern auch zunehmend Tourismusmanagement nach innen betreibe.

34 Andreas Becker – Gesellschafter von The Circus (einem Unternehmen, das ein Hotel, ein Hostel und ein Apartment-House am Rosenthaler Platz betreibt) – wies in der Tageszeitung Der Tagesspiegel (12.8.2019) auf verschiedene tourismusbedingte Probleme hin (Partylärm, Monostrukturierung der Gewerbeinfrastruktur). Es gelte sich ganz grundsätzlich zu fragen, wie sich der zunehmende „Massentourismus“ „integrieren“ (Becker 2019:

o. S.) ließe. Ein weiteres Problem: In Innenstadtbezirken gäbe es bereits Restaurants und Bars, deren Angebot sich ausschließlich an kaufkräftige Gäste aus dem Ausland richte. Viele Anwohner*innen könnten sich deren Besuch gar nicht leisten. „Da entwickelt sich eine parallele Infrastruktur, die an den Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung vorbeigeplant ist“, sagt Becker (ebd.). Das führe zu Neid und einer sinkenden Akzeptanz für Tourismus.

35 Weiland betonte diese Sicht in einem Expertengespräch (im Zuge der Erstellung des Tourismuskonzepts 2018+) sinngemäß folgendermaßen: Tourist*innen kämen unter anderem nach Berlin, um sich die Berliner*innen anzuschauen – daher sei Akzeptanz gegenüber dem Tourismus und Stadtverträglichkeit des Tourismus wichtig.

bestand – eine tourismuswirtschaftliche Problemsensibilität im Hinblick auf tourismusbedingte Konflikte schien definitiv gegeben.36

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 41-44)

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