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Politisch-administrativ dokumentierte Symptome, Ursachen und Auswirkungen tourismusbedingter Konflikte

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 92-97)

Das vorliegende Kapitel widmet sich nun der dokumentierten, politisch-administrativen Deutung tourismusbedingter Konflikte: Welche Symptome eines konflikthaften Stadttourismus werden in den ausgewerteten Policy-Dokumenten beschrieben; welche Ursachen für tourismus-bedingte Konflikte benannt und welche künftigen Auswirkungen dieser Konflikte projiziert? Diese Frage wird nun einleitend aus dem empirischen Datenmaterial heraus beantwortet. Im Anschluss ( Kapitel 7) wird gezeigt, wie die drei Problembeschreibungskategorien (Symptome, Ursachen, Auswirkungen) mit verfügbaren Lösungen kombiniert werden bzw. in einzelne Techniken der politisch-administrativen (Ent-)Problematisierung tourismusbedingter Konflikte eingehen.

6.1 Symptome: Lärm, Müll und die Zweckentfremdung von Wohnraum Die Dokumentenanalyse zeigt zunächst, dass Probleme im Zusammenhang mit Tourismus mehr oder weniger konkret benannt werden. Die Symptome konflikthafter touristischer Stadtnutzung werden in den analysierten Dokumenten teilweise nur vage als Folgen einer

„verstärkte[n] touristischen Nutzung“ (SfW 2016a: 2) angedeutet und nicht weiter präzisiert – so etwa in der Feststellung, dass „[v]iele Touristen […] auch zu Fragestellungen in der Bevölkerung“ (SfW 2013b, Herv. d. Verf.) führten. Ehe die konkreteren Beschreibungen der Problemausprägungen zusammenfassend dargestellt werden, sei die unspezifische Benennung von Konflikten rund um „Wohnraumprobleme, Lärm, Verknappung der Infrastruktur und Nutzerkonflikte“ (visitBerlin 2014a: 3) beispielhaft aufgezeigt. So heißt es in der Tourismusstrategie 2011+ ausgehend von der „Erfolgsgeschichte“ (SfW 2011a: 2) des Berlin-Tourismus:

Das zunehmende Interesse von Gästen aus der ganzen Welt spüren auch die Berlinerinnen und Berliner, und dies weit über die Innenstadtbezirke und touristischen Kernzonen hinaus. Zum einen prägen die Besucherinnen und Besucher das Erscheinungsbild der Metropole, zum anderen verändern sie aber auch die Lebenswirklichkeit in der Stadt.

Inwiefern Berliner*innen dieses zunehmende touristische Interesse „spüren“, bleibt in diesem Papier, das den tourismuspolitischen Handlungsrahmen ab 2011 definierte, noch unbeantwortet.

In den anderen Dokumenten werden die Problemausprägungen jedoch präziser benannt: Lärm, die Vermüllung öffentlicher Räume sowie die Nutzung von Wohnungen als Ferienwohnungen

sind die am häufigsten angeführten Problemausprägungen (z. B. SfW 2011a, visitBerlin 2015c). Als konflikthaft problematisierter Lärm entstehe bei OpenAir-Veranstaltungen, in Ferienwohnungen, die in Wohngebieten liegen, auf öffentlichen Plätzen mit hoher Aufenthaltsqualität (z. B. im Umfeld der Admiralbrücke in Kreuzberg), durch die Zunahme von Restaurants mit Freischankbereich (in bestimmten Stadtteilen) oder durch nächtliche Ruhestörung im Allgemeinen (vgl. visitBerlin 2014a). Die Umwandlung von Wohnungen in Ferienwohnungen wird als weiteres tourismusbezogenes Problem adressiert (vgl. SfW 2011d, visitBerlin 2014a), vor allem aber wohnungspolitisch unter dem Schlagwort der Zweckentfremdung diskutiert. In den ausgewerteten tourismuspolitischen Dokumenten wird diese Zweckentfremdung von der SfW (2014: 5) folgendermaßen problematisiert:

Die exzessive Nutzung von Wohnraum als Ferienwohnungen, der damit dem Wohnungsmarkt entzogen wurde, führte insbesondere in den touristisch begehrten Innenstadtlagen neben der Verteuerung von Wohnraum auch zu zusätzlichem Lärm bzw. Verschmutzung.

Neben der wiederholten Problematisierung von Lärm, Müll und der Zweckentfremdung von Wohnraum („Ferienwohnungsproblematik“) werden in den Dokumenten sporadisch weitere Problemausprägungen beschrieben; so etwa der Reise- und Sightseeingbusverkehr rund um die innerstädtischen Sehenswürdigkeiten (vgl. visitBerlin 2014a, SfW 2011b). Aufgrund fehlender Parkplätze und dem daraus resultierenden Parksuchverkehr würden „Busfahrer, Verkehrsteilnehmer, Anwohner und die Umwelt“ belastet (SfW 2011a: 17). Außerdem artikulierten sich tourismusbezogene Probleme in der Wahrnehmung einer überfüllten Innenstadt. Im Ergebnisbericht der Befragung zur „Akzeptanz des Tourismus in Berlin“ heißt es, dass von den 15 Prozent der Befragten, „die sich durch Touristen eingeschränkt fühlen“

(visitBerlin 2015b: 9) 30 Prozent eine „überbevölkerte“ (ebd.) Innenstadt als problematisch wahrnehmen. Außerdem wird die „zunehmende Konzentration von Gastronomiebetrieben zu Lasten der wohnortnahen Grundversorgung“ (SfW 2016b: 2) als Problemausprägung angeführt.98

98 Diese Problematik ist nicht neu. Eine frühe Debatte über die Verdrängung des Gewerbes der wohnortnahen Grundversorgung durch (u. a. touristisch) nachgefragte Gastronomiebetriebe wurde in den 1990er Jahren im Prenzlauer Berg geführt. Heimer (1999: 97) wies die „Konzentration einer tourismusrelevanten Gewerbeinfrastruktur“ anhand der erheblichen Zunahme von Gastronomiebetrieben in verschiedenen Sanierungsgebieten (u. a. Helmholtzplatz, Bötzowstraße, Kollwitzplatz) nach. So hatte sich z. B. die Zahl gastronomischer Einrichtungen am Kollwitzplatz zwischen 1992 und 1999 von 42 auf 122 nahezu verdreifacht.

6.2 Ursachen: Innerberliner Partytourismus, Medien und Kommunikationsprobleme …

Aus den Dokumenten geht hervor, dass im Zusammenhang mit den genannten Symptomen eines konflikthaften Tourismus oft direkt die Ursachen bzw. die Verursacher*innen beschrieben werden. Die beschriebenen Ursachen und Verursacher*innen stellen eine weitere Problembeschreibungskategorie dar, die sich im Zuge der induktiven Kodierung des Materials abzeichnete. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die Einordnung tourismusbezogener Probleme in gesamtstädtische Entwicklungstendenzen (v. a. in das vermeintliche Weltstadt-Comeback Berlins) ebenfalls stark in der politisch-administrativen Ursachendeutung bemüht wird. In Abgrenzung zu dieser geschichtlichen Kontextualisierung ( Kapitel 7.1) ließ sich die Benennung konkreter Ursachen und Verursacher*innen tourismusbezogener Konflikte jedoch auch als eigenständige Problembeschreibungskategorie im Datenmaterial nachweisen. Wobei allerdings in nahezu der Hälfte aller Textpassagen, die die Ursachen tourismusbezogener Konflikte thematisieren, in Frage gestellt wird, ob und inwiefern Tourismus ursächlich die skizzierten Konflikte ausgelöst habe. „Tourismus erscheint als Ursprung der Problemlagen oft fraglich“ (SfW 2014: 4) heißt es in diesen Abschnitten etwa. Diese Infragestellung des Grades, zu dem Tourismus als Ursache für die problematisierten Konflikte gilt, ist auch eine zentrale Schlussfolgerung im Fazit des Konzepts zur Akzeptanzerhaltung im Tourismus der SfW (2014:

10):

Überlastungserscheinungen sind in Berlin derzeit alleine aufgrund des Tourismus nicht erkennbar. Bei den diskutierten negativen Effekten ist oft nicht auszumachen, was die eigentliche Quelle des Problems darstellt. Mit Sicherheit können die Probleme nicht einseitig dem Tourismus zugerechnet werden.

Neben dieser allgemeinen Thematisierung der Frage, inwiefern die problematisierten Konflikte auf den Tourismus zurückzuführen sind, werden Problemursachen auch konkreter benannt. So ist eine weitere häufig herangezogene Ursache für Konflikte der „innerberliner Party-Tourismus“ (visitBerlin 2014a: 4),99 weshalb „Nachtschwärmer“ (visitBerlin 2015c) auf die Bedürfnisse der Anwohner*innen (nächtliche Ruhe, Sauberkeit) aufmerksam gemacht werden müssten. Außerdem wird sporadisch betont, dass die Medien zur Problematisierung des konflikthaften Tourismus nicht unwesentlich beitrügen (vgl. SfW 2016b). So heißt es im Konzept zur Akzeptanzerhaltung des Tourismus der SfW (2014: 2):

99 Eine anschauliche (journalistische) Auseinandersetzung mit dem Berliner Partytourismus hat Rapp (2009) mit seinem Buch Lost and Sound in Berlin vorgelegt.

Es spricht somit vieles dafür, dass das Thema ‚Akzeptanzerhaltung‘ in Bezug auf den Berlintourismus ein nicht zuletzt medial erzeugtes Problem ist und insofern nicht originär auf den Tourismus zurückgeführt werden kann.

Eine weitere Ursache, die für tourismusbezogene Nutzungskonflikte ausgemacht wird, sind nicht näher spezifizierte „Kommunikationsprobleme“ (SfW 2014: 2; SfW 2016b: 4).

6.3 Auswirkungen: Imageschäden, Tourist-Bashing, Akzeptanzverlust als Risiko

Die politisch-administrative Beschreibung der Auswirkungen tourismusbezogener Probleme lässt sich kurz zusammenfassen. Zunächst sticht bei der Auswertung der Dokumente ins Auge, dass die Auswirkungen tourismusbezogener Konflikte immer wieder im Hinblick auf die Akzeptanz gegenüber dem Tourismus bemessen werden. So wird aus den eigens statistisch produzierten Akzeptanzwerten ( Kapitel 7.3) wiederholt geschlussfolgert, dass „die Akzeptanz für den Tourismus […] – über die vergangenen vier Jahre betrachtet – überwiegend sehr hoch“ (SfW 2016b: 2) sei bzw. es „kein gravierendes Akzeptanzproblem“ (SfW 2015a) gebe. Gleichzeitig wird festgestellt, „dass es an manchen Stellen Akzeptanzprobleme gebe“

(SfW 2013b). Und zumindest an einer Stelle findet sich auch ein Hinweis darauf, dass diese hohe Akzeptanz perspektivisch schwinden könnte. So sei das „Verhältnis der Berlinerinnen und Berliner zum Tourismus noch nicht zu stark belastet“ (visitBerlin 2014a: 4, Herv. d. Verf.), weshalb es die (hohe) Akzeptanz zu erhalten gelte (vgl. visitBerlin 2016a; visitBerlin 2017a).

Im Hinblick auf die politisch-administrative Beschreibung der Auswirkungen tourismusbezogener Probleme lässt sich also zunächst festhalten, dass diese in der statistischen Kategorie der Tourismusakzeptanz bemessen werden.

Neben den Auswirkungen tourismusbezogener Probleme auf die Tourismusakzeptanz werden in den Dokumenten noch weitere Folgewirkungen adressiert. Insbesondere im Kurzkonzept Akzeptanzerhaltung im Tourismus (visitBerlin 2014a) werden die Effekte von tourismusbezogenen Konflikten (oder der Debatte darüber) weitergedacht. Eine problematisierte Auswirkung tourismusbezogener Konflikte bestehe in „negative[n]

Imagewirkungen“ (SenWTF 2013a). Wobei diese negativen Imagewirkungen – beziehungsweise negative Folgewirkungen im Allgemeinen – eben immer auch als eingeschränkt tourismusbedingt dargestellt werden. Im Hinblick auf mögliche Image-Beeinträchtigungen wird etwa argumentiert, dass die „Konzentration von Touristen an neuralgischen Punkten und die parallel einhergehende Gentrifizierung, als Entwicklungserscheinung einer sich entwickelnden Metropole […] immer häufiger zu Nutzerkonflikten“ (visitBerlin 2014a: 2) führe. Die offene Austragung dieser Konflikte in

„Negativkampagnen“ (ebd.: 5) oder in Form eines „Touristenbashing“ (ebd.: 5) könne das Image Berlins gefährden.

Überdies wird festgestellt, dass durch das touristische Wachstum der Stadt die für das (touristische) Image der Stadt wichtigen (Frei-)Räume knapper und Nutzerkonflikte häufiger würden. Hier wird deutlich auf die potenziell selbstgefährdende Wirkung des Tourismus abgehoben, die, wie Novy und Grube (2018: 7) feststellen, „auch [den] Touristikern nicht verborgen geblieben“ ist. Im Fall Berlins wird diese potenziell selbstgefährdende Wirkung des Tourismus insbesondere im problematisierten Verschwinden von Freiräumen ausgemacht.

Dieser Freiraumverlust wird auch mit dem Wachstum der Stadt (Bevölkerung, Gewerbeansiedlungen etc.) im Allgemeinen begründet. Ein weiterer projizierter Endeffekt tourismusbezogener Konflikte (oder der Debatte darüber) wird darin gesehen, dass Tourismus für Gentrifizierungsfolgen verantwortlich gemacht wird. Dies könne – wiederum – zu einer

„nachlassend[en] Akzeptanz gegenüber diesem, für die Stadt wesentlichen, Wirtschaftszweig“

(visitBerlin 2014a: 5), also zu „Akzeptanzproblemen“ (SfW 2016a: 2) führen.

In der Zusammenschau der politisch-administrativ benannten Problemausprägungen (Lärm, Müll, Zweckentfremdung von Wohnraum, Gewerbemonostrukturen), Ursachen (Innerberliner Partytourismus, Medien, Kommunikationsprobleme) und Auswirkungen (Imageschäden,

„Tourist-Bashing“, schwindende Akzeptanz gegenüber dem Tourismus) stellt sich die Frage, welche Lösungsansätze vor dem Hintergrund dieses politisch-administrativen „Lagebildes“

entwickelt wurden. Auf diese „Lösungen“ wird nun im nächsten Abschnitt der folgenden sechs Techniken des aktiven Verwaltens tourismusbedingter Konflikte eingegangen: (1.) Interessenskonflikte geschichtlich naturalisieren, (2.) Debattierbarkeit moralisch begrenzen, (3.) Problemwahrnehmung statistisch definieren, (4.) Rechenschaftspflichten konzeptuell regulieren, (5.) Probleme partizipatorisch konsensualisieren sowie (6.) Lösungen begrifflich konsensualisieren.

7. Techniken der politisch-administrativen

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 92-97)

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