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Grenzen der Management- und Neoliberalismus-Kritik

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 34-39)

2. Die „Overtourism“-Debatte und die Forschung zu konflikthaftem Tourismus

2.3 Grenzen der Management- und Neoliberalismus-Kritik

Die wissenschaftliche Thematisierung der lokalstaatlichen Handhabung tourismusbedingter Konflikte in Venedig, Prag und Barcelona changiert zwischen Governance-Kritik und -Lob. In vorwiegend deskriptiver Art und Weise wird der politisch-administrative Umgang mit tourismusbedingten Konflikten detailliert für vorbildlich erklärt (z. B. bei Goodwin 2019) oder affirmativ entlang der lokal getroffenen Maßnahmen reproduziert (z. B. bei Rončák 2019).

Demgegenüber speist sich die in der Zusammenschau dominierende Management-Kritik zumeist aus einer pauschalen Verurteilung rein wachstumsorientierter Tourismuspolitiken;

Visentin und Bertocchi (2019: 34) generalisieren im Hinblick auf die gegenwärtige lokalstaatliche Handhabung tourismusbedingter Konflikte:

One might contend that more resident-friendly management strategies seem to be absent in many tourist destinations because local governments are more interested in tourist satisfaction, and on promoting destination marketing strategies predicated on maximizing tourist arrivals, than in improving residents’ quality of life.

In Anbetracht eines derart wachstumsfixierten „mindsets“ (Dodds und Butler 2019b: 10), das städtischen Tourismuspolitiken in der Literatur nachgesagt wird,24 zeigt sich die Forschung vielfach irritiert über die Nicht-Berücksichtigung wissenschaftlicher Governance-Empfehlungen. Dabei ist die Enttäuschung über die Nichtberücksichtigung wissenschaftlicher Handlungsempfehlungen einerseits, und die fortwährende Formulierung neuer Handlungsempfehlungen andererseits, genauso unbefriedigend wie die pauschale Beanstandung „neoliberaler“ Tourismuspolitiken.

24 Zur Problematisierung von Tourismus als Gegenstand (neoliberaler) städtischer Wettbewerbsregime, innerhalb derer Tourismus im Sinne einer „urban regeneration“ gefördert wird, siehe auch Harvey (2013) oder Fainstein und Gladstone (1999).

Die dominierende Management- und/oder Neoliberalismus-Kritik wirft die Frage auf, wie sich die lokalstaatliche Handhabung tourismusbedingter Konflikte alternativ untersuchen ließe.

Eine Möglichkeit besteht sicherlich in der systematischen Typisierung und vergleichenden Diskussion von Konfliktquellen (vgl. Novy und Colomb 2017), lokalstaatlichen Maßnahmen (vgl. Dodds und Butler 2019c) sowie sich herausbildender Governance-Modi (vgl. Novy und Colomb 2019). So wird von Novy und Colomb etwa zwischen einem „Weiter wie bisher-Ansatz“ und einem „Nachhaltigkeitsorientierten-bisher-Ansatz“ (ebd.: 10, Übers. d. Verf.) unterschieden. Derlei vergleichende Analysen bieten eine nützliche Orientierung und stellen ein vielversprechendes Forschungsfeld dar.

Mit der vorliegenden Dissertation soll eine weitere Alternative zur deskriptiv-ökonomistischen bzw. managementkritischen Deutung der Konflikt-Governance aufgezeigt werden. Diese Alternative besteht in der Durchführung einer empirischen Einzelfallstudie, die die politisch-administrative Eigenlogik, mit der zu bearbeitende Probleme (eines konflikthaften Tourismus) und Lösungen in der Governance-Praxis aufeinander abgestimmt werden, in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Mit dieser analytischen Bewegung greift die Fallstudie einen Impuls auf, der sich in verschiedenen Strängen des Literaturdiskurses findet. Ob aus kulturwissenschaftlicher Perspektive (vgl. Wöhler 2010, 2013), polit-ökonomischer Lesart (vgl. Colomb and Novy 2017) oder einer machtanalytisch geschulten Position (vgl. Hall 2009, 2011) – aus all diesen Blickwinkeln wird angeregt, die Deutung zu bearbeitender Probleme als wichtigen Aspekt von (Tourismus-)Governance zu verstehen. In der empirisch-analytischen Anwendung des Governance-Begriffs als „Sehhilfe“ (Selle 2012: 38) zur differenzierten Beschreibung von problembezogenen Governance-Prozessen bleibt die wissenschaftliche Tourismus-Governance-Analyse jedoch hinter diesem konzeptuellen Postulat zurück (vgl.

Sommer und Helbrecht 2017). Mit der vorliegenden Studie am Fallbeispiel Berlin ( nächstes Kapitel) wird die bislang unterbelichtete politisch-administrative (Ent-)Problematisierung tourismusbedingter Konflikte untersucht.

3. Die Berliner Tourismus-Governance: De-, Re- und/oder Postpolitisiert?

Ehe in diesem Kapitel der Forschungsstand zur Berliner Tourismus-Governance detailliert aufgearbeitet wird, soll hier begründet werden, warum die empirische Dissertationsforschung (nur) am Fallbeispiel Berlin durchgeführt wird.

Die Begrenzung der empirischen Feldforschung auf einen Fall hat (1.) folgenden Grund: Um die politisch-administrative (Ent-)Problematisierung tourismusbedingter Konflikte zu untersuchen, wird vor allem auf das konzeptuelle Vokabular der gouverne-mentalitätstheoretisch informierten Humangeographie sowie der Anthropologie des Politischen zurückgegriffen. Dieser konzeptuelle Zugang betont explizit eine analytische Fokussierung von Governance-Praktiken (ausführlich dazu  Kapitel 4.1). Der Anspruch der vorliegenden Arbeit besteht dementsprechend darin, unter anderem das „Tourismusmanagement-Machen“

als Governance-Praxis in den Blick zu nehmen anstatt nur programmatisch-textliche Absichten zu untersuchen. Der konzeptuelle Zugang impliziert in methodisch-empirischer Hinsicht eine in Anbahnung und Umsetzung aufwendige teilnehmende Beobachtung (Ethnografie politisch-administrativer Tourismusmanagement-Praxis  Kapitel 5), die am ehesten mittels einer längerfristig angelegten Einzelfallstudie umgesetzt werden kann.

Berlin ist (2.) als Fallbeispiel sehr gut geeignet, da hier die konflikthaften Dimensionen des New Urban Tourism besonders deutlich hervortreten. Die touristische Suche nach Alltagsdistanz und „urbanen Selbsterfahrungen“ (Holm 2015: o. S.) im alltäglichen Kiezgeschehen prägt den Berlin-Tourismus wesentlich (vgl. Novy und Huning 2009; Novy 2010). In den Wohngebieten zeitigt der New Urban Tourism Kontroversen über (Party-)Lärm, (Gewerbe-)Gentrifizierung oder die Übernutzung öffentlicher Räume (vgl. Dirksmeier und Helbrecht 2015; Müller et al. 2019). Zudem fällt der New Urban Tourism in Berlin mit einem Bevölkerungswachstum sowie einer starken Gentrifizierung zusammen (vgl. Helbrecht 2016;

Beran und Nuissl 2019). Hier überschneiden sich zwei Trends: Bewohner*innen, die über die notwendigen „Bleibe-Kapitalien“ verfügen, eigenen sich innerstädtische Kieze im Zuge einer fortgeschrittenen „Kulturalisierung urbaner Räume“ (Kaschuba 2013: 9, Herv. i. Orig.) quasi-touristisch an (vgl. Richards 2017; Sommer und Kip 2019). Einkommensstarke Zuzügler*innen, die einen beträchtlichen VFR-Tourismus25 (Verwandten- und Bekanntenbesuche) nach sich ziehen, verschärfen die o. g. Aufwertungskonflikte tendenziell

25 VFR steht für Visiting Friends and Relatives.

zusätzlich. Für eine empirische Forschung am Fallbeispiel Berlin spricht außerdem, dass Berlin als Stadtstaat, anders als Städte der kommunalen Ebene, über stärkere politisch-administrative Interventionsmöglichkeiten verfügt (z. B. im Bereich der Gesetzgebung). Das Fallbeispiel Berlin ist also auch dahingehend interessant, wie diese potenzielle politisch-administrative Stärke im Hinblick auf die Deutung und Bearbeitung tourismusbedingter Konflikte ausgespielt wird (oder auch nicht).

Die folgende Auswertung der wissenschaftlichen Literatur zum Fall Berlin versteht sich als

„Einstimmung“ auf das Fallbeispiel, im Zuge derer deutlich wird, welche tourismusbedingten Konflikte aus Sicht der Wissenschaft wie regiert werden. Die Literatur, die die Berliner Tourismus-Governance thematisiert, lässt sich entlang dreier Stoßrichtungen rekapitulieren, die hier sogleich überblicksartig skizziert werden. In die Darstellung des Forschungsstandes fließen außerdem die Ergebnisse vertiefender Recherchen zu drei Fragen ein, die sich unmittelbar aus der Auswertung des Forschungsstandes ergaben. So wird etwa der Frage nachgegangen, inwiefern tourismusbedingte Konflikte von der Tourismuswirtschaft als eine Art

„Betriebsrisiko“ gesehen werden ( Kapitel 3.1.1). Außerdem wird der „budgetäre Stellenwert“ der politisch-administrativen Bearbeitung tourismusbedingter Konflikte annäherungsweise ergründet ( Kapitel 3.1.2). In der wissenschaftlichen Literatur finden sich keine Aussagen zu den finanziellen Aufwendungen für die Konfliktbearbeitung. Im Verhältnis zu den Mitteln, die dem städtischen Tourismusmanagement insgesamt zur Verfügung stehen, vermitteln diese Zahlen jedoch einen zusätzlichen Eindruck vom budgetären Stellenwert des Managements tourismusbedingter Konflikte. Des Weiteren wird die „Kreuzberger Tourismuskontroverse“ in einem Exkurs (am Ende von Kapitel 3.2) detaillierter aufgerollt. Die in diesem Exkurs gezeigten bezirkspolitischen „calls for action“ (Sommer und Helbrecht 2017:

157) ergeben einen wichtigen Kontrast für die Analyse der (Ent-)Problematisierung tourismusbedingter Konflikte auf Landesebene.

Die wissenschaftliche Literatur, die die Berliner Tourismus-Governance thematisiert, lässt sich – wie angedeutet – entlang folgender Stoßrichtungen rekapitulieren:

Einleitend wird im Folgenden zunächst ( Kapitel 3.1) auf die Forschung eingegangen, die sich dem Tourismus- und Stadtmarketing im Nachwende-Berlin widmet. Ein kurzer Rückgriff auf diese Literatur zur Institutionalisierung, Professionalisierung und „‘Entpolitisierung‘“

(Farías 2005: 25, Herv. i. Orig.) des Berliner Tourismus- und Stadtmarketings ist für die vorliegende Arbeit aufschlussreich. Vergegenwärtigt man sich nämlich den stetigen Ausbau des Tourismus- und Stadtmarketings seit den 1990ern als „defining feature of Berlin’s

increasingly entrepreneurial approach to urban […] development“ (Novy 2017: 53) wird deutlich, welchen Stellenwert lokalstaatliches Einwirken auf Tourismus prinzipiell einnehmen kann. Die übergeordnete Frage der vorliegenden Arbeit (Wie wird konflikthafter Tourismus regiert?) ist im Lichte des keinesfalls selbstverständlichen Aufwands zu betrachten, der im Bereich des Stadt- und Tourismusmarketings betrieben wird.

Neben der Literatur zu den Anfängen des Berliner Stadt- und Tourismusmarketings finden sich zweitens ( Kapitel 3.2) hilfreiche Texte, die Fragen lokalstaatlichen Einwirkens auf Tourismus lediglich am Rande der Analyse tourismusbedingter Konflikte oder konflikthafter städtischer Transformationsprozesse thematisieren. Die Zusammenschau dieser Literatur ist für die vorliegende Dissertation interessant, weil sie zeigt, welche tourismusbedingten Konflikte überhaupt wissenschaftlich thematisiert werden; die Forschung problematisiert vor allem die konflikthaften Zusammenhänge zwischen Tourismus und (Gewerbe-)Gentrifizierung.

Abgesehen von diesen Texten ist jene Literatur wichtig, die im engeren Sinne die politisch-administrative Handhabung tourismusbedingter Konflikte in Berlin zum Gegenstand hat ( Kapitel 3.3). Die Dissertation schließt hier vor allem an jene Texte von Novy (2017), Novy und Colomb (2019) sowie Füller et al. (2018) an, die den lokalstaatlichen Umgang mit Konflikten der städtischen Tourismus- und Nachtökonomie als De-, Re- und Postpolitisierung thematisieren. Die Dissertation teilt das von Füller et al. (2018) betonte Anliegen, Ausdrucksformen einer vermeintlichen Postpolitisierung des lokalstaatlichen Umgangs mit konflikthaftem Tourismus als zu erklärendes Phänomen zu analysieren, und nicht lediglich als erklärenden Zustand heranzuziehen.26 Die Rekapitulation des Forschungsstandes zum Fallbeispiel Berlin wird also mit der Auswertung jener Literatur abgeschlossen, die expliziter danach fragt, welche Governance-Modi sich in der lokalstaatlichen Handhabung des konflikthaften Tourismus ausdrücken.

Im folgenden Abschnitt geht es einleitend zur Berliner Tourismuspolitik um den Ausbau des Berliner Tourismusmarketings in den 1990er Jahren, in dem Farías (2005: 25, Herv. i. Orig.) schon früh eine Form der „‘Entpolitisierung‘“ des Politikfelds Tourismus erkannte.

26 Koch und Beveridge (2018: 288, Herv. d. Verf.) weisen darauf hin, dass mit der empirischen Hinwendung zu

„postpolitisierenden Prozessen“ respektive der Abwendung von „stabilen postpolitischen Zuständen“ eine wichtige Weiterentwicklung des theoretisch fundierten Konzepts der Postpolitischen Stadt nach Swyngedouw (2007) stattgefunden hat.

Im Dokument Seeing Like a Tourist City (Seite 34-39)

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