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4 Methodologischer Rahmen

4.3 Zur Auswahl des Korpus

Die hier angelegte Untersuchung umfasst als allgemeines thematisches Kriterium Videoclips zur Thilo-Sarrazin-Affäre. Darunter sorgen formale, funktionale und inhalt-liche Relevanzdimensionen für eine Streuung der Praktiken. Zu den formalen Aus-wahlkriterien gehören Gattungs- oder Formatapekte wie Comedy, Musik, Nachrich-ten, Aktionen u.ä. also eine Varianz aus den Kategorien der Videoplattformen bzw.

Nutzer selbst. Ebenso die Materialart, ob eigenes oder neuzusammengestelltes oder wieder hochgeladenes Material verwendet wurde, gehört in diese Dimension. Funkti-onal zieht das im pragmatischen Sinne humoristische, appellierende, informierende, unterhaltende o.a. Kennzeichen für die Videoclipauswahl nach sich. Die inhaltliche Dimension bezieht sich auf semantische Merkmale wie Perspektiven in den Clips, Wertungen, audiovisuelle Rhetorik u.ä. Thematische Aspekte sind aus Printmedien (u.a. Bild, Focus, Hamburger Abendblatt, Spiegel, Süddeutsche, taz) und Fernseh-sendungen, überwiegend Talkshows, abgeleitet). Verschiedene formale, funktionale

489 Vgl. Barthes, Roland (1979), S. 80.

490 Vgl. Kardoff, Ernst von (1995): Qualitative Sozialforschung – Versuch einer Standortbestimmung.

In: Flick, Uwe/ Kardoff, Ernst/ Keupp, Heiner/ Rosenstiel, Lutz von/ Wolff, Stephan (Hg.) (1995):

Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen. Beltz:

Weinheim, S. 3-10, hier S. 5.

491 Siehe die Diskussion zu Fallstudien in den Beiträgen bei Mikos, Lothar/ Wegener, Claudia (Hg.) (2005).

492 Vgl. Bordwell, David (2008): Poetics of Cinema. Routledge: New York/Oxon, S.3.

493 Vgl. Stockinger, Peter (2003), S. 18; S. 29.

und inhaltliche Kombinationen zeigten sich hier als möglich. Ziel ist es, nicht nur ei-ner audiovisuellen Form nachzugehen, sondern durch die Untersuchung Einblicke in die digitale Vielfalt der Praktiken zu erlangen. In einem fortlaufenden Auswahl- und Beschreibungsprozess verdichten sich die Analyseperspektiven auf materiale, gat-tungsspezifische, narrative und diskursive Praktiken. Es werden Videoclips ausge-sucht, die öffentlich einsehbar auf Videoplattformen publiziert wurden. Im Anhang befindet sich je Videoplattform eine Clipübersicht. Das Korpus wurde in einer doppel-ten Auswahl zusammengestellt: Zunächst wurden die Videoplattformen ausgewählt und dann aus ihrem Angebot die Videoclips ausgesucht. Hieraus werden typische Fälle zur exemplarischen Analyse herangezogen.

4.3.1 Zur Auswahl der Videoplattformen

Die Arbeit hat die Videoplattformen YouTube und Vimeo als Ausgangspunkt der Korpuswahl.494 YouTube wurde ausgewählt, weil sie die international populärste Vi-deoplattform ist; sie gilt als die zweitgrößte Suchmaschine nach Google, d.h. dass sie die größte Menge durchsuchbarer Videos auf sich vereint.495 YouTube bietet eine Bandbreite thematisch einschlägiger Videos, die sich überdies noch verschiedener Praktiken bedienen. Vimeo ist eine kleinere Plattform und künstlerisch anspruchsvoll, was insbesondere für Adaptionen des Themas relevant ist. Viele Videos sind sowohl auf YouTube wie auch auf Vimeo hochgeladen, was nicht nur für eine gewisse Zirku-lation der Videoclips spricht, sondern auch die plattformübergreifende Aufmerksam-keit für die Thilo-Sarrazin-Affäre sowie Präsenz der Produser dabei belegt.496 Die Videoplattformen sind so nicht nur ein Dreh- und Angelpunkt im Social Web, sondern dienen in dieser Untersuchung als ein Startpunkt für die Auswahl des Korpus mit Konzentration auf die audiovisuellen Beispiele.497

4.3.2 Zur Auswahl der Videoclips

Die Anzahl der Suchergebnisse ist abhängig vom Zeitpunkt der Suche, der Such-plattform und Suchkriterien wie den Such-Schlagworten.498 Ebenso hinterlässt jeder

494 Siehe nähere Ausführungen zu den Videoplattformen unter Kapitel 3.4 dieser Arbeit.

495 adz.stg (7.3.2013): Youtube: zweitgrößte Suchmaschine der Welt. In: Adzine, online:

<http://www.adzine.de/de/site/artikel/8320/video-advertising/2013/03/youtube-zweitgroesste-suchmaschine-der-welt>, letzter Zugriff 18.3.2015.

496 Mit Mehrfachveröffentlichungen umgehen Produser Copyrightkonsequenzen und machen sich selbst oder ihr Anliegen bekannter.

497 Im Einzelnen werden ggf. weitere Plattformen oder Bezüge zum Social Web als spezifischer Kontext mitbetrachtet.

498 Die Erforschung gegenwärtiger Phänomene stellt sich gerade für digitale Erlebnisräume wie bereits erwähnt als herausfordernd dar. Im Laufe des Forschungsprozesses gingen einige Videos offline, bevor alle notwendigen Informationen dokumentiert und analysiert werden konnten. Für die

Fall-120 Methodologischer Rahmen

Nutzer Daten, aus denen Algorhytmen der Videoplattformen oder Suchmaschinen Vorschläge generieren. Aufgrund der großen Ergebnisanzahl wurde das Korpus mit weiteren Kriterien eingegrenzt. Eine Vollerhebung wird nicht angestrebt, sondern ei-ne heuristische manuelle Auswahl thematisch relevanter Fälle. An ihei-nen sollen zum einen spezifische Formen und Funktionen digitaler Praktiken rekonstruiert und zum anderen Besonderheiten des Erlebnisraums abgelesen werden.

Das finale Korpus wird in mehreren Schritten, zuerst in einer groben Suche, dann in einer feineren Auslese, zusammengestellt. Das Vorgehen ist angelehnt an die ver-schiedenen Suchwege in einem mehrstufigen Erhebungsverfahren für visuelle und audiovisuelle Onlineplattformen nach Richard et al.499 Das Suchwort ‚Thilo Sarrazin‘

liefert den breitesten thematischen Rahmen für die Videoclipsuche mit 7890 (8.8.2011) oder 9990 (1.2.2012) Ergebnissen bei YouTube.500 Die Ergebnisse wer-den mit wer-den Suchworten ‚Thilo Sarrazin Deutschland schafft sich ab‘, ‚Deutschland schafft sich ab‘, ‚Thilo Sarrazin Kontroverse‘ und ‚Thilo Sarrazin Affäre‘ eingegrenzt.

Ebenso werden Google-Alerts, nach Stichworten generierte Nachrichten aus dem Web, zu den gleichen Stichworten geprüft, um aktuelle Videos zu erschließen. Dies ermöglicht einen Überblick nach thematischer Relevanz und das Aussortieren irrele-vanter Videos.Als irrelevant erweisen sich Videoclips, in denen es nicht um die Kont-roverse, das Buch, den Autor oder andere damit zusammenhängende Themen geht.

Das ist zum Beispiel der Fall bei Videos der französischen Band Sarrazin, die nur wegen der Namensgleichung ohne inhaltlichen Bezug bei der Suche angezeigt wer-den kann.

Ebenso werden Videoclips, die vor den Vorabdrucken des Buches Ende August 2010 veröffentlicht wurden, ausgeschlossen. Es sei denn, sie dienen dem Kontext des Produsers. Des Weiteren werden in einem Schneeballverfahren Videoclips ge-sammelt.501 Das heißt, dass der Weg von einem per Stichwortsuche ausgesuchten Video zu einem nächsten potentiellen Video führt und so zu weiteren potentiellen Videos. Dies geschieht durch Angebote auf der Seite wie „verwandte Videos“ bei YouTube oder „ähnliche Sammlungen“ bei Vimeo. Bei der Auswahl relevanter Videos hilft das Prinzip ‚Sharing, Showing, Telling‘ sich formal, funktional oder thematisch, bspw. gattungsspezifisch oder diskursiv, wiederholende und variierende audiovisuel-le Ausdrucks- und Präsentationsformen zu entdecken. Die Arbeit geht dazu in der analysen wurden Videoclips verwendet, die überwiegend zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit online zugänglich waren.

499 Vgl. Richard et al (2010) S. 51; S. 61f.

500 Zahlen vor den weiteren Buchveröffentlichungen Sarrazins, vgl. in der vorliegenden Arbeit Kapitel 2 Die Thilo-Sarrazin-Affäre.

501 Das Schneeballverfahren ist ein Erhebungsverfahren aus der Soziologie vgl. Wienold, Hanns (1994): Schneeball-Verfahren. In: Fuchs-Heinritz, Werner/ Lautmann, Rüdiger/ Rammstedt, Otthein/

Wienold, Hanns (Hg.) (1994): Lexikon zur Soziologie. Westdeutscher Verlag: Opladen, S.588.

phänomenologischen Perspektive eines idealtypischen Produsers vor, dessen ange-nommene Nutzungspfade im Videoflow nachverfolgt werden, was mehr Spielraum für jeweils individuelle und spontane Funde von digitalen Praktiken lässt. D.h. die Forscherin bewegt sich selbst im Untersuchungsfeld und geht wie ein Nutzer im Vi-deoflow Angeboten des Systems und Schlagworten aus der Berichterstattung über die Thilo-Sarrazin-Affäre nach. Relevante Videos ergeben sich aus der formalen Nennung Sarrazins im Videotitel, der Beschreibung oder den Schlagworten. Ebenso sorgt die inhaltliche Nennung Sarrazins, z.B. bei Musiclips, oder das Zeigen Sarrazins in Stand- oder Bewegtbildern im Video selbst für einen thematischen Be-zug. In diesem fortlaufenden Auswahlprozess wird eine handhabbare Reduktion der Komplexität des Untersuchungsgegenstands erreicht.