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Handeln im digitalen Erlebnisraum

3 Digitale Erlebnisräume

3.5 Handeln im digitalen Erlebnisraum

Die bislang im dritten Kapitel aufgeführten Dimensionen mit ihren Elementen des Handelns und Erlebens fügen sich zu einem Denkmodell der digitalen Erlebnisräume zusammen, das im Folgenden beschrieben wird (s. Abb. 1). Jede Dimension ist transparent und durchlässig im Sinne einer gegenseitigen Bezugnahme und als Pro-zess, nicht als fixierter Bereich, gedacht. Die Dimensionen werden als Folien defi-niert, die verschoben und gedreht werden können, je nach Untersuchungsfokus. Mit dem hier verfolgten Erkenntnisinteresse werden die Praktiken, die Erlebnisräume konstituieren, an Videoclips untersucht. Die Praktiken stellen die Basis dar, auf der sich die anderen Dimensionen entfalten und die Praktiken spezifizieren. Schließlich verdichten sich alle Dimensionen zu einem Modell digitaler Erlebnisräume.

Abb. 1 Denkmodell digitale Erlebnisräume – Neues-in-der-Welt-Sein – Zwischenräume432

432 Eigene Abb. RL.

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Ausgehend von den gegenwärtigen kommunikativen Handlungsmöglichkeiten und explorativen Erlebensweisen in der configurable culture, entstehen im Alltag der Nut-zer neue Ausdrucksformen durch Remediationen.433 Remediationspraktiken erwei-sen sich als materiale, gattungsspezifische, narrative und diskursive Spielarten. Bei diesem viergliedrigen Spiel werden mediale Erwartungen, Erlebnisse, Formen und Funktionen recycelt und hybridisiert. Daher bildet diese Dimension der Praktiken die Basisfolie der Untersuchung, ihre vier Teildimensionen formen gleichzeitig die Analy-seperspektiven. Anhand des für diese Studie entwickelten Denkmodells wird unter-sucht, wie audiovisuelle Remediationen der Thilo-Sarrazin-Affäre digitale Erlebnis-räume konstituieren. Die in dieser Arbeit untersuchten digitalen ErlebnisErlebnis-räume konstituieren sich aus intermedialen Praktiken und partizipativem Erleben der Produser auf Videoplattformen zur Thilo-Sarrazin-Affäre. Die Konstituierung der hier untersuchten digitalen Erlebnisräume umfasst auf dieser Dimension der Praktiken von mindestens vier Aspekten in zwei Sinnbereichen:

1a) Handlungen, die auf Videoplattformen sichtbar werden – wie das Erstellen, Ver-linken, Hochladen, Kommentieren oder Anschauen von Videoclips – sind Hand-lungen, die spezifisch für Videoclips als Erlebnisräume sind und diese fortlau-fend konstituieren.

1b) Zu Aspekten dieses Bereiches zählen vor allem materiale und gattungsspezi-fische Remediationen.

2a) Zum anderen beinhalten die Handlungen gleichzeitig eine inhaltliche Kompo-nente, die darauf abhebt, in welchem inhaltlichen Bezug die Handlungen ge-schehen.

2b) Zu diesem Bereich gehören näher narrative und diskursive Remediationen der Thilo-Sarrazin-Affäre, die sich in den digitalen Erlebnisräumen entfalten.

Die Nutzer von Videoplattformen nehmen an der Thilo-Sarrazin-Affäre teil, schreiben Diskurse fort, dokumentieren sie und haben gleichzeitig an der Vi-deoclipkultur teil.

Die Spielarten der Dimension der Praktiken bedingen sich gegenseitig und bilden Analyseperspektiven, die jeweils einen der vier Aspekte fokussieren.

Hinter der ersten Dimension der Praktiken liegen weitere, welche die Charakteristik digitaler audiovisueller Handlungen und ihrer Bedingungen im Social Web auf Video-plattformen bestimmen. In der zweiten Dimension der Präsentation oder Inszenie-rung, wird etwas oder jemand stark vermittelt oder als unvermittelt inszeniert und mit anderen geteilt und vernetzt. Die Videoclips werden nach dem Prinzip des ‚Sharing,

433 Vgl. Sinnreich, Aram (2010): Mashed Up: Music, Technology, and the Rise of Configurable Culture.

University of Massachusetts Press: Amherst/Boston.

Showing, Telling‘ produziert, distribuiert und rezipiert. Diese Elemente der narrativen Orientierung werden in der zweiten Dimension behandelt, da sie, typisch für Video-clips, ein eigenes digitales audiovisuelles Prinzip bilden und Erleben evozieren, was auf einer nächsten Dimension zu Partizipation führt.

Partizipation wird näher in der dritten Dimension behandelt, welche die Handlungen und Handlungsmöglichkeiten im Social Web näher charakterisiert. Diese Dimension wird hier durch drei Aspekte bestimmt: die Digitalität, das Netzwerk und das Produsage. Die Digitalität bezieht sich auf den technisch-materialen Wandel, der mit soziokulturellen Prozessen einhergeht. Jegliche Zeichen sind beliebig oft digital dar-stellbar. Das Netzwerk wird als diskursives Netzwerk fokussiert, über Relationen zwi-schen Medien und Medieninhalten entstehen Verbindungen zwizwi-schen Nutzern. Mit Produsage nach Bruns ist der Wandel der Produktionskreisläufe gemeint.434 Dadurch wurden die Nutzer ermächtigt, an der Produktion von Medieninhalten teilzuhaben, in der doppelten Rolle als Nutzer und Produzent – als Produser (deutsch: Prodnutzer).

Der digitale Erlebnisraum ist ein partizipativer Gestaltungsraum. Die Produser sind darin zuvorderst Erlebende. Die vollzogenen Handlungen sind begleitet von einem Erleben, das auf der nächsten, vierten Dimension mit den Kriterien material-medial, sozial und ästhetisch beschrieben wird. Praktiken und Erlebnisse werden reme-diatisiert, erzählt und erfahrbar. Diese sind auf medial-dispositive Eigenschaften wie bspw. das Recycling von Materialität gerichtet, auf soziale Erlebnisse von sich und anderen bspw. als Produser von Videos, als Mitwirkender oder als Abonnent eines Profils oder sie können ästhetisch auf den Videoclip als Werk oder die Remediation als Life-Style an sich ausgerichtet sein.

Entlang des Modells lässt sich die Mehrdimensionalität digitaler Erlebnisräume metho-disch-theoretisch beschreiben. Digitale Erlebnisräume sind Hybridräume im Prozess des intermedialen Handelns und Erlebens und dadurch Zwischen-Räume, die sich sowohl in Off- als auch Onlineprozessen entfalten. So kommt es in digitalen Erlebnis-räumen, die den Alltag ihrer Nutzer durchdringen, zu einem neuen In-der-Welt-Sein, zu einem ontologischen Wandel. Das betrifft das Fühlen und Wahrnehmen einer Wirklich-keit, die nicht nur, aber maßgeblich digitalisiert mit digitalen Medientechnologien erlebt wird. Digitale Erlebnisräume erweitern den Alltag um digitale Erfahrungen, um eine Video Sphäre und Remediationspraktiken.435 Sie geben ein Beispiel dafür, dass sich On- und Offline-Prozesse nicht ausschließen, sondern miteinander verzahnt sind:

434 Vgl. Bruns, Axel (2008).

435 Vgl. Treske, Andreas (2013).

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nous amener à vivre mieux dans l’ontophanie numérique, conçue comme un en-vironnement perceptif à phénoménalité numériquement centrée mais foncière-ment hybride, à la fois numérique et non numérique, en ligne et hors ligne.436

436 Vial, Stéphane (2013), S. 278.