4 Methodologischer Rahmen
4.5 Analyseperspektiven
4.5.2 Spiele mit Gattungen
503 Siehe dazu Anhang a) und b).
504 Wie unter 4.5.2 Spiele mit Gattungen ausgeführt.
505 Die verfügbare Auswahl von YouTubeclips ist zu erreichen in der Playlist „ErlebnisräumeSarrazin“
<https://www.youtube.com/playlist?list=PLJXPQd51lUr_l5D4L_pvqYOhom2mvL3jG>
Zur Clipauswahl von Vimeo:
Videonummer, Nutzerprofilname, Einstellungsda-tum und Videotitel nach Kategorie
Stichwort zur Beschreibung
AKTION VA1: The Doublethink Project (20.3.2011): As we
put our country at risk. Interkulturelle Buchlesung: Ein junger asiatisch aussehender Mann liest Sarrazins Buch in einem Dönerimbiss
VA2: RebellComedy (30.9.2011): RebellComedy
- Bücheraktion Thilo Sarrazin. Sarrazins Buch wird mit Plakat von
RebellComedy heimlich in einem Buchladen beklebt
VA3: ABMR (11.4.2011): Spontandemonstration gegen Thilo Sarrazin in Ahrweiler – 10. Märzer 2011.
VM2: Fuck Zensur (7.9.2010): Manuellsen feat
Haftbefehl – Genaration Kanack Song zu Identität, s.a. M21, M22 TV-MATERIAL
VTV1 Abschaffung der Redefreiheit wegen
Sarrazin ? Danke-Thilo-Mann
VTV5: TV-Reports (8.10.2010): Kapitulation des
deutschen Rechtsstaats. Ab 4.39 zu Sarrazin; Reportage zur Dagegen-Stimmung bei Großprojekten und Opfer der Gegner des Dagegen/Leiter von Projekten; Mei-nungsfreiheit und Einschränkung durch De-monstranten; mit Broder
VTV6: TVReports (26.10.2010): LesungPotsdam. Lesung mit Sarrazin in Potsdam; ungeschnittener Stream ursprünglich von der Märkischen Allge-meinen Zeitung; in 3 Teilen auf YouTube veröf-fentlicht
VTV7: TV-Reports (19.10.2010): Voß fragt Kelek:
Hat Thilo Sarrazin recht? Wiedergabe eines Fernsehinterviews auf 3Sat zu Einwanderung und Islam
VTV8: TVReports (3.11.2010): Schafft sich auch die Schweiz ab?
Talkshow mit Sarrazin auf SchweizTV VTV9: TV Wahrheit (27.2.2011): Sendung
007/11. Ausschnitt einer Aktion: Interview mit Bürgern in
Fußgängerzone; ohne Orts- und Personenanga-be, ohne redakt. Einordnung
PROJEKT
VP4: Heimatfilm (21.1.2012): Wir. Und die
Ande-ren Kurzfilm über Migration und Heimat
DIVERSE
VD1: Wolfgang Wenzel (14.01.2011): Buchvor-stellung Thilo Sarrazin Teil 1.
Pressekonferenz Buchvorstellung Mitschnitt (1.
von 6 Teilen) eigener Vor- und Zwischenteil, selbstproduziert
Tabelle 2: Videoclips von Vimeo
124 Methodologischer Rahmen
D1: STYNG (28.8.2010): DFDT 005 – Wird Deutschland immer dümmer? Hat Thilo Sarrazin recht?
Vlogreihe: Frage des Tages, zu These Sarrazins
D2: Blog4IT – J.Kroeger (29.8.2010): Antwortvideo
– DFDT5 – Wird Deutschland immer dümmer? Antwort auf die Frage des Tages von D1 D11: POLITIKPEST (24.8.2010): Deutschland
schafft sich ab 1/6 – Deutschland wird immer ärmer und dümmer.
Buchlesung Teil 1 von 6, Bild Sarrazin Katzen-augen
D12: POLITIKPEST (24.8.2010): Deutschland schafft sich ab 2/6 – Will ich den Muezzin hören, dann reise ich ins Morgenland.
Buchlesung Teil 2 von 6, Bild Strauß
D16: POLITIKPEST (28.8.2010): Deutschland
schafft sich ab 6/6 – Deutschland in 100 Jahren. Buchlesung Teil 6 von 6, Bild Terminator HUMOR
H3: DieClownUnion (27.07.2011): Die Dysgenik und der Thilo.
Collage zu Thesen Sarrazins, Buchzusammen-fassung mit Spitzen gegen die Regierung/Politik H5: Adm.Polli (3.9.2010): „Thilo Sarrazin“ – Ein
Kommentar von Gernot Hassknecht, Al Jazeera | heute show ZDF.
Sendungsausschnitt aus der HeuteShow, ZDF:
Hassknechts Kommentar H6: Freigeist20789 (4.9.2010): Gernot
Hass-knecht – Thilo Sarrazin 4.9.2010. Sendungsausschnitt aus der HeuteShow, ZDF:
Hassknechts Kommentar
Moor über Thilo Sarrazin satirischer Kommentar zu Namen Sarrazin, ver-linkt mit H16
H18: makefunofThilo (30.8.3010): Thilo Sarrazin – Er war einfach nur betrunken! [ACHTUNG!
SATIRE!].
langsame Geschwindigkeit von Redebeitrag Sarrazins, der unverständlich ist. Verlinkt mit H16 H20: preissau (27.8.2010): DS615 Thilo
Sarrazin-Buch.
Videoblog, Kommentar H24: Willst du mich verarschen film?!
(28.5.2011): lol.sarrazin.wmv. Sich wiederholender Musik- und Bildausschnitt gegen Sarrazin
H25: SaviorAgent (5.4.2012): Thilo Sarrazin
re-det Klartext über Ausländer. Ausschnitte aus einer Rede in dem Film Ameri-can History X mit Bildern aus Kirche und Brauch-tum
Show 7 DIA von Der Stamm. Rap des Sängers Dia gegen Sarrazin live + Wer-bung Rebell Comedy
MUSIK
M1: nordmende99 (7.9.2010): LaLeLu: Thilo
Sarrazin – das Video. A-capella-Song
M2: Der Stamm (23.2.2011): DIA von DER STAMM live bei Rebell Comedy Sarrazin Diss Deutschland lacht sich schlapp.
Nur Dias Rap
M3: RebellComedy (27.10.2010): RebellComedy und DIA von DER STAMM – Deutschland lacht sich schlapp.
MUSIKVIDEO zu Text von Dia
M4: RebellComedy (28.10.2010): RebellComedy
& DIA – Deutschland lacht sich schlapp.
MUSIKVIDEO zu Text von Dia M5: I703I (28.10.2010): Dia feat. RebellComedy
– Deutschland lacht sich schlapp (Sarrazin-Diss). MUSIKVIDEO zu Text von Dia M6: tEitaTV (2.10.2010): Harris – Nur Ein
Au-genblick. Musikvideo von Harris
M8: Olad Aden (23.11.2010): Kaveh – Nur ein
Augenblick? Antwort auf Harris. Antwort auf das Musikvideo von Harris M9: Olad Aden (17.9.2010): Gangway Beatz
presents Sarrazynismus by Madog/Kaveh/Gigoflow.
Musikalische Auseinandersetzung mit Herkunft, Identität und Migration
M10: Kevin Muneran (26.10.2012): Crackaveli
Feat Nate57 Parallelgesellschaft. Musikvideo Bezug Diskurs Migration:
Parallgesellschaft, Straßenleben M17: abazmusic (9.9.2011): MASSIV –
DEUTSCHLAND SCHAFFT SICH AB (PRESENTED BY ABAZ).
Musikvideo, kehrt Buchtitel von Sarrazin um
M19: Muhabbet (3.9.2010): Muhabbet – Ich hab alles versucht (Sarrazin Diss – September 2010).
Musikvideo, gegen Sarrazin, fühlt sich beleidigt M21: Lloyd2099 (6.9.2010): Manuellsen feat.
Haftbefehl – Generation Kanak HD (M. Bilal 2010 Seit dem 01.10.2010 im Handel.
Upload weil zwischenzeitlich gelöschtes Musikvi-deo, bezieht sich im Schlagwort auf Sarrazin, Beitrag zu Interkulturalität, Identität
M25: rap.de (16.9.2014): Kamyar & Dzeko –
Generation Sarrazin (rap.de). Musikvideo, von Teenagern, widerlegen an eige-nem Beispiel Sarrazin
TV-Nachrichten
TVN6: freezyontv (10.03.2012): Eko Fresh über
Thilo Sarrazin – VOX – Prominent. Ausschnitt einer Reportage; Rapper Eko Fresh über Integration
TVN7: You365Tube (4.9.2010): Wie man ein
politisch korrekter Kriecher wird (Teil 1). Satire auf Politikbetrieb, Meinungsklima TVN8: You365Tube (12.9.2010): Sigmar Mitstreiter Danke Thilo 30 8 2010 Berlin Sarrazin Buch Linke Presse.
zu Vimeo Nr.9/VTV1, Ausschnitt der Berichter-stattung zu der Ein-Mann-Aktion pro Sarrazin bei der Buchvorstellung
TVN27: theAnti2007(28.1.2011): theAnti2006 PI Mitstreiter Danke Thilo 30 8 2010 Berlin Phönix Linke Störer.
zu Vimeo Nr.9/VTV1, Ausschnitt der Berichter-stattung der Ein-Mann-Aktion pro Sarrazin bei der Buchvorstellung
TVN28: Malarich (6.10.2010): Interview mit dem
Danke-Thilo-Mann. Interview mit Markus Hoppe am Rand einer De-mo der Bürgerbewegung Pax Europa
Tabelle 3: Videoclips von YouTube
126 Methodologischer Rahmen
Eine Website als PDF zu speichern oder einen Videoclip herunterzuladen, stellt eine Transformation der Originaldokumente in Forschungsdaten dar. Diese werden ent-lang des Forschungsinteresses mit einem bestimmten Fokus gebildet. Forschungs-daten sind ein abstrahierender Extrakt aus natürlichen ‚Daten‘. Die vorliegende Arbeit fokussiert den Videoclip, der zentral auf der Videoansichtsseite im Videoplayer von Vimeo oder YouTube abspielbar ist. Er bildet den Mittelpunkt der kommunikativen Handlungen und wird heruntergeladen. Die anderen Elemente des diskursiven Netz-werks wie die Videobeschreibung, Kommentare, Verlinkungen und weitere Videovor-schläge neben dem Videoclip werden mithilfe von Dateien im PDF-Format so bild-schirmansichtsnah wie möglich gespeichert. Sie können im Rahmen dieser Arbeit nur nachrangig für die Analyse herangezogen werden.
Zu einem Videoclip gehören für ein umfassendes Bild und zur Dokumentation der Forschungsdaten folgende Dokumente506:
das Video als Download in verfügbaren gängigen Videoformaten (mp4)507 die Videoansichtsseite der Videoplattform im Webbrowser, die im Dateiformat
PDF gespeichert wurde
ebenso ggf. die Seite mit statistischen Angaben als PDF die Seiten mit allen Kommentaren als PDF
Informationen über den Kanal ggf. Informationsseite oder Übersichtsseite als PDF
Weitere Informationen bspw. über Links als PDF
Diese erste Annäherung zeigt schon, wie vielfältig die audiovisuellen Ausdrucksfor-men sind. Wie in Kapitel 2 dieser Arbeit beschrieben, ist das Korpus mit der Thilo-Sarrazin-Affäre kontextualisiert, d.h. die Videoclips sind auf die eine oder andere Art mit den in der Affäre enthaltenen Elementen, Inhalten und Kontexten verbunden. Die Clips nehmen Bezug auf Thilo Sarrazin, das Buch und den Buchtitel „Deutschland schafft sich ab“ und bedeutsame Diskursstränge. Die intermedialen Praktiken führen zur Auflösung starrer Gattungsgrenzen, weswegen die Analyse auf die Prozesse und Muster der Remediationen, wie sie Interaktions- und Imaginationsräume schaffen,
506 Alle Angaben aus diesen Dokumenten wurden tabellarisch nach Videoplattform zusammengestellt, zur Übersicht und um verfügbar zu sein, wenn das Video oder das Nutzerprofil nicht mehr existieren oder verändert werden. Die Datumsspalte gibt an, wann die statistischen Daten wie Kommentaranzahl abgerufen wurden, vgl. die allgemeine Auflistung des Korpus im Anhang. Die Schlagworte und Statistik waren zu Beginn des Projekts noch einsehbar und dann in Relaunches der Videoplattformen änderte sich die Einsehbarkeit während des Projekts, weswegen die Angaben nicht durchgängig einheitlich sind.
507 Teilweise auch in den Formaten avi oder flv. Die Videoclips, die nicht direkt von den Videoplatt-formen herunterzuladen waren, wurden mit Fast Video Download für Firefox heruntergeladen.
abzielt. Als hybride Formen lassen sich Videoclips kaum nur einer Kategorie zuord-nen und in solch einer Begrenzung würde sich der Fokus auf die intermedialen Be-sonderheiten verlieren. Es lässt sich daher vorliegend besser von Hybridgattungen sprechen. Dazu zählen Formen wie Thesen-Clips, Vlogs oder Performancekunst-Clips, die über eine klare Aufteilung in Musik, Comedy oder Nachrichten hinaus ge-hen.508 Besonders Materialmixe und ihr mehrdeutiger Inhalt laufen einer eindimensi-onalen Kategorisierung zuwider. Die vorgenommene Einteilung zur Korpus-beschreibung dient der Aufbereitung des Materials und die Auflistung der Clips versteht sich als Zwischenergebnis und Grundlage für die Analyse. Die intermedialen Spielarten lassen eine Bandbreite auf formaler, inhaltlicher und funktionaler Ebene vermuten, weshalb im Forschungsprozess, wie das nächste Teilkapitel darstellt, Ak-zente auf eine materiale, gattungsspezifische, narrative und diskursive Perspektive gelegt werden.509 In diesen vier verdichteten Dimensionen von Handlungsspielen untersucht die vorliegende Arbeit Remediationspraktiken auf Videoplattformen.
4.5 Analyseperspektiven
Die Spielarten von Remediationen in digitalen Erlebnisräumen zur Thilo-Sarrazin-Affäre erfolgen in Spielen mit audiovisuellen Einstellungen. Zu den Online-Aktivitäten zählen im öffentlichen Austausch das Umformen und Bearbeiten der Thilo-Sarrazin-Affäre. Es wird rekonstruiert, wie sich materiale, gattungsspezifische, narrative oder diskursive Spiele entfalten. Eine Bearbeitungsvorlage für materiale Spiele liefern Nachrichten, Talkshows und Comedy aus dem deutschen Fernsehen, die neukom-poniert werden. Eigene Inhalte werden auch produziert, bspw. Buchlesungen und Lieder gegen Sarrazin. Das Korpus zeigt relevante Fälle neuer Genres kommunikati-ver Gattungen durch intermediale Prozesse auf. Die Thilo-Sarrazin-Affäre ist eine emotional und engagiert geführte Auseinandersetzung. Narrationen und Diskurse zur Thilo-Sarrazin-Affäre rangieren von der Ablehnung von Migration bis hin zur Ausei-nandersetzung mit den Problemen, die Migranten haben. Die nachfolgende Analyse zeigt dadurch auch auf, welche Wertebilder an der Thilo-Sarrazin-Affäre verhandelt werden und wie Ressentiments offenbar werden. Migrationskritiker, Migrationsbefür-worter und Migranten erzählen aus ihrem jeweiligen Blickpunkt etwas zur Thilo-Sarrazin-Affäre. Die vier Untersuchungskategorien ordnen sich quer zu den Hybrid-gattungen an, damit Hybridisierungen auf mehreren Ebenen sichtbar werden können.
Die spezifische Struktur, Zusammensetzung und der Aufbau von Videoclips soll
508 Ähnlich der verzweigten Kategorisierung von YouTube-Clips zum Sortieren, Archivieren und Analysieren von Clips bei Richard, Birgit et al. (2010), S. 63; Vgl. ebenso eine Kategorisierung von Videoclips bei Zoonen, Liesbet van et al. (2010).
509 Siehe dazu das Modell digitaler Erlebnisräume in Kapitel 3.5. Es handelt sich hierbei um forschungspragmatische Eingrenzungen, um die Komplexität der Konstituierung von digitalen Erleb-nisräumen in ihrer Tiefe rekonstruieren zu können.
128 Methodologischer Rahmen
fenbar werden und Hinweise auf Handlungen, die audiovisuelle Erlebnisdimensionen implizieren, geben. Dazu werden in allen Perspektiven die Spiele mit den audiovisu-ellen Einstellungen behandelt wie Umstaudiovisu-ellen oder Weglassen von Einstellungen.
Diese unterscheiden sich von den materialen, gattungsspezifischen, narrativen und diskursiven Spielen, gestalten diese aber grundlegend mit. In der materialen Per-spektive werden verschiedene Arten von Recyclings auf der Medienebene fokussiert.
Es wird rekonstruiert, wie Materialien wiederholt, kaum verändert wiedergegeben oder verändert wiederverwendet werden. Aus welcher Art von materialen Bezügen bestehen die Videoclips? In der gattungsspezifischen Perspektive werden Formen von recycelten Elementen kommunikativer Gattungen, bekannte sowie neue Muster, untersucht. Es werden Produsages von Nachrichten über Vlogs zu Parodien er-schlossen. Inwiefern rekonfigurieren die Videoclips mediale Orientierungsfunktionen?
In der narrativen Perspektive richtet sich das Hauptaugenmerk auf erzählende For-men und FragFor-mente. Wie gestaltet sich das audiovisuelle Repertoire eines „Sharing, Showing, Telling“? In der diskursiven Perspektive konzentriert sich die Arbeit auf thematische Recyclings. Ihre argumentative Symbolik, sprachlich und visuell, wird herausgearbeitet. Inwiefern entfalten sich Gegendiskurse zu Sarrazin oder den Me-dienberichten?
Die Perspektiven verhalten sich interdependent zueinander.510 Die materiale und gattungsspezfische Perspektive lässt sich der formalen Ebene von Videoclips zuord-nen, auf der sich Strukturen abzeichnen. Die narrative und die diskursive Ebene ge-hören eher zu einer inhaltlichen Ebene, auf der Themen und Motive verhandelt wer-den. In besonders nahem Verhältnis stehen die narrativen und gattungsspezifischen Elemente, die sich hinsichtlich inhaltlicher und formaler Gestaltung und damit eingehender Funktionen aufeinander auswirken. Um die Spezifika der Praktiken her-auszuarbeiten, werden die Perspektiven pragmatisch und analytisch getrennt auf die Videoclips angewendet.
4.5.1 Spiele mit Materialitäten
Auf YouTube und Vimeo zeigen sich verschiedene audiovisuelle Praktiken des Sammelns, Schneidens, Selektierens und Neuzusammenstellens von Videomaterial verschiedener Medien.511 Sie weisen daraufhin, wie sich die Produser Videoclips und Bearbeitungstools aneignen und auch audiovisuelle Stile ausprobieren, nachahmen und variieren. Die Produser spielen überwiegend mit audiovisuellem Material und der
510 Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 3.5.
511 Wie unter Kapitel 3 behandelt, begreift die vorliegende Arbeit unter Materialität die remediatisierte materiale Erfahrung von Medien und simulierte Darstellung der materialen Ausdrucksseite eines digitalen Zeichens. Materiale Praktiken umfassen die Bearbeitung digitalen Materials, Rekonfigura-tionen und die damit einhergehenden sozialen oder historischen FunkRekonfigura-tionen.
digitalen Materialität, sie kombinieren und transformieren digitale Artefakte. Materiale Spiele eröffnen so neue intermediale Konstellationen durch die Integration von medi-alen Konzepten und Vorstellungen „innerhalb medialer Kontexte“ der Videoclips.512 Materiale Spiele gehen über Spiele mit audiovisuellen Einstellungen hinaus, es wer-den mediale Dispositive remediatisiert. Materialität bildet eine relevante Dimension von Remediation und lädt zu medialem Erleben ein.513 Sie entsteht aus technischen Bedingungen, wie bei den hier untersuchten Videoclips durch die Digitalisierung.
Diese geht mit soziokulturellen Funktionen einher, welche den spezifischen Erleb-niswert von Videoclips mit ausmachen, wie Venus ausführt:
Nach dieser Vorstellung konstituiert die technische Materialität des Kinos, des Hörfunks, des Fernsehens und anderer populärer Praktiken spezifische Wahr-nehmungsdispositive, eine technisch präformierte Organisation der Sinne. Wie populäre Kulturen erlebt und beurteilt werden, wird auf die technischen Bedin-gungen kultureller Apparate zurückgeführt.514
Im Digitalen wird Materialität virtuell erzeugt und vom Nutzer imaginiert, abstrahiert und erschlossen. Im Prinzip können dadurch alle Dispositive, die mit ihnen verbun-denen Vorstellungen und Erlebnisdimensionen remediatisiert werden, nur auf einer anderen (materialen) Ebene. Dies geschieht im Zuge einer Neukonfigurierung der remediatisierten Elemente, was zu neuen, partizipativen Gebrauchsweisen führen kann.
Dabei sollte die Analyse weder nur auf Materialitäten, noch nur auf Bedeutungen re-duziert werden.515 Digitale Medienumgebungen sind eine vernetzte Anordnung von Computern und Anwendungen, deren binärer Code Zeichen mit Bedeutung produ-ziert, die je nach Anwendung regelgeleitet verwendet werden. Die vorliegende Arbeit vereint beide Ansätze, da Videoclips als digitale Artefakte mit einer virtuellen Stoff-lichkeit digital dargestellt werden. Die Ausdrucksform dieser Zeichen ist eine Anord-nung von Nullen und Einsen, die in Verbindung mit der Inhaltsseite von Zeichen im Gebrauch eine Bedeutung bekommen. Digital heißt in diesem Sinne die Befreiung von Materialgrenzen und damit auch von räumlichen Grenzen. Wie Bolter et al. mit dem „Google Art Project“ verdeutlichen, sind bspw. kulturelle Erlebnisse aus der Dis-tanz möglich, da mithilfe von „Google Street View Art“ das Innere eines Museums
512 Müller, Jürgen E. (1994): Intermedialität und Medienwissenschaft. Thesen zum State of the Art. In:
Montage/AV, 3/2, 1994, S.119-138, hier S.133.
513 Vgl. Bolter, Jay D./ Grusin, Richard (2000), S. 68f.
514 Venus, Jochen (2013): Die Erfahrung des Populären. Perspektiven einer kritischen Phänomenolo-gie. In: Kleiner, Marcus S./ Wilke, Thomas (Hg.) (2013): Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Springer Fachmedien: Wiesbaden, S.49-73, hier S. 57.
515 Vgl. Müller, Jürgen E. (2010a), S.20.
130 Methodologischer Rahmen
hochauflösend besucht werden kann.516 Die Vorteile liegen auf der Hand; man kann weit entfernte Bilder betrachten, ohne dorthin zu reisen, anstehen zu müssen oder von Öffnungszeiten abhängig zu sein; kleine Formate wie die Mona Lisa sind am Bildschirm näher und länger als ‚in echt‘ anzuschauen, da der Sicherheitsabstand und die Menschenmenge um solch beliebte Bilder wegfallen.517 Die Veränderung der Wahrnehmung von Realität diskutiert Vanderbecken krititisch als Bedeutungsgewinn und Verlust von Möglichkeiten.518 Am Beispiel von Urlaubsvideos zeigt er auf, dass sich verschiedene Blickwinkel, Tageszeiten und Menschen an besuchten Orten posi-tiv ergänzen und zu einer erweiterten Perspekposi-tive führen, die er gegen die von ihm als stereotype Medienikonen bezeichneten offiziellen Bilder wie Postkarten ab-grenzt.519 Allerdings sieht er auch eine negative Verdrängung und Ersetzung von Offline-Interaktionen.520 Digitale Zeichen sind reproduzierbar, skalierbar, veränder-bar. Digitale Artefakte sind so real wie andere mediale Artefakte oder andere bedeu-tungstragende Gegenstände:
Finally, remediation is reform in the sense that media reform reality itself. It is not that media merely reform the appearance of reality. Media hybrids (the affiliations of technical artifacts, rhetorical justifications, and social relationships) are as real as the objects of science.521
Erlebnisräume werden aus den Praktiken wie der Bearbeitung und Wiederverwen-dung von Formen und Materialien ihrer Nutzer konstituiert. Eine Form von Praktiken bildet das Ausprobieren an Materialitäten oder das Spiel mit Medialitäten, wie es die Remediation von Dispositiven ist. Diese digitale Spielart untersucht die vorliegende Arbeit in der materialen Perspektive anhand der medialen Verfasstheit, dem struktu-rellen Aufbau der Videoclips und den intermedialen formalen wie inhaltlichen Bezü-gen, die mit dieser Perspektive einhergehen.
Als Zwischenfazit zum Spiel mit Materialitäten und Medialitäten lässt sich festhalten, dass digitale Erlebnisräume eine materiale Dimension besitzen. Im Spiel mit dem Material entstehen Formen audiovisueller Artefakte, die ins Digitale integriert oder
516 Vgl. Bolter, Jay D. et al. (2013), S. 41.
517 An dieser Stelle kann nicht näher auf Diskurse zu Veränderungen im ‚Sehen‘ und Implikationen auf das ästhetische und materiale Erleben eingegangen werden. Verwiesen sie hier auf Fahle, Oliver (2011): Das Bild und das Sichtbare und das Serielle. Eine Bildtheorie des Fernsehens angesichts des Digitalen. In: Borer-Elia, Nadja/ Sieber, Samuel/ Tholen, Georg C. (Hg.) (2011): Blickregime und Dis-positive audiovisueller Medien. Transcript: Bielefeld, S. 111-134.
518 Vanderbeeken, Robrecht (2011): Web Video and the Screen as a Mediator and Generator of Reali-ty. In: Lovink, Geert/ Niederer, Sabine (Hg.) (2011): Video Vortex Reader II: moving images beyond YouTube. Institute of Network Cultures: Amsterdam S. 35-50.
519 Vgl. ebd., S. 38.
520 Vgl. ebd., S. 39; S. 49.
521 Bolter, Jay D./ Grusin, Richard (2000), S. 61.
aus digitalen Netzwerken neukonfiguriert werden. Diese Praktiken recyeln verschie-dene Zeichencodes, sie remediatisieren mediale Formen, Inhalte und damit verbun-dene Erwartungen und soziokulturelle Funktionen. Verschieverbun-dene Spielarten materia-ler Praktiken lassen sich nach der Auswahl des Korpus, angelehnt an andere audiovisuelle Untersuchungen und im Hinblick auf die verfolgte Fragestellung grup-pieren:
x ‚Wiedergaben‘ von bereits existierendem Material ohne große Eingriffe des Produsers, bspw. Videoclips aus ‚Wiederholungen‘ von aneinandergereihtem Material.522
x Neu zusammengemischte ‚Wiederverwertungen‘ von Material aus dem Fern-sehen, Material anderer Nutzer, eigener und anderer Quellen. Ergänzungen oder Ersetzungen audiovisueller Einstellungen gehören ebenso dazu wie bspw. auditiv Synchronisierungen, andere Musikstücke oder eine Offstimme, visuell das Hinzufügen von Text oder Standbildern. Spiele mit audiovisuellen Einstellungen zeigen sich auch in den folgenden zwei Gruppen deutlich.523 x ‚Dispositivrecyclings‘ sind im engeren Sinne Fernsehsenderspiele der
Produser. Mit dem Wiedersenden von Material, der visuellen Remediation von Fernsehsendungen mit Logos und anderen audiovisuellen Stilmitteln sowie der Selbstbezeichnung als Fernsehsender im Profilnamen wird das Fernsehen als Wahrnehmungsdispositiv in den Kontext von Videoplattformen integriert.524 Ästhetische und historisch-soziale Erlebnisdimensionen werden charakteris-tisch im Spiel mit der Fernsehästhetik eröffnet.
x Das ‚selbstproduzierte Material‘ zeigt Remediationsprozesse auf einer ande-ren Ebene, im audiovisuellen Spiel mit Einstellungen, Bildmotiven, Handlun-gen im eiHandlun-genen Material eines Videoclips. In den audiovisuellen EinstellunHandlun-gen können auch nicht selbst-produzierte Quellen verwendet werden, allerdings im Vergleich zu den Wiederverwertungen nachrangig.525
522 Aus anderen Untersuchungen lassen sich ähnliche Einteilungen finden: Fagerjord nennt diese Clips ‚Rips‘ vgl. Fagerjord, Anders (2010): After Convergence: YouTube and Remix Culture. In:
522 Aus anderen Untersuchungen lassen sich ähnliche Einteilungen finden: Fagerjord nennt diese Clips ‚Rips‘ vgl. Fagerjord, Anders (2010): After Convergence: YouTube and Remix Culture. In: