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Eine Neuschöpfung im Rahmen der Universitätsreform von 1818 war das Pädagogium, eine auf die Verhältnisse der Han-delsstadt zugeschnittene Schule, die es auch nur in Basel ge-ben sollte. In Anlehnung an das preussische Gymnasium, welches neun Schuljahre umfasste, sollte auch die höhere schulische Ausbildung in Basel neun Jahre dauern. Im Un-terschied zur preussischen Schule war das Basler Gymna-sium aber nur auf sechs Jahre anberaumt. Die restlichen Jahre füllte das Pädagogium aus. Es nahm die 15-jährigen Knaben auf, die aus dem Gymnasium austraten, war der Universität angegliedert, und Professoren leiteten den Un-terricht. Wie die oberen Klassen des Gymnasiums seit 1800 war auch das Pädagogium in eine „Realistische“ und eine

„Humanistische Abteilung“ gegliedert. In der klassischen Abteilung wurde vorrangig Altphilologie unterrichtet; ihr Besuch zog sich über drei Jahre hin und war als Vorberei-tung auf das Hochschulstudium konzipiert. Der moderne Zug dauerte lediglich zwei Jahre und vermittelte angehen-den Fabrikanten und Kaufleuten neben einer gründlichen neuhumanistischen Allgemeinbildung Kenntnisse in Fran-zösisch, Mathematik, Technologie, Chemie, Anthropologie und Psychologie.462 Vorbild des Pädagogiums und besonders der realistischen Richtung war das Philotechnische Institut Bernoullis,463 das gleichzeitig mit der Erziehungsreform 1817 geschlossen wurde. Vermutlich hatte man sich vorgängig darauf verständigt, die wesentlichen Elemente des

bernoul-458 Dominik Müller, Der Berner Sprachenstreit, Bern 1978; zitiert in: Albert Tanner, Patrioten, p. 111.

459 Vgl. Albert Tanner, Patrioten, pp. 107–113.

460 Andreas Stähelin, Universität 1818–1835, p. 149.

461 Siehe Punkt 3.9, Anhang A.

462 Ebd., p. 150.

463 Siehe Kap. 2.5.4.3.2.1.

2.4. Akademiker, Fakultäten, Ausbildungsorte

102 2.4.1. Entwicklung des höheren Bildungswesens Basels im 19. Jahrhundert 103

einer neu geschaffenen Regierungsbehörde, beaufsichtigt.

Auch die Verlagerung der Berufungskompetenz wurde nach dem Beispiel Berlins übernommen: Es berief nicht mehr die Universitätsbehörde (Regenz), sondern die politische Behörde (Regierung, Kleiner Rat).486 Gemäss dem neuhu-manistischen Bildungsprogramm der Berliner Reformuni-versität wurde 1818 in Basel die „Artistenabteilung“ ihres propädeutischen Zwecks entledigt, zur Philosophischen Fa-kultät aufgewertet und den drei anderen FaFa-kultäten gleich-gestellt. Mit 8 Lehrstühlen wurde sie die grösste Fakultät.

Gossman vermerkt zu den Reformen des frühen 19. Jahr-hunderts, dass das überkommene System rhetorischer und grammatischer Übungen im Sinn des Neuhumanismus nun zu einer umfassenderen Beschäftigung mit dem gesamten Leben der antiken Welt überführt worden sei.487

Der Import der neuhumanistischen Bildungsauffassung wurde durch eine Entwicklung in der deutschen Politik we-sentlich mitbefördert: Professoren an deutschen Univer-sitäten wurde es mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 untersagt, demagogische „Irrlehren“ zu verbreiten; ihre Freiheit von der Zensur wurde wieder sistiert, viele wur-den aus ihren Ämtern entlassen und teilweise mit Gefäng-nis bedroht und bestraft. Die Basler Universität galt bei den Mächten der Heiligen Allianz bald als Schlupfwinkel für De-magogen.488 Revolutionäre Burschenschafter, Radikale und gemässigtere Liberale wie Karl Follen, Wilhelm und Ludwig Snell, Wilhelm und Robert Wesselhöft, Wilhelm Martin Le-berecht de Wette, Wilhelm Wackernagel, Karl Gustav Jung, Karl Beck, Karl Seebold, Lorenz Oken, Franz Dorotheus Ger-lach und Friedrich Brömmel erhielten in Basel Lehrstühle.

Einige galten preussischen und österreichischen Gesandten als Hochverräter,489 weswegen es preussischen Untertanen 1821 untersagt wurde, in Basel zu studieren.490

Die während der Mediation in der Bürgerschaft vorherr-schende negative Einstellung gegenüber der Universität wandelte sich in der Restaurationsphase. Das Ansehen der Universität stieg an, erhielt aber im Zusammenhang mit der Kantonstrennung und der Teilung des Universitätsguts 1835 starke Rückschläge. Der Konflikt mit der Landschaft pola-risierte auch die Professorenschaft der Universität, wobei

Kuratel auf fünf Mitglieder erweitert, zwei stellte wie bis anhin das Erziehung-kollegium, drei gehörten dem Grossen Rat an. Die Wahl der Kuratel-Mitglieder erfolgte durch den Kleinen Rat, nach 1875 durch den Regierungsrat. Auch Pro-fessoren der Universität konnten in der Kuratel Einsitz nehmen.

486 Edgar Bonjour, Universität Basel, p. 345 und Walter Rüegg, Deutsche Universität, p. 20. Nach Humboldt ist es Aufgabe des Staates „zu sorgen für Reichthum an geistiger Kraft durch die Wahl der zu versammelnden Männer.“;

zitiert in: ebd.

487 Lionel Gossman, Basel in der Zeit Jacob Burckhardts, p. 101.

488 Andreas Stähelin, Universität 1818–1835, p. 127 f.

489 Namentlich waren dies Karl Follen, Wilhelm Snell, Wilhelm Wesselhöft und Karl Völker; ebd., p. 128.

490 Siehe auch Paul Burckhardt, Geschichte Basel, pp. 149–156.

sich die Mehrheit auf die Seite der Stadt schlug. Etliche deut-sche Emigranten, unter anderen de Wette, Jung, Gerlach und Brömmel, kämpften im akademischen Freikorps für die Stadt. Mit der aufständischen Landschaft sympathisierten allen voran die Rektoren von 1830 und 1831, Wilhelm Snell und Ignaz Paul Vital Troxler. Letztgenannter wurde polizei-lich verhört und noch 1831 von seinem Amt enthoben unter dem Vorwand, seinen Pflichten als Rektor und Dozent nicht nachgekommen zu sein. Den jungen Kanton Basel-Land-schaft beriet Wilhelm Snell in Rechtsfragen und wurde da-für zum Ehrenbürger ernannt, Troxler war einer der Wort-führer des Radikalismus in der Schweiz.

Nach der militärischen Niederlage der Städter und dem Trennungsbeschluss der Tagsatzung konnte der Kanton Ba-sel-Landschaft 60 % des Universitätsvermögens beanspru-chen. Die erfolgte Auszahlung der enorm hohen Summe stellte für die städtische Bürgerschaft die Fortführung der Universität in Frage.491 Zwar sprach sich eine Mehrheit für ihren Erhalt aus, der Finanzetat musste jedoch gekürzt wer-den, und trotz privater Initiativen zur Stützung der Univer-sität und Querfinanzierung durch die neu gestiftete Freiwil-lig-akademische Gesellschaft ging es nicht ohne Abstriche.

Die Juristische und die Medizinische Fakultät wurden offi-ziell zu propädeutischen Vorbildungsanstalten zurückge-stuft. Effektiv wurde der 1818 in Gang gesetzte Prozess zur Verwirklichung des Ideals einer modernen Forschungs-universität, die ihren Dozenten Freiheit in Lehre und For-schung garantiert, den Studenten einen vollwertigen Studi-engang mit Abschlussmöglichkeit bot und deren Kern wis-senschaftliche Seminarien und Institute bilden sollten,492 abgebremst. Das heisst, die Universität wurde 1835 zur „bür-gerlichen Akademie“ umgedeutet und umfunktioniert, und sollte fortan die Bedürfnisse aller bürgerlichen Stände be-rücksichtigen. Konkret erhoffte man sich Nutzen auch für den „fortschreitenden Gewerbefleiss“. Für die Philosophische Fakultät bedeutete dies, dass sie zugleich die Anschluss-lösung an das Pädagogium für Geisteswissenschaftler ge-währleisten sowie Stätte der Fortbildung für Wirtschafts-bürger sein sollte:493 Von ihrer Professorenschaft wurden Kurse für die Öffentlichkeit erwartet. Der Lehrkörper der Theologischen Fakultät blieb intakt, was der Universität ein akzentuiert protestantisches und neuhumanistisches Profil verlieh.494 Allem Anschein nach wurden nach 1835 an der gesamten Universität vorwiegend fachliches Vorwissen und Grundkenntnisse erworben, was besonders im Vorfeld der Reorganisation von 1866 zunehmend bemängelt wurde.

Wilhelm Wackernagel (55) schrieb 1863 in einem Gutachten

491 Vgl. Die Existenzkrise von 1833; in: www.unigeschichte.unibas.ch.

492 Walter Rüegg, Deutsche Universität, pp. 27 f.

493 Edgar Bonjour, Universität Basel, pp. 404 ff.

494 Vgl. Kantonstrennung 1833 und Universitätskritik 1851: Abbau, Umbau, Ausbauschub; in: www.unigeschichte.unibas.ch.

gleichzustellen. Zu stark war in der Aktivbürgerschaft die Überzeugung verankert, dass das Humanistische Gymna-sium die „Einheitsschule“ aller Akademiker sei und nur der klassische Bildungsgang zum Studium legitimiere.474 Noch um die Jahrhundertwende verlangten die Fakultäten der Basler Universität mit Nachdruck, zur Doktorprüfung soll-ten nur Bewerber mit Lateinmatur zugelassen werden. Da-mit konnten zwar Absolventen der Realschule in der Natur-wissenschaftlichen Abteilung und Auswärtige in allen Fa-kultäten in Basel studieren, aber ihre Studien nicht mehr mit dem Doktorgrad abschliessen.475

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein kursierte in radika-len und demokratischen Kreisen für das Gymnasium das Schlagwort „Ständeschule“.476 Kurt von Miaskowskis Me-moiren über seine Schulzeit in Basel in den 1880er-Jahren vermitteln nicht den Eindruck, dass im Gymnasium ein Querschnitt der Bevölkerung sass: „Und dann kamen wir Pa-trizier- und Mittelstandssöhne ins Gymnasium.“ Dem „Port-monnaie meines Vaters“ nach definierte von Miaskowski seine eigene Herkunft als mittelständisch. Als Sohn eines adeligen, in die liberalkonservativen Kreise gut integrierten Professors der Nationalökonomie muss man von Miaskows-kis familiären Hintergrund jedoch als privilegiert bezeich-nen. Angesichts seiner Mitschüler aus „wahrhaften Patrizi-erfamilien“ mit ihren „Millionen“ ist seine Taxierung jedoch nachvollziehbar.477

Das Gymnasium wurde auch zu Beginn des 20. Jahrhun-derts nicht nur von künftigen Akademikern, sondern auch von Schülern durchlaufen, die danach einen kaufmänni-schen oder technikaufmänni-schen Weg einschlugen. Der Rektor des Jahres 1930, Fritz Schäublin, nannte dies im Rückblick auf die zurückliegenden 50 Jahre seiner Schule eine eigenartige, aber erfreuliche Erscheinung. Über jene Schüler schrieb er, was sich wie ein Bildungsprogramm des Basler Wirtschafts-bürgertums seit dem frühen 19. Jahrhundert liest: „Es han-delt sich hier hauptsächlich um Schüler, deren Väter in unse-ren wichtigsten Industrien, in Banken und im Grosshandel leitende Stellungen bekleiden. Es ist sehr zu wünschen, dass diese Tradition erhalten bleibe; sie ist wohl einerseits auf die auch anderorts gemachte Erfahrung zurückzuführen, dass der Besitz einer vollständigen humanistischen Bildung eine ausgezeichnete Grundlage für spätere organisatorische und disponierende Tätigkeit bildet, und andererseits auf die Er-wägung, es sei gerade für künftige Leiter von Grossbetrieben

474 Max Meier, Realschule, p. 176.

475 Vgl. Rudolf Thommen, Universität Basel 1884–1914, p. 4.

476 Heinz Isenschmid, Wilhelm Klein, p. 161.

477 Kurt von Miaskowski: Basler Jugenderinnerungen; in: Basler Jahrbuch, Basel 1929, pp. 79–86. Der Vater, August von Miaskowski, stand der Universität 1881 als Rektor vor. 1877 hatte man ihn mit der Abfassung der Schrift für das 100-jährige Jubiläum des Bestehens der GGG beauftragt. Paul Speiser spricht für die Zeit um 1875 von „unserem Nationalökonomen“, Erinnerungen, p. 18.

wünschenswert, dass sie ihre Jugendzeit in einer idealen, dem augenfällig Nützlichen abgewandten Welt edler und schöner Gedanken verbringen. Für jedes Gemeinwesen ist es aber von Wichtigkeit, dass sich unter den Vertretern des Handels und der Industrie neben den Praktikern auch solche finden, die an allgemeiner Bildung den Akademikern nicht nachstehen.“478

2 4 1 2 . Die.Universität.und.ihre.Fakultäten

An der Entfaltung der Wissenschaften im 19. Jahrhundert hatte Deutschland einen entscheidenden Anteil. In den Naturwissenschaften spielte die deutsche Forschung eine führende Rolle, und die modernen Geistes- und Kultur-wissenschaften waren nach Thomas Nipperdey ein Pro-dukt der deutschen Wissenschaftskultur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.479 Ethos und Imperativ der Forschung prägten das deutsche Universitätsmodell, besonders das-jenige der Berliner Reformuniversität, machten es effizi-ent und zum Vorbild in Europa.480 Unter dem Eindruck der Reformideen der Philosophen Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Schleiermacher entwickelte der liberale Diplo-mat und Sprachwissenschaftler Wilhelm von Humboldt das Konzept der „universitas litterarum“ und initiierte 1809 die Gründung der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, die zum Urtypus der liberalen Reformuniversität wurde. Ein-heit von Lehre und Forschung, FreiEin-heit der Wissenschaft um ihrer selbst willen, Schutz vor Eingriffen staatlicher und kirchlicher Hochschulträger, allseitige humanistische Bil-dung und Persönlichkeitsformung der Studierenden waren die Säulen der Humboldtschen Universitätskonzeption,481 Schleiermachers und Fichtes Idealismus war ihre philoso-phische Stossrichtung.

Nach Lionel Gossman setzte die wohlhabende Ober-schicht im 19. Jahrhundert ihren „höchsten kulturellen Ehr-geiz“ in die Erneuerung der Universität und in die Grün-dung eines der ersten grossen Museen des deutschsprachi-gen Raums.482 Gordon A. Craig bezeichnete die Universi-tät als „Surrogat“ für die „Polis“.483 Mit der Reform von 1818 wurde in Basel nach dem Vorbild des liberalen Berliner Uni-versitätsmodells die strukturelle Autonomie der Universi-tät aufgehoben.484 Als Teil der Staatsverwaltung unterstand sie nun dem Erziehungsrat und wurde von der Kuratel485,

478 Fritz Schäublin, Gymnasium, p. 219.

479 Thomas Nipperdey, Arbeitswelt und Bürgergeist, pp. 602–4 und 633.

480 Vgl. ebd., p 604.

481 Walter Rüegg, Deutsche Universität, pp. 19–28.

482 Lionel Gossman, Basel in der Zeit Jacob Burckhardts, p. 99.

483 Gordon A. Craig, Geld und Geist, p. 233.

484 Walter Rüegg, Deutsche Universität, pp. 19 f.

485 Die Kuratel konstituierte sich als Ausschuss des Erziehungskollegiums und setzte sich aus einem der beiden Bürgermeister, dem Präsidenten sowie ei-nem weiteren Mitglied des Erziehungskollegiums zusammen. 1832 wurde die

2.4. Akademiker, Fakultäten, Ausbildungsorte

104 2.4.1. Entwicklung des höheren Bildungswesens Basels im 19. Jahrhundert 105

wuchs sie ab 1871 rasch auf 158, 1875 auf 202, 1885 auf 325, 1900 auf 695 und 1914 auf 1156 Studierende(Tabelle 14, An-hang A). Auch die Promotionen an der Universität nahmen in der Folge schnell zu.502

Ganz besonders begünstigte die Reform der 1860er-Jahre die Medizinische Fakultät, die drei neue gesetzliche Ordinariate erhielt. Mit der massiven Aufstockung – die Zahl der gesetzlichen Ordinariate wuchs bis 1913 von 5 auf 9, sämtliche Professuren von 10 auf 18 – wurde, auch nach-träglich, Anschluss an die enorme Entwicklung gesucht, welche die Medizin im 19. Jahrhundert durchlaufen hatte.

Sie emanzipierte sich von den in der Antike vorherrschen-den Lehren der Elemente, Säfte und Signaturen und wandte sich der Physiologie als experimenteller Wissenschaft und der Pathologie als theoretischer Grundlage der klinischen Medizin zu. In den Mittelpunkt des Konzeptes der Lokalisa-tion von Krankheiten rückte die Zellularpathologie, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durch die Bakteriologie ergänzt wurde. Röntgenstrahlen verbesserten die klinische Diagnostik, womit eine exakte lokalistische Therapie vor al-lem mittels Chirurgie möglich wurde. Physiologie, Patholo-gie, Anatomie, ChirurPatholo-gie, Gynäkologie und später die Psy-chiatrie entwickelten sich damit auch in Basel zu medizini-schen Leitdisziplinen.503

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwuchs die „Artis-tenfakultät“ ihrer Rolle als propädeutische Zuträgerin der übrigen Fakultäten. Geistes- und naturwissenschaftliche Fortschritte gaben ihr neues Gewicht und durch ihre For-schungsorientierung avancierte sie zum Kern der moder-nen Universität.504 Die Ausstattung der Philosophischen Fakultät mit Fächern verlief im Grossen parallel zur Ent-wicklung an den deutschen Universitäten: In der mathema-tisch-naturwissenschaftlichen Abteilung war die „Grund-ausstattung“ mit den Fächern Mathematik, Physik, Chemie, Mineralogie, Botanik, Zoologie und Geographie 1866 schon beinahe vollzogen, einzig die Geographie kam 1911 noch hinzu. 1877 dozierten in der Abteilung 5 ordentliche Profes-soren. Bis zum Ende des Jahrhunderts verdoppelten sich die Ordinariate von 5 auf 10. Die philosophisch-historische Ab-teilung wurde nach 1866 vorwiegend personell, nicht aber hinsichtlich der Fächer ausgebaut: Philosophie, Germanis-tik, RomanisGermanis-tik, Nationalökonomie und Geschichte wurden von mehreren ordentlichen Professoren doziert. Erst gegen Ende des Jahrhunderts kamen weitere Fächer hinzu, und für bestehende wie für neue Fächer entstanden Seminare. Bis 1914 wurden das Klassisch-philologische Seminar (1861), das Pädagogische (1873), das Staatswissenschaftliche (1878), das

502 Siehe Kap. 2.4.2.

503 Universitätsgesetz 1866: Grundstein zum 100-jährigen Ausbaukonti-nuum; in: www.unigeschichte.unibas.ch

504 Walter Rüegg, Theologie und Geisteswissenschaften, p. 343; Matti Klinge, Universitätslehrer, p. 120; Kap. 2.4.1.

Germanisch-romanische (1886), das Historische (1887) und das Kunsthistorische Seminar (1910), das Seminar für In-dogermanische Sprachwissenschaft (1910), das Archäologi-sche (1912), das Musikwissenschaftliche (1912) und das Wirt-schaftsgeschichtliche (1912) Seminar gegründet. Ausserdem wurde 1913 das Germanisch-romanische Seminar, dem 1896 eine Abteilung für Englische Philologie angegliedert wor-den war, in drei selbständige Seminare für deutsche, fran-zösische und englische Philologie aufgeteilt.505 1877 verfügte die Abteilung bereits über 10 Lehrstühle, 1914 waren es 14.506 Von staatlicher Seite wurde die Theologische Fakultät mit keiner zusätzlichen Professur bedacht. Private Kreise stifteten dagegen bis 1877 deren zwei. Ordinariate für Kir-chengeschichte, Altes Testament und Neues Testament be-standen seit Beginn des Jahrhunderts. Auch als die Fakultät schrittweise erweitert wurde, blieb es in Basel bei der ein-seitigen Betonung der Historischen Theologie und ihrer Fä-cher: 1890 lehrten vier der sieben ordentlichen Professoren hauptsächlich Neues Testament, zwei Altes Testament und einer Historische Theologie. Im Gegensatz zu sämtlichen theologischen Fakultäten der Schweiz und Deutschlands verzichtete man in Basel lange auf einen Lehrstuhl für Sys-tematische Theologie.507 Seit 1885 als Seminar organisiert, war die Fakultät 1913 in die Abteilungen für Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte, Homiletik, Kateche-tik und – schliesslich – systematische Theologie aufgeglie-dert.508 Generell verlor die theologische Wissenschaft an Stellenwert im akademischen Betrieb. Die Betonung na-turwissenschaftlicher Empirie und die Entwicklung eines säku larisierten Naturrechts verdrängten sie zusehends aus ihrer akademischen Vorrangstellung. Die Studierendenzah-len sanken im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts deutlich.

Zur kleinsten Fakultät wurde die theologische schliesslich im Jahr 1899 mit 7 Ordinarien.509

Das Universitätsgesetz von 1835 wies der Juristischen Fa-kultät nur zwei Professuren zu, die angehenden Juristen in Basel wissenschaftliche Vorkenntnisse vermitteln sollten.

Da mit ehrenamtlicher Mitarbeit gerechnet wurde, wagte man eine solch schwache Besetzung. Besonders Andreas Heusler löste diese Erwartung ein: Als Regierungsmitglied las er über schweizerische Verfassungsgeschichte.510 Über-dies finanzierte die Freiwillige Akademische Gesellschaft Stiftungsprofessuren.511 Auch das Gesetz von 1866 stattete

505 Rudolf Thommen, Universität Basel 1884–1913, p. 178.

506 Vgl. Universitätsgesetz 1866: Grundstein zum 100jährigen Ausbaukonti-nuum; in: www.unigeschichte.unibas.ch.

507 Vgl. Edgar Bonjour, Universität Basel, p. 504.

508 Rudolf Thommen, Universität Basel 1884–1913, pp. 178 und 181 f.

509 Vgl. Notwendigkeit zur Selbstbehauptung: Die Geschichte der kleinsten Fakultät, in: www.unigeschichte.unibas.ch.

510 Edgar Bonjour, Universität Basel, p. 550.

511 Die Geschichte der Juristischen Fakultät; in: www.unigeschichte.unibas.

ch.

zuhanden der Regierung, dass der an dem Leben der Univer-sität fressende Schaden der ihr aufgeprägte propädeutische Charakter sei; er entziehe allen Fakultäten die Abrundung, breche allem Streben die Spitze der wissenschaftlichen Voll-endung ab, gebe den Studierenden fast überall nur Anfänge und entmutige die Lehrenden.495

1866 wurde der Universität schliesslich ein neues Ge-setz gegeben, das über 1915 hinaus in Kraft blieb,496 man knüpfte damit an die Bestrebungen von 1818 an und schuf die Grundlage für den Ausbau der Universität zur zeitge-mässen wissenschaftlichen Forschungs- und Ausbildungs-stätte. Solches erreichte man in erster Linie, indem man die juristische und die medizinische Fakultät von ihrem be-schränkten Bildungsauftrag befreite und sie wieder als Fa-kultäten mit Gradierungskompetenz reetablierte; in zwei-ter Linie, indem Lehrstühle und Personal aufgestockt wur-den.497 Die sprunghafte Vergrösserung des Lehrkörpers und der Studentenzahlen spiegelten eine europaweite Tendenz des Jahrzehnts, Universitäten auszubauen und Studienmög-lichkeiten zu erweitern.498 Der direkte Impuls zur Reform von 1866 entsprang dem Konkurrenzdruck, unter dem Basel gegenüber anderen Schweizer Universitätsstädten stand: Es galt, sich als Standort einer geplanten eidgenössischen „Cen-traluniversität“ zu profilieren – ein Projekt, das im Ancien Régime von Schweizer Reformkreisen angedacht und 1855 mit der Errichtung des Polytechnikums in Zürich für die In-genieurswissenschaften bereits realisiert wurde, ansonsten aber ein Plan geblieben war. Nach Ansicht der Zentrumspar-tei, die sich für die Idee stark machte, würde Basel mit sei-nen propädeutischen Restriktiosei-nen als Standort chancenlos bleiben. 1873 bewarben sich Regierung und Grosser Rat beim Bundesrat um die Bundesuniversität.499

Tabelle.19:.Gesetzliche.Lehrstühle.in.den.Fakultäten.1818.bis.1913

Fakultät../..Jahr 1818 1835 1855 1866 1890 1913

Theologie 3 3 4 5 5 5

Jurisprudenz 3 2 3 3 4 5

Medizin 4 4 5 5 8 9

Philosophische.

Fakultät

8 9 10 12 12 16

insgesamt 18 18 22 25 29 35

Quellen: Andreas Stähelin, Universität 1818–1835; Edgar Bonjour, Universität Basel; Rudolf Thommen, Universität Basel 1884–1913

495 Wilhelm Wackernagel an Gottlieb Bischoff, Basel, 26. September 1863; pa-ragraphiert in: Edgar Bonjour, Universität Basel, p. 432.

496 Rudolf Thommen, Universität Basel 1884–1913, p. 15. Teilrevisionen wur-den 1904 und 1909 durchgeführt.

497 Edgar Bonjour, Universität Basel, p. 432.

498 Universitätsgesetz 1866: Grundstein zum 100jährigen Ausbaukonti-nuum; in: www.unigeschichte.unibas.ch

499 Vgl. Heinz Isenschmid, Wilhelm Klein, p. 166.

Tabelle.20:.Gesetzliche.und.nichtgesetzliche.Ordinariate.1877–1914

Fakultät../..Jahr 1877 1887 1914

Theologie 6 7 7

Jurisprudenz 5 4 8

Medizin 10 11 18

Phil :.Philosophisch-historische.Abteilung 10 10 14 Phil :.Mathematisch-.

naturwissenschaftliche.Abteilung

6 5 10

Insgesamt 37 37 58

Quelle: Verzeichnisse der Behörden und Beamten der Stadt Basel

Wie aus Tabelle 19 hervorgeht, vergrösserte sich der Lehr-körper der Universität ab 1866. Gesetzliche, das heisst von den politischen Behörden bewilligte und finanzierte Ordi-narien gab es 1866 25 und 1913 35. Berücksichtigt man die nichtgesetzlichen Stiftungsprofessuren (Tabelle 20) mit, unterrichteten an der Universität Basel 1877 37 und 1914 58 ordentliche Professoren. Die Regimentsbüchlein der Stadt Basel unterscheiden nicht zwischen gesetzlichen und nicht-gesetzlichen Professuren und führen alle Ordinariate auf.

Um 1890 waren rund 16 % aller ordentlichen Professuren nichtgesetzlich, um 1914 rund 40 %. Sie dürften zu einem er-heblichen Teil von privater Hand finanziert gewesen sein, denn die Subventionierung der Universität durch

Um 1890 waren rund 16 % aller ordentlichen Professuren nichtgesetzlich, um 1914 rund 40 %. Sie dürften zu einem er-heblichen Teil von privater Hand finanziert gewesen sein, denn die Subventionierung der Universität durch