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(14. Februar 1831)

(Seite 15) Ich wende mich der Frage zu, ob Basel auch unter die Reihe der Staaten gezählt werden dürfe, welche die Freiheit ernstlich be-gründen wollen, oder ob es, wie man oft möchte glauben machen, dieses laute Bedürfnis unseres Jahrhundert verkenne? ob es für ge-setzliche Reform, oder für Reaktion gestritten habe? Wer auf die letz-ten Jahrzehnte, auf die letzletz-ten Jahre insbesondere, mit Ruhe zurück-blicken will, wird, wenn er gleich Schwächen bei uns wahrnimmt, sich doch schwer erwehren, eine günstige Vermuthung zu schöpfen.

Allerdings waren im vorigen Jahrhundert unser öffentliches Wesen, unsere Staatsverwaltung, unser bürgerliches, kirchliches, wissen-schaftliches und geselliges Leben kleinlich und engherzig gewor-den; seither arbeiteten sie mit einiger Mühe sich aus jenem Zustande hervor; gegen manche alterthümliche Einrichtungen und Begriffe, Scheu vor Öffentlichkeit, und anderes, hatte der im emporstrebende Geist zu schaffen, aber das Emporstreben gelang, und in den letz-ten Jahren am unverkennbarsletz-ten. Was Basel für Schulbildung und Wissenschaft tat; wie es die Unabhängigkeit der Rechtspflege schon frühe und seither fortwährend in seinem Gerichtswesen entwi-ckelte, und eben diese Unabhängigkeit noch in den neuesten Jahren auf Tagsatzungen vertheidigte; die Festigkeit, mit der es unwürdige ausländische Ansinnen im Jahr 1824 abwies, und das ein frühes Auf-treten gegen die demüthigenden Conclusa, welche es schon auf der Tagsatzung von 1826 und von da an jährlich angriff; der Schutz den es der Gewissensfreiheit lieh, während es zugleich in unser kirchli-ches Leben durch Anstellung freiforschender Lehrer Licht zu bringen strebte; seine neuesten Entschlüsse zur Befreiung des schweizeri-schen Handelsverkehrs; die Vorliebe seiner Bürger für alle gemein-nützigen Bestrebungen, die schönen neuen Denkmäler ihrer Bereit-willigkeit, Kunst und edle Geselligkeit zu fördern, lassen (Seite 16) sich mit einem unfreien Sinne nicht leicht reimen. Ich glaube nicht, dass ich hier an ungeziemendem Orte meinem Kanton Lob spende;

ich glaube, es sei wohl statthaft, bei Miteidgenossen, welche alles das noch vor kurzem selbst und laut ehrten, günstige Eindrücke wie-der zurückzurufen; und wir Basler dürfen wohl auch zu einer Zeit, wo vielfältige Erkennung uns bald an uns selbst hätte irre machen können, uns klar vor Augen rufen, dass wir allerdings für ein edles, des Kampfes wohl würdiges Gemeinwesen ringen, das wir in seinem schönen Emporblühen nicht zertreten lassen dürfen.

Eine nähere Ansicht der Grundlagen unserer Verfassungsrevi-sion ist gewiss durchaus geeignet, jene Freisinnigkeit zu bestätigen.

Vorzüglich gilt das von dem angenommenen Repräsentationsver-hältnisse. Dass bei der Eintheilung der Stimm- und Wahlrechte die Volkszahl nicht der einzige zu beachtende Anspruch sei, dass der durch größeren Besitzthum mehr betheiligte und auch größeres In-teresse im bürgerlichen Verein vertrete, und dass das Wahlrecht auf diejenige Weise geordnet werden müsse, wobei die größeren Ver-mögensleistungen, die mehrere Erziehung und Kultur, die mehrere Bereitschaft zu politischen Leistungen, die bei einer höheren

Bil-dungsstufe häufiger vorhandene Unbefangenheit und Freiheit der Denkweise, geziemende Berücksichtigung finden darüber habe ich wohl nicht weitläufiger zu reden nötig, denn die neuen Verfassungen andrer Kantone, zum Beispiel von Solothurn, Luzern, Zürich, ziehn es ebenso wenig in Zweifel, ja sie räumen den Städten weit mehr ein, als bei uns geschieht, wenn das Verhältnis ihrer Einwohnerschaft zur Größe der Landschaft verglichen wird. Andre freisinnig geordnete Staaten, denen zum Beispiel auch Kasimir Pfyffer das wahre Reprä-sentativsystem zugesteht, dienen zur Bekräftigung; so ist in Frank-reich selbst nachdem projektierten neuen Wahlgesetz die anzahl der städtischen Wähler noch immer in weit größerem Verhältnisse als bei uns. In einem Kanton, wo die Stadt (Seite 17) einen so wesentlichen Haupttheil des Landes bildet, wie es hier der Fall ist, liegt überdies noch ein besonderer Grund, der Stadt einen großen Repräsentations-anteil zuzusichern, darin, dass die Interessen der Landschaft, oder das Landbau-Interesse, von den Interessen der Stadt, dem Handels- und Industrieinteresse, leicht zuweilen abweichen können, also jene vor möglicher Bedrückung von diesen sichergestellt werden müssen, und das auch in finanziellen und anderen Angelegenheiten die Ver-suchung, möglichst vieles auf die Stadt zu wälzen, desto größer wer-den könnte, je ansehnlicher und reicher diese Stadt dem Lande ge-genüber ist. Es darf daher kühn behauptet werden, dass mit dem vom großen Rath aufgestellten Wahl-Verhältniss das Grösstmögliche ein-geräumt sei, was nur immer, ohne die Stadt geradezu zu opfern und selbst die Sache der geistigen und industriellen Entwicklung unseres Kantons überhaupt preiszugeben, geschehen konnte. Noch immer bedauern es manche achtbare Bürger, dass unerhebliche und zufäl-lige Umstände den kleinen Rath veranlassten, anstatt des einfachen reinen Grundsatzes gleicher Hälften das Verhältnis von 79 und 75 auf die Bahn zu bringen; aber nachdem einmal der große Rat in einem Augenblicke bewegter Gemüther jener Vertheilung zugestimmt und dieselbe seither bestätigt hat, wird nun ohne Zweifel auch die große Mehrheit der Stadtbürgerschaft durch Beharren bei dem einmal Zu-gestandenen ihre Friedensliebe bezeugen wollen.

Eben so wenig hat der übrige Verfassungsentwurf eine Prüfung zu scheuen. Die würdige Stellung, die er in dem großen Rathe an-weist, die periodische Erneuerung des großen (Seite 18) und kleinen Rathes, die dem Gerichtswesen gegebene völlige Unabhängigkeit, die Pressfreiheit und das Petitionsrecht, die Öffentlichkeit des Rech-nungswesens und die Einleitung zur Kundmachung der Grossraths-verhandlungen, die direkte Erwählungsart aller Grossräthe, die Be-fugniss für die Bezirkswahlversammlungen, ihre Repräsentanten frei aus dem ganzen Kanton zu wählen, die Weglassung von Vermö-gens-Requisiten für die Wählbarkeit, die Abschaffung vieler einzel-ner bisherigen fehlerhaften Einrichtungen, machen ihn eieinzel-ner freien Bürgerschaft wohl würdig. Zwar sind einige Dinge nicht aufgenom-men, die an etlichen Orten versucht oder empfohlen wurden, wo man aus gewissen unerwiesenen Sätzen gewagte Folgerungen zog, oder fremde mit ganz anderen Verhältnissen zusammenhängende Insti-tute ungeprüft verpflanzte; so zum Beispiel bleibt unserem kleinen Rathe Sitz und Stimme im großen, die Regierung behält in den Bür-germeistern auch ferner bleibende Präsidenten, die Richter werden keiner periodischen Erneuerung unterworfen, die vom großen Rath angenommenen Gesetze bedürfen nicht erst der Genehmigung der Bürger und so weiter; denn man erachtet bei uns, und wie ich meine eben im liberalem Sinne, dass Schutz vor Unterdrückung durch den Staat nicht der höchste Zweck der Staatsverfassung sei, sondern dass noch andere Zwecke, um deren Willen der bürgerliche Verein besteht, erreicht werden sollen; dass die Freiheit gleichsam den Boden bilde,

3. Kontextuelle Referenzgrössen von Kanton und Stadt Basel

226 3.9. Prosopographie der Kommissionsmitglieder der LG der Jahre 1787 bis 1799 227

im Ratsschreiber- dann im Stadtschreiberamt Johann Rudolf Faesch (1758–1817), der später Professor beider Rechte wurde. Unter den As-pekten Aktivität in Aufklärung, Sozietäten und Revolution sticht Legrand deutlich hervor. Hagenbach gehörte zwar der Helvetischen und der Gemeinnützigen Gesellschaft an und war in die Ägyptische Loge Cagliostros eingeweiht, im Revolutionsgeschehen trat er aber nicht hervor. Ganz im Gegensatz zu Faesch: Faesch war Abgeordneter und Präsident der Basler Nationalversammlung und unter der Repu-blik wurde er Chef der Verwaltungskammer und des Erziehungsrates.

Auch Staehelin gehörte 1798 der Nationalversammlung an. Legrand war sowohl in der Helvetischen wie der Gemeinnützigen Gesell-schaft eifriger Teilnehmer. 1783 wurde er zum Vorsteher der Letzte-ren gewählt. Kurz bevor sich 1798 umstürzlerische Bürger in der oben erwähnten Gesellschaft zur Beförderung Bürgerlicher Eintracht zu-sammengeschlossen hatten, traf seit Ende 1797 regelmässig ein Kreis zusammen, der den radikalen Kern jener Gesellschaft und der Um-sturzpartei bildete. Der geheime politische Klub traf sich im Käm-merlein Zum Rheineck des Bierbrauers und Wirtes Johann Jakob Erla-cher, einem Lesegesellschafter. Bis heute weiss man nicht detailliert über Inhalte und Mitglieder des Klubs Bescheid. Bekannt ist, dass er 12 Mitglieder zählte, wovon fünf Lesegesellschafter waren.986 Dass Le-grand daran beteiligt war, ist ebenfalls gesichert. LeLe-grand wurde bei den ersten eidgenössischen demokratischen Wahlen Kantonsabge-ordneter. Unter anderem weil er unter den Volksrepräsentanten eine alternative Staatsverfassung zu der von Ochs hatte kursieren lassen, wurde er entgegen allen Erwartungen anstelle von Ochs ins helveti-sche Direktorium gewählt.

Legrand war von der Aufklärung und ihren Schrittmachern be-geistert. Er veröffentlichte und druckte beispielsweise zusammen mit seinem Freund und zeitweiligen Kompagnon Johann Jakob Thur-neysen (1753–1803) entsprechende Werke, obschon die obrigkeitliche Zensur Verbote in Kraft gesetzt hatte. 1789 musste er sich wegen der Edition eines berüchtigten Gedichtes des preussischen Königs Fried-rich II. (1712–1786) vor dem kleinen Rat, dem er selbst angehörte, und der Zensurkommission verantworten. Friedrich der Grosse zieht in dem Gedicht die Trinität und Heilige in die Lächerlichkeit. Solche Inhalte mussten in orthodoxen und pietistischen Kreisen auf star-ken Widerstand stossen. Peter Ochs berichtet von einem unerwarte-ten Geständnis Legrands vor dem Rat, in dem er sich von der christ-lichen Religion distanziert hat, sich für Toleranz ausgesprochen hat und Voltaire, Rousseau, Hume und den König von Preussen das Ver-dienst des weltanschaulichen Wandels zugeschrieben hat. Sein Vo-tum wurde vor allem von den Pietisten im Rat heftig angegriffen.987

Einen merkwürdigen Gang durch die Umbruchsphase um 1800 hat der Jurist Johann Heinrich Wieland (1758–1838) gemacht. Unter Rats-schreiber Peter Ochs wurde er 1782 Sekretär der Staatskanzlei in Ba-sel. Ochs scheint sich dem damals 24-Jährigen persönlich angenom-men zu haben.988 Es ist daher denkbar, dass es Wieland war, der da-rauf gedrängt hatte, als ersten seinen Vorgesetzten für das Lesege-sellschaftsprojekt zu gewinnen. Von 1784 bis im Jahr der Erlangung des Doktorgrades 1786 war er Schreiber der Gemeinnützigen Ge-sellschaft gewesen. Im selben Jahr übertrug ihm die Regierung das

986 Daniel Speich, Société de Lecture, p. 144.

987 Gustav Steiner, Korrespondenz Peter Ochs, Bd. 1, pp. 202 ff.; Martin Ger-mann, Johann Jakob Thurneysen, pp. 64 ff.

988 Eduard His, Staatsmänner, p. 35.

Schultheissenamt der „Mehreren Stadt“, das heisst das Präsidium des Grossbasler Gerichtes. Dem Komitee der Lesegesellschaft gehörte er von Beginn weg als Bibliothekar an, bis er 1795 Vorsteher und 1796 noch Statthalter wurde. Wichtig für seine politische Entwicklung wurde seine Wahl als Stadtschreiber von Liestal. Liestal besass sehr wenig munizipale Rechte und war deshalb ein geeigneter Ort für die Gärung von Revolutionsideen. Die Basler Revolution entzündete sich dann ja auch in Liestal. Wieland hatte ein Auge für die Minderberech-tigung der Landschäftler, kritisierte deshalb die „morsche Staatsver-fassung“ Basels und verlangte deren „Wiedergeburt“. Er befürwortete allgemeine Freiheitsrechte, Freiheit von Handel und Industrie, Auf-hebung der Zunftvorrechte, Gleichberechtigung innerhalb jeder Ge-meinde und eine „Landesversammlung“ zur Entscheidung von Be-schwerden und Begründung neuer Rechte.989 Während den Staats-umwälzungen bekannte er sich offen zur Revolution, wurde in die neue Basler Nationalversammlung gewählt und amtete als deren Sekretär und Präsident. Unter der zentralistischen Einheitsrepublik waren die definierten Verwaltungsprovinzen durch Statthalter ver-treten. Johann Jakob Schmid (1765–1829), ein Lesegesellschafter, und Heinrich Zschokke (1771–1848) waren die ersten Statthalter Basels.

Wieland folgte 1801, bevor er helvetischer Senator und schliesslich Fi-nanzminister der Republik wurde. Nachdem 1803 die Mediationsakte Napoleons in Kraft getreten war, erlangten in Basel reaktionäre Alt-gesinnte Einfluss. Es ist daher erstaunlich, dass Wieland erneut zum Ratsschreiber gewählt wurde und seine politische Laufbahn fortset-zen konnte. 1812 wurde er Bürgermeister von Basel, 1813–1832 wieder-holt Gesandter an die Tagsatzung und 1815 Gesandter der Schweiz an den Wiener Kongress. His schreibt über seine Laufbahn: „Er war viel-leicht derjenige helvetische Staatsmann, der am meisten von allen sich unter den mehrfach wechselnden Regierungen halten und als brauch-bar erweisen konnte. Das war nur möglich, weil er, wie kein anderer, sich von der damals alles überwiegenden Parteienlandschaft freizu-halten wusste und rein sachlich, parteipolitisch neutrale Arbeit leiste-te.“990

Im zweiten Jahr der Revolution, 1799, wählten die Gesellschafter den Indiennefabrikanten Samuel Ryhiner (1766–1847) zu ihrem Prä-sidenten. Im folgenden Jahr versah er das Statthalteramt. Seine Wahl belegt, dass unter der Teilnehmerschaft ein politisch-progressiver und Revolutions-bejahender Kurs nicht abgelehnt, folglich mit eini-ger Sicherheit auch vertreten wurde. Ryhiner war nämlich ein Mit-glied des 1798 gewählten Vorstandes der Gesellschaft zur Beförde-rung bürgerlicher Eintracht gewesen und schon vor seiner Präsident-schaft hatte ihn der Statthalter Johann Jakob Schmid zum Präsiden-ten des helvetischen Distriktgerichtes ernannt. 1802 wurde Ryhiner dann selbst Statthalter. Nachdem Frankreich 1802 seine seit über drei Jahren stationierten Truppen aus der Schweiz abzog, kam es zu bür-gerkriegsähnlichen Zuständen. Föderalisten, die Anhänger der alten Ordnung und Unitarier, die Anhänger des neuen Verfassungsstaates, befehdeten sich heftig. In Basel bemächtigten sich die konservati-ven Föderalisten unter der Führung von Andreas Merian (1742–1811) der öffentlichen Gewalt. Merian hatte viele Anhänger in der von der Republik zunehmend nicht mehr befriedigten Stadtbevölkerung ge-funden. Von einer aufgebrachten Menge bedroht, musste Ryhiner schliesslich die Stadt verlassen. Nachdem Frankreich erneut seine Truppen hatte einmarschieren lassen und die helvetischen

Behör-989 Ebd., p. 37.

990 Ebd., p. 42.

sitätsbibliothek gewesen.981 Der sechsmalige Rektor war 1790–1792 Säckelmeister und 1797 Vorsteher der Lesegesellschaft. Er findet sich auch unter den Mitgliedern der Helvetischen und der Gemeinnützi-gen Gesellschaft, die er 1781 präsidierte.

Als de Lachenal 1795 Rektor der Universität wurde, verliess er den Vorstand der Lesegesellschaft. Seine Stellung als deren informel-ler Leiter wurde daraufhin von Johann Rudolf Frey (1727–1799) bis zu seinem Tod übernommen. Frey war Empfänger enthusiastischer Briefe von Ochs gewesen, in denen er die anfänglichen Erfolge und Fortschritte der Lesegesellschaft mitgeteilt hatte. Frey war zu Leb-zeiten des Aufklärers Isaak Iselin dessen Freund und Mitstreiter ge-wesen. Schon 1746 hatte er bei Iselins „Freier Gesellschaft“, einer li-terarischen Studentengesellschaft, mitgemacht, in den 1750er-Jah-ren hatten sie zusammen an einem Plan für die Einrichtung einer Akademie für angehende Offiziere und Politiker gearbeitet, und 1761 hatte Frey Iselin an die Initialtagung der Helvetischen Gesellschaft von Schinznach begleitet. Nach dem Tod Iselins 1782 blieb er Ratge-ber von Peter Ochs, der Iselins Schüler und Nachfolger als Ratsschrei-ber geworden war. Frey stand ab seinem 12. Lebensjahr in französi-schen Diensten, zuletzt als Oberstleutnant. Er war aber auch Literat und korrespondierte brieflich unter anderem mit Voltaire, Rousseau und Kloppstock. 1790 präsidierte er die Gemeinnützige Gesellschaft und trat 1791 der Oekonomischen Gesellschaft bei. In der Lesegesell-schaft war er in den Jahren 1795–1799 viermal Statthalter und 1796 ihr Vorsteher.

1770 schrieb Iselin an Frey: „Je mehr ich nachsinne, je abscheuli-cher finde ich den Zustand und die Verfassung unseres Vaterlandes [. . .].

Meiner Meinung nach werden die Untertanen [. . .] aller Kantone nicht glücklich seyn, bis ein mächtiger Nachbar gnädig geruhen wird, sie zu erobern.“982 Dieser Gedankengang Iselins dürfte dem Oberstzunft-meister Peter Ochs (1752–1821) gegenwärtig gewesen sein, als er Ende 1797 als Gesandter Basels in Paris weilte und sich bewusst geworden war, dass Frankreich entschlossen war, die Schweiz in seine strategi-schen Ziele einzubeziehen. Der Jurist Ochs war die zentrale Person in der Epoche des Zusammenbruchs des Ancien Régime in der Schwei-zer Geschichte. Nach dem Tod seines Vorbildes Iselin repräsentierte er Aufklärung und Aufgeklärtheit in Sozietäten und Ämtern der al-ten Basler Republik. Obschon Bürger des Standes Basel, war er in Hamburg aufgewachsen. Dank vielseitiger Begabungen, starker Va-terlandsliebe und glücklicher Lose stieg er vom Ratsschreiber zum Stadtschreiber und schliesslich 1796 zum Oberstzunftmeister auf. Es war natürlich nicht zufällig, dass die Dreierdelegation der Lesegesell-schaftsinitianten, de Lachenal, Huber und Wieland zuallererst den aufgeklärten und einflussreichen Ochs für ihr Projekt zu gewinnen suchten. Ochs war in Leiden Freimaurer gewesen, präsidierte 1783 die Gemeinnützige Gesellschaft und war Mitglied der Helvetischen und der Oekonomischen Gesellschaft. In den ersten drei Jahren der Lese-gesellschaft war er zweimal Statthalter und 1789 Präsident. Danach zog er sich aus der Kommission zurück. 1797 nahm er am geheimen Klub im Haus zum Rheineck teil. Wegen seiner Bejahung von Fran-zösischer Revolution und Republik und seiner weit über die Schweiz hinausreichenden Beziehungen wurde Ochs von der Regierung

981 Vgl. Andreas Staehelin, Geschichte Universität 1632–1818, p. 554.

982 Brief vom 14. April 1770; zitiert in: Arnold Schneider: Zwei Jahrhunderte

„Allgemeine Lesegesellschaft in Basel“; in: Basler Stadtbuch 1987, 108. Jahr., Ba-sel 1988, S. 119.

mehrfach mit diplomatischen Aufgaben nach Paris geschickt und dort von den Regierenden als Freund und Partner aufgenommen. Er stand bei ihnen neben den Interessen Basels für die Neutralität der Schweiz in den Kriegen zwischen Frankreich und den Kriegskoaliti-onen ein. Ochs hatte die Friedensschlüsse zwischen Frankreich und einerseits Preussen und andererseits Spanien eingefädelt, die dann 1795 im Holsteinerhof, seinem Privathaus, geschlossen wurden. Seit 1797 die französische Politik in die Hände der Armee, das heisst vor allem in die Hände des in Oberitalien siegreichen Generals Napoleon Bonaparte (1769–1821) überging, hatte die Idee eines anti-österreichi-schen „cordon sanitaire“, einer militärianti-österreichi-schen Verbindungslinie von Basel bis Mailand, Gestalt angenommen.983 Zu diesem Zweck sollte die Schweiz erobert, mindestens aber revolutioniert werden und dem System der revolutionären Satellitenrepubliken eingegliedert wer-den. Bonaparte hatte es insgeheim auf den Reichtum der Schweizer-kantone abgesehen, mit deren Schätzen er den geplanten Ägypten-feldzug finanzieren wollte. Während der erwähnten Gesandtschaft von Ochs Ende 1797 in Paris verlangte Bonaparte die baldige Revo-lutionierung der Schweiz. Daraufhin versuchte Ochs, seine patri-otischen Freunde in Basel dringend zum Handeln zu bewegen, was schliesslich zur Basler Revolution führte. Ochs hatte zudem den Auf-trag erhalten, eine Verfassung für eine Helvetische Republik auszuar-beiten. Das Direktorium, die Exekutive Frankreichs, strich ihm einige wichtige demokratische Institutionen. Eingedenk der anrückenden französischen Truppen demissionierten die Patriziate von neun Or-ten der Eidgenossenschaft. In die resistierenden Orte Bern, Solothurn und Freiburg marschierten nach Kämpfen französische Truppen ein.

Ende März 1798 übernahm der französische Regierungskommissar Lecarlier (–1799) die oberste Regierungsgewalt in der Schweiz und er-zwang die Annahme der von Ochs ausgearbeiteten Verfassung. Die-ser proklamierte am 12. April in Aarau selbst die Republik, wurde zu-erst nur Senatspräsident, dann aber unter gewissen Machenschaften des Kommissars Rapinat (1752–1818)984 Präsident des fünfköpfigen helvetischen Direktoriums – der Exekutive. Aus seiner profranzösi-schen Haltung und aus möglichen Indiskretionen gegenüber Vertre-tern Frankreichs wurde ihm 1799 eine Intrige gesponnen, die Ochs zum Rücktritt nötigte. Er zog sich daraufhin aus der helvetischen Po-litik zurück, war als Verräter verschrien und wurde zum Sündenbock für die französische Invasion und das massive Versagen der Republik.

Ab 1803 war er in Basel aber wieder politisch aktiv. Die Landschaft hatte ihn erneut in die Regierung gewählt. Er übernahm zahlreiche politische Ämter und setzte sich in der Restaurationszeit erfolgreich für liberale Reformen im Bildungs-, Justiz-, Sanitäts- und Kirchenwe-sen ein.985

In den vier-Jahren der Statthalterschaft de Lachenals präsidierten die Gesellschaft vier Personen, die weder vor noch nach ihrer Beamtung in der dirigierenden Kommission Einsitz hatten. Die vier waren 1791 der Ratsherr und spätere Abgeordnete der Nationalversammlung

In den vier-Jahren der Statthalterschaft de Lachenals präsidierten die Gesellschaft vier Personen, die weder vor noch nach ihrer Beamtung in der dirigierenden Kommission Einsitz hatten. Die vier waren 1791 der Ratsherr und spätere Abgeordnete der Nationalversammlung