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und.des.Katholizismus

2.5.6. Transformation der LG , die Dienstagsgesellschaft und die

1831er-Verfassung

Während des gesamten 19. Jahrhunderts ist die LG vom Libe-ralkonservatismus geprägt. Dass sich jene politische Stoss-richtung auf den Aufklärer und Reformer Isaak Iselin sowie auf die Patrioten des Ancien Régime zurückberief, in der Restauration teils von Althelvetikern und einem Kreis jün-gerer Liberaler geprägt wurde, ist weiter oben schon

aufge-816 Manfred Hettling, Politische Bürgerlichkeit, pp. 263 ff.

817 Insgesamt erscheinen 19 der 95 KMG im Sample von Sarasin.

ten keinen Dienst in der Kommission. Die Zentristen Fritz Burckhardt-Brenner (22), Grossrat und Rektor des Huma-nistischen Gymnasiums und Eduard Hagenbach-Bischoff (63), mehrmaliger Grossratspräsident, hatten schon in den 1860er-Jahren Einsitz in der Kommission mit Burckhardt als Präsident.

1902 und 1915 errangen die Liberalkonservativen im Re-gierungsrat wieder 2/3 der Sitze, der Freisinn zuerst 2, dann 4. Analog zu früheren Verzögerungen, mit denen sich Ent-wicklungen in der Politik in der LG niederschlugen, er-scheint auch dieser Einzug von Freisinnigen in die Kommis-sion als später Reflex der politischen Verschiebungen. Es fällt auf, dass Freisinnige erst nach der Einführung des Pro-porzes 1905 allmählich zur eigentlichen Kraft in der Kom-mission wurden: Der linke Flügel der FDP spaltete sich in Folge der Wahlniederlage in eben diesem Jahr von der FDP ab, selbständige Gewerbetreibende behielten die Oberhand, und statt mit der SP ging die FDP Allianzen mit der LDP ein.

Von den insgesamt 6 Freisinnigen in der Kommission (Ta-belle 35) versah keiner ein höheres Amt im Staat. Nur 2 von ihnen waren oder wurden später Grossräte.

Bei den Liberalkonservativen fiel diese Bilanz stets deut-lich positiver aus, obwohl sich auch für sie feststellen lässt, dass nicht mehr so viele bedeutende Persönlichkeiten ih-rer Richtung in der Kommission sassen wie noch während des Ratsherrenregiments. 10 der 18 zwischen 1876 und 1914 neu in die Kommission eingetretenen liberalkonservativen KGM hatten ein relativ niedrigeres Amt in Staat oder Ge-meinde inne, zum Beispiel als Grossrat, Richter oder Bürger-rat.805 Von den 1875–1914 insgesamt 11 liberalkonservativen Regierungsräten806 waren Isaak Iselin-Sarasin (78) und Hans Burckhardt-Fetscherin (95) auch KMG. Letzterer wurde der erste Präsident der LDP. Wilhelm Vischer-Heusler (27), einer der Vordenker der Liberalkonservativen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, war 1872–73 Statthalter der LG. In der Kommission keinen Einsitz hatten Andreas Heusler (II.), Paul Speiser, Adolf Christ, Karl Sarasin, Carl Felix Burck-hardt und Eduard Kern.

Von 1876 bis 1915 traten 18 Liberalkonservative, 5 Frei-sinnige und gerade noch 2 Zentrumsleute neu in die Kom-mission ein (Tabelle 35). Für 3 konnte keine Gesinnung be-stimmt werden. Die LG war demnach auch in der zweiten Phase in der Hand der konservativsten und ältesten der his-torischen Parteien Basels. Die jüngeren politischen Kräfte des Zentrums und des Freisinns gelangten erst mit grossem zeitlichem Abstand zu ihren politischen Triumphen und waren nur in sehr dosierter Anzahl in der Kommission der

805 KMG 1825–1915, Felder „Funktionen in der Politik“ und „politische Gesin-nung“.

806 Vgl. Hans Joneli und Eduard Wyss, Statistik Regierungsratswahlen, Ta-belle 4, p. 261.

LG vertreten. Stets blieben die Liberalkonservativen in der Mehrheit. Die damals jüngsten Parteien SP und CVP807 fehl-ten in der Kommission gänzlich.

Aufgrund der Präsenz dieser drei parteilichen Gesin-nungen in der Kommission während des Untersuchungs-zeitraums wird fassbar, was Manfred Hettling als das „bür-gerliche Lager“ der Basler Politik zwischen 1875 und 1915 be-zeichnete.808 Hettlings These lautet, Freisinn und Konser-vatismus seien gleichermassen als bürgerlich anzusehen, und die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien seien eindeutig eine innerbürgerliche Kontroverse gewesen.809 Sein Befund ist nicht Ergebnis eines Vergleichs der historischen mit den jüngeren Parteien, sondern das Re-sultat der Untersuchung von Sozialstruktur und Einkom-mensverhältnissen der freisinnigen und liberalkonservati-ven Grossräte innerhalb der gleichen Phase. Er untermauert Albert Tanners These, dass im Konflikt des Bürgertums mit der demokratisch-radikalen Bewegung in der Schweiz die dominante soziale Trennlinie zwischen den neuen „Her-ren“ und dem „Volk“ nach unten verschoben worden sei und sich neue Schichten verbürgerlichten.810 Die Verbürgerli-chung des Freisinns in Basel lässt sich anhand der Abspal-tung der Arbeiterschaft als Prozess, der im Verlauf der hege-monialen Phase des Freisinns vonstatten ging, nachvollzie-hen: Obwohl Wilhelm Klein, Anführer des baselstädtischen Freisinns, auch nach 1875 an der sozialen Ausrichtung der Partei festhielt, entstand zwischen der Arbeiterschaft und der Regierungspartei eine zunehmende Entfremdung811, und in den 1890er-Jahren begann sich die lockere Einheit der vormals alleinigen „Volkspartei“ aufzulösen. Ab 1890 schöpften die Sozialdemokraten den Freisinnigen die rasant wachsende Lohnarbeiterschaft ab. Zwar standen die Arbei-ter ursprünglich über den Grütliverein dem Freisinn nahe:

Die Gründung der SP wurde von Linksfreisinnigen mitge-tragen, die SP von ihnen als „Bruderpartei“ betrachtet, und

807 Aus dem Feld „Konfession“ in „KMG 1825–1915“ geht hervor, dass mit Jakob Achilles Mähly-Schermar (64) nur ein einziger Katholik in der Kommission ein-sass (Stichjahr 1888). Mähly gehörte dem Leimsutt an, dem Freundeskreis um Fritz Burckhardt-Brenner, der dem Zentrum nahe stand.

808 Zum Folgenden siehe das Kapitel „Der Grosse Rat in Basel“ von Manfred Hettling, Politische Bürgerlichkeit, pp. 105–123.

809 Hettling unterlässt es, in seiner Studie näher zu erklären, wen er mit den Konservativen meint, denn er unterscheidet nicht zwischen Liberalkonserva-tismus und der Zentrumspartei. Seine Ausführungen stützen sich weitgehend auf das Material, das Walter Lüthi für seine Strukturanalyse des Grossen Rats zusammengestellt hat (Politische Bürgerlichkeit, p. 113, Anm. 161). Da bei Lüthi sehr wohl zwischen den zwei politisch konservativeren Richtungen unter-schieden wird, kann man davon ausgehen, dass Hettling diese Unterscheidung übernommen hat und auch bei ihm mit den „Konservativen“ die liberalkonser-vative Richtung gemeint ist.

810 Albert Tanner, Direkte Demokratie, p. 190.

811 In Basel, wo die „Vormundschaft“ der Radikalen über die Arbeiterschaft seit den 1860er-Jahren besonders eng gewesen war, blieb die Arbeiterpartei bis in die 1890er-Jahre Teil des Freisinns; vgl. Albert Tanner, Direkte Demokratie, p. 200.

2.5. Politische Funktionen und Gesinnungen

162 2.5.6. Transformation der LG, die Dienstagsgesellschaft und die 1831er-Verfassung 163

war z. B. zuständig für die Berichterstattung aus dem Par-lament.827 Jahresberichte für 1827 und 1828, und die Vorge-schichte zur Gründung der Sozietät erschienen ebenfalls in dieser Zeitschrift.828

In der Literatur zu diesem Thema werden der 1820 / 21 entstandene Tugendbund und die 1827 gestiftete Diens-tagsgesellschaft stets gemeinsam genannt. Nähe und Ge-meinsamkeit sind schon alleine dadurch gegeben, dass praktisch alle Tugendbündler in die Dienstagsgesellschaft eintraten. 1828 zählte der Verein 17 Mitglieder.829 Diverse HistorikerInnen erwähnen Mitglieder namentlich;830 16 Mitglieder sind bekannt: Peter Merian-Thurneysen (2) (Dr.

Prof.), Karl Burckhardt-Paravicini (3) (Dr., Zivilgerichtsprä-sident), Felix Sarasin-Burckhardt(-Brunner) (5) (Fabrikant), Wilhelm Geigy-Lichtenhahn (45) (Fabrikant), Johann Ge-org Fürstenberger-Debary (11) (Fabrikant), Wilhelm Burck-hardt-Forcart (47) (Bankier), Johann Rudolf Merian-Ber-noulli (48) (Dr. Prof.), Johann Rudolf Burckhardt (50) (Dr., Jurist, Fiskal), Christoph Bernoulli-Paravicini (Dr. Prof.), Le-onhard Bernoulli-Bär (Kaufmann), Niklaus Bernoulli-Wer-themann(-Berri) (Notar), Andreas Heusler-Ryhiner (Dr. PD, Jurist), Stephan Gutzwiller-Ziegler (Notar), Rudolf Hanhart (Dr., Rektor Gymnasium), Daniel Kraus-Bachofen (Pfarrer) und Johannes Linder-Merian (Pfarrer).831 Es handelt sich um Bildungs- und Wirtschaftsbürger: 3 Professoren, 1 Privatdo-zent, 1 Gymnasiallehrer, 2 Pfarrer, 2 Notare sowie 2 Staats-beamte stehen 3 Fabrikanten, 1 Kaufmann und 1 Bankier ge-genüber. Offensichtlich handelte es sich um einen bürgerli-chen Elitezirkel mit hohem Bildungsgrad, was auf Disputati-onen auf hohem Niveau schliessen lässt. Etliche von ihnen waren schon im Philotechnischen Institut Schüler Bernoul-lis.832 Was verband den Tugendbund und die Dienstagsge-sellschaft mit der LG?

Seit der Jubiläumsschrift zum 150-jährigen Bestehen der GGG von Paul Siegfried aus dem Jahr 1927 scheint in Verges-senheit geraten zu sein, dass es sich bei der Dienstagsgesell-schaft um eine Gründung der GGG handelte.833 1827 wurde

827 Kaspar Birkhäuser, Stephan Gutzwiller, p. 14.

828 Sara Janner, Zwischen Machtanspruch und Autoritätsverlust, Anm. 180, p. 123.

829 Geschichte der Gesellschaft des Guten und Gemeinnützigen, Zweiund-fünfzigstes Jahr, 1828, Basel 1829, p. 28. An ihren Sitzungen nahmen oft Gäste teil.

830 Paul Burckhardt, Geschichte Basel / Eduard His, Gelehrte / Eduard His, Kaufleute / Eduard His, Politiker / Kaspar Birkhäuser, Stephan Gutzwil-ler / Sara Janner, Zwischen Machtanspruch und Autoritätsverlust.

831 Zwei Mitglieder legten während den 30er Wirren von der liberalen Posi-tion abweichende Gesinnungen an den Tag legten: Stephan Gutzwiller wurde Anführer des radikalen Aufstands der Landschaft, der herrnhuter Linder stritt als geistiger und geistlicher Anführer im Reigoldswilertal dagegen für die gott-gegebene Sache der Obrigkeit.

832 Paul Burckhardt, Geschichte Basel, p. 155.

833 Paul Siegfried, GGG 150. Stiftungsfeier, p. 58 und August von Miaskowsky, GGG Säkularfeier, p. 61.

bei der Feier des 50-jährigen Bestehens der GGG die Grün-dung eines Vereins zur „Besprechung über Gegenstände des Gemeinwohls“ angeregt, der sich dann Ende 1827 unter dem Namen Dienstagsgesellschaft auch wirklich bildete. Im Jah-resbericht der GGG von 1828 resümierte der Präsident ihre Aktivitäten: „. . . in eben so belehrenden, als ungezwungenen, freien und offenen Unterredungen, welche bald allgemeine Angelegenheiten, bald die Sitten des bürgerlichen und geselli-gen Lebens betrafen, theilten sie sich, abgesehen von aller ge-lehrten Form, gegenseitig mit und zogen aus ihren Unterhal-tungen gegenseitigen Gewinn, der wieder in den Kreis ihres Wirkens hinübergetragen wird.“834 Laut Sara Janner finden sich auch Spuren finanzieller Unterstützung der Zeitschrift

„Mittheilungen“ durch die GGG.835 Janner stellte eine hohe Kongruenz zwischen der liberalen Gruppe der Dienstagsge-sellschaft und der Leitung der GGG von 1822 bis 1830 fest.836 Vergleicht man oben aufgeführte Namen mit der Liste der Präsidenten, Schreiber und Kassiere der GGG, die Paul Sieg-fried erstellte, dann zeigt sich, dass 8 der 9 Präsidenten der GGG zwischen 1824 und 1833 und 2 der 3 Schreiber, aber kei-ner der beiden Kassiers Dienstagsgesellschafter waren. 8 Mitglieder der Dienstagsgesellschaft waren KMG der LG. Über den ganzen Zeitraum von 1825 bis 1836 wurde die LG von ihnen präsidiert, und mit Ausnahme des Jahres 1831 be-setzten Dienstagsgesellschafter auch das Kopräsidium. Die beiden leitenden Posten teilten sich 4 der 8 KMG, das heisst, 4 von ihnen blieben in der Kommission Beisitzer. Auch diese Beisitzer wurden in den 1820er- und frühen 1830er-Jahren in die Kommission gewählt, sassen also nicht schon zuvor in ihr. 5 der in die Kommission der LG gewählten Dienstagsge-sellschafter wurden auch Präsidenten der GGG. Überhaupt war die Vernetzung der leitenden Gremien von LG und GGG in diesem Zeitabschnitt sehr ausgeprägt. Von den 22 KMG, die zwischen 1825 und 1835 in die Kommission aufgenom-men wurden, präsidierten 10 die GGG, 2 weitere waren Schreiber oder Kassier gewesen oder später noch geworden.

Nimmt man Präsidium und Statthalterschaft der LG so-wie die Präsidentschaft und den Schreiberposten der GGG837 zusammen und vergleicht, wer diese Ämter zwischen 1825 und 1833 versah, dann zeigt sich, dass nur sechs der insge-samt 36 Ämterjahre nicht von Dienstagsgesellschaftern be-setzt waren, die Jahre 1825, 1826 und 1828–1830 waren von ihnen gänzlich abgedeckt. Bei zusätzlicher Berücksichti-gung des Jahres 1824 sind es vier Namen von

Dienstagsge-834 Geschichte der Gesellschaft des Guten und Gemeinnützigen, Zweiund-fünfzigstes Jahr, 1828, Basel 1829, p. 28.

835 Sara Janner, Zwischen Machtanspruch und Autoritätsverlust, Anm. 178, p. 123.

836 Ebd. p. 122 und Anm. 175.

837 Bei der GGG wechselte der Präsident jährlich. Der Gewählte übernahm im Folgejahr automatisch das Kopräsidium. Deswegen wird hier zum Vergleich als nächst höherer Posten in der GGG das Schreiberamt gewählt.

zeigt worden. Die Zeit der Kantonstrennung ist nicht ohne Einfluss auf ihre Parteigeschichte geblieben, denn die Juli-revolution von Paris ermöglichte der liberalen Opposition in der Schweiz neue Handlungsspielräume, nötigte die Ak-teure aber auch, Farbe zu bekennen und sich für liberalkon-servative oder radikalliberale Positionen zu entscheiden.

Die frühe Regeneration war für die Profilierung des Liberal-konservatismus wesentlich. Da die LG seit ihrer Gründung ein Versammlungsort der progressiven liberalen Kräfte war, blieben die Jahre der Wirren auch für sie nicht ohne Fol-gen. Klar ersichtlich wird dies, wenn man die Koinzidenz der Transformation der LG mit den Umbrüchen im Staat zu Beginn der 1830er-Jahre ins Auge fasst. Es soll im Folgenden das Verhältnis des in den 1820er-Jahren entstandenen Krei-ses der Stadtliberalen zur LG sowie seine Rolle bei der Trans-formation der LG zu einem sogenannten „Museum“ aufge-zeigt werden und schliesslich, welche Haltung dieser Kreis gegenüber der 1831er-Verfassung und dem Aufstand der ra-dikalisierten Landschaft einnahm.

Als Anführer der liberalen Opposition der Restauration galt Karl Burckhardt-Paravicini (3). Er studierte in Göttin-gen, Heidelberg und Berlin Jurisprudenz, kehrte im Win-ter 1820 / 21 nach Basel zurück, wo er sich alle zwei Wochen mit einigen Jugendfreunden traf. Im Rahmen eines Abend-essens wurde vor allem über Tagespolitik diskutiert. Dieser Freundeszirkel wurde später ironischerweise „Tugendbund“

genannt, in Anlehnung an den preussisch-patriotischen Geheimbund, der, 1808 in Königsberg gegründet, Keim des preussischen Widerstands gegen die französische Besat-zung und des Befreiungskrieges war.818 Rund ein Dutzend junger Männer gehörten zu Burckhardts Kreis; einige von ihnen waren an deutschen Universitäten „vom Idealismus ergriffen“ worden, wie Paul Burckhardt 1912 konstatierte.819 Die meisten jener liberalen Idealisten waren Absolventen des Philotechnischen Instituts Christoph Bernoullis, des

„weitaus bedeutendsten Vertreter[s] des Liberalismus“ (Zum-stein).820 1817 schloss Bernoulli sein Institut und wurde 1819 Lehrer am Pädagogium und zugleich Professor für Naturge-schichte und Technologie an der Universität, ab 1835 für in-dustrielle Wissenschaft. Neben seinem Beruf war er

publi-818 Vgl. Andreas Staehelin, Universität 1publi-818–1835, p. 116.

819 Paul Burckhardt, Trennung, 1. Teil, p. 5.

820 Otto Zumstein, Parteigeschichte 1848–1910, p. 3. Christoph Bernoulli-Pa-ravicini (1782–1863) war ab 1798 in der helvetischen Kanzlei für Erziehung und Kultur und zugleich bei Minister Philipp Albert Stapfer in Luzern tätig. Der Um-gang mit Stapfer verstärkte Bernoullis Begeisterung für die republikanische Freiheit und Gleichheit. Während seiner Anstellung wurde er mit den pädago-gischen Projekten Pestalozzis und Tschokkes vertraut. Nach Promotion in Na-turwissenschaften in Göttingen, Lehrtätigkeit in Halle und privaten Studien von Gewerbe, mechanischer Fabrikation und Industrie eröffnete er 1806 in Ba-sel eine Privatschule, das „Philotechnische Institut“. Dort sollten 13 bis 17-jäh-rige Schüler durch den Unterricht in Realfächern und modernen Sprachen zur Allgemeinbildung geführt werden.

zistisch sehr aktiv. 1826–1831 gab er mit anderen die „Basleri-schen Mittheilungen zur Förderung des Gemeinwohls“ her-aus. Diese kleinformatige Halbmonatsschrift war die erste unzensierte, politische Zeitschrift in Basel. 1826 präsidierte er die GGG.

Den Einstieg in die Politik hatte sich der in Basel als Revo-lutionär verschriene Bernoulli mit seiner Kritik am Zunft-wesen, insbesondere seiner Forderung nach Abschaffung des Zunft- und Marktzwangs, verbaut.821 Mit Bernoullis Name ist auch die Dienstagsgesellschaft verknüpft. Nach Walther Lüthi rief er diese 1827 ins Leben.822 Ob Bernoulli tat-sächlich Initiant und Leiter der Dienstagsgesellschaft war, und welche Rolle er in ihr genau spielte, wurde bisher nicht näher erforscht. Eine Gesellschaft zu stiften, in der „Gegen-stände des Gemeinwohles, sowie die Sitten des bürgerlichen und geselligen Lebens“823besprochen werden, hätte jedoch durchaus gepasst zum Gedankengang, den er just im Grün-dungsjahr der Dienstagsgesellschaft entwickelte: „. . . und ich wundere mich, dass in unserer Zeit, wo für alle Zweige der Thätigkeit Systeme und Theorien aufgestellt werden, noch so wenig versucht worden, für die vielartigen gemeinnützigen Anstalten eine eigene Wissenschaft zu bilden.“824 Diese Pas-sage stammt aus der von Bernoulli in seiner Eigenschaft als Präsident der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesell-schaft (SGG) an deren Jahresversammlung in Basel 1827 ge-haltenen Eröffnungsrede. Schwebte dem Universitätspro-fessor eine Art wissenschaftliches Seminar und Kolloquium für Fragestellungen aus dem Bereich der Gemeinnützigkeit vor? Die SGG hätte für ein solches Vorhaben in gewisser Hin-sicht schon als Vorbild dienen können; sie traf sich jährlich an mehreren Tagen zu Vorträgen und Diskussionen, die an-schliessend publiziert wurden.825 Die Dienstagsgesellschaft ihrerseits kam 14-tägig zu Vorträgen und Diskussionen zu-sammen. Es wurde auch geschrieben und publiziert. Zum eigentlichen Organ der Gesellschaft avancierten die bereits 1826 ins Leben gerufenen „Baslerischen Mittheilungen zur Förderung des Gemeinwohls“.826 Karl Burckhardt-Paravicini

821 Walther Lüthi, Christoph Bernoulli, pp. 167–170 und 204; Kaspar Birkhäu-ser, Stepan Gutzwiller, pp. 14 f.

822 Lüthi bezeichnet die Dienstagsgesellschaft als Tochtergesellschaft der Basler Sektion der Gemeinnützigen Gesellschaft und nennt im gleichen Ab-schnitt auch die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (ebd., p. 170), de-ren Präsident Bernoulli 1827 gewesen sei. Er vermengt hier die Basler GGG und die Schweizerische SGG. Die SGG, der Bernoulli 1827 tatsächlich vorstand, hatte um diesen Zeitpunkt herum effektiv eine Basler Sektion: Der Jahresbericht der LG von 1827 erwähnt eine solche (ohne Seitennummerierung). Sie hat, wie die Kommissionen der GGG, ihre Sitzungen in der LG abgehalten. Die Dienstags-gesellschaft ist jedoch eine TochterDienstags-gesellschaft der GGG (siehe weiter unten).

823 Geschichte der Gesellschaft des Guten und Gemeinnützigen, Zweiund-fünfzigstes Jahr, 1828, Basel 1829, p. 28.

824 Aus den Verhandlungen der SGG 1827; zitiert in: Beatrice Schumacher, Braucht es uns? in: Freiwillig verpflichtet, p. 46.

825 Vgl. Beatrice Schumacher, Freiwillig verpflichtet, p. 43.

826 Paul Burckhardt, Geschichte Basel, p. 155.

2.5. Politische Funktionen und Gesinnungen

164 2.5.6. Transformation der LG, die Dienstagsgesellschaft und die 1831er-Verfassung 165

furt, verglichen.845 Obschon man den alten Namen „Lesege-sellschaft“ beibehielt, wurde die LG modernisiert und im Sinn eines Museums transformiert. Die Metamorphose ver-lief parallel zu den Umbrüchen im Staat, zum darauffolgen-den Krieg und der Trennung des Kantons.846 Die neue Ge-neration Liberaler, bereits treibende Kraft in der LG, wurde auch zur treibenden Kraft im Staat.

Welche Rolle spielte die neue Generation junger Libera-ler in der Regenerationszeit in Basel, und welche Haltung nahm sie gegenüber dem Verfassungswerk von 1831 ein? Zur

845 Bericht und Vorschlag an die Mitglieder der Lesegesellschaft über eine neue Einrichtung der Gesellschaftslokalien eingereicht von ihrer Kommission im August 1830, p. 5 (Archiv ALG).

846 Den Abschluss der Transformationsphase der LG bildet die künstlerische Ausgestaltung des Pfalz-seitigen Erkers des Primo Piano. Anlass dazu gab der Tod des Mäzens und Erbauers des neuen Domizils Friedrich Huber. Huber starb kurz vor der Einweihungsfeier vom 26. Oktober 1832. Mit Hubers gewaltigem Einsatz, der mit seinem Tod endete, konnotiert das Martyrium: Während den Wirren im Kanton opfert er sich gewissermassen für Gemeinsinn, Bürgerschaft und für die Sache der Stadt überhaupt auf. Ihm musste ein Denkmal gesetzt werden: „Um das Andenken des verewigten Herrn Deputat Friedrich Huber’s un-ter uns zu bewahren, des verehrten Mannes, den durch seltene Hingebung, wie durch Kenntnisse Erfahrung und Geschmack so vieles zum Gelingen unseres Bauunternehmens beigetragen hat, fand sich die Kommission bewogen die Auf-stellung von zwei Glasgemählden mittelst freiwilligen Beiträgen in Vorschlag zu bringen. Diesem Aufrufe wurde von einer grossen Anzahl unserer Mitglieder mit aller Bereitwilligkeit entsprochen. Die unterzeichnete Summe von Fr. 606 kann als genügend angesehen werden [. . .]. Dieses Unternehmen sollte zugleich auch der erste Schritt zu Vervollständigung der so ansprechenden als eigenthümlichen gotischen Verzierung unserer Gesellschaftssäle seyn. [. . .]. Bald darauf eröffnete sich die Aussicht zu Erwerbung einer Sammlung alter Glasgemählde, die in ei-nem ganz ungeniessbaren Zustande auf der öffentlichen Bibliothek aufbewahrt wird. Die E. Regenz der Universität, an die sich Ihre Kommission deshalb wandte, entsprach unserem Ansuchen mit einer Bereitwilligkeit und in einer Ausdehung, die wir kaum hätten erwarten dürfen, und die wir als einen schmeichelhaften Be-weis von Theilnahme und Anerkennung für unsere literarisch-gesellschaftliche Anstalt zu würdigen wissen“ (JB 1832, pp. 8 f. Zur Überlassung der Glasscheiben:

StABS, Erziehungsacten DD 5, Bibliothek, Abtretung von Glasgemälden an die Lesegesellschaft und an das Kirchenarchiv). Die zwei im Zitat erwähnten Glas-gemälde bilden den Kern des künstlerischen Programms und werden von vier spätmittelalterlichen, respektiv frühneuzeitlichen Wappenscheiben flankiert.

Sie stammen vom letzten Bischof Basels, Christoph von Utenheim, dem letzten Dekan und designierten Nachfolger des Bischofs, Niklaus von Diesbach, und

Sie stammen vom letzten Bischof Basels, Christoph von Utenheim, dem letzten Dekan und designierten Nachfolger des Bischofs, Niklaus von Diesbach, und