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Zielgruppen von „Dikhen amen! Seht uns!“

Im Dokument Dikhen amen! Seht uns! (Seite 28-31)

Mit unserer Projektarbeit wollten wir sowohl junge Rom*nja und Sinti*ze als auch →Gadje*a ansprechen. Wenn es um →Empowerment ging, richteten wir uns ausschließlich an jugendliche Rom*nja und Sinti*ze. Wir wollten ihnen ermöglichen, sich unbefangen über ihre Erfahrungen mit →Rassismus auszutauschen. In Räumen, in denen auch Gadje*a sind, müssen Rom*nja be-ziehungsweise Sinti*ze oft erst einmal viele Fragen von Gadje*a beantworten, bevor ihre Erlebnisse im Mittelpunkt stehen. Nicht selten müssen sie sich dabei auch an rassistischen Klischees abarbeiten. Ein Teilnehmer von „Dik-hen amen! Seht uns!“ sagte einmal: „Ich muss immer erst sagen, was ich alles nicht bin, bevor ich sagen kann, wer ich eigentlich bin!“

Wie alle Jugendlichen sind auch junge Rom*nja und Sinti*ze in Bezug auf ihren Charakter, ihre Hobbies, ihre Vorlieben und so weiter verschieden und bilden keine einheitliche Gruppe. Des Weiteren

unterscheiden sie sich in ihrer gesell-schaftlichen Position und den dadurch geprägten Lebensumständen.

Sinti*ze leben zum Beispiel seit 600 Jahren im deutschsprachigen Raum.

Sie besitzen die deutsche Staatsbür-ger*innenschaft und sind als nationale Minderheit in Deutschland anerkannt.

Die Familien junger Sinti*ze sind seit vielen Generationen ein Teil der deut-schen Bevölkerung. Trotzdem haben sie mit vielfältiger →Diskriminierung zu kämpfen, was an den weit verbrei-teten rassistischen Vorstellungen über Rom*nja und Sinti*ze liegt. Hinzu kommt, dass die Verfolgung im Natio-nalsozialismus schwere Traumata bei vielen Rom*nja und Sinti*ze und ihren Nachkommen hinterlassen hat. Auch in der Nachkriegszeit verschwanden die rassistischen Ressentiments nicht. Sie begründeten vielmehr die fortlaufen-de Diskriminierung von Rom*nja und Sinti*ze, unter anderem im Bildungsbe-reich, und schränkten ihre gesellschaft-liche Teilhabe nachhaltig ein. Dies wirkt bis auf die jüngeren Generationen nach.

Neben deutschen Sinti*ze gibt es auch sogenannte deutsche Rom*nja. Diese leben ebenfalls seit vielen Generationen in Deutschland und teilen das Schicksal der Sinti*ze.

Seit den 1960er Jahren sind Rom*nja aus (Süd-)Osteuropa nach Deutschland eingewandert. Violeta Balog, Vorstands-mitglied von Amaro Foro e.V., beschreibt die Vielfalt eingewanderter Rom*nja folgendermaßen:

„Unter ihnen gibt es jene, die längst eingebürgert sind, darunter etwa diejenigen, die in den 1960ern als sogenannte Gastarbeiter*innen nach Deutschland kamen und eher als Jugoslaw*innen denn als Rom*nja angesehen wurden. Dann gibt es diejenigen, die entweder Anfang der 1990er oder Ende der 1990er vor dem Krieg in Jugosla-wien bzw. im Kosovo geflohen sind. Manche dieser Menschen, die bereits relativ lange in Deutschland sind, haben einen sicheren Auf-enthaltsstatus, andere nicht. Menschen, die in den letzten Jahren aus den Westbalkanstaaten hergekommen sind, befinden sich dagegen hier teils noch im Asylverfahren, teils sind sie illegalisiert bzw. von Abschiebung bedroht.

Die letzte Gruppe von in Deutschland lebenden Rom*nja bzw.

Sin-ti*ze sind EU-Bürger*innen mit unterschiedlicher

(EU-)Staatsbür-gerschaft, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen. Als

EU-Bürger haben sie einen guten rechtlichen Status, in

ökonomi-scher Hinsicht ist ihre Situation dagegen oft sehr schlecht. Ihre

Dis-kriminierungserfahrungen unterscheiden sich von denen deutscher

Sinti*ze, weil sie zum Teil von anderen öffentlichen Debatten geprägt

werden.“ (Balog 2017; vgl. Randjelović, 2015).

Abseits dieser unterschiedlichen Le-bensumstände teilen die jugendlichen Rom*nja und Sinti*ze aber auch Ge-meinsamkeiten. Dies ist zum einen die historische Erfahrung von Vertreibung und Genozid – wenn auch in unter-schiedlicher Intensität, in unterschied-lichen Formen und gesellschaftunterschied-lichen Rahmenbedingungen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Auseinanderset-zung mit rassistischer AusgrenAuseinanderset-zung in der Gegenwart. Eine Identität als Rom*-ni beziehungsweise Sinto*iza muss auch heute noch gegen Widerstände aufge-baut werden.

Viele Jugendliche haben zudem Migra-tionsgeschichte und teilen die zermür-benden Erfahrungen mit strukturellem und institutionellem →Rassismus in Deutschland. Daher war der Erfah-rungsaustausch im Projekt zentral, um von- und miteinander zu lernen und gemeinsam Strategien gegen Rassismus zu entwickeln.

Einen kleinen Eindruck über die Viel-fältigkeit junger Rom*nja und Sinti*ze findet ihr im zweiten Teil dieses Hand-buchs: Dort stellen sich einige Jugend-liche, welche bei uns im Projekt mitge-wirkt haben, in kurzen Porträts vor.

Wenn es um →Sensibilisierungsarbeit ging, richteten wir uns auch an Jugend-liche, die weder Rom*nja noch Sinti*ze sind. Auch hier gibt es unterschiedliche Erfahrungen mit Rassismus, was in der politischen Bildungsarbeit oft vergessen wird. Nicht selten wird das „wir“, wel-ches durch rassismuskritische Bildungs-arbeit angesprochen wird, als →weiß und ohne Migrationsgeschichte gedacht.

Dies stellt vielfältige Ausschlüsse her.

Denn in den Klassenzimmern, Jugend-clubs und Vereinen sind auch → Schwar-ze Jugendliche, Jugendliche →of Color, junge →Jüdinnen*Juden sowie Rom*nja und Sinti*ze anwesend. Einige haben Migrationserfahrung, andere nicht. Die einen haben einen deutschen Pass, die anderen wiederum nicht.

Neben Rassismus erfahren Jugendliche natürlich auch andere gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse, wie → Sexis-mus, Homo- und → Trans*feindlich-keit,→Antisemitismus, →Klassismus und→Behindertenfeindlichkeit. Diese Aspekte sind oft miteinander verwoben und können sich so in mehrdimensio-naler Diskriminierung auf das Leben der Jugendlichen auswirken.

Zu unserem methodischen

Im Dokument Dikhen amen! Seht uns! (Seite 28-31)