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4.9 Die Wohnsituation älterer Menschen

4.9.6 Die Wohnmobilität älterer Menschen

Obwohl etwa zwei Drittel der älteren Menschen objektiv nur in einer Wohnsituation mit mäßiger Qualität leben, äußern sie doch in der großen Mehrzahl eine hohe Wohnzufriedenheit, selbst wenn einige Mängel der derzeitigen Situation erkannt und auch kritisiert werden. Insgesamt beurteilen ältere Menschen ihre Umwelt meist besser als jüngere Bewohner, was beispielsweise die Infrastruktur oder die Verkehrsverbindungen, aber auch die Ausstattung mit Einrichtungen der Altenhilfe betrifft. Die mit dem Alter zunehmende Wohnzufriedenheit ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass ältere Menschen oft schon einige Jahre in ihrer Wohnung leben und sich mit den Mängeln der Wohnsituation arrangiert haben.312

Entsprechend dieser mit der Wohndauer noch ansteigenden hohen Zufriedenheit mit der derzeitigen Wohnung haben auch nur wenige ältere Menschen den Wunsch, woanders zu leben. Dabei stellt sich die Frage, ob der Bleibewunsch aus der Zufriedenheit resultiert oder umgekehrt, denn allgemein sinkt die Mobili-tätsbereitschaft älterer Menschen mit zunehmendem Lebensalter immer weiter ab zugunsten eines zwar nur selten altengerechten, dafür aber vertrauten Umfeldes.313 Das trifft auch auf die bei dieser Untersuchung befragten Senioren zu: 92,3 % (BS 91,6 %;

PE 93,2 %) der antwortenden Seniorenkreisbesucher würden nicht für eine seniorenfreundliche Wohnung aus ihrem derzeitigen Stadtteil wegziehen, wobei dieser Anteil immer weiter ansteigt (Tab. 4.5). Es sind also eher die jüngeren unter den Alten, die umzugswillig sind.314 Eine Ursache für die geringe Umzugs-willigkeit der älteren Menschen ist sicherlich die Tatsache, dass in jüngeren Jahren Ausbildung und Beruf eine höhere Mobilitätsbereitschaft erfordern, der dann in der zweiten Lebenshälfte eine größere Sesshaftigkeit folgt. Bei den älteren Senioren mag noch hinzukommen, dass sie oft in mehr oder weniger jungen Jahren durch den Krieg Besitz, Wohnung und auch Heimat verloren haben und nun ein ausgeprägtes Sicherungs- und Sesshaftigkeitsbestreben an den Tag legen.315

Wird dennoch ein Wohnungswechsel im höheren Erwachsenenalter unternommen, so findet dieser aufgrund einer besonders ausgeprägten Distanzempfindlichkeit der Senioren meist inner-halb der bereits vertrauten Wohnumgebung statt.316 Dies ist vor allem auf die bei älteren Men-schen meist sehr ausgeprägte lokale Identifikation mit ihrer Wohnung und deren Umfeld zurück-zuführen. Der Grad der Identifikation mit dem Wohnstandort hängt dabei u. a. mit der Wohndauer, der Ortsgebürtigkeit, der sozialen und emotionalen Bindung an den Ort oder den Stadtteil, der Bewertung dessen und Freizeitwertes, aber auch mit eventuellem Wohn-eigentum, durch das die Wohnverhältnisse vor allem in ländlichen Gebieten geprägt sind, zu-sammen.317 Die Wohndauer stellt unter diesen Faktoren offenbar eine messbare Größe dar, die jedoch die emotionale Bindung und die soziale Integration eines Bewohners ausdrückt und auch

312 vgl. BMFSFJ 1998, S. 167, Übersicht VII/5; KARL 1995, S. 96; KOCH 1976, S. 89f.; WENZEL 1977, S. 219, Fußnoten 1 u. 2; FUHRICH 1989b, S. 170; MAYER u. a. 1996, S. 261, Tab. 4

313 vgl. BUCHER u. a. 1988, S. 7;FRIEDRICH 1993, S. 14; Stadt BS 1971, S. 40; DIECK 1979, S. 67; LBS 1996, S. 38;

Stat. Bundesamt 1992, S. 58f.

314 Zu diesem Ergebnis kamen auch DIECK (1988, S. 77) und KLUCZKA u. a. (1981, S. 52); vgl. auch BMFSFJ 1998, S. 198.

315 vgl. HEUWINKEL u. a. 1993, S. 116; HERLYN 1990, S. 23

316 vgl. FRIEDRICH 1995, S. 252; FRIEDRICH 1993, S. 10; NIPPER 1978, S. 308; SAUP 1993, S. 85; LBS 1990, S. 105

317 vgl. BRAUN 1988, S. 93; HENKEL 1995, S. 69; SCHMIED 1987, S. 134; DEENEN 1997, S. 9; FRIEDRICH 1993, S. 18

Die Bindung an die Wohnung und das als vertraut empfundenen Wohnumfeld kann auch mit Hilfe von mental maps (siehe 2.4) festgestellt werden (vgl. FRIEDRICH 1993, S. 18).

Ja Nein

die Vertrautheit mit den Gegebenheiten des Umfeldes und darauf beruhende Gewohnheiten widerspiegelt (sie sagt allerdings nur selten etwas über die objektive Qualität der Wohnung oder deren Umfeld aus). Durchschnittlich blicken ältere Menschen auf eine längere Wohndauer im Quartier zurück als andere Altersgruppen (was schon aufgrund des höheren Lebensalters nicht weiter verwunderlich ist). Bei verschiedenen Untersuchungen wurde festgestellt, dass der Groß-teil der älteren Menschen auf eine Wohndauer von mehr als 20 oder sogar 30 Jahren in der jetzi-gen Wohnung zurückblicken kann, wobei die Anteile langer Wohndauer in großstädtischen Ge-bieten niedriger sind.318

Auch die in Braunschweig und Peine befragten Besucher von Seniorenkreisen wohnen oft schon sehr lange in ihrer derzeitigen Wohnung: 69,2 % von ihnen tun dies bereits länger als 20 Jahre, darunter 50,5 %, die mehr als 30 Jahre in ihrer Wohnung leben;319 dies ist bei den Peiner Senioren mit 59,5 % weitaus öfter der Fall als bei den Braunschweigern (43,5 %). Ein nicht zu vernachlässigender Anteil von 5,5 % der Senioren ist in seinem Leben sogar nie umgezogen und wohnt seit der Geburt in der selben Wohnung. Dies trifft indes nur auf 2,1 % der Braunschweiger gegenüber 9,7 % der Peiner zu. Insgesamt ist festzustellen, dass die Peiner Probanden zu einem größeren Anteil in frühen Lebensjahren in ihre derzeitige Wohnung eingezogen sind als die Braunschweiger; in Peine sind es außerdem im Gegensatz zu Braunschweig deutlich häufiger Männer, die seit der Geburt nicht umgezogen sind). Ein Grund hierfür mag die höhere Eigen-tumsrate auf dem Land sein, die eine längere Wohndauer im gleichen Haus begünstigt.320 Der überwiegende Teil der Senioren hat jedoch in der Lebensmitte die Wohnung bezogen, in der sie nun auch ihren Ruhestand verbringen (siehe 4.9.2): 36,5 % sind im Alter zwischen 20 und 40 Jah-ren, 39,0 % im Alter zwischen 40 und 64 Jahren dort eingezogen.321 Es ist unter Berücksichti-gung des Familienstandes zu erkennen, dass vor allem die Verheiraten im Alter zwischen 20 und 40 Jahren ihre Wohnung bezogen haben.

In Abb. 4.12 ist dargestellt, da die Kurven der vor 1922 Geborenen nicht den bei den anderen beiden recht ausge-prägten Anstieg in der Fami-liengründungsphase im zweiten und dritten Lebensjahrzehnt aufweisen. Diese Phase lag bei den betagten und hochbetagten Senioren etwa während des Zweiten Weltkrieges, und es ist zu ver-muten, dass sie aufgrund dessen ihre gerade erst bezogenen Wohnungen verloren haben und sich

318 vgl. Handbuch der örtlichen Sozialplanung, S. 706; BMRBS 1995, S. 28; DIECK 1988, S. 77; SAUP 1993, S. 85;

Stat. Bundesamt 1992, S. 58; LBS 1990, S. 37 und S. 58; DZA 1991, S. 8

319 Die Angaben der befragten Seniorenkreisbesucher zur Wohndauer entsprechen in ihren Häufigkeiten in etwa den Werten aus dem letzten Landesaltenplan für Niedersachsen (Nds. Sozialministerium 1985, S. 37), mit einer geringen Tendenz zu längeren Wohnzeiten.

320 vgl. TEWS 1987, S. 447

321 Etwas Entsprechendes stellten auch HEUWINKEL u. a. (1993, S. 116) fest.

0%

00-10 11-20 21-30 31-40 41-50 51-60 61-70 71-80 81-90 91-95 Jahr des Einzugs in die Wohnung 19...

unter 65 Jahre (nach 1931 Geb.) 65-74 Jahre (1922-1931 Geb.) 75-79 Jahre (1917-1921 Geb.) über 79 Jahre (vor 1917 Geb.)

Abb. 4.12: Das Jahr des Einzugs nach Alter

nach dem Krieg eine neue Bleibe suchen mussten, während das Umzugsverhalten der jüngeren Senioren davon nicht beeinflusst wurde.

Ferner ist zu erkennen, dass auch zu Beginn des Ruhestands einige der Probanden in eine neue Wohnung, z. B. in der Nähe ihrer Kinder (siehe 4.9.4),322 eingezogen sind (12,9 % zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr). Das spiegelt auch die Tatsache wider, dass für 8,8 % der jungen Alten der letzte Umzug höchstens fünf Jahre zurückliegt, während dies insgesamt nur bei 6,4 % der Probanden der Fall ist. Am geringsten ist hier der Anteil bei den 65- bis 74-jährigen Probanden, die zu 54,6 % seit mehr als 30 Jahren nicht umgezogen sind. Bei den Betagten und Hochbetagten sinkt dieser Anteil wieder, da ein Teil (7,3 %) von ihnen nach dem 75. Lebensjahr die Wohnung gewechselt hat (die 90-Jährigen und Älteren sind sogar zu 17,1 % noch nach dem 80. Geburtstag umgezogen). Sicherlich spielen bei Wohnungswechseln in diesem Alter gesundheitliche Gründe und damit einhergehende Probleme mit der Lebensführung in der alten Wohnung eine Rolle (Umzug ins Heim oder eine seniorengerechte Wohnung).323 Dafür spricht auch, dass Probanden mit Schwierigkeiten beim Gehen häufiger Umzugsbereitschaft äußern als diejenigen ohne Prob-leme.

Generell ist die Verwurzelung im angestammten Wohnquartier allerdings sehr hoch. Ein Grund für die geringe Bereitschaft der befragten Senioren, aus ihrer derzeitigen Wohnung auszu-ziehen, könnte die Tatsache sein, dass ein Teil von ihnen bereits in eine seniorengerechtere Woh-nung umgezogen ist.324 Indes ist die Umzugsbereitschaft derjenigen Senioren, die in ihrem Leben noch nie oder zuletzt in ihrer Jugend umgezogen sind, besonders gering. Überdurchschnittlich groß ist diese Bereitschaft hingegen bei den Senioren, die vor oder in den ersten Jahren nach Be-ginn des Ruhestandes zuletzt ihren Wohnort gewechselt haben, die sich also der Notwendigkeit der Anpassung an eine veränderte Lebenssituation bewusst zu sein scheinen. Bezogen auf die Wohndauer sind somit die Senioren, die zwischen 5 und 20 Jahren in ihrer jetzigen Wohnung leben, am ehesten zu einem Umzug bereit. Jedoch wird auch für die Probanden mit mehr als 70 Wohnjahren ein Umzug vorstellbarer.

Die insgesamt hohe Kontinuität des Wohnens bei älteren Menschen begünstigt die Aufrecht-erhaltung regelmäßiger Beziehungen zu Freunden, Nachbarn und Verwandten, denn: „Kein so-ziales System kann existieren ohne räumlichen Bezug.“325 So können sich Nachbarschaftsnetze (und damit auch Nachbarschaftshilfen) besser in Wohnquartieren entwickeln, denen sich die Be-wohner positiv verbunden fühlen. Umgekehrt spielen bei der raumbezogenen Bindung und der lokalen Identifikation mit dem Wohnort wiederum die Kontakte zu anderen Menschen eine große Rolle, materieller Besitz und Eigentum stehen erst an zweiter Stelle.326 Auch bei den befragten Senioren ist dieser Zusammenhang mit Sozialkontakten festzustellen, da diejenigen unter ihnen, deren Verwandte am selben Ort wohnen oder die gute Nachbarschaftsbeziehungen angeben, sel-tener einen Umzug aus dem derzeitigen Wohnquartier in Betracht ziehen. (Dies trifft insbeson-dere auf die Probanden aus Peine zu, was sicherlich auf den hohen Anteil ländlicher Wohnge-biete zurückzuführen ist.)327 Die Auswirkungen des Vorhandenseins von anderen Menschen, bei denen man gerne bleiben möchte, auf die Umzugsbereitschaft ist auch anhand des Familienstan-des der Befragten zu erkennen. Ledige (13,3 %) und vor allem geschiedene (17,5 %) Senioren

322 vgl. HEUWINKEL u. a. 1993, S. 116

323 vgl. DZA 1991, S. 8; HEUWINKEL u. a. 1993, S. 116; FRIEDRICH 1993, S. 16; LBS 1990, S. 105

324 vgl. LBS 1996, S. 38

325 HENKEL 1995, S. 68

326 vgl. SCHUBERT 1994, S. 235; REUBER 1993, S. 92; DEENEN 1997, S. 10

327 Dass die Mobilitätsbereitschaft mit dem Verstädterungsgrad der Region zu- und die Ortsbindung abnimmt, wurde auch bei anderen Untersuchungen festgestellt (vgl. SCHUBERT 1994, S. 235; LBS 1996, S. 39; BLUME 1968, S. 64 (nach KOCH 1976, S. 90)).

sind zu einem Umzug deutlich bereiter als verheiratete oder verwitwete.328 Gleichermaßen senkt die Existenz einer Person, die den Probanden gegebenenfalls zu einem weiter entfernten Ziel fah-ren würde, die Umzugsbereitschaft. Hierbei ist sicherlich zum einem von Bedeutung, dass zu ei-ner solchen Person ja Kontakte bestehen müssen, sich also der Einfluss der Sozialkontakte bemerkbar macht, zum anderen ermöglicht diese Hilfestellung eher den Verbleib in der ange-stammten Wohnung.

Weiterhin ergaben sich Unterschiede in der Wohnmobilität bei den verschiedenen Berufsgrup-pen, denen die Senioren vor ihren Ruhestand angehörten. Analog zu anderen Untersuchungs-ergebnissen erwiesen sich (gut ausgebildete) Angestellte und besonders Beamte als weniger orts-gebunden als Arbeiter, Hausfrauen bzw. -männer und Selbstständige.329

Das Festhalten der älteren Menschen an ihrer angestammten Wohnung ist nicht nur auf ein Bemühen zur Wahrung des Status quo zurückzuführen. Oft erspart ihnen dieses Kontinuitäts-bestreben überdies die mit dem Verlust der Autonomie gleichgesetzte Übersiedlung in ein Alten-heim.330 Das als vertraut empfundene Wohnumfeld vermittelt zudem Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit und repräsentiert Teile der eigenen Biographie und Identität. So bestimmt die Reichweite der räumlichen Identifikation auch die Grenzen, innerhalb derer sich ein gewollter oder notwendiger Umzug vollziehen kann, ohne dass erkennbare Trauerreaktionen die Folge sind.331 Da die vertraute Wohnsituation für das psychische Wohlbefinden älterer Menschen also sehr viel bedeutet, ist es auch als sinnvoll anzusehen, wenn sich nötige Wohnungswechsel mög-lichst innerhalb des angestammten Wohnquartiers vollziehen können, um die Senioren nicht zu entwurzeln, zumal die Identifikation mit dem Wohnquartier eine entscheidende Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen Leben im Quartier darstellt.332 In der Bundesrepublik unter-stützt der Rechtsanspruch des sozialen Netzes (u. a. Wohngeld, Mieterschutz, Sozialbindung, Be-reitstellung wohnungsnaher Infrastruktur) jedem älteren Menschen, den Status quo seines Wohn-umfeldes zu sichern.333

Die auf der einen Seite positive Verwurzelung der älteren Menschen mit ihren Wohnquartier bringt auf der anderen Seite jedoch auch Probleme mit sich. Dies sind zum einen die Schwierig-keiten, die sich aus zunehmenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der möglicherweise weder seniorengerechten noch zeitgemäßen Ausstattung des angestammten Wohnumfeldes erge-ben (siehe 4.9.5).334 Zum anderen sind auch die baulichen und sozialen Veränderungen, denen das Wohnquartier im Laufe der Zeit unterworfen ist, problematisch. Bauliche Veränderungen ei-nes Wohnquartiers, etwa im Zuge von Stadtsanierungsmaßnahmen, können ein Wohnquartier gänzlich umgestalten und ziehen meist auch soziale Veränderungen der Bewohnerschaft nach sich, wenn die Nachbarn wechseln. Solche Veränderungen führen oft zur Verunsicherung und Entfremdung der Senioren in ihrem früher vertrauten Umfeld und erfordern Anpassungsleistun-gen, die von älteren Menschen nicht so leicht erbracht werden können wie von jüngeren. Rück-zug und Isolation gehören unter Umständen zu den Reaktionen der Senioren. Manchmal bedeu-ten umgreifende Veränderungen im Wohnumfeld sogar, dass ein längeres Verbleiben für ältere

328 DIECK (1988, S. 77) kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Alleinlebende eher umziehen.

329 vgl. SCHMIED 1987, S. 136; FRANZ u. a. 1982, S. 191f.

330 Der Umzug in ein Altenheim wird von dem überwiegenden Teil der Senioren abgelehnt, nur ein geringer Prozentsatz hat sich mit dieser Frage überhaupt auseinandergesetzt. Dem negativen Image dieser Einrichtungen wird dabei durch die Bezeichnung „Heim“, der ein negativer Beigeschmack von „Endstation“ anhaftet, Vorschub geleistet (vgl. WIRSING 1993, S. 155; DEENEN 1997, S. 11).

331 vgl. FRIEDRICH 1995, S. 253; FRIEDRICH 1993, S. 17f. und S. 20f.; MAGS NRW 1989, S. 49

332 vgl. HERLYN 1990, S. 24; SAUP 1993, S. 85; Stat. Bundesamt 1992, S. 59

333 vgl. FRIEDRICH 1993, S. 23

334 vgl. DIECK 1991, S. 647; BMRBS 1987b, S. 18; BUCHER u. a. 1988, S. 7

Bewohner nicht mehr möglich ist und sie entgegen ihrem eigentlichen Wunsch in eine andere Umgebung umsiedeln müssen, was ebenfalls Probleme mit sich bringt.335

Senioren, die freiwillig, etwa nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben, umziehen, können sich ihr neues Wohnquartier bewusst aussuchen. Neben der Verkürzung der Distanz zu ihren Kindern sind hier oft die infrastrukturelle Ausstattung des Zielortes Entscheidungsgrundlage.

Wichtig sind dabei medizinische Versorgungseinrichtungen, seniorenspezifische Einrichtungen wie z. B. Einrichtungen der Altenhilfe (vor allem für ältere Senioren) und auch Freizeiteinrich-tungen (von jüngeren Senioren bevorzugt). Innerstädtische Stadtteile bieten sich hier an, da dort neben einer guten Infrastrukturausstattung „noch was los ist“, was ältere (einkommensstärkere) Menschen dazu bringen könnte, aus dem „Grünen“ wieder in die Stadt zurückzukehren.336

Wie sich die Umzugsmobilität älterer Menschen in Zukunft entwickeln wird, ist von mehreren Randbedingungen abhängig. Bleibt es bei der heute noch vorherrschenden starken Sesshaftigkeit älterer Menschen, so ist die (auf Senioren ausgerichtete) Ausstattung vieler Wohngebiete, etwa der Eigenheimsiedlungen am Stadtrand, bei deren Planung oft von einer hohen Mobilität der Bewohner, z. B. durch den Besitz eines Pkw, ausgegangen wurde, nicht ausreichend. Ob somit ein Wohnungswechsel für zukünftige Senioren notwendig sein wird, hängt davon ab, wie weit die sozialen Netzwerke (ambulanter Dienste, außerfamiliäre Netze) künftig ausgebaut und wei-terentwickelt werden. Viele Wissenschaftler gehen jedoch davon aus, dass die Bereitschaft der künftigen Senioren, ihren Wohnstandort im Alter zu verändern, ansteigt. Als Grund hierfür wird gesehen, dass die jüngeren Genrationen durch mehrmalige Umzüge und häufigere Reisen schon eher an Mobilität „gewöhnt“ sind und sich territoriale Bindungen infolge eines Wertewandels (Auflösung des Symbolcharakters von Raum) verringern.337

335 vgl. BMRBS 1995, S. 29; HEIL 1988, S. 6f.; KARL 1995, S. 97; WISCHER u. a. 1988, S. 60 u. S. 67; WISCHER u. a.

1989, S. 281 u. S. 286; FUHRICH 1994, S. 202

Darum sollte bei Stadterneuerungsmaßnahmen mit älteren Menschen sensibel umgegangen werden und der in §1 Abs. 5 Satz 2 BauGB durch die Formulierung „Vermeidung einseitiger Bevölkerungsstrukturen“ ausgedrückte Anspruch der sozialen Vielfalt nicht als Argument zur Reduzierung der Zahl älterer Menschen in Gebieten mit hohen Anteilen älterer Menschen missverstanden werden, was in der Vergangenheit ebenso oft Anlass zur Sanierung eine Wohnquartiers gab wie schlechte Sanitärausstattungen (vgl. BMRBS 1995, S. 45ff.). Ein behutsamer Umgang mit den von Sanierungsmaßnahmen Betroffenen wird auch in § 180 BauGB (Sozialplan) verfügt.

336 vgl. JANICH 1991, S. 145; FUHRICH 1994, S. 202

337 vgl. WALTHER 1991b, S. 153; FRIEDRICH 1993, S. 22; BMFSFJ 1998, S. 198; LBS 1996, S. 38; LBS 1994, S. 49

5 Ältere Menschen im Straßenverkehr

Ohne die Teilnehme am Verkehr ist die Ausübung von Mobilität, also die Bewegung zwischen verschiedenen Standorten, nicht möglich (siehe 1.3). MATHEY bezeichnet den Verkehr und die Verkehrsteilnahme als „soziale und sozialisationsfördernde Phänomene“ und sieht in einer Ver-besserung der Möglichkeiten zur Verkehrsteilnahme „zugleich auch eine Chance zur Verbesse-rung und Aufrechterhaltung sozialer Kontakte und sozialer Mobilität“.338 Sowohl für die Erledi-gung von Alltagsaufgaben, wie der Gang zu Behörden oder das Einkaufen, als auch für Freizeitaktivitäten bildet die Teilnahme am Verkehr als Fußgänger oder Autofahrer, aber auch als Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel eine wichtige Voraussetzung für eine aktive Gestaltung des Lebens. Hieraus resultiert, auch unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit, eine große Be-deutung der Verkehrsinfrastruktur, zu der Straßen, Fuß- und Radwege sowie die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel gehören, für die Mobilität im Alter.339 Dabei ist die Qualität der Ver-kehrsinfrastruktur für weniger mobile Gruppen, also auch für viele ältere Menschen, bestimmend für ihren Aktionsradius: Durch gute Verkehrsverbindungen werden außerhäusliche Aktivitäten wie der Besuch von Verwandten und Freunden, von Theater, Kino und der Innenstadt begünstigt.

Ist man hingegen aufgrund des Fehlens einer angemessenen Verkehrsanbindung auf andere an-gewiesen, so empfindet man diese Abhängigkeit entsprechend negativ und schränkt die Aktivi-täten außer Haus eher ein. Insbesondere das Auto wird immer wichtiger für die Aufrechterhal-tung eines selbstständigen Lebens (siehe 5.5.1). ASAM u. a. beschreiben diesen Sachverhalt in den Kurzformeln „Ohne Auto keine selbstständige Zukunft!“ und „Ohne Auto ist man einsam!“.

Doch geht neben allen positiven Effekten mit der Teilnahme am Straßenverkehr auch das Risiko einher, an einem Unfall beteiligt zu sein (siehe 5.7). Diese Gefährdung stellt sich (ebenso wie die Möglichkeiten der Verkehrsteilnahme überhaupt) insbesondere im ländlichen Raum problema-tisch dar.340

5.1 Beeinträchtigungen der Mobilität

Die Mobilität einer Person wird von unterschiedlichen äußeren Faktoren beeinflusst. Zum einen sind dies die Verfügbarkeit, Benutzbarkeit und Bezahlbarkeit der verschiedenen Verkehrsmittel, die an Wohn- und Zielort vorhandene Verkehrsinfrastruktur, deren für alle Bevölkerungsgruppen benutzerfreundliche und verkehrssichere Gestaltung sowie die Barrierefreiheit von Wohnumfeld und Verkehrsraum (siehe 6.4.2); hierbei handelt es sich um Umstände, die durch bauliche, tech-nische oder organisatorische Umgestaltungen verbessert werden können. Zum anderen wird die Mobilität in viel größerem Maße durch psychische Barrieren beeinträchtigt, die auf „mangelnde zwischenmenschliche Beziehungen und auf ein Defizit an gegenseitiger Rücksichtnahme im Ver-kehr als sozialem Handlungsfeld“ zurückzuführen sind. Dazu gehören beispielsweise die zu-nehmende Technisierung, mit deren Hilfe Mobilität in modernen Gesellschaften überhaupt erst möglich werden, die jedoch durch die mit ihr einhergehende Entpersonalisierung von der Benut-zung beispielsweise öffentlicher Verkehrsmittel abschrecken kann. Auch Ängste können dazu führen, dass die Teilnahme am Straßenverkehr zu bestimmten Tageszeiten oder an bestimmten Orten vermieden wird (siehe 4.7). Ein weiterer Faktor, der Einfluss auf die Mobilität nimmt, ist die individuelle körperliche Verfassung der Person sowie deren kognitive Fähigkeiten, aber auch ihre subjektive und mentale Befindlichkeit (siehe 4.3.1 und 4.3.2).341

338 MATHEY 1991, S. 606

339 vgl. MOLLENKOPF u. a. 1996, S. 3f.; Deutscher Bundestag 1994, S. 350 u. S. 476; KUTTER 1993, S. 288

340 vgl. DITTRICH 1972, S. 179ff. (nach DIECK 1979, S. 70); ASAM u. a. 1990, S. 103f.; IES 1994, S. 129

Hier geben ASAM u. a. noch zu bedenken, dass zur Vorbeugung von Einsamkeit sich die Altenhilfe beispielsweise nicht nur mit Altentagesstätten befassen darf, sondern auch an Mobilitätshilfen denken muss.

341 vgl. WZB 1996, S. 36; MOLLENKOPF u. a. 1996, S. 3f., S. 44 u. S. 48

Ebenfalls deutlich ist die Beeinflussung der Mobilität durch Jahreszeit und Witterung. Die Emp-findlichkeit gegenüber den Witterungsverhältnissen wird mit zunehmendem Alter immer größer.

Dabei wirken sich die Witterungsverhältnisse nicht nur auf das Wohlbefinden aus (z. B. frieren), sondern haben auch eine nachteilige Wirkung auf die Straßenverhältnisse und die Wahrnehmung der Verkehrssituation durch die Person (z. B. schlechte Sicht) so dass Regen sowie Eis und Schnee, aber auch Dunkelheit dazu führen können, dass die Wohnung nicht verlassen wird, auch um Unfällen vorzubeugen.342