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4.9 Die Wohnsituation älterer Menschen

4.9.4 Die räumliche Nähe zu Verwandten

Angesichts des Stellenwertes, den Selbstbestimmung und eine unabhängige Lebensweise heut-zutage haben, und der Tatsache, dass die älteren Menschen von heute zum einen gesünder und zum anderen weniger auf die materielle Hilfe von Familienangehörigen angewiesen sind, ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch Senioren, die Kinder haben, es vorziehen, so lange wie möglich einen eigenen Haushalt zu führen. Dieses Streben nach Unabhängigkeit und Selbststän-digkeit sollte jedoch nicht als Symptom einer Ausgliederung aus der Familie fehlinterpretiert

299 vgl. KDA 1988, S. 1 (nach JÜRGENS 1993, S. 33); LEHR 1996b, S. 71; WIRSING 1993, S. 154; Stat. Bundesamt 1992, S. 33; BMFSFJ 1998, S. 197

300 vgl. DIECK 1991, S. 649; WIRSING 1993, S. 153; TOKARSKI 1991, S. 162; BMFSFJ 1996b, S. 125; BAUER -SÖLLNER 1994, S. 101

Die Volkszählung von 1987 hat ergeben, dass die durchschnittliche Größe aller Privathaushalte im Landkreis Peine mit 2,5 ohnehin größer als in der Stadt Braunschweig (2,0) war. Während in Braunschweig 44,3 % aller Haushalte Einpersonenhaushalte waren, betrug dieser Prozentsatz in Peine lediglich 26,3 %; hierunter sind mit gut zwei Dritteln Frauen jedoch deutlich häufiger vertreten als in Braunschweig (58,5%) (vgl. Nds.

Landesverwaltungsamt Statistik 1989, S. 18f. u. S. 50f.)

301 vgl. BMFSFJ 1997a, S. 65; BMFSFJ 1996a, S. 5ff. u. S. 194ff.; BfLR 1996, S. 6; DIECK 1991, S. 650; Tab. 4.4: Der Anteil der Alleinlebenden an der

gleichaltrigen Bevölkerung (1995) (Quelle: BMFSFJ 1998, S. 77, Übersicht III/32 und eigene Berechnung)

werden, da das Alleinleben der älteren Menschen nicht mit deren Isolation von den Angehörigen gleichgesetzt werden kann. So ist es den meisten älteren Menschen trotz des Wunsches nach ge-trennten Wohnungen sehr wichtig, dass ihre Angehörigen in erreichbarer Nähe wohnen. Dies ist nicht nur unter dem Aspekt der Pflege der Sozialkontakte und der Gelegenheit zu gemeinsamen Unternehmungen von Bedeutung, sondern auch in Hinblick auf die Möglichkeit, im Bedarfsfall auf die Unterstützung der Familienangehörigen zurückgreifen zu können (siehe 4.5.1).302

Dies wird auch durch die Betrachtung der Entfernungen zu den Verwandten der Senioren deutlich. Gut 60 % aller befragten Senioren gab an, dass Verwandte von ihnen am gleichen Ort wohnen; dieses ist bei den Peiner Senioren mit 64,0 % öfter der Fall als bei den Braunschweigern (57,2 %). Darüber hinaus beinhaltet das Wohnen der Verwandten „am gleichen Ort“ im dörflich geprägten Landkreis Peine eine größere räumliche Nähe (bei mehr als der Hälfte dieser Senioren eine Entfernung von bis zu einem Kilometer bzw. 10 Minuten Wegezeit) als im urbanen Braun-schweig (3 km Entfernung bzw. 20 Minuten Wegezeit); zudem leben 19,1 % der Peiner Senioren mit Verwandten im selben Haus oder unmittelbarer Nachbarschaft gegenüber nur 7,9 % der Braunschweiger.303 Wie nicht anders zu erwarten, hat auch der Familienstand Auswirkungen auf die Nähe der Verwandten: So wohnen bei rund zwei Dritteln der verheirateten und der verwitwe-ten Seniorenkreisbesucher Verwandte am Ort, bei Geschiedenen kam dies etwa genauso oft vor wie der andere Fall, die Mehrzahl der Ledigen hat hingegen keine Verwandten am Ort wohnen.

Auch wenn der Großteil der älteren Menschen in erreichbarer Nähe zu Verwandten wohnt, gibt es doch eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Senioren, die zu weit von ihren Ange-hörigen entfernt leben, um bei Hilfebedürftigkeit von diesen Unterstützung zu erhalten (siehe 4.5.1). Auch Nachbarschaften sind nicht immer in der Lage, diesen Mangel zu kompensieren.

Dies ist für viele ältere Menschen, die sich in dieser Situation auch oft einsam fühlen, ein Grund, um in ein Heim zu ziehen.304 Um das Selbsthilfepotenzial zwischen den Generationen trotz der heute vielfach großen berufsbedingten räumlichen Flexibilität der Kinder möglichst gut auszu-schöpfen, ist es seit längerem das erklärte Ziel der Bundesregierung, die Voraussetzungen für ein

„Wohnen um die Ecke“ im selben Wohnquartier zu schaffen.305 4.9.5 Die Lage und die Ausstattung des Wohnstandortes

Für das alltägliche Leben der Senioren ist außer der Nähe der Wohnung zum Wohnort ihrer Ver-wandten die Lage der Wohnung innerhalb des Hauses, des Wohnquartiers und des gesamten Siedlungsgefüges sowie die Ausstattung dieser einzelnen Ebenen des Wohnumfeldes von Be-deutung. Entsprechend wird die Attraktivität einer Wohnung bzw. eines Wohnstandortes von den Eigenschaften der Wohnung selbst, ihres physischen und sozialen Umfeldes sowie ihrer Lage im Stadtgebiet bestimmt. Diese Eigenschaften werden mit zunehmenden Mobilitätseinschränkungen im Alter umso wichtiger, da schlechte Wohnbedingungen nur bedingt durch Reisen, Ausflüge oder Konsumsteigerung kompensiert werden können. In diesen Eigenschaften des Wohnumfeldes können große Unterschiede bestehen, wobei oft eine Auflistung der Dinge, die nicht ausführbar oder erreichbar sind, mehr Aufschluss auf die Qualität des Wohnstandortes gibt als die Kenntnis der realisierbaren Aktivitäten.306

302 vgl. BMFSFJ 1996a, S. 194; KRUSE 1991, S. 542; LBS 1996, S. 43; Stat. Bundesamt 1992, S. 36; LEHR u. a.

1976 (nach TOKARSKI 1991, S. 165); KRÜGER 1982b, S. 109f.; SCHULERI-HARTJE 1992, S. 41; FRIEDRICH 1995, S. 253; WIRSING 1993, S. 153

303 Dieses Bild entspricht auch den Ergebnissen von KRÜGER (1982b, S. 110), DEENEN (1997, S. 10) und BMFSFJ (1998, S. 81, Übersicht III/36). Auf die Entfernungen zu Verwandten wird in 8.4.1 noch einmal eingegangen.

304 vgl. TOKARSKI 1991, S. 165

305 vgl. HERLYN 1990, S. 24; BMFSFJ 1998, S. II

306 vgl. HEUWINKEL 1981, S. 64; DZA 1991, S. 16; SCHULERI-HARTJE 1992, S. 74; FUHRICH 1991, S. 185;

MOLLENKOPF u. a. 1996, S. 16; ADAM 1993, S. 13; Stadt Bielefeld 1989, S. 7; STIENS 1983, S. 249

Was die Lage der Wohnung innerhalb des Hauses betrifft, so wirken sich insbesondere die Anforderungen, die diese an die physische Leistungsfähigkeit des älteren Menschen stellt, auf die Lebensführung und die Ausübung von Mobilität aus (siehe 1.3). Zum Beispiel können Wohnun-gen in höheren Stockwerken, die nur über viele Treppen zu erreichen sind, die Kräfte eines älte-ren Menschen leicht überfordern. Solche belastenden Bedingungen, die bei geringfügigen kör-perlichen Einschränkungen zu Einbußen der Selbstständigkeit führen, herrschen oft in Altstadtgebieten, die unter dem Gesichtspunkt der Zentrumsnähe indes vorteilhafter sind, vor.

Ländliche Gebiete stellen hingegen im Allgemeinen nicht so große Anforderungen an die kör-perliche Leistungsfähigkeit der Bewohner.307

Auch die Umgebung des Hauses kann hohe Anforderungen an das physische Potenzial der Bewohner stellen. Ausschlaggebend ist hier die Lage der Wohnung zur erforderlichen Infra-struktur wie Verkehrsmitteln, Einkaufsmöglichkeiten, Geschäftsstellen von Post und Bank, Ärz-ten, sozialen und kommunalen Einrichtungen und nicht zuletzt auch zu Gelegenheiten für Frei-zeitaktivitäten, die alle zumindest mit Hilfe öffentlicher Verkehrsmittel erreichbar sein sollten.

Die Ausstattung mit solcher Infrastruktur ist daher ein wichtiger Indikator für die Qualität eines Wohnstandortes, da hierdurch die Teilhabe am öffentlichen Leben und die Pflege sozialer Kon-takte ermöglicht wird und Hilfen erreichbar gemacht werden. So muss die Lebenszufriedenheit bei einer ausreichenden Qualität des Wohnstandortes nicht unbedingt unter eventuellen Leis-tungseinbußen leiden.308 Aufgrund der guten Erreichbarkeit dieser wichtigen Infrastruktur ist ein innerstädtischer Wohnstandort häufig von Vorteil. Oft wird diese Wohnlage von Senioren auch deswegen begrüßt, weil dort „noch etwas los ist“ und Freizeitaktivitäten wie Theater-, Konzert-oder Kinobesuche, ein Einkaufsbummel in der „City“ Konzert-oder ein Besuch einer Parkanlage leichter zu verwirklichen sind. Ferner bieten innerstädtische Wohnlagen auch für weiterreichende Akti-vitäten wie z. B. Ausflüge einen guten Ausgangspunkt.309

Viele andere Wohnquartiere sind jedoch nicht so gut mit Infrastruktur ausgestattet, und es müssen weite Wege zu einigen, nur zentral in der Innenstadt offerierten Versorgungsangeboten in Kauf genommen werden. Diese Wohnstandorte, die von älteren Menschen eine zu große Dis-tanzüberwindung erfordern, liegen nicht nur im Umland der Städte mit lockerer Siedlungsstruk-tur, sondern können auch in stadtnahen Einfamilienhaussiedlungen zu finden sein, in denen wie in 4.9.2 beschrieben der Anteil älterer Menschen immer weiter ansteigt und sich neue Problem-lagen ergeben (siehe 6.3.2).310 Dennoch haben die nicht innerstädtischen Wohngebiete auch ihre Vorteile. Umweltprobleme wie Luftverunreinigungen, Lärm, Schmutz und Belastungen durch hohes Verkehrsaufkommen, über die in (Groß-)Städten oft geklagt wird, sind hier weniger aus-geprägt, woraus sich bessere Erholungsmöglichkeiten ergeben. Hierbei spielt zweifellos auch das Vorhandensein von mehr Grünflächen eine Rolle. Es bleibt festzuhalten, dass sich ein hoher Er-holungswert und eine genügende Ausstattung mit Infrastruktur nur schwer in ein und derselben Wohnlage verwirklichen lassen.311

307 vgl. GARMS-HOMOLOVÁ u. a. 1982, S. 150 (nach SCHULZE u. a. 1988, S. 21, Anm. 21); SCHULZE u. a. 1988, S. 16

308 vgl. WISCHER u. a. 1988, S. 61ff.; WISCHER u. a. 1989, S. 281f.; SCHULERI-HARTJE 1992, S. 74; SCHUBERT 1995, S. 848; STOLARZ u. a. 1993, S. 352

Im Wohnumfeld hilfe- und pflegebedürftiger Menschen in den alten Bundesländern haben 84 % den Hausarzt, 83 % Haltestellen der öffentlichen Nahverkehrs, 81 % Lebensmittelgeschäfte, 77 % Kirchen, 75 % Banken, 71 % Cafés oder Gaststätten, 70 % die Post, 43 % Parks und 39 % Seniorentreffs in ihrer Nähe (vgl. BMFSFJ 1996b, S. 157ff.).

309 vgl. FUHRICH 1994, S. 202; BMJFFG 1977, S. 111; BMRBS 1995, S. 29

310 vgl. HEUWINKEL u. a. 1993, S. 50; ROSENMAYR 1988, S. 34; BUCHER u. a. 1988, S. 10; STOLARZ u. a. 1993, S. 336f.

311 vgl. JANICH 1991, S. 139; DIECK 1979, S. 64

4.9.6 Die Wohnmobilität älterer Menschen

Obwohl etwa zwei Drittel der älteren Menschen objektiv nur in einer Wohnsituation mit mäßiger Qualität leben, äußern sie doch in der großen Mehrzahl eine hohe Wohnzufriedenheit, selbst wenn einige Mängel der derzeitigen Situation erkannt und auch kritisiert werden. Insgesamt beurteilen ältere Menschen ihre Umwelt meist besser als jüngere Bewohner, was beispielsweise die Infrastruktur oder die Verkehrsverbindungen, aber auch die Ausstattung mit Einrichtungen der Altenhilfe betrifft. Die mit dem Alter zunehmende Wohnzufriedenheit ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass ältere Menschen oft schon einige Jahre in ihrer Wohnung leben und sich mit den Mängeln der Wohnsituation arrangiert haben.312

Entsprechend dieser mit der Wohndauer noch ansteigenden hohen Zufriedenheit mit der derzeitigen Wohnung haben auch nur wenige ältere Menschen den Wunsch, woanders zu leben. Dabei stellt sich die Frage, ob der Bleibewunsch aus der Zufriedenheit resultiert oder umgekehrt, denn allgemein sinkt die Mobili-tätsbereitschaft älterer Menschen mit zunehmendem Lebensalter immer weiter ab zugunsten eines zwar nur selten altengerechten, dafür aber vertrauten Umfeldes.313 Das trifft auch auf die bei dieser Untersuchung befragten Senioren zu: 92,3 % (BS 91,6 %;

PE 93,2 %) der antwortenden Seniorenkreisbesucher würden nicht für eine seniorenfreundliche Wohnung aus ihrem derzeitigen Stadtteil wegziehen, wobei dieser Anteil immer weiter ansteigt (Tab. 4.5). Es sind also eher die jüngeren unter den Alten, die umzugswillig sind.314 Eine Ursache für die geringe Umzugs-willigkeit der älteren Menschen ist sicherlich die Tatsache, dass in jüngeren Jahren Ausbildung und Beruf eine höhere Mobilitätsbereitschaft erfordern, der dann in der zweiten Lebenshälfte eine größere Sesshaftigkeit folgt. Bei den älteren Senioren mag noch hinzukommen, dass sie oft in mehr oder weniger jungen Jahren durch den Krieg Besitz, Wohnung und auch Heimat verloren haben und nun ein ausgeprägtes Sicherungs- und Sesshaftigkeitsbestreben an den Tag legen.315

Wird dennoch ein Wohnungswechsel im höheren Erwachsenenalter unternommen, so findet dieser aufgrund einer besonders ausgeprägten Distanzempfindlichkeit der Senioren meist inner-halb der bereits vertrauten Wohnumgebung statt.316 Dies ist vor allem auf die bei älteren Men-schen meist sehr ausgeprägte lokale Identifikation mit ihrer Wohnung und deren Umfeld zurück-zuführen. Der Grad der Identifikation mit dem Wohnstandort hängt dabei u. a. mit der Wohndauer, der Ortsgebürtigkeit, der sozialen und emotionalen Bindung an den Ort oder den Stadtteil, der Bewertung dessen und Freizeitwertes, aber auch mit eventuellem Wohn-eigentum, durch das die Wohnverhältnisse vor allem in ländlichen Gebieten geprägt sind, zu-sammen.317 Die Wohndauer stellt unter diesen Faktoren offenbar eine messbare Größe dar, die jedoch die emotionale Bindung und die soziale Integration eines Bewohners ausdrückt und auch

312 vgl. BMFSFJ 1998, S. 167, Übersicht VII/5; KARL 1995, S. 96; KOCH 1976, S. 89f.; WENZEL 1977, S. 219, Fußnoten 1 u. 2; FUHRICH 1989b, S. 170; MAYER u. a. 1996, S. 261, Tab. 4

313 vgl. BUCHER u. a. 1988, S. 7;FRIEDRICH 1993, S. 14; Stadt BS 1971, S. 40; DIECK 1979, S. 67; LBS 1996, S. 38;

Stat. Bundesamt 1992, S. 58f.

314 Zu diesem Ergebnis kamen auch DIECK (1988, S. 77) und KLUCZKA u. a. (1981, S. 52); vgl. auch BMFSFJ 1998, S. 198.

315 vgl. HEUWINKEL u. a. 1993, S. 116; HERLYN 1990, S. 23

316 vgl. FRIEDRICH 1995, S. 252; FRIEDRICH 1993, S. 10; NIPPER 1978, S. 308; SAUP 1993, S. 85; LBS 1990, S. 105

317 vgl. BRAUN 1988, S. 93; HENKEL 1995, S. 69; SCHMIED 1987, S. 134; DEENEN 1997, S. 9; FRIEDRICH 1993, S. 18

Die Bindung an die Wohnung und das als vertraut empfundenen Wohnumfeld kann auch mit Hilfe von mental maps (siehe 2.4) festgestellt werden (vgl. FRIEDRICH 1993, S. 18).

Ja Nein

die Vertrautheit mit den Gegebenheiten des Umfeldes und darauf beruhende Gewohnheiten widerspiegelt (sie sagt allerdings nur selten etwas über die objektive Qualität der Wohnung oder deren Umfeld aus). Durchschnittlich blicken ältere Menschen auf eine längere Wohndauer im Quartier zurück als andere Altersgruppen (was schon aufgrund des höheren Lebensalters nicht weiter verwunderlich ist). Bei verschiedenen Untersuchungen wurde festgestellt, dass der Groß-teil der älteren Menschen auf eine Wohndauer von mehr als 20 oder sogar 30 Jahren in der jetzi-gen Wohnung zurückblicken kann, wobei die Anteile langer Wohndauer in großstädtischen Ge-bieten niedriger sind.318

Auch die in Braunschweig und Peine befragten Besucher von Seniorenkreisen wohnen oft schon sehr lange in ihrer derzeitigen Wohnung: 69,2 % von ihnen tun dies bereits länger als 20 Jahre, darunter 50,5 %, die mehr als 30 Jahre in ihrer Wohnung leben;319 dies ist bei den Peiner Senioren mit 59,5 % weitaus öfter der Fall als bei den Braunschweigern (43,5 %). Ein nicht zu vernachlässigender Anteil von 5,5 % der Senioren ist in seinem Leben sogar nie umgezogen und wohnt seit der Geburt in der selben Wohnung. Dies trifft indes nur auf 2,1 % der Braunschweiger gegenüber 9,7 % der Peiner zu. Insgesamt ist festzustellen, dass die Peiner Probanden zu einem größeren Anteil in frühen Lebensjahren in ihre derzeitige Wohnung eingezogen sind als die Braunschweiger; in Peine sind es außerdem im Gegensatz zu Braunschweig deutlich häufiger Männer, die seit der Geburt nicht umgezogen sind). Ein Grund hierfür mag die höhere Eigen-tumsrate auf dem Land sein, die eine längere Wohndauer im gleichen Haus begünstigt.320 Der überwiegende Teil der Senioren hat jedoch in der Lebensmitte die Wohnung bezogen, in der sie nun auch ihren Ruhestand verbringen (siehe 4.9.2): 36,5 % sind im Alter zwischen 20 und 40 Jah-ren, 39,0 % im Alter zwischen 40 und 64 Jahren dort eingezogen.321 Es ist unter Berücksichti-gung des Familienstandes zu erkennen, dass vor allem die Verheiraten im Alter zwischen 20 und 40 Jahren ihre Wohnung bezogen haben.

In Abb. 4.12 ist dargestellt, da die Kurven der vor 1922 Geborenen nicht den bei den anderen beiden recht ausge-prägten Anstieg in der Fami-liengründungsphase im zweiten und dritten Lebensjahrzehnt aufweisen. Diese Phase lag bei den betagten und hochbetagten Senioren etwa während des Zweiten Weltkrieges, und es ist zu ver-muten, dass sie aufgrund dessen ihre gerade erst bezogenen Wohnungen verloren haben und sich

318 vgl. Handbuch der örtlichen Sozialplanung, S. 706; BMRBS 1995, S. 28; DIECK 1988, S. 77; SAUP 1993, S. 85;

Stat. Bundesamt 1992, S. 58; LBS 1990, S. 37 und S. 58; DZA 1991, S. 8

319 Die Angaben der befragten Seniorenkreisbesucher zur Wohndauer entsprechen in ihren Häufigkeiten in etwa den Werten aus dem letzten Landesaltenplan für Niedersachsen (Nds. Sozialministerium 1985, S. 37), mit einer geringen Tendenz zu längeren Wohnzeiten.

320 vgl. TEWS 1987, S. 447

321 Etwas Entsprechendes stellten auch HEUWINKEL u. a. (1993, S. 116) fest.

0%

00-10 11-20 21-30 31-40 41-50 51-60 61-70 71-80 81-90 91-95 Jahr des Einzugs in die Wohnung 19...

unter 65 Jahre (nach 1931 Geb.) 65-74 Jahre (1922-1931 Geb.) 75-79 Jahre (1917-1921 Geb.) über 79 Jahre (vor 1917 Geb.)

Abb. 4.12: Das Jahr des Einzugs nach Alter

nach dem Krieg eine neue Bleibe suchen mussten, während das Umzugsverhalten der jüngeren Senioren davon nicht beeinflusst wurde.

Ferner ist zu erkennen, dass auch zu Beginn des Ruhestands einige der Probanden in eine neue Wohnung, z. B. in der Nähe ihrer Kinder (siehe 4.9.4),322 eingezogen sind (12,9 % zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr). Das spiegelt auch die Tatsache wider, dass für 8,8 % der jungen Alten der letzte Umzug höchstens fünf Jahre zurückliegt, während dies insgesamt nur bei 6,4 % der Probanden der Fall ist. Am geringsten ist hier der Anteil bei den 65- bis 74-jährigen Probanden, die zu 54,6 % seit mehr als 30 Jahren nicht umgezogen sind. Bei den Betagten und Hochbetagten sinkt dieser Anteil wieder, da ein Teil (7,3 %) von ihnen nach dem 75. Lebensjahr die Wohnung gewechselt hat (die 90-Jährigen und Älteren sind sogar zu 17,1 % noch nach dem 80. Geburtstag umgezogen). Sicherlich spielen bei Wohnungswechseln in diesem Alter gesundheitliche Gründe und damit einhergehende Probleme mit der Lebensführung in der alten Wohnung eine Rolle (Umzug ins Heim oder eine seniorengerechte Wohnung).323 Dafür spricht auch, dass Probanden mit Schwierigkeiten beim Gehen häufiger Umzugsbereitschaft äußern als diejenigen ohne Prob-leme.

Generell ist die Verwurzelung im angestammten Wohnquartier allerdings sehr hoch. Ein Grund für die geringe Bereitschaft der befragten Senioren, aus ihrer derzeitigen Wohnung auszu-ziehen, könnte die Tatsache sein, dass ein Teil von ihnen bereits in eine seniorengerechtere Woh-nung umgezogen ist.324 Indes ist die Umzugsbereitschaft derjenigen Senioren, die in ihrem Leben noch nie oder zuletzt in ihrer Jugend umgezogen sind, besonders gering. Überdurchschnittlich groß ist diese Bereitschaft hingegen bei den Senioren, die vor oder in den ersten Jahren nach Be-ginn des Ruhestandes zuletzt ihren Wohnort gewechselt haben, die sich also der Notwendigkeit der Anpassung an eine veränderte Lebenssituation bewusst zu sein scheinen. Bezogen auf die Wohndauer sind somit die Senioren, die zwischen 5 und 20 Jahren in ihrer jetzigen Wohnung leben, am ehesten zu einem Umzug bereit. Jedoch wird auch für die Probanden mit mehr als 70 Wohnjahren ein Umzug vorstellbarer.

Die insgesamt hohe Kontinuität des Wohnens bei älteren Menschen begünstigt die Aufrecht-erhaltung regelmäßiger Beziehungen zu Freunden, Nachbarn und Verwandten, denn: „Kein so-ziales System kann existieren ohne räumlichen Bezug.“325 So können sich Nachbarschaftsnetze (und damit auch Nachbarschaftshilfen) besser in Wohnquartieren entwickeln, denen sich die Be-wohner positiv verbunden fühlen. Umgekehrt spielen bei der raumbezogenen Bindung und der lokalen Identifikation mit dem Wohnort wiederum die Kontakte zu anderen Menschen eine große Rolle, materieller Besitz und Eigentum stehen erst an zweiter Stelle.326 Auch bei den befragten Senioren ist dieser Zusammenhang mit Sozialkontakten festzustellen, da diejenigen unter ihnen, deren Verwandte am selben Ort wohnen oder die gute Nachbarschaftsbeziehungen angeben, sel-tener einen Umzug aus dem derzeitigen Wohnquartier in Betracht ziehen. (Dies trifft insbeson-dere auf die Probanden aus Peine zu, was sicherlich auf den hohen Anteil ländlicher Wohnge-biete zurückzuführen ist.)327 Die Auswirkungen des Vorhandenseins von anderen Menschen, bei denen man gerne bleiben möchte, auf die Umzugsbereitschaft ist auch anhand des Familienstan-des der Befragten zu erkennen. Ledige (13,3 %) und vor allem geschiedene (17,5 %) Senioren

322 vgl. HEUWINKEL u. a. 1993, S. 116

323 vgl. DZA 1991, S. 8; HEUWINKEL u. a. 1993, S. 116; FRIEDRICH 1993, S. 16; LBS 1990, S. 105

324 vgl. LBS 1996, S. 38

325 HENKEL 1995, S. 68

326 vgl. SCHUBERT 1994, S. 235; REUBER 1993, S. 92; DEENEN 1997, S. 10

327 Dass die Mobilitätsbereitschaft mit dem Verstädterungsgrad der Region zu- und die Ortsbindung abnimmt, wurde auch bei anderen Untersuchungen festgestellt (vgl. SCHUBERT 1994, S. 235; LBS 1996, S. 39; BLUME 1968, S. 64 (nach KOCH 1976, S. 90)).

sind zu einem Umzug deutlich bereiter als verheiratete oder verwitwete.328 Gleichermaßen senkt die Existenz einer Person, die den Probanden gegebenenfalls zu einem weiter entfernten Ziel fah-ren würde, die Umzugsbereitschaft. Hierbei ist sicherlich zum einem von Bedeutung, dass zu ei-ner solchen Person ja Kontakte bestehen müssen, sich also der Einfluss der Sozialkontakte bemerkbar macht, zum anderen ermöglicht diese Hilfestellung eher den Verbleib in der ange-stammten Wohnung.

Weiterhin ergaben sich Unterschiede in der Wohnmobilität bei den verschiedenen Berufsgrup-pen, denen die Senioren vor ihren Ruhestand angehörten. Analog zu anderen Untersuchungs-ergebnissen erwiesen sich (gut ausgebildete) Angestellte und besonders Beamte als weniger orts-gebunden als Arbeiter, Hausfrauen bzw. -männer und Selbstständige.329

Das Festhalten der älteren Menschen an ihrer angestammten Wohnung ist nicht nur auf ein Bemühen zur Wahrung des Status quo zurückzuführen. Oft erspart ihnen dieses Kontinuitäts-bestreben überdies die mit dem Verlust der Autonomie gleichgesetzte Übersiedlung in ein Alten-heim.330 Das als vertraut empfundene Wohnumfeld vermittelt zudem Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit und repräsentiert Teile der eigenen Biographie und Identität. So bestimmt die Reichweite der räumlichen Identifikation auch die Grenzen, innerhalb derer sich ein gewollter oder notwendiger Umzug vollziehen kann, ohne dass erkennbare Trauerreaktionen die Folge sind.331 Da die vertraute Wohnsituation für das psychische Wohlbefinden älterer Menschen also sehr viel bedeutet, ist es auch als sinnvoll anzusehen, wenn sich nötige Wohnungswechsel mög-lichst innerhalb des angestammten Wohnquartiers vollziehen können, um die Senioren nicht zu entwurzeln, zumal die Identifikation mit dem Wohnquartier eine entscheidende Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen Leben im Quartier darstellt.332 In der Bundesrepublik unter-stützt der Rechtsanspruch des sozialen Netzes (u. a. Wohngeld, Mieterschutz, Sozialbindung, Be-reitstellung wohnungsnaher Infrastruktur) jedem älteren Menschen, den Status quo seines Wohn-umfeldes zu sichern.333

Die auf der einen Seite positive Verwurzelung der älteren Menschen mit ihren Wohnquartier bringt auf der anderen Seite jedoch auch Probleme mit sich. Dies sind zum einen die Schwierig-keiten, die sich aus zunehmenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der möglicherweise weder seniorengerechten noch zeitgemäßen Ausstattung des angestammten Wohnumfeldes erge-ben (siehe 4.9.5).334 Zum anderen sind auch die baulichen und sozialen Veränderungen, denen das Wohnquartier im Laufe der Zeit unterworfen ist, problematisch. Bauliche Veränderungen

Die auf der einen Seite positive Verwurzelung der älteren Menschen mit ihren Wohnquartier bringt auf der anderen Seite jedoch auch Probleme mit sich. Dies sind zum einen die Schwierig-keiten, die sich aus zunehmenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der möglicherweise weder seniorengerechten noch zeitgemäßen Ausstattung des angestammten Wohnumfeldes erge-ben (siehe 4.9.5).334 Zum anderen sind auch die baulichen und sozialen Veränderungen, denen das Wohnquartier im Laufe der Zeit unterworfen ist, problematisch. Bauliche Veränderungen