• Keine Ergebnisse gefunden

Die Erforschung der Aktionsräume älterer Menschen

In engem Zusammenhang mit der Wahrnehmungsgeographie steht die Erforschung des Aktions-raumes eines Menschen, bei der es ebenfalls um die Einbindung menschlichen Handelns in Raum und Zeit sowie mobilitätsauslösende, -steuernde und -begrenzende Randbedingungen geht.70 Die Aktionsraumforschung verfolgte zunächst das Ziel, eine Beziehung zwischen räum-lichem Konsumentenverhalten und der Standorttheorie von Unternehmen herzustellen, und lie-ferte in der politischen Diskussion über die „Lebensqualität der Umwelt“ wichtige Beträge.71 So beschäftigten sich erste Untersuchungen (z. B. von KLINGBEIL 1978, KUHN 1979 und KRETH

1980) mit dem Einkaufs- bzw. allgemeiner dem Versorgungsverhalten der Bevölkerung und wandten den aktionsräumlichen Ansatz vor allem auf den Einzelhandel an. Hierbei werden die räumlichen Aktivitäten des Individuums, das seine Wünsche nicht unbedingt beim nächstgelenen Angebotsstandort befriedigen muss wie der „homo oeconomicus“, in den Vordergrund ge-stellt, und anstatt der Tragfähigkeit der Einrichtung ihre durch die Aktionsreichweiten der Nach-frager bedingte Erreichbarkeit betrachtet.72 Dies bedeutet für eine bedarfsorientierte Planung, dass die von den Nachfragern zurücklegten Distanzen wichtiger sind als die herkömmlich ermit-telten Reichweiten der Angebote.

Als aktionsräumliches Verhalten (oder auch räumliche Zirkulationen) werden in den Raum-wissenschaften regelmäßige Handlungsvollzüge, die von der Wohnung ausgehen und dorthin auch wieder zurückführen, bezeichnet, wobei diese im öffentlichen Raum ausgeübten Tätigkeiten mit den in der Alternsforschung betrachteten instrumentellen Aktivitäten des Alltags (IADL) übereinstimmen.73 Der Aktionsraum eines Menschen (während eines bestimmten Zeitraumes) entspricht seinem regelmäßigen Handlungs- und Kontaktfeld, also der Gesamtheit derjenigen Örtlichkeiten und Menschen, die in diesem Zeitraum routinemäßig aufgesucht werden. Dieser tatsächliche Aktionsraum ist eine Teileinheit des potenziellen Aktionsraumes, der alle Standorte umfasst, die von der Person unter Verwendung der zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel von ihrer Wohnung aus erreicht werden könnten. Da zudem nur Aktivitäten durchgeführt werden können, die sich innerhalb der der Person bekannten Umwelt abspielen, ist der Aktionsraum die-ser Person auch eine Teileinheit ihres Wahrnehmungsraumes (als potenziellem Handlungs -raum).74 Noch mehr als die objektive Raumstruktur und die relative Lage der

69 vgl. HARD 1985, S. 196; STRÜDER 1993, S. 81f.

70 vgl. FRIEDRICH 1995, S. 155; FRIEDRICH 1992, S. 122

71 vgl. KLINGBEIL 1978, S. 19;DEITERS u. a. 1980, S. 428

72 vgl. KRETH 1980, S. 429;KREIBICH u. a. 1989, S. 51

Hier unterscheiden sich aktionsräumliche Ansätze von den Thesen der Münchener sozialgeographischen Schule (RUPPERT u. a. 1969, MAIER u. a. 1977), da es nicht mehr die Grunddaseinsfunktionen sind, von denen jede eine spezielle Reichweite besitzt, sondern das Individuum, das aufgrund seiner Möglichkeiten und speziellen Prägung eine bestimmte Distanzüberwindungsbereitschaft aufzeigt. Durch diese Individualisierung verringert sich indes die Erklärungskraft bisheriger Theorien, die von verhaltenshomogenen Gruppen ausgehen (vgl. FRIEDRICHS 1993, S. 382). Ebenso bestehen Unterschiede zum verhaltensorientierten Ansatz, da psychologische Aspekte in den Hintergrund treten und dafür mehr die äußere Struktur von Entscheidungsabläufen betont wird (vgl.

FRECKMANN 1991, S. 11).

73 vgl. FRIEDRICH 1995, S. 137; BÄHR u. a. 1992, S. 817ff.

74 vgl. HEUWINKEL 1981, S. 35; KREIBICH u. a. 1989, S. 56f.

In Abhängigkeit von dem zugrunde gelegten Zeitabschnitt können außer dem täglichen auch wöchentliche oder

heiten zum Wohnstandort beeinflussen vor allem Faktoren wie individuelle Merkmale der Per-son, ihr subjektiver Stadtplan und Umweltrestriktionen auf sehr komplexe, noch nicht hinreichend erforschte Weise die Auswahl der genutzten Umweltbereiche. Die Grenzen des Aktionsraumes verändern sich dabei je nach Reichweite der ausgeübten Aktivität.75

Von erheblicher Bedeutung für den Aktionsraum eines Menschen ist darüber hinaus sein indi-vidueller Zeithaushalt, da dieser, zusammen mit den verfügbaren Verkehrsmitteln, den möglichen täglichen Aktionsradius begrenzt und somit den für bestimmte Aktivitäten eingeräumten zeitli-chen Umfang und die Distanzempfindlichkeit stark beeinflusst. Dabei ist interessanterweise zu beobachten, dass Verbesserungen der Mobilität, etwa der Gebrauch eines (schnelleren) Verkehrs-mittels, kaum Auswirkungen auf das Zeitbudget der Individuen haben, da der verringerte Zeit-bedarf pro Streckeneinheit dazu führt, dass während der gleichen Zeitspanne weiter entfernt gele-gene oder auch mehrere Örtlichkeiten aufgesucht werden. Es ist also davon auszugehen, dass die für Wege aufgewandte Zeit einen recht konstanten Teil des individuellen Zeitbudgets ausmacht (eine Erkenntnis, die bisherige verkehrsplanerische Bemühungen, durch schnellere Verbindungen eine Verkehrsentlastung zu bewirken, in Zweifel ziehen lässt).76 Übereinstimmend mit dieser Be-deutung des Zeitbudgets ist auch bei der Beurteilung des Aufwandes für die Distanzüberwindung vor allem der Zeitaufwand relevant.77

Da Freizeit einen wesentlichen Teil des verfügbaren menschlichen Zeitbudgets ausmacht, ist hier speziell auch die aktionsräumliche Dimension des Freizeitverhaltens von Forschungsinter-esse. Je nach Zeitaufwand gliedern sich die einzelnen Freizeitaktivitäten in die drei Bereiche Freizeitverhalten im Wohnumfeld, im Naherholungsraum und im Fremdenverkehrsraum. Frei-zeitaktivitäten bis zu mehreren Stunden (wie z. B. der Besuch eines Seniorenkreises) lassen sich als Freizeitverhalten im Wohnumfeld charakterisieren. Es ist jedoch nicht möglich, bei der Erfor-schung der Aktionsräume isoliert eine Komponente menschlichen Verhaltens, also z. B. aus-schließlich das Freizeitverhalten, zu untersuchen, da stets davon auszugehen ist, dass hinter je-dem Verhalten ein ganz bestimmter Lebensstil steht.78

Anhand bisheriger Forschungsergebnisse konnten die Zusammenhänge zwischen den ge-nannten Einflussgrößen und der Struktur von Aktionsräumen sowie deren Größe näher bestimmt werden. So wählen Personen aufgrund der Informationen ihres subjektiven Stadtplanes diejenige Tätigkeitsgelegenheit aus, bei der der aus der Ausübung der Aktivität resultierende Nutzen grö-ßer ist als die durch das Aufsuchen der Gelegenheit entstehenden monetären und zeitlichen Ko-sten. Dabei versucht die Person, diesen Kostenaufwand so gering wie möglich zu halten, u. a.

weil die für die Distanzüberwindung verbrauchte Zeit nicht mehr für andere Aktivitäten zur Ver-fügung steht. Eine Verringerung der Kosten kann durch die Kopplung mehrerer Aktivitäten, also die Optimierung der Wegedispositionen durch die räumlich und zeitlich geordnete Organisation der Aktivitäten, erreicht werden.79 Ferner zählt zu den bisherigen Forschungsergebnissen, dass die aktionsräumliche Reichweite der städtischen Bevölkerung stark von deren Sozialkontakten abhängt und das raumrelevante Verhalten jüngerer wie älterer Menschen wesentlich durch die

monatliche Kontaktfelder untersucht werden, die im Gegensatz zum täglichen Kontaktfeld weniger konstant sind und meist weiter entfernt gelegene Örtlichkeiten und seltener besuchte Personen einschließen (vgl. WIRTH 1979, S. 219).

75 vgl. FRIEDRICH 1995, S. 139 u. S. 155; JÜRGENS 1993, S. 39; FRIEDRICH 1992, S. 122; BÄHR u. a. 1992, S. 817ff.; WOHLFAHRT 1983 (nach FRIEDRICH 1992, S. 122); KLINGBEIL 1978

Unterschiedlich große Aktionsräume können zudem ein Anzeichen für räumliche Disparitäten und schlechte Verkehrsverbindungen sein (vgl. LUTTER u. a. 1992, S. 74).

76 vgl. SCHWEITZER 1990, S. 39; HEUWINKEL 1981, S. 48; KLINGBEIL 1977, S. 67; VOIGT 1989, S. 15f.

77 vgl. KREIBICH 1975, S. 3

78 vgl. RUPPERT 1976, S. 591; WOLF 1986, S. 67; WOLF u. a. 1986, S. 41; ROMSA 1986, S. 214

79 vgl. FRIEDRICHS 1990a, S. 169; KREIBICH u. a. 1989, S. 55f.; FRIEDRICH 1995, S. 155

Nähe oder Ferne zu Gelegenheitspotenzialen bestimmt ist.80 Überdies konnte FRIEDRICHS bei seiner Untersuchung feststellen, dass eine Aktivität (mit Ausnahme der Berufstätigkeit) umso kürzer dauert, je häufiger sie ausgeübt wird, und je länger eine Aktivität dauert, desto größer ist die Entfernung zu der für sie aufgesuchten Gelegenheit. Besonders intensiv, d. h. häufig und mit längerer Verweildauer, werden naturgemäß die Bereich des wohnungsnahen Umfeldes (und bei Berufstätigen die Achse Wohnung – Arbeitsstätte) genutzt.81

Der Aktionsraum eines Menschen ist indes nicht unveränderlich, sondern seine Grenzen kön-nen im Laufe eines Tages, einer Woche oder auch jahreszeitlich variieren. Außerdem haben Wohnungswechsel, je nachdem, wie weit der neue Wohnstandort vom alten entfernt liegt, eine teilweise oder sogar vollständige Verlagerung des Aktionsraumes zur Folge. Ferner bewirken Veränderungen der Mobilität, worunter sowohl die Anschaffung eines neuen Verkehrsmittels oder die Verbesserung des ÖPNV-Anschlusses als auch Verschlechterungen der körperlichen Leistungsfähigkeit fallen, und die räumliche Verlegung der Tätigkeitsgelegenheiten eine Modifi-kation des Aktionsraumes.82 Einige Aktionsraumforscher (insbesondere FRIEDRICHS [1990a]) haben sich auch der Frage angenommen, wie sich Aktionsräume im Laufe des Lebens verändern und inwieweit sich die Lebensphase auf diese alltäglichen Aktivitätsmuster auswirkt.83 Ein auch in Hinsicht auf den Aktionsradius bedeutsames Ereignis ist der Ausstieg aus dem Erwerbsleben, durch den die vormals wichtige Achse Wohnort – Arbeitsstätte ihre Bedeutung verliert und der Wohnstandort zum Mittelpunkt des Lebens- und des Aktionsraumes wird. So sind die Aktions-räume von Rentnern durchaus kleiner als die von Berufstätigen und mit denen von Hausfrauen zu vergleichen, da aufgrund des Wegfalls der Verpflichtungen auch das regelmäßige Aufsuchen vor-gegebener Ziele nicht mehr notwendig ist. Innerhalb der Gruppe der älteren Menschen können jedoch große Unterschiede hinsichtlich des Aktionsraumes bestehen, die sowohl mit dem Bil-dungsstand, den finanziellen Gegebenheiten und der Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln als auch mit der körperlichen Leistungsfähigkeit zusammenhängen.84 Mit zunehmendem Alter, dem sich meist verschlechternden Gesundheitszustand (siehe 4.3.1) und einer Verringerung der Sozial-kontakte (siehe 4.4) nimmt der Aktionsradius jedoch immer weiter ab und lässt die Umweltbe-züge älterer Menschen auf die Wohnung und das angrenzende Wohnumfeld zusammenschrump-fen, da sich somit auch die Möglichkeiten zur Umwelterschließung reduzieren und frühere Tätigkeitsgelegenheiten womöglich nicht mehr erreichbar sind. Die gesundheitlich bedingte Ver-kleinerung des Aktionsradius ist auch in Anbetracht der Bedeutung des Zeitbudgets und der kon-stanten Wegezeit leicht einzusehen, da infolge der niedriger werdenden Geschwindigkeit in die-ser gleichbleibenden Zeitspanne nur noch kürzere Wege zurückgelegt werden können.85 (Inwieweit sich diese Beobachtungen auch bei dieser Untersuchung bestätigen, zeigt sich in Kapitel 8.)

80 vgl. KEMPER 1980, S. 208f.; MEUSEL 1996, S. 122; WEBER u. a. 1984, S. 495

81 vgl. FRIEDRICHS 1990a, S. 169; HEUWINKEL 1981, S. 35

Vergleichbar damit definiert SEDLACEK (1973, S. 11) die Zentralität eines Ortes durch die Eigenschaft, Inter-aktionsziel zu sein. Die „Intensität, mit der ein Standort InterInter-aktionsziel ist“, wird dabei anhand von zwei Faktoren gemessen: zum einen die Anzahl der Personen, für die dieser Ort Interaktionsziel ist, und zum andern die Anzahl der Fälle, in denen dieser Ort Interaktionsziel ist (Häufigkeit). Erst durch diesen Bezug werden Unter-schiede in der Distanzempfindlichkeit deutlich, die sonst unbemerkt blieben (vgl. HEINRITZ 1979b, S. 314f.;

KERSTIENS-KOEBERLE 1979, S. 23).

82 vgl. HEUWINKEL 1981, S. 35; ROMSA 1986, S. 214

83 vgl. FRIEDRICH 1995, S. 139 u. S. 155; JÜRGENS 1993, S. 30f.; FRIEDRICH 1992, S. 122

84 vgl. FRIEDRICH 1995, S. 139, S. 160 u. S. 252; FRIEDRICH 1992, S. 123; FRIEDRICHS 1990a, S. 175; KUTTER 1973, S. 80f.; MOHR 1979, S. 299

85 vgl. SAUP 1993, S. 12; WAHL 1992, S. 105; HERLYN 1990, S. 23; NIPPER 1978, S. 297

3 Erhebungsmethodische Vorgehensweise 3.1 Die Untersuchungsgebiete

Entsprechend der in 1.1 formulierten Zielsetzung dieser Untersuchung sollte das Verhalten der Besucher von städtischen und ländlichen Seniorenkreisen miteinander verglichen und deshalb sowohl ein städtisches als auch ein ländliches Untersuchungsgebiet ausgewählt werden. Die Un-terscheidung zwischen diesen beiden Gebietskategorien ist intuitiv zunächst klar, bedarf jedoch einer genaueren Abgrenzung. Während vor den Gemeindegebietsreformen die Gemeindegröße als Kriterium zur Unterscheidung von ländlichen und städtischen Siedlungen herangezogen wer-den konnte, wird in der Bundesrepublik Deutschland seit 1969 eine Gebietseinheit allgemein dann als ländlich bezeichnet, wenn dort eine Bevölkerungsdichte von 200 EW/km² unterschritten wird. Diese Maßzahl gibt indes keine Auskunft darüber, inwieweit innerhalb der Gebietseinheit heterogene Strukturen in Bezug auf die Verteilung der Bevölkerung oder die infrastrukturelle Ausstattung einzelner Gebietsteile vorherrschen. Die Siedlungsstruktur ist hierzulande aufgrund der guten Durchmischung städtischer und ländlicher Räume recht ausgewogen und weist im Ver-gleich zu Nachbarstaaten nur relativ wenige extreme Peripherieräume auf. Dennoch kommt dem nach dem obigen Kriterium definierten ländlichen Raum zahlenmäßig noch große Bedeutung zu, da er etwa 90 % der Fläche und 53 % der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland um-fasst.86

Das klassische Grundmuster Stadt – Land, wie es bereits ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) in dem Ausspruch

„Des Menschen körperliches und animalisches Dasein mag durch das Land befriedigt sein, seine geistigen Bedürfnisse können nur durch die Städte erfüllt werden.“

herausgestellt hat, ist jedoch zunehmend in Auflösung begriffen. Denn während zum einen die städtischen Räume sich immer weiter in ihr Umland ausbreiten, bewirken zum anderen bei-spielsweise kleinräumige Segregationsprozesse eine zunehmende Heterogenität innerhalb der Städte. Gleichermaßen verändert sich auch die ländliche Bevölkerung durch Zuzüge infolge der

„Stadtflucht“, da viele der neuen Dorfbewohner ihre städtische Lebensart beibehalten und wei-terhin die Arbeitsvielfalt und das kulturelle Angebot der Städte nutzen wollen.87

3.1.1 Die Auswahl der Untersuchungsgebiete

Eine Entscheidung, die vor Beginn der Untersuchung getroffen werden musste, war also, in wel-chem städtischen und in welwel-chem ländlichen Gebiet die Erhebungen durchgeführt werden soll-ten. Als städtisches Untersuchungsgebiet bot sich in diesem Fall aus mehreren Gründen die Stadt Braunschweig an. Zum einen ist Braunschweig eine typische kreisfreie Stadt und stellt somit als Planungsraum ein „geschlossenes System“ dar.88 Zum anderen wurden bereits im Rahmen einer früheren Untersuchung Kontakte zu verschiedenen Stellen der Stadtverwaltung geknüpft, deren Unterstützung sich sowohl bei der Durchführung der Befragung als auch bei der Beschaffung von statistischen Vergleichsdaten für das Stadtgebiet als sehr hilfreich erwiesen hatte und auch in di e-sem Fall vielversprechend war. Als vorwiegend ländlich geprägtes Pendant kamen mehrere an Braunschweig angrenzende Landkreise in Betracht, da diese aufgrund der räumlichen Nähe den Vorteil boten, dass die Befragungen parallel und mit einem zu bewältigenden Zeit und Wegeauf -wand von mir selbst durchgeführt werden konnten. Die Wahl fiel auf den Landkreis Peine mit der gleichnamigen Kreisstadt, weil die Form des Kreisgebietes vergleichsweise „kompakt“ ist

86 vgl. HENKEL 1995, S. 27 u. S. 282; DZA 1991, S. 10

87 vgl. ASAM u. a. 1990, S. 169; ALBERS 1992, S. 161

88 Zum Begriff „System“ siehe FRECKMANN 1991, S. 15.

und die Kreisstadt zentral in der Mitte des Landkreises liegt. Ferner kommen die Gemeinsamkeiten der beiden Gebiete Peine und Braunschweig u. a. hinsichtlich ihrer regionalen Kultur der Vergleich-barkeit der Ergebnisse zugute. Bedeutend für diese Untersuchung ist vor allem die topographische Ähnlichkeit, da sich beide Untersuchungsgebiete im norddeutschen Flachland befinden. So ist die Landschaft weder im Braunschweiger Stadtgebiet (höchste Erhebung 111 m NN, tiefster Punkt 63 m NN) noch im Landkreis Peine (höchster Punkt 132 m NN, tiefster Punkt 53 m NN) besonders hügelig, so dass keine extremen Straßenneigungen auftreten und somit, vor allem im Winter bei

Schnee-und Eisglätte, sowohl Fußgänger als auch Fahrradfahrer keinen übermäßigen Anstrengungen ausgesetzt sind; insofern sind die gemessenen Entfernungen in Bezug auf die Mühe bei deren Überwindung gut vergleichbar. Folglich wurde Kontakt zur Peiner Kreisverwaltung aufge-nommen, und der für die Altenhilfeplanung von Stadt und Kreis zuständige Mitarbeiter zeigte sich ebenfalls sehr kooperativ, womit der Landkreis Peine als zweites Untersuchungsgebiet fest-stand. Beide Untersuchungsgebiete (Abb. 3.1) werden im Folgenden näher vorgestellt.

3.1.2 Die Stadt Braunschweig

Die kreisfreie Stadt Braunschweig liegt zwischen den Landeshauptstädten Hannover und Magde-burg in der Mitte des Industriedreiecks WolfsMagde-burg – Peine – Salzgitter, der bedeutendsten Industrieregion Niedersachsens, und erfüllt die Funktion eines Oberzentrums in einem Gebiet mit über einer Million Einwohnern. Sie ist heute der Sitz der Bezirksregierung und zahlreicher Be-hörden sowie der Standort von namhaften Unternehmen des Industrie- und Dienstleistungs-sektors, Fach- und Hochschulen, bedeutenden Forschungsinstituten, Museen und Theatern.

Nach der umfangreichen Eingemeindung von 22 Randgemeinden im Jahr 1974, bei der die Stadtfläche auf mehr als das Doppelte stieg und 60.000 Einwohner hinzu kamen, umfasst das Braunschweiger Stadtgebiet im Gegensatz zu vielen anderen großen Städten praktisch das ge-samte zusammenhängend bebaute Gebiet der Agglomeration. Die Stadt gliedert sich von innen nach außen in die Bereiche Stadtkern (mit intensiver Erwerbs- und Wirtschaftstätigkeit), Stadt-kernrandzone (unmittelbar an den Stadtkern angrenzende Bezirke), Stadtbezirke in verkehrs-günstiger Lage zum Stadtkern sowie Ortsteile mit eher ländlichem Charakter.89 Die stärker wach-senden Siedlungsgebiete befinden sich indes zumeist jenseits der Stadtgrenzen in den Umlandkreisen. Zudem gibt es im Braunschweiger Umland noch einige Orte, für die Braun-schweig nicht nur Ober-, sondern auch Mittelzentrumsfunktionen erfüllt (z. B. kommen Bewoh-ner der Landkreise Wolfenbüttel und Helmstedt nach Braunschweig, um Fachärzte oder Rechts-anwälte aufzusuchen, oder auch, um an Sportveranstaltungen teilzunehmen). Auch auf dem Freizeitsektor, insbesondere im kommerziellen Bereich, hat Braunschweig über seine eigent-lichen Stadtgrenzen hinaus eine gewisse Bedeutung (Anziehungspunkte sind z. B. neben dem Staatstheater, diversen Kinos und Museen auch die Veranstaltungen in der Stadthalle). So stellt sie den wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt des 1991 gegründeten Zweckverbandes Großraum Braunschweig dar, der sich vom Harz bis in die Lüneburger Heide erstreckt und dem

89 vgl. HEYE 1987, S. 24

Abb. 3.1: Die Stadt Braunschweig und der Land-kreis Peine

(Quelle: NLS u. a. 1998, CD-ROM)

sich neben den drei kreisfreien Städten Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg auch die fünf Landkreise Gifhorn, Goslar, Helmstedt, Peine und Wolfenbüttel angeschlossen haben. Zu den Aufgaben dieses Zweckverbandes gehört es, in den Bereichen Regional- und Verkehrsplanung die Grundlage für eine geordnete Stadtentwicklungsplanung im Verbandsgebiet zu schaffen.90

Seit der Gebietsreform hat das Stadtgebiet in Nord-Süd-Richtung eine maximale Ausdehnung von 19,1 km und in Ost-West-Richtung 15,7 km. Die Fläche des Stadtgebietes beträgt 192,1 km², woran die Siedlungs- und Verkehrsflächen sowie die Landwirtschaftsflächen jeweils etwa einen Anteil von gut 40 % haben; weitere 12 % sind Wald- und knapp 6 % Erholungsflächen. Am 31.12.1996 haben 251.320 Einwohner ihren Hauptwohnsitz in Braunschweig, die somit, trotz der Bevölkerungsverluste der letzten Jahre (Tab. 3.1), die zweitgrößte Stadt Niedersachsens ist. Die-ser Bevölkerungsstand entspricht einer für eine Großstadt nicht als hoch einzustufenden Einwoh-nerdichte von etwa 1.308,5 EW/km² (beispielsweise weist Hannover etwa die doppelte Dichte auf). Der Anteil der 46.392 Menschen über 65 Jahre an den Einwohnern beträgt 18,6 %.91

3.1.3 Der Landkreis Peine

Zwischen dem etwa 42 km entfernten Hannover im Westen und dem etwa 25 km östlich gelege-nen Braunschweig liegt der Landkreis Peine in einem Raum sich überlagernder Verflechtungen der Ballungsgebiete und Siedlungsschwerpunkte Hannover, Braunschweig, Salzgitter und Hil-desheim. Durchzogen von der Bundesautobahn A2 Dortmund–Berlin und mehreren wichtigen Bundesstraßen sowie der Haupteisenbahnstrecke Hannover – Berlin und dem Mittellandkanal ge-hört er zu den verkehrsreichsten Gebieten Niedersachsens (Abb. 3.1).

Im Zuge der Gebietsreform entstand 1974 das heutige Kreisgebiet, dass eine nahezu dreiecks-förmige Gestalt aufweist (Nord-Süd-Erstreckung 35,5 km, West-Ost-Erstreckung 34,0 km) und mit einer Fläche von 534,4 km² der kleinste Landkreis in Niedersachsen ist. Da dort (am 31.12.1996) allerdings 127.902 Menschen leben, zählt er gleichzeitig mit 239,3 EW/km² zu den am dichtesten besiedelten niedersächsischen Kreisen.92 Der Großteil der Gemeinden weist jedoch

90 vgl. NLS u. a. 1998, S. 25

Während Braunschweig für Gifhorn, Wolfsburg, Helmstedt, Wolfenbüttel, Goslar und Salzgitter die wesentlichen Oberzentrumsfunktionen erfüllt, ist Peine teilweise auf Hannover ausgerichtet (vgl. MEIBEYER u. a. 1986, S. 241).

91 vgl. NLS u. a. 1998, S. 21ff.; SEEDORF u. a. 1996, S. 288f.

Diese Angaben zum Bevölkerungsstand der Stadt Braunschweig unterschieden sich allerdings von denen, die vom städtischen Amt für Stadtentwicklung und Stadtmarketing mitgeteilt wurden. Demnach wohnten am 31.12.1996 nur 247.441 Menschen in Braunschweig, was einer Einwohnerdichte von 1.288,3 EW/km² entspricht.

92 Die Landkreise im Flächenland Niedersachsen weisen insgesamt nur eine Einwohnerdichte von 135 EW/km² auf (vgl. Stat. Bundesamt 1998a, S. 51).

Stand: 31.12.1996 kreisfreie Stadt Braunschweig

Landkreis Peine

Land Niedersachsen

Bundesrepublik Deutschland

Bevölkerungsdichte (EW/km²) 1.308,5 239,3 164,1 229,7

Bevölkerungsstand (EW) 251.320 127.902 7.815.148 82.012.162

Anteil der über 65-Jährigen 18,6 % 16,5 % 16,2 % 15,7 %

davon männlich 33,9 % 37,5 % 37,1 % 36,5 %

weiblich 66,1 % 62,5 % 62,9 % 63,5 %

Bevölkerungsveränderung

gegenüber dem 31.12.1990 – 2,9 % + 6,2 % + 5,8 % + 2,8 % Tab. 3.1: Bevölkerungsdaten für Braunschweig, Peine, Niedersachsen und

Deutsch-land im Vergleich

(Quelle: NLS u. a. 1998, S. 22 u. S. 71)

weniger als 200 EW/km² auf (Tab. 3.2) und ist daher obiger Definition entsprechend als ländlich einzustufen. Der Anteil der 21.054 älteren Einwohner über 65 Jahre an der Gesamtbevölkerung beträgt 16,5 %.

Die naturräumliche Untergliederung des Kreisgebietes in weitgehend westöstlich ver-laufende Landschaftszonen hat auch die Sied-lungsstruktur innerhalb des Landkreises geprägt. Die fruchtbaren Böden der Hildes-heimer Lössbörde im nahezu waldfreien Süden haben aufgrund ihrer hohen

landwirt-schaftlichen Tragfähigkeit eine dichte Besiedlung mit großen Haufendörfer hervorgerufen, die meist nur 1–2 km voneinander entfernt liegen. Durch Neubaugebiete sind diese Dörfer teilweise erheblich in der Fläche gewachsen und haben sich am Rande der Kreisstadt entlang der Ausfall-straßen sogar zu Bandstrukturen verdichtet (Ilsede, Lahstedt). Demgegenüber steht der nördliche Teil des Kreises, der zur niedersächsischen Geest zu rechnen ist und auf dessen eher sandigen Böden sich Wald, Acker- und Grünland abwechseln. Dieser Bereich zeichnet sich durch eine deutlich dünnere Besiedlung mit lockeren, zumeist kleineren Haufendörfern aus. Dies verdeutlicht auch die unterschiedliche Besiedlungsdichte der acht Großgemeinden des Landkreises (Abb. 3.2 und Tab. 3.2).

Aufgrund der guten Bodenverhältnisse waren weite Teile des Kreisgebietes lange Zeit vorwie -gend landwirtschaftlich geprägt. Doch seit Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich das Gebiet um Ilsede vollkommen gewandelt, als sich dort der Eisenerzbergbau und die Eisen- und Stahlindus-trie ansiedelten und die ehemals bäuerliche Siedlungs- und Kulturlandschaft von Fabriken und Arbeitersiedlungen, aufgelassenen

Aufgrund der guten Bodenverhältnisse waren weite Teile des Kreisgebietes lange Zeit vorwie -gend landwirtschaftlich geprägt. Doch seit Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich das Gebiet um Ilsede vollkommen gewandelt, als sich dort der Eisenerzbergbau und die Eisen- und Stahlindus-trie ansiedelten und die ehemals bäuerliche Siedlungs- und Kulturlandschaft von Fabriken und Arbeitersiedlungen, aufgelassenen