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Kapitel 3: Die Gesellschaft der Zukunft

4.1 Die Ausgangslage in den ausgewählten Funktionssystemen

4.1.2 Wirtschaft

Halten wir noch einmal fest: Die Funktion des Wirtschaftssystem ist die Bewäl-tigung von Knappheitszuständen bei Gütern und Dienstleistungen. Die Leistung besteht in der Bedürfnisbefriedigung. Das Kommunikationsmedium ist Geld, der binäre Code, der die Anschlussfähigkeit ermöglicht, ist Zahlen oder Nicht-Zah-len. Zur Ausführung der Funktion werden Produktions- und Finanzierungspro-gramme genutzt.

(a) Wie wird die Gesellschaft der Zukunft aussehen, wenn sich existierende Muster und Trends der Entwicklung des Funktionssystems unverändert fortsetzen?

Das Wirtschaftssystem in Deutschland ist gut aufgestellt, wozu eine hohe Binnendifferenzierung – Branchen, Betriebsgrößen, Organisationsformen – gehört. Die Inklusion der Bevölkerung (Beschäftigungsquote) ist zwar rein quantitativ relativ hoch, doch hat sich die Gemeinwohlorientierung konti-nuierlich verschlechtert: die Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die Spreizung von Erwerbseinkommen und vor allem die Ungleichverteilung von Vermögen nehmen zu. Im Hintergrund stehen nicht zuletzt die Möglichkeiten der internationalen „Auslagerung“ von Produktion und Vermögen, die zugleich die wechselseitige Beeinflussung aller Funktionssysteme erschwert – oder durch Lobbyismus, Korruption etc. einseitig werden lässt. In der Folge beginnt sich ein bisher üblicher Trend aufzulösen: die Inklusion in das Wirtschafts-system führt nicht mehr zur Inklusion in andere FunktionsWirtschafts-systeme, sondern kann mit der Exklusion aus ihnen einhergehen204.

* Die Eigenlogik des Wirtschaftssystems ist weiterhin auf Wachstum ausge-richtet. Dies bedeutet für die GdZ vor allem noch mehr Konsum von vielfach überflüssigen Gütern205 zu immer geringeren Preisen. Der „Bremseffekt“

durch den zu erwartenden Bevölkerungsschwund wird teilweise durch den Nachholbedarf von MigrantInnen ausgeglichen. Angetrieben wird die Ent-wicklung zudem durch eine zunehmende Individualisierung von Werbung und Produktdesign – was vor allem durch das Internet ermöglicht wird: „Goo-gle weiß schon, was Du als nächstes kaufen wirst – bevor Du überhaupt darü-ber nachgedacht hast.“

* Zu dem Konsumtrend trägt weiterhin die fortschreitende Globalisierung bei, die sich zur Kostendämpfung in bisher wenig beachteten Maße internationa-ler Sklavenwirtschaft bedient – in der industriellen Produktion ebenso wie in der Landwirtschaft. Die Mischung von Betriebsgrößen hat in Deutschland die-se Entwicklung teilweidie-se gebremst. Inzwischen werden aber vermehrt kleine und mittelständische Unternehmen vom Globalisierungssog erfasst. Eine zen-trale Rolle in dieser Entwicklung werden weiterhin die wenig kontrollierte globale Finanzwirtschaft, die global aufgestellten Konzerne und die Digita-204 Aus den USA werden schon seit langem solche Beispiele berichtet: selbst mit mehreren

Jobs kommen die Familien „nicht über die Runde“, können am gesellschaftlichen Leben nicht teilnehmen. Deutsche Arbeitgeberverbände warnen inzwischen davor, den MigrantInnen die gleichen Beschäftigungsbedingungen und Löhne zu gewähren, wie der „einheimischen“ Bevölkerung.

205 Inzwischen werden Gegenstände in Haushalten gezählt und mit vergangenen Jahrhun-derten verglichen: dabei ist innerhalb von 3 JahrhunJahrhun-derten von einer Steigerung um das 20- bis 25-fache die Rede.

lisierung spielen. Gleichzeitig werden sich die Erwerbsmöglichkeiten stän-dig verschieben. In der Gesamtbilanz muss aber wohl von einer deutlichen Verringerung ausgegangen werden206. Dies wird nicht nur die ökonomische, sondern infolgedessen auch die gesellschaftliche Exklusion großer Bevölke-rungsteile einleiten.

* Diese Entwicklungen sind zugleich eine Voraussetzung für die Erweiterung der Einflussmöglichkeiten („Irritationskapazitäten“) auf andere Funktions-systeme – besonders aber auf die Politik, die viele Entwicklungen durch De-regulierung und durch Subventionen befördert (hat). Die Ausdehnung des Wirkungsbereiches der Wirtschaft bezieht sich nicht nur auf die Politik, son-dern auch auf andere Funktionssysteme wie das Wissenschaftssystem – in ihren naturwissenschaftlich-technischen Segmenten – und auf die Medizin.

Indem auch dort das Medium Geld (Zahlen, Nicht-Zahlen) an Bedeutung ge-winnt, werden diese Systeme teilweise ein Bestandteil des Wirtschaftssys-tems. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Organisationen ggf.

weiterhin Parlament, Ministerium, Universität, Krankenhaus u.a. heißen. Die GdZ wird durch diese weitere Expansion gekennzeichnet sein. Die Formen werden unterschiedlich sein – von der Korruption in Einzelfällen, der Privati-sierung öffentlicher Aufgaben207 über die enge Koppelung von Wirtschaft und anderen Funktionssystemen bis hin zur Auflösung anderer Funktionssysteme durch Kaperung.

(b) Wichtige Weichenstellungen, um die Balancierung von Funktionssyste-men zu befördern.

* Die Diffundierung des ökonomischen Codes in andere Funktionssysteme wird in breiter Weise kritisch beobachtet und kommentiert, besonders bei den eng gekoppelten Beziehungen – z.B. mit Technikentwicklung, Pharmafor-schung, politisch veranlassten Subventionen (Atomindustrie; Autoindustrie/

Abwrackprämie) – aber meist nicht in wirksame Entscheidungen umgesetzt.

Dies dürfte solange – und auch für die GdZ – gelten, wie die Wachstums – Ziele nicht reduziert oder umgedeutet werden – z.B. zum qualitativen Wachstum208. Bisher ist auch nicht zu erkennen, dass die Konsumenten ernsthaft gegensteu-ern – trotz „fair trade“ und „carsharing“.

206 Neueste Prognosen sprechen von etwa 50% Reduktion bis 2040 – auf dann nur noch 18 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland.

207 Zunehmend wird auch die Lücke erkennbar, die die Reduktion des sozialen Wohnungs-baus hinterlassen hat: auch in deutschen Großstädten (wie exemplarisch in London) werden bezahlbare Wohnungen zur Seltenheit.

208 Ansätze dafür sind – wie bereits gezeigt – vorhanden: Vergleiche zusammenfassend:

APuZ (2012): Wohlstand ohne Wachstum? Oder APuZ (2015) Kapitalismus und Alterna-tiven.

* Stoppregeln für das Wirtschaftssystem ergeben sich am ehesten durch die Koppelung mit der natürlichen Umwelt209 – zumindest solange es keine ex-traterristische Alternative gibt. Wenn man die Kommunikationen nach der Umweltkonferenz in Paris (Dez. 2015) beobachtet210, dann bleiben die Chan-cen von politischen Stoppregeln aber eher gering – obwohl die Dokumente in-zwischen weitgehend unterzeichnet sind211. Immerhin zeigt die intensivierte Debatte, dass viele Ressourcen, die die GdZ benötigt, schon in der Gegenwart verbraucht sein werden/könnten, und dass die Folgen in der Weltgesellschaft in großer Breite zu beobachten sein werden.

* Eine andere, zumindest potenzielle Begrenzung stellen die in der Wirtschaft tätigen Menschen dar. Einzelne Aussteiger und Whistleblower reichen hier-für aber nicht aus. Dass sich ein erheblicher Teil der Bevölkerung bewusst aus dem Wirtschaftssystem exkludiert, ist – gerade wegen der zu erwarten-den Arbeitsplatzverluste – auch für die GdZ höchst unwahrscheinlich. Aller-dings könnte eine Ökonomie der Zukunft, die weit überwiegend aus Ich-AGs besteht, neue Bedingungen für die Beziehungen zu anderen Funktionssyste-men schaffen. Da sie aber weitgehend auf der Nutzung des Internet basieren würde, müsste dafür die Dominanz der Großkonzerne aus dem Silicon Valley aufgehoben werden – ein unrealistisches Szenario.

* Allerdings kommen vielerlei, meist begrenzte Initiativen gegen den Trend in Gang. Dies betrifft unterschiedliche Organisationsformen und Produktions-prozesse212 sowie den Versuch, auch in globalisierten Märkten nicht gegen deutsche Rechtsvorschriften zu verstoßen. Beispiele sind u.a. Fair Trade, Re-pair Shops, Recycling Strategien, Low-Carbon Produktion, Sharing Economy, Tauschringe, lokale Produktionsgenossenschaften, Produkte ohne eingebaute

209 So ist es nicht überraschend, dass sich kurz nach dem Umwelt-Gipfel in Paris erste Bran-chen (z.B. Stahlindustrie) mit Kritik an der Politik zu Wort gemeldet haben.

210 Die Zweifelstreuer sind zurück; im VW-Skandal saß die Regierung und Verwaltung (Kraftfahrtbundesamt) offenbar mit im Boot; die Dreckschleudern Kohlekraftwerke er-halten „Bereitschaftshonorare“ in Milliarden –Höhe; die Entsorgung der Atomkraftwer-ke muss wahrscheinlich in großem Maß aus Steuermitteln bezahlt werden u.a.m. Ein deutsches Klimaschutzgesetz – selbst mit der Referenz auf 2050 (!) ist noch immer nicht in „trockenen Tüchern“.

211 Ein internes Stoppsignal könnte zumindest die karbonbasierte Wirtschaft einschrän-ken: z.B. wenn große Fonds oder Versicherungsgesellschaften ihr Kapital aus den ent-sprechenden Unternehmen zurückziehen. Die Expansion des Wirtschaftssystems muss dies aber nicht zwingend beeinträchtigen.

212 Zumindest symbolträchtig ist der Auftritt des Trigema-Chefs in Talkshows – als Beispiel guter Praxis: er produziert in Deutschland, zahlt gute Löhne und auch seine Steuern.

Funktionszeit-Begrenzung, internationale Sicherheits-Standards für Produk-tionsprozess und Produkte u.v.a.m.213

* Kartellgesetzgebung gegen die Entwicklung marktbeherrschender Konzerne, Wettbewerbsförderung, Förderung gewerkschaftlicher Beteiligungsmöglich-keiten, Watchorganisationen (von Lobbycontrol bis zum Verbraucherschutz), Beschränkung von Elitenrotation zwischen Funktionssystemen, Korruptions-bekämpfung usw. können wirksame flankierende Strategien von Politik und öffentlicher Verwaltung darstellen.

* Zu erwähnen sind auch Versuche, flächendeckend ethische Aspekte in den Wirtschaftsablauf einzubauen, den „Social Compact“. Sie benötigen jedoch ne-ben dem internen auch ein externes Monitoring, um Etikettenschwindel zu vermeiden.