• Keine Ergebnisse gefunden

Kapitel 3: Die Gesellschaft der Zukunft

4.1 Die Ausgangslage in den ausgewählten Funktionssystemen

4.1.1 Massenmedien

Halten wir noch einmal fest: Bei den Massenmedien handelt es sich um ein Funk-tionssystem, das mit dem Medium öffentliche Information arbeitet; Der Code ist Information/Nichtinformation, wobei neben der Geschwindigkeit (Aktualität) auch der investigative Neuigkeitswert von Bedeutung ist; in jedem Fall geht es um die Aufmerksamkeit der InformationsadressatInnen; die Leistung des Sys-tems besteht auch in der Meinungsbildung, wobei der vorhandenen Asymmetrie der Informationsbestände bei den Adressaten Rechnung getragen werden muss.

Zur Ausführung der Funktion werden Muster der öffentlichen Meinung zugrun-de gelegt.

(a) Wie wird die Gesellschaft der Zukunft aussehen, wenn nichts nachhaltig geändert wird?

Das Mediensystem ist in Deutschland breit aufgestellt – sowohl mit Blick auf die Eigentumsrechte als auch mit Blick auf die genutzten Verbreitungstech-nologien und die Themenvielfalt. Im Grundsatz ist die Funktionserfüllung durch die im GG (Art. 5) verankerte Pressefreiheit gewährleistet. Dass dies nicht selbstverständlich ist, lässt sich weltweit vielerorts beobachten. Die Zu-gänglichkeit für die Bevölkerung (Inklusion) ist im Prinzip gegeben. Neueste Zahlen belegen, dass durchschnittlich die Hälfte der Tageszeit durch Nutzung diverser Medien bzw. technischer Kommunikationsmittel „verbraucht“ wird.

Der „homo digitalis“ ist schon Realität. Umstritten ist in letzter Zeit die Frage, ob die Gesellschaftsbeobachtung durch die Medien die vielfältigen Perspek-tiven und Interessen der Gesellschaftsmitglieder angemessen berücksichtigt.

Dazu gehört auch die Frage: Wie steht es um die Resonanz mit Blick auf alle anderen Funktionssysteme?

* Wie die meisten Funktionssysteme ist das Mediensystem durch starke Ex-pansionstendenzen gekennzeichnet. Als deren Hauptursache kann die Ent-wicklung zur Weltgesellschaft angesehen werden: Nicht zuletzt durch die Technikentwicklung kann die kommunikative Erreichbarkeit von Menschen auf dem Globus immer weiter ausgedehnt werden. Damit wächst ständig der Umfang der Informationen, die sich potenziell als Kommunikationsinhalte

auch für die Massenmedien eignen. Dies wird zusätzlich angetrieben durch die internationale Mobilität, die auch ein wachsendes „persönliches“ Interes-se der Bevölkerung an Informationen „aus aller Welt“ befördert.

* Der Umfang der potenziellen Informationen erschwert den Überblick, die Auswahl und ggf. auch die Verifizierung der beschriebenen Sachverhalte.

Dies befördert zwei Trends: einerseits das Anwachsen und die Bevorzugung von nun weltweit erfassten „Alarm“-Meldungen („breaking news“), nicht sel-ten unter Missachtung der Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Recherche; und andererseits die Einflussnahme auf andere Funktionssysteme durch die Di-sposition des knappen Gutes „Aufmerksamkeit“. Mit anderen Worten: die Kommunikationen und Entscheidungen anderer Funktionssysteme sind quasi nicht existent, wenn sie nicht in den Medien präsentiert werden. Medien kön-nen dadurch eikön-nen exklusiven Zugang zu politischen, wirtschaftlichen, wis-senschaftlichen, medizinischen Informationen und Akteuren u.s.w. gewinnen.

Sie „expandieren“ durch ihre enge Koppelung mit anderen Funktionssyste-men – was ihnen zuletzt u.a. den pauschalen Vorwurf der „Lügenpresse“ bzw.

der „Eliten-Medien“ eingebracht hat201. Allerdings birgt die sehr enge Koppe-lung mit der Politik und der Wirtschaft oft auch die Gefahr, von diesen Syste-men massiv beeinflusst oder gekapert zu werden.

* Einen besonderen Schub erhält die Medienexpansion durch die Digitali-sierung und das Internet. Einerseits werden bisherige Übermittlungstech-nologien ersetzt und ergänzt, andererseits sieht sich das Mediensystem mit Kommunikationsbeteiligten konfrontiert, die das Format und die Inhalte be-einflussen. Diese Kommunikationsbeteiligung ist nicht neu: früher hieß es

„ich will auch ins Fernsehen“, „ ich mache was mit Medien“, heute wird von

„Selbstdarstellungs-Sucht“ (Narzissmus) und Voyeurismus gesprochen. Die Ambivalenz wird zunehmend sichtbar: die mediale Weltbeobachtung wird immer lückenloser – was aber auch zu einem Risiko werden kann: die Suche/

Sucht nach Anerkennung durch „Likes“ sowie die Bedrohung durch „Shit-storms“, „Shamestorms“ und Mobbing, die zur psychischen Katastrophe bei den Betroffenen führen kann.

* Was „breaking news“ sind, die die Aufmerksamkeit erregen, wird zuneh-mend beliebig: ein Video, auf dem ein Gefangener vom IS geköpft wird, ein Erdbeben in einem dicht besiedelten Gebiet, ein Foto von Heidi Klum auf ir-gendeinem roten Teppich, oder ein Videoclip, in dem Otto xyz eine Flasche Rotwein auf der Toilette sitzend in einem Zug austrinkt. Beachtenswert ist diese Entwicklung vor allem deshalb, weil sie mit Generationsunterschieden

201 Dabei bleibt aber festzuhalten, dass Medienkritik schon solange existiert wie es Medien gibt. Allerdings war sie meist auf ausgewählte Produkte bezogen und an sachbezogenen Überzeugungen ausgerichtet: beispielsweise linke vs. rechte Zeitungen u.ä.

verknüpft ist. Es ist also nicht sicher, dass die Jugend von heute in der GdZ noch „traditionelle“ Medien nutzen wird – vor allem, wenn man dafür auch noch bezahlen soll.

* In jüngster Zeit werden die neuen Medienformate auch von den anderen Funktionssystemen genutzt, um „authentische“, nicht von lästigen Fragen der Journalisten gestörte Botschaften zu übermitteln. Dies könnte zu einem neu-en Muster der Koppelung oder gar des „Kaperns“ des Medineu-ensystems führneu-en, wie es aus autoritären Staaten bekannt ist – ohne eine Pressezensur einzu-führen202.

* Weiter kompliziert wird die Situation durch Mitteilungen im Netz, die ano-nym erfolgen oder durch „bots“ (derzeit 60.000 am Tag?) erzeugt werden. Die diskutierten Folgen sind Orientierungslosigkeit, die digital erzeugte Singula-rität (Info-Blasen) oder die Bildung von digitalen Weltbilder-Subkulturen, die sich ggf. gegenseitig als Lügner oder Verschwörungstheoretiker bezeichnen.

Mit der Ansammlung von Singularitäten, als Meer von Meinungen, fehlt die für die Gesellschaft notwendige kommunikative Anschlussfähigkeit203. Konse-quent fortgesetzt kann dieser Trend sowohl zu einer – nicht zuletzt von den Netz-„Masters“ und ihren ökonomischen Interessen beförderten – Kaperung des Gesellschaftssystems führen, in der die analogen Formen der Kommuni-kation suspendiert sind, als auch zu einer Auflösung des Funktionssystems, weil es seine Funktion, selektive Aufmerksamkeit in der Gesellschaft zu erzeu-gen oder gar zur Meinungsbildung beizutraerzeu-gen, nicht mehr erfüllt.

(b) Wichtige Weichenstellungen, um die Balancierung von Funktionssyste-men zu befördern.

* Auch hier ist zunächst ein Blick auf die Verbreitungstechnologie – nun explizit auf das Internet – notwendig. Die Expansion medial vermittelter Botschaften wird in starkem Maße von den Netzbetreibern beeinflusst. Die Diskussionen über Netzneutralität oder die Schaffung eines europäischen Netzes ist ein Hinweis auf diesen Sachverhalt. Insofern liegt es nahe, Erfahrungen aus ande-ren Versorgungsnetzen (wie Stromnetzen) zu nutzen: z.B. durch eine strikte Trennung von Netzbetreibern und Netznutzern, wobei erstere auch für die Standards der Netznutzung, z.B. Sicherheit, Verhinderung von Missbrauch, 202 So unterschiedliche Beobachtungen, wie die EM-Fernsehübertragung direkt von der UEFA, oder auch der Ausschluss der Medien von AfD-Veranstaltungen, haben für Irrita-tionen gesorgt.

203 In dieses Bild passen die aktuellen Bemühungen von Google, E-Mails durch ein Compu-terprogramm beantworten zu lassen. Allerdings enthält dieses Szenario auch eine Chan-ce: in der GdZ könnten sich die Smartphones völlig selbständig miteinander „unterhalten“, während die Menschen wieder ganz analog bzw. face to face miteinander kommunizie-ren. Wäre dies dann das Ende der Werbung als Geschäftsgrundlage?

verantwortlich gemacht werden können. Aufsichtsbehörden, analog zur Bun-desnetzagentur, können ergänzende Kontrollfunktionen wahrnehmen – z.B.

mit Blick auf die Tendenz zur Monopolisierung der Datensammlung (BigDa-ta). Die Sicherung von Wettbewerb wird als wichtige Voraussetzung dafür an-gesehen, dass „zivilisierte“ Formen der Netznutzung die Oberhand behalten.

* Um die Funktionen des Mediensystems zu sichern, wird weiterhin auf Plura-lität der Verbreitungstechnologien als auch der inhaltlichen Formate gesetzt.

Beide Aspekte bedingen sich wechselseitig, denn nicht alle Arten von Themen und Informationen lassen sich mit einer der Techniken wirksam übermitteln.

Insofern ist es beachtenswert, wenn die bisher dominierenden Träger medi-aler Informationsvermittlung auch in neuen Technologien und Formaten prä-sent sind. Andere Technologien sollten gleichwohl weiter unterstützt werden.

* Die Vielfalt der institutionellen Arrangements (privat)wirtschaftlich, öf-fentlich-rechtlich, informell wird auch für die GdZ für notwendig angesehen.

Ebenso ist die Forderung nach Demokratisierung des Netzes nach wie vor in der Diskussion. Angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung des inter-netbasierten Mediensystems (persönliche Daten=Werbung) und der Zunah-me von Gratis-Informationen werden Rechercheverbünde gebildet, durch die Kosten eingespart werden, um dem investigativen Journalismus eine Zukunft zu erhalten.

* Trotz des ungebrochenen Runs auf die neuesten Nachrichten sind Formen der Selbstreflexion erkennbar, die diesen Trend abbremsen könnten: Debatten über journalistische Präsenz und Tätigkeiten (Recherchen), über verbreitete Bilder und Etiketten – z.B. bei GermanWings Absturz, bei den Flüchtlingsbe-wegungen, den Attentaten in Paris oder der Silvesternacht in Köln – u.v.a.m.

Aber nicht nur die „Überschwemmungsphänomene“, sondern auch die nicht weiter verfolgten Themen sind dabei im Blick. Die Kontinuität der Beobach-tung und der Nachfragen sind gefragt. Dies alles lässt sich als Versuch lesen, Unterschiede in Qualität und Glaubwürdigkeit medialer Kommunikation – trotz der Datenüberflutung durch das Internet – auch für die GdZ zu erhalten.