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2.5.1 Prinzipien

Gesellschaftliche Funktionssysteme sind Kommunikationssysteme, die so-wohl Formen der Interaktion als auch der Organisation umfassen. Dies alles ließe sich nicht beobachten, wenn nicht Personen als Adressaten der Kom-munikationen berücksichtigt würden. Soziale Systeme sind keine Container, auf die die Menschen verteilt werden. Im Unterschied zu den anderen For-men der gesellschaftlichen Differenzierung, die definitive Unterscheidungen bzw. Festlegungen zwischen dazugehörigen Personen und nicht dazugehö-rigen Personen vornehmen54, können Bevölkerungsmitglieder grundsätzlich in allen Funktionssystemen als Personen an der Kommunikation teilnehmen.

Dies wird als „Inklusion“ bezeichnet, der die Prinzipien Freiheit und Gleich-heit unterliegen. Dabei gelten im Prinzip die gleichen Bedingungen wie für die Funktionssysteme selbst. Personen sind – wie die Funktionssysteme – wech-selseitig aufeinander angewiesen: Arbeitsteilung oder „organische Solidari-tät“ (Durkheim) sind die entsprechenden Stichworte. Konkret sind aber oft auch Exklusionen mit Blick auf einzelne Funktionssysteme zu beobachten55, die allerdings keine automatische Breitenwirkung bzw. Auswirkungen auf die Inklusion in andere Funktionssysteme haben müssen. Dies hängt u.a. von der relativen faktischen Bedeutung der Funktionssysteme ab: z.B. Zugang zu Menschenrechten via Rechtssystem; oder Zugang zu einem auskömmlichen Einkommen via Wirtschaftssystem. Von Bedeutung für die zuvor erörterte schwierige „Balancierung“ des Funktionssystem-Ensembles ist hier vor al-lem die mögliche multiple Inklusion von Personen und damit eine potenzielle Koppelung von Kommunikationen – insbesondere in diversen Organisatio-nen: Vorstand im Unternehmen + Parteimitglied + Mitglied in Fördervereinen für die Wissenschaft + Mitglied im Elternbeirat der Schule etc. Die Kommuni-kationen in den einzelnen Organisationen werden durch die jeweils anderen Mitgliedschaften beeinflusst. Derartige „Irritationen“ sind allerdings weniger bedeutsam, wenn das relative Gewicht der Funktionssysteme sehr ungleich

54 Z.B. Clanmitglieder, Stadtbewohner (und Wanderarbeiter), Kastenangehörige (und „Un-berührbare“)

55 Befördert werden solche Exklusionen besonders durch organisierte Sozialsysteme mit ihrer selektiven Mitgliedschaft. Aber selbst innerhalb der Mitgliedschaft werden – in Form der Hierarchie – deutliche Unterschiede im Einkommen, Status, sozialer Sicherheit etc. festgelegt. Dass dies u.a. auch als Verletzung von Freiheits- und Gleichheitsgrundsät-zen wahrgenommen wird, lässt sich der Kommunikation über „Diskriminierung“ entneh-men: z.B. ungleicher Lohn für gleiche Arbeit.

verteilt ist (Verletzung des Gleichheitsprinzips) oder die Inklusion in ein do-minantes Funktionssystem als Voraussetzung für die Inklusion in andere gilt (Verletzung des Freiheitsprinzips).

2.5.2 Inklusion in Funktionssysteme

In der modernen Gesellschaft findet Kommunikation – jenseits der Familien und Freundeskreise – überwiegend in Organisationen statt, die einerseits über die Mitgliedschaftsrolle und andererseits durch Medium und Code des jeweiligen Funktionssystems fokussiert werden. Dabei sind allerdings große Unterschiede in der Organisationsstruktur und damit in der Positions- und Aufgabenzuteilung möglich56.

Die umfassendste und gleichartigste Inklusion stellt die Staatsbürger-schaft dar, die meist bereits mit der Geburt verankert ist. Damit sind v.a. Rechte und Pflichten verbunden, die den öffentlichen Sektor betreffen, das heißt das politisch-administrative System und damit eng gekoppelte Funktionssysteme (wie die Erziehung, das Recht). Durch die territoriale Basis dieser Inklusion – die nationalstaatlichen Grenzen (auch der EU) – sind weitere Inklusionsmög-lichkeiten eröffnet, aber nicht selbstverständlich: ins Wirtschaftssystem, ins Medizinsystem, in ein Religionssystem, in das Mediensystem, in das Kunstsys-tem u.a. Besondere Beobachtung verdient dabei die Frage, wie die Inklusion oder Exklusion in das eine Funktionssystem die Inklusion oder Exklusion in ein anderes beeinflusst. Mit Blick auf den Lebenslauf der Gesellschaftsmitglie-der wird meist die Bildung fokussiert, im Hinblick auf den guten oGesellschaftsmitglie-der schlech-ten Lebensstandard meist die Inklusion in das Wirtschaftssystem. Unter dem Gesichtspunkt der (mangelnden) Chancengleichheit wird inzwischen aber zunehmend auch die Familie thematisiert. Mit anderen Worten: vor allem die Breite der Inklusion oder Exklusion entscheidet über soziale Aufstiegschan-cen und soziale Ausgrenzung. Durch die multiple Inklusion kann die unter-schiedliche Operationsweise der verschiedenen Funktionssysteme besser beobachtet und ggf. durch Kommunikationsbeteiligung beeinflusst werden.

Da es aber – jenseits des Rechtssystems – in der Regel wenige Bereiche der Zwangsinklusion gibt, müssen Rechte und Pflichten, Vor- und Nachteile der Inklusion hinreichend wahrgenommen werden können. Dazu gehört eine ak-tive Kommunikation in verschiedenen sozialen Systemen und – pauschal aus-gedrückt – in der Zivilgesellschaft. Sie wird auch darauf hinweisen (müssen),

56 Um es noch einmal zu betonen: eine Funktion legt keine spezifische Aufbau- und Ablauf-organisation fest: es gibt viele sogenannte „funktionale Äquivalente“: das wird vor allem durch internationale Vergleiche sichtbar.

dass ein „Rückzug ins Private“ auf Dauer keine überzeugende Alternative zu einer breiten Inklusion darstellt.57

Um den „Stand der Dinge“ in wenigen ausgewählten Hinsichten zu skizzieren, sei auf einige Daten (Deutschland 2015) hingewiesen: Bev.

81.3 Millionen.; Erwerbstätig: 43.2 Millionen; Arbeitslosenquote 4,7%; 15%

armutsgefährdet; Gewerkschaftsmitglieder ca. 6 Millionen; Parteimitglieder ca. 1.25 Millionen (ca. 1.8% der beitrittsfähigen Bevölkerung); Abiturienten-quote 51%; Vereinsmitgliedschaft(en) ca. 36%. Wie eine neue Übersicht (DIE ZEIT v. 12.5.2016) zeigt, ist der Trend überwiegend rückläufig: nur bei Fuß-ballclubs, dem ADAC und den „sozialen“ Medien gibt es Zuwächse. In einer Anmerkung wird darauf hingewiesen, dass beim Deutschen Schützenbund immer noch mehr Menschen organisiert sind, als in allen fünf großen politi-schen Parteien zusammen.

2.5.3 Die normative Perspektive

Die Skizze von Grundzügen der Systemtheorie Luhmanns soll zwei Anforde-rungen erfüllen: zum einen soll damit die Frage beantwortet werden, ob und wie die gegenwärtigen Kommunikationen in den Massenmedien – vor allem mit Bezug zur Zukunft – auf die Gesellschaft mit ihrer Komplexität und Kontin-genz eingeht. Es geht also um die Breite oder Engführung der Beobachtungen.

Zum anderen soll die potenzielle Zukunftsbezogenheit der Kommunikation bewertet werden. Als Bewertungsrahmen und Leitbild wird die „funktional dif-ferenzierte Gesellschaft mit hohen Graden an Inklusion“ zugrunde gelegt. Den Hintergrund bilden die oben skizzierten Ausführungen Luhmanns zur Evolu-tion der Gesellschaft (Weltgesellschaft). Über „die Zukunft“ hat sich Luhmann wenig geäußert, weil sie als entscheidungsabhängig gilt und nicht voraus-sehbar (kontingent) ist. Dass sie ein Thema für die Kommunikation darstellt, hat er u.a. mit der Zurechnung von (potenziellen) Fehlentwicklungen oder Katastrophen als Risiko (systeminterne Zurechnung) und Gefahr (systemex-terne Zurechnung) beschrieben. Aber auch diese Aspekte lassen sich in unsere Prüffrage einbinden, ob die funktional differenzierte Gesellschaft im Zeitraum +/-2050 eine Zukunft haben wird.

Neben der Beschreibung und kritischen Kommentierung von Zukunfts-kommunikationen ist im Rahmen der folgenden Kapitel demnach stets die Frage im Blick zu halten, durch welche gegenwärtigen und zukünftigen Kommunikationen und Entscheidungen dazu beigetragen werden kann, die gesellschaftliche Evolution „auf Kurs“ zu halten: möglicherweise eher durch

57 Wie die Kommunikationen im Jahr 2015 gezeigt haben, ist manche „Idylle“ schneller als erwartet zerstört worden. 2016 haben das vor allem die Briten erlebt: Brexit.

Risiko- und Gefahrenvermeidung als durch die Festlegung und Durchsetzung eines wie immer gearteten Wunschbildes einer „guten“ – aber eben auch höchst unwahrscheinlichen – Gesellschaft.