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Defizite von Politik, Öffentlicher Verwaltung (ÖV) und Justiz

Kapitel 3: Die Gesellschaft der Zukunft

4.2 Das (partielle) Versagen von Politik und Zivilgesellschaft als

4.2.2 Defizite von Politik, Öffentlicher Verwaltung (ÖV) und Justiz

weil sie eine enge Koppelung aufweisen.243 Sie werden im Folgenden deshalb z.T. mit dem Kürzel PAS erfasst.

Zukunftsrelevante Defizite/Herausforderungen liegen u.a. in folgenden Ent-wicklungen:

Unzureichende Beachtung der Nachhaltigkeitserfordernisse (a) Beschreibung der beobachteten Defizite

Die strukturelle Koppelung an das materielle Umweltsystem wird mehr als 40 Jahre nach dem ersten Bericht an den Club of Rome noch immer unzureichend beachtet. Obwohl Deutschland in einigen Hinsichten besondere Resonanz zeigt – zuletzt vor allem mit der Energiewende –, bleibt Vieles politische Rhe-torik, symbolische Politik. Zuletzt wurde dies an den Beispielen VW-Skandal, Erhaltung von Braunkohlekraftwerken bis 2050, Chaos bei der Lagerung von Atommüll, Nitrate im Trinkwasser etc. deutlich.

Zwar ist das PAS nicht das Funktionssystem, das am häufigsten über die Nutzung und/oder Zerstörung natürlicher Ressourcen disponiert, doch es hat die Aufgabe, diesbezüglich Grenzen für andere Funktionssysteme – insbe-sondere für das Wirtschaftssystem, aber auch für das Wissenschaftssystem/

Technik – zu setzen. Für die GdZ lassen sich hierzu vor allem deshalb Schluss-folgerungen formulieren, weil viele Entwicklungen (Ressourcen, Klima) lang-fristig wirken, wie das schon in der Luft befindliche CO2, oder sogar einen irreversiblen Prozess auslösen. Die Komplexität der natürlichen Umwelt lässt die immer globaler ausgerichteten menschlichen Eingriffe244 als ein großes Feldexperiment erscheinen, dessen langfristige Auswirkungen nicht voraus-sehbar sind.

(b) Beschreibung der möglichen systembezogenen Weichenstellungen – z.B.

Stopp, Umkehr, Neuausrichtung

Das PAS muss ein zentraler Sprecher für die natürliche Umwelt sein und bleiben. Dazu gehört die kontinuierliche Beobachtung der strukturellen Koppelung aller Funktionssysteme und auch der Zivilgesellschaft mit dem natürlichen Umweltsystem. An Rhetorik fehlt es nicht. In den Blick zu

neh-243 In einem anderen kategorialen Rahmen wird zusammenfassend vom Öffentlichen Sek-tor gesprochen.

244 Man betrachte nur die Umweltbelastungen durch den weltweiten Luftverkehr, dem von der IATA für 2034 7,4 Milliarden Fluggäste vorausgesagt werden (2014: 3.3 Milliarden).

Kein Wort über die Umweltfolgen.

men und ggf. zu kommentieren sind einerseits die Kontrollen und ihre gesell-schaftliche Transparenz und andererseits die politischen und administrativen Entscheidungen. Diese Ansätze müssen nicht neu erfunden werden, sondern sind mehr oder weniger systematisch bereits zu beobachten. Sie sind zu kom-plettieren und vor allem praktisch umzusetzen.

Das Beobachtungsregime: hier ist vor allem auch das Wissenschaftssystem weiterhin gefordert, das unabhängige Daten zu Zuständen und Entwicklungs-trends – zu Klimawandel, Rohstoffverbrauch, Wasserbeständen; Verbreitung von Giften, Plastikmüll etc. – liefern kann, wie z.B. das IPCC zeigt. Die Ergeb-nisse müssen der (Welt-)Gesellschaft zur Verfügung stehen. Hilfreich sind die Informationen zur Öko-Sensibilität oder zur Öko-Bilanz von Produkten; sie dürfen aber nicht verfälscht werden. Umwelt- und Verbraucherorganisatio-nen leisten hier schon eine wichtige Funktion beim „Naming und Blaming“.

Die Kombination von jährlicher Ressourcen-Erschöpfungskontrolle und Recy-cling ist ebenfalls ein guter Beobachtungsansatz.

Das Kontrollregime: Trotz vieler vorhandener Daten (z.B. Feinstaubmes-sungen245) ist die Kontrolle und Eindämmung umweltschädlicher Produktio-nen und Produkte in vielen Fällen ergänzungsbedürftig – wie immer wieder aufgedeckte Umweltskandale zeigen. Zu unterstützen sind die Versuche, die Unabhängigkeit der Prüfinstanzen von den geprüften Akteuren und Produk-ten zu forcieren. Der VW Skandal ist auch in dieser Hinsicht ein Beispiel, aus dem man lernen kann: Kfz-Bundesamt, TÜV, aber auch ADAC u.a.

Das Folgenabschätzungsregime unterstützt das Vorsorgeprinzip: Tech-nikfolgenabschätzung ist dafür bereits ein gutes Beispiel. Die Ergebnisse müssen aber auch transparent gemacht und in Entscheidungen eingebunden werden. Soweit erst längerfristig mit den Auswirkungen gerechnet werden kann, ist ein kontinuierliches Monitoring erforderlich. Die Rückbauprobleme von Kernkraftwerken und die Endlagerung des Atommülls bilden bisher kein überzeugendes Beispiel dafür. Die schwierigste Aufgabe besteht allerdings da-rin, die Umweltkosten – nicht nur in Produkten und Produktionsverfahren – wie bei Handys und seltenen Erden – sondern auch in Lebensmittelverbrauch (Fleischverzehr), Flugreisen, Containerschiffe oder Kreuzfahrten „einzu- preisen“. Die bisher übliche „Externalisierung“ führt zu einer gravierenden Fehlsteuerung bei der Kostenkalkulation bzw. Preisbildung246 von Produkti-on und KProdukti-onsumptiProdukti-on. Der Handel vProdukti-on Verschmutzungsrechten ist ein mög-245 Die Dramatik zeigt Peking am 28.11.2015 mit 20facher Überschreitung der

Feinstaub-Grenzwerte und der dringenden Aufforderung an die Bevölkerung, ihr Haus nicht zu verlassen: sieht so die urbanisierte GdZ aus?

246 Die Problematik der Indizes betrifft auch Makro-Daten wie das BIP, die eine unzurei-chende Kennzeichnung der Wirtschaftsleistung und erst recht der Lebensqualität vor-nehmen: vgl. die „Bemühungen“ der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages

„Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ (2011–13).

licher Weg, wurde bisher aber nicht angemessen (strikt) durchgeführt. Die Verschmutzungsrechte könnten ggf. auch von den Bevölkerungsmitgliedern erworben werden: dann kann individuell entschieden werden, wie viel Plas-tiktüten verbraucht, Strom für die Handyaufladung genutzt, Wasserverbrauch für den Fleisch-Konsum oder den Golfplatz akzeptiert oder Treibstoff für Flugreisen jeweils verantwortet (und individuell finanziert) werden können.

Das Haftungsregime knüpft eng an die realistische Folgenprognose und ihre Bewertung an. Dafür ist das Verursacherprinzip strikt durchzusetzen.

Dies ist vor allem für die GdZ von Bedeutung, weil die heute eingesparten Präventionskosten zukünftigen Generationen als (meist wohl höhere) Fol-genbeseitigungskosten auferlegt werden. Die Rückversicherer sind wich-tige Informationsquellen, weil sie nüchtern rechnen müssen, ohne sich von Hysterikern oder Leugnern diverser Umweltproblematiken allzu sehr beein-drucken zu lassen.

Die größte Herausforderung für die Zukunft bleibt die striktere Umset-zung von diesbezüglichen politischen Entscheidungen und den vorhandenen Regelwerken.247 Zudem ist der Etikettenschwindel mit dem Stichwort Nach-haltigkeit u.ä., der nicht zuletzt mit der Zunahme von Werbung verbunden ist, strikter zu unterbinden.248 Allerdings sind die Ziele und Maßnahmen nur dann zu verwirklichen, wenn die Funktionssysteme sich selbst durch die strukturelle Koppelung mit dem natürlichen Umweltsystem entsprechende Restriktionen auferlegen. Dies gilt auch für das PAS selbst, das z.T. direkt den Ressourcenverbrauch beeinflusst – z.B. durch die fortschreitende Flächenver-siegelung, durch unwirtschaftliche Großprojekte, durch Zulassung von immer mehr Kraftfahrzeugen – oder Einzelmaßnahmen wie die zwei Regierungs-standorte (Berlin und Bonn). Darüber hinaus sind die staatlichen Subventio-nen kontinuierlich darauf zu prüfen, inwieweit sie Nachhaltigkeitsstandards berücksichtigen.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass ein umweltbewusstes Leben in der GdZ erhebliche Veränderungen – insbesondere – in der Energieerzeugung sowie in Produktion und Konsumption zur Folge haben wird/müsste249. Dies gilt vor allem dann, wenn man auch das globale Bevölkerungswachstum auf ca. 10 Milliarden bis zum Ende des Jahrhunderts berücksichtigt. Die Optio-nen – z.B. hinsichtlich der erneuerbaren Energien – sind bereits vorhanden, 247 So kann man gespannt sein, wann den Dieselfahrzeugen von VW die grüne

Umweltpla-kette aberkannt wird.

248 Ein typischer Satz von Verbraucherschützern lautet: wo BIO/ÖKO draufsteht ist keines-wegs immer BIO/ÖKO drin.

249 Diese vorsichtige Formulierung ist wohl begründet, wenn man beobachtet, dass wenige Tage nach den Beschlüssen des Klima-Gipfels schon erste Vorbehalte gegen den Ausstieg aus der Braunkohleproduktion (bis 2050!) laut werden: die Deutschen sollten es nicht übertreiben und den Vorreiter spielen wollen.