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Kapitel 3: Die Gesellschaft der Zukunft

4.1 Die Ausgangslage in den ausgewählten Funktionssystemen

4.1.4 Erziehung

Halten wir noch einmal fest: Die Funktion von Bildung ist die Vorbereitung und Auswahl für gesellschaftliche Rollen, Positionen und Karrieren. Die Leistung be-steht in der Befähigung zu spezialistischer („unwahrscheinlicher“) Kommuni-kation. Das Medium ist der Lebenslauf/die Karriere, der binäre Code ist lernen/

einsetzbar vs. nicht lernen/nicht einsetzbar. Zur Ausführung der Funktion wer-den Lehrpläne genutzt.

(a) Wie wird die Gesellschaft der Zukunft aussehen, wenn sich existierende Muster und Trends der Entwicklung des Funktionssystems unverändert fortsetzen?

Das Erziehungssystem in Deutschland ist ein Kern der föderalen Politikarchi-tektur, mit der das System strukturell gekoppelt ist. Dadurch gibt es vielfältige Varianten, Konkurrenzen zwischen den Bundesländern und Ergänzungen – auch mit Blick auf die Adressaten (Bevölkerungsgruppen, Altersgruppen), die Anspruchsniveaus und die Inhalte. Besondere (internationale) Beachtung finden häufig die Formen der Erwachsenenbildung und die Duale Ausbildung.

Das System weist besonders hohe Inklusionsraten auf, weil ein großer Teil der Beteiligung verpflichtend ist. Aber auch die freiwillig zu nutzenden Angebo-te werden stark in Anspruch genommen: mehr als 85% der Kinder im AlAngebo-ter zwischen 1 und 3 Jahren werden in Einrichtungen betreut. Der Anteil der Stu-dierenden an einer Alterskohorte ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Der Anteil der Studienberechtigten hat sich seit 1950 verzehnfacht, die Absolventen sind seit 1970 von 8% auf mehr als 30% gestiegen.

* Für die expansive Entwicklung des Erziehungssystems lassen sich zwei Beobachtungen hervorheben: zum einen die Verberuflichung von Tätigkeits- und Befähigungsprofilen und zum anderen die von der gesellschaftlichen Entwicklungsdynamik geforderte Dauerhaftigkeit: lebenslanges Lernen. Ein typisches Kennzeichen ist die Zunahme von Zertifikaten. Dies wird in der GdZ noch zunehmen, weil sich der Kampf um Beteiligungs-, Beschäftigungs- und Karrierechancen, die durch Erziehung/Ausbildung vermittelt werden, ver-schärfen wird. Inzwischen fängt dieser Kampf schon in der Kita an – z.B. mit der Frage, ob das Kind nicht schon einmal vorsorglich Chinesisch lernen soll-te. Auch die Individualisierung dieses Prozesses wird zunehmen, da die Ein-bindung in Beschäftigungsverhältnisse kürzer werden und damit auch die von dort veranlassten weiteren Qualifikationsschritte219.

219 Schon gegenwärtig wird ein großer Teil der beruflichen Qualifikationsmaßnahmen pri-vat finanziert. Die Tendenz zur Ich-AG ist beobachtbar – u.a. auch durch prekäre Be-schäftigungsverhältnisse ausgelöst.

Wenig überraschend ist deshalb die Zunahme von Beratungsbüchern und Trainingsangeboten.

* Trotz der engen Koppelung mit dem PAS (Schulpflicht) hat sich bereits ein enger Bezug zu anderen Funktionssystemen – insbesondere der Wirtschaft – entwickelt. In den vergangenen Jahren wurde die Beobachtung des Wirt-schaftssystems zum Ausgangspunkt von Reformen gemacht: von den Inhalten über die Verkürzung von G9 auf G8 bis zur Einführung des Bachelor an den Universitäten, Online-Erziehung, eine Flut von Ratgebern für alle Lebenslagen u.a.m. Die Verwertbarkeit der Menschen, das „Humankapital“ steht im Fokus.

Dabei stellt die Wirtschaft nicht nur die „Abnehmer“ sondern auch die „Pro-duzenten“ von Bildungsleistungen dar, womit der Trend zur direkten und sehr spezifischen (ggf. kurzzeitigen) Verwertung der „Humankapitals“ verstärkt wird. Schließlich werden Qualifikationsmaßnahmen teilweise von der Wirt-schaft gekapert und damit u.U. von dem Versprechen auf Karriereförderung abgelöst.

* Insgesamt werden diese Entwicklungen zu einer wachsenden Spaltung von Bildungschancen in der Gesellschaft führen. Anders ausgedrückt: die Funkti-on der Förderung sozialer Aufstiegsmöglichkeiten durch Erziehung/Bildung in den verschiedenen Varianten werden in der GdZ weiter erschwert.

* Daneben wird es in der GdZ aber auch um die für die Einbindung in die Zivilgesellschaft notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten gehen – eine Weiterentwicklung des gegenwärtig üblichen „do it yourself“ und der Erwach-senenbildung (VHS). Dabei ist es durchaus möglich, dass sich die Erziehung in der GdZ u.a. auf die Konsumentenrolle der jungen Menschen und das sie begleitende Marketing konzentrieren wird: selbst gestaltete Werbespots über Youtube, An- und Verkauf über Ebay usw.. Dafür könnte aber auch das Medien-system das ErziehungsMedien-system „kapern“: schon heute wird es intensiv in den Unterricht einbezogen. In Zukunft könnte sich sogar die Vorstellung immer mehr durchsetzen, man brauche nichts zu lernen, da alles Wissen im iPhone verfügbar ist.

* Die Migration der Zukunft könnte diesen Trend insofern etwas bremsen, weil eine „Selbstverständlichkeit“ nun explizit kommuniziert wird: dass das Erziehungssystem eine Inklusion in die verschiedenen Funktionssysteme be-fördern muss. Dabei werden auch die „weißen Flecken“ des Umweltbezuges sichtbar. Am Beispiel des häufig erwähnten Bezugspunktes, dem Grundge-setz, dürften sich trotz der entsprechenden Unterrichtskomponenten und der Aktivitäten von Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung noch er-hebliche Mängel im Verständnis der Bevölkerung darüber zeigen, in welchem Land sie derzeit lebt. Aber eben diese Tatsache, dass das Erziehungssystem in bestimmtem Sinn – konkret durch die Schulpflicht – das einzige umfassende

alltagspraktisch wirkende Inklusionssystem darstellt, macht es auch attraktiv für Koppelungs- und Kaperungsversuche.

(b) Wichtige Weichenstellungen, um die Balancierung von Funktionssyste-men zu befördern.

* Grundlegende Stoppregeln für die Expansion des Erziehungssystems sind nicht zu erkennen. Die Ausdehnung der traditionellen Muster wird in Zukunft durch den Nachholbedarf der Migranten befördert; dies dürfte durch die – da-rin z.T. enthaltene – verbreiternde Ausbildung für die Zivilgesellschaft ergänzt werden. Nicht auszuschließen ist dabei auch die Rückkehr zu einem weniger technisch-instrumentellen Bildungsbegriff – als einem Menschenrecht, das die Persönlichkeitsbildung und das Verständnis der Funktionsweise einer Gesellschaft (hier der GdZ) befördert. Insofern dürften Projekte wie „Integra-tionskurse“ für Migranten, „kein Kind zurücklassen“ und weitere „Moderati-onen/Begleitungen“ von Übergängen zwischen Ausbildungsphasen (NRW) oder die „Inklusion von Behinderten“ (UN) auch in der GdZ Beachtung und Unterstützung finden.

* Im Hinblick auf den Qualifikations-Wettlauf um lukrative Berufs-Positionen ist eine Veränderung erst zu erwarten, wenn – wie prognostiziert – ein großer Anteil davon der digitalen Automatisierung (Industrie 4.0) zum Opfer gefallen ist. Ein vergleichbarer Run auf den prognostizierten Bedarfszuwachs 220 bei Kita- oder Pflegepersonal ist wohl eher nicht zu erwarten.

* Fortbildung der Bevölkerung im Hinblick auf alle Funktionssysteme ist eine wichtige Zielsetzung, die mehr als bisher unabhängig von spezifischen Ver-wertungsinteressen erfolgen wird. Hierbei ist das PAS in besonderer Pflicht221. Dies kann nur dann erfolgreich sein, wenn es von einer breiten Inklusion der Bevölkerung in die Organisationen der anderen Funktionssysteme begleitet wird. Die Kommunikationen über die Migration hat sichtbar gemacht, dass die Frage, wie wir in der GdZ leben wollen, nicht ohne eine gewisse Klarheit bzw. einen basalen Konsens darüber, in welcher Gesellschaft wir heute leben, sinnvoll ist. Mit derartigen Kommunikationen kann auch die Inklusion der Be-völkerung nachhaltig unterstützt werden.

220 Neuere Prognosen bis 2030 (RWI) sprechen von 235 000 zusätzlich benötigten Pflege-kräften.

221 Ob man dabei die Forderung der chinesischen Regierung nachahmen sollte, dass die Bevölkerung die Verfassung mehrfach (handschriftlich) abschreibt, ist wohl eher frag-lich.