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Elementare Bewegungserziehung

2.2.1 Traditionelle Musik in der Musikerziehung

2.2.1.2 Wiederbelebung der traditionellen Musikpflege

Mit der Unabhängigkeit Koreas veränderte sich die Situation. Die traditionelle historische Musik wurde nun staatlich gefördert. 1951 wurde das ‚National Center for Korean Traditional Performing Arts‘36 eröffnet und in dessen Rahmen bald eine Oberschule speziell für traditionelle koreanische Musik gegründet. Nach dem koreanischen Krieg (1950-1953) wurde das Fach ‚Traditionelle Musik‘ an der Staatlichen Universität Seoul eingerichtet (1959). Dies trug dazu bei, dass die historische traditionelle Musik ein größeres Publikum bekam und mit der Zeit wieder populärer wurde (vgl. Seo, Han-Beom 1996, S. 263; Lee, Hong-Soo 1990, S.

25).

Bei der Pflege der traditionellen Musik gab es zwei Tendenzen: erstens den Versuch der traditionsgemäßen Weiterführung und zweitens eine Verbindung von traditionell koreanischen und westlichen Elementen wie europäischen Musikinstrumenten und Satztechniken (vgl. Bühler/Chu 1996, Sp. 751).

Allerdings schlug sich die Rückbesinnung auf die eigene Tradition zunächst noch nicht in der schulischen Musikerziehung nieder, die lange Zeit weiterhin westlich geprägt blieb. Viele Musiker und Musikpädagogen studierten in den USA, Europa und Japan. Nach ihrer Rückkehr nach Korea bemühten sie sich darum, die Musik und Musikerziehung weiter zu entwickeln. Aber sie waren westlich orientiert und schätzten die koreanische Tradition gering ein. Dies verstärkte das Ungleichgewicht zwischen beiden Musikformen und ließ die

36 Das ‚National Center for Korean Traditional Performing Arts‘ konzentrierte sich darauf, traditionelle überlieferte Musikstücke in genauer Notation aufzuschreiben, auf Tonträgern aufzunehmen und dazu einige Bücher mit weiteren Anweisungen zu veröffentlichen (vgl. Seo, Han-Beom 1996, S. 263).

172 traditionelle Musik weiter in Vergessenheit geraten (vgl. Lee, Hong-Soo 1990, S. 24). Im schulischen und außerschulischen Musikunterricht spielte die koreanische Tradition daher kaum eine Rolle. Während es für die Kinder durchaus üblich war, Klavier spielen zu lernen oder im westlichen Stil im Chor zu singen, war ein traditionell koreanischer Instrumental- oder Gesangsunterricht eher die Ausnahme.

Seit den 1970er Jahren setzte sich bei Bildungspolitikern und Musikpädagogen die Überzeugung durch, dass die traditionelle koreanische Musik verstärkt an den Schulen gefördert und das Ungleichgewicht zwischen westlicher und koreanischer Musik ausgeglichen werden müsse. 1973 wurde eine Institution für die Förderung der Kultur und Kunst (‚Korea Art and Culture Service‘) gegründet. Diese Institution konzentrierte sich auf die Standardisierung der traditionellen Instrumente und die Unterstützung für das Neuschaffen von Musik im traditionellen Stil. Bezüglich der Förderung traditioneller koreanischer Musik wurde die Notwendigkeit entsprechend ausgebildeter MusiklehrerInnen empfunden, da diese Förderung durch die schulische Musikerziehung viel schneller und effizienter erfolgen könne. In den 1970er Jahren gab es jedoch nur vier Universitäten, an denen das Fach der traditionellen Musik eingerichtet war. Dies reichte nicht aus, die schulische Musikerziehung zu unterstützen. Der ‚Korea Art and Culture Service‘ veranstaltete daher Fort- und Zusatzausbildungen zur traditionellen Musik für westlich ausgebildete MusiklehrerInnen. Außerdem beschäftigte er sich mit einer Veröffentlichung einiger Musiklehrbücher für LehrerInnen. 1974 wurde ein solches Lehrbuch für Sekundarschule-LehrerInnen veröffentlicht (‚Anweisung zur traditionellen Musik‘).

Daneben erschien in der Folgezeit (1976) auch ein Musiklehrbuch für die Praxis (vgl. Seo, Han-Beom 1996, S. 291). Trotzdem blieb die Vermittlung der entsprechenden Lerninhalte meist oberflächlich und führte kaum zu einer stärkeren Verankerung der traditionellen Musikpflege bei den Schülern.

Die Bildungsinstitutionen des Vorschulbereichs waren in dieser Situation noch weniger auf die Musikerziehung in koreanischer Tradition vorbereitet als die Schulen. Erst seit den 1980er Jahren setzte sich die Überzeugung durch, dass die traditionelle koreanische Musik verstärkt auch an den Kindergärten gefördert werden müsse. Das Kindergartencurriculum wurde nach und nach um die Inhalte der traditionellen koreanischen Musik erweitert (vgl.

173 Kim, Young-Yeon 2002, S. 29). Diese Musikerziehung umfasste das Singen mündlich überlieferter Kinderlieder und Volkslieder sowie das Musikhören einzelner Stücke und das Spielen auf einfachen Musikinstrumenten.

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3. Zusammenfassung

Verschiedene Pädagogen des 20. Jahrhunderts haben die Musikdidaktik in Deutschland und Südkorea geprägt: Èmile Jaques-Dalcroze, Carl Orff, Zoltán Kodály, Maria Montessori, Rudolf Steiner und Shinichi Suzuki.

Èmile Jaques-Dalcroze gilt als Begründer der Rhythmik. Er empfand einen Mangel in der bestehenden Musikerziehung und führte neue Methoden der Musikpädagogik mit körperlicher Bewegung ein.

Diese Methode des musikalischen Ausdrucks durch den Körper wurde von Carl Orff weiter entwickelt. Nach Orff werden musikalische Grundlagen anhand von Sprache, Melodie und Bewegung erworben. Dabei werden die rhythmischen Elemente zuerst mit dem Körper ohne Instrument eingeübt und später mit einfachen Rhythmus- und Melodieinstrumenten ausgeführt. Ein wichtiger Beitrag zur musikalischen Früherziehung ist das von Orff speziell für Kinder entwickelte Instrumentarium.

Einen anderen Ansatz verfolgte der Volksmusikforscher Zoltán Kodály. Er bevorzugte eine Musikerziehung durch Singen und betonte die Notwendigkeit, das Notenlesen zu erlernen.

Als geeignete Mittel dienten ihm relative Solmisation und Handzeichen.

Im Mittelpunkt der musikpädagogischen Konzeption Maria Montessoris steht die Hörerziehung als Teil der Sinneserziehung. Dafür entwickelte Montessori spezielles Sinnesmaterial: die Geräuschdosen und die Glocken, die während der Freiarbeit in der vorbereiteten Umgebung zum Einsatz kommen.

Bei der musikpädagogischen Konzeption Rudolf Steiners kommt sein anthroposophisches Denken zum Tragen. Ziel ist es, die seelisch-geistige Welt durch Bewegung und Tanz rhythmisch zu erfahren. Dazu trägt die Eurythmie als ‚schöne Bewegungs- und Bühnenkunst‘ bei. Der Reigen hingegen orientiert sich eher am alltäglichen Leben. Dieses wird in Versen und Liedern durch Bewegung und Handgesten bildhaft dargestellt. Außerdem hat die menschliche Stimme einen hohen Stellenwert.

Die Methode des Musikpädagogen Shinichi Suzuki ist eine Konzeption, bei der Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren das Violinspielen erlernen, zunächst spielerisch auf einer

175 Pappgeige und später auf einer speziellen Kindergeige. Wichtige Elemente sind die Elternmitarbeit, die Muttersprachenmethode mit Hören und Nachahmen sowie das wiederholende Üben.

In der heutigen musikpädagogischen Praxis Deutschlands wie Südkoreas spielen Volkslieder und mündlich überlieferte Kinderlieder eine zentrale Rolle. Allerdings war die Pflege dieser traditionellen Musikformen in beiden Ländern Schwankungen ausgesetzt. In Südkorea war die traditionelle koreanische Musik im Zuge der japanischen Besatzung weitgehend durch westliche Musik verdrängt worden und wurde erst in den 1950er Jahren im unabhängigen Südkorea staatlich gefördert und wieder belebt. Dies betraf auch die Pflege traditioneller Volks- und Kinderlieder im Elementarbereich. In Deutschland riss die Tradition der einheimischen Volks- und Kinderlieder nicht ab, war jedoch dem Wechsel des Zeitgeistes ausgesetzt.

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V. Beispiele aus der Praxis in Deutschland und Südkorea 1. Methodisches Vorgehen

Empirische Forschung hat einen hohen Stellenwert in den Sozialwissenschaften.

Alltagserfahrungen, Beobachtungen und soziale Tatsachen gelten als Ausgangspunkt wissenschaftlicher Erkenntnisse (vgl. Aeppli u. a. 2014, S. 37f.). Es gibt zwei grundsätzliche Methoden zur Datenerhebung der empirischen Sozialforschung: das quantitative (z. B.

Experimente und Tests) und das qualitative Verfahren (z. B. Befragung durch Interviews):

„[Während] in der qualitativen Forschung Erfahrungsrealität zunächst verbalisiert wird (qualitative, verbale Daten), wird sie im quantitativen Ansatz quantifiziert [...].“ (Bortz/Döring 1995, S. 271) Die vorliegenden sechs Interviews gehören zur qualitativen Datenerhebung.

Außerdem ist bei den Interviewformen, abhängig von Forschungsziel und Fragestellung, nach Strukturierungsgraden zu unterscheiden. An den entgegengesetzten Enden stehen das stark strukturierte Interview (z. B. Fragebogen) und das wenig strukturierte oder auch

„offene“ Interview (z. B. narratives Interview). Dazwischen befindet sich das halb- oder teilstrukturierte Interview (z. B. Leitfadeninterview). Quantitative Daten werden durch das stark strukturierte Interview gewonnen, wobei der Schwerpunkt auf dem Zählen und Messen liegt. Zu den qualitativen Erhebungsmethoden gehören das offene und das halbstrukturierte Interview, die mithilfe eines Gesprächsleitfadens durchgeführt werden. Während das offene Interview eher ein informelles Gespräch auf der Basis von Stichworten ist und sich zum Erkunden besonderer, individueller Erfahrungen eignet, beruht das halbstrukturierte Interview, oder auch „Leitfadeninterview“, auf einem Fragenkatalog, der bestimmte Themen und Fragen sowie den Ablauf eines Interviews umfasst (vgl. Aeppli u. a. 2014, S. 179-181).

1.1 Datenerhebungsmethode

In der vorliegenden Arbeit wird die letztgenannte Form, das „Leitfadeninterview“ als Datenerhebungsmethode verwendet. Dieses gewährt eine hohe Strukturierung auf beiden

177 gesprächsbeteiligten Seiten, während Fragebogen und narratives Interview eine einseitig hohe Strukturierung entweder beim Interviewführer oder beim Befragten erzeugen (vgl. Mayring 2002, S. 66). Wie bereits erwähnt, ist beim Leitfadeninterview die Formulierung und Reihenfolge der Fragen grob festgelegt. Beides wird jedoch im Einzelnen an den Interviewpartner und die Situation angepasst. Es sind keine Antwortmöglichkeiten vorgegeben. Das Leitfadeninterview bietet die Gelegenheit, konkrete Fragen zu stellen und offene Antworten zu erhalten. Zugleich gewinnt man eine Datenstruktur, die Vergleichbarkeit ermöglicht (vgl. Bortz/Döring 1995, S. 289; Aeppli u. a. 2014, S. 180f.).

Zum Interviewleitfaden

Die Leitfadenfragen basieren auf theoretischen Vorüberlegungen, die durch empirische Verfahren überprüft und genauer untersucht werden sollen.

Die Interviews in der vorliegenden Arbeit beginnen mit allgemeinen Fragen, z. B. wie Musik und Musikerziehung im Kindergarten stattfindet. Anschließend wird nach der musikalischen Fachkompetenz des pädagogischen Personals und nach musikalischen Inhaltsbereichen gefragt. Nächster Schwerpunkt ist die Didaktik und Methodik. Schließlich können die Interviewten noch eine persönliche Einschätzung zur Bedeutung der Musikerziehung abgeben.

Vor der Durchführung der eigentlichen Interviews wurde der Leitfaden in zwei Pre-Tests in Deutschland und Südkorea getestet.

Durchführung des Interviews

Für die vorliegende Arbeit wurden jeweils drei Leitfadeninterviews in beiden Ländern geführt: an einem öffentlichen Kindergarten, einem Montessori-Kindergarten und einem Waldorfkindergarten.

Ziel soll sein, deutliche Unterschiede hervorheben zu können (vgl. Kapitel III und IV).

Erstellung der Transkription

178 Für die Transkription wurde das F4-Programm verwendet. Beim Transkriptionsvorgang wurden außerdem folgende Regeln beachtet:

Legende zur Transkription Interviewerin: I

Erzieherin : E

Kindergartenlehrerin : K Unterbrechung eines Satzes: ..

Kurze Pause (bis drei Sekunden): (…)

Längere Pause (ab vier Sekunden): Länge der Pause in Klammern: Beispiel.: (4 sec) Anmerkungen/Auffälligkeiten werden in Klammern vermerkt. Beispiel: (lacht) oder

(hustet)

1.2 Datenauswertungsmethode

In der vorliegenden Arbeit wird die „strukturierende Inhaltsanalyse“, eine der drei Grundformen der von Philipp Mayring entwickelten Qualitativen Inhaltsanalyse37, als Auswertungsmethode verwendet. Mit dieser Auswertungstechnik lassen sich in deduktivem Verfahren theoretische Hintergründe empirisch überprüfen und ferner hieraus praxisrelevante Themen und Aspekte herausarbeiten. „Ziel der Analyse ist es, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material auf Grund bestimmter Kriterien einzuschätzen.“ (Mayring 2002, S. 115)

37 Neben der strukturierenden gibt es noch die zusammenfassende und die explizierende Inhaltsanalyse (vgl.

Aeppli u. a. 2014, S. 258).

.

179 Die Gesamtstruktur des Auswertungsverlaufes stellt sich nach Christiane Schmidt folgendermaßen dar (vgl. Schmidt 2003, S. 544):

1. Entwicklung der Auswertungskategorien;

2. Codierung des Materials;

3. Fallübersichten als Basis für vertiefende Analysen oder Einzelfallanalysen.

Die Techniken der Kategorienbildung am Material dienen dazu, dieses nach Themen und Aspekten zu ordnen und zusammenzufassen. Hierbei handelt es sich um theoretische Kategorien, von denen man ausgeht, die aber anhand des Materials ausdifferenziert, ergänzt, modifiziert und gegebenenfalls ersetzt werden. Aufgrund der modifizierten und ausdifferenzierten Kategorien erstellt man einen Auswertungs- oder Kodierleitfaden (vgl.

Schmidt 2003, S. 547f.). Dieser umfasst drei Schritte:

„1. Definition der Kategorien

Es wird genau definiert, welche Textbestandteile unter eine Kategorie fallen.

2. Ankerbeispiele

Es werden konkrete Textstellen angeführt, die unter eine Kategorie fallen und als Beispiele für diese Kategorie gelten sollen.

3. Kodierregeln.

Es werden dort, wo Abgrenzungsprobleme zwischen Kategorien bestehen, Regeln formuliert, um eindeutige Zuordnung zu ermöglichen.“ (Mayring 2015, S. 97)

180 In der vorliegenden Arbeit wird folgender Kodierleitfaden verwendet:

Kategorie Definition Ankerbeispiele

„Es gibt einen Rahmen. Das ist bei uns jetzt in Baden-Württemberg der Orientierungsplan.“

(Frau Bauer, Z. 184f.)

„[Ich] arbeite nach dem Musikkonzept von Steiner.“ (Frau Park, Z. 355)

„[In] altersgemischten Gruppen können die Kleineren von den Großen lernen. [...] Aber man muss auch altershomogene Gruppenangebote machen, um einfach gezielt dann sie auch zu fördern in ihrer Entwicklung und in ihrem Stand wo sie jetzt gerade sind.“

„Das Klavierspiel war eines der Pflichtfächer und ich hatte es ein Semester lang. [...] Das Fach

‚Musikerziehung für Kleinkinder‘ hatte ich auch ein Semester lang. Es war ebenso ein

Pflichtfach.“

(Frau Lee, Z. 62-65)

„Also ich bin selber aus einer Musikfamilie und [...] spiele selber Cello und Klavier und habe das eher von der Familie so mitgenommen [...]“

(Frau Müller, Z. 87f.)

„Das wichtigste ist das Singen. Das tun wir im Kindergarten auch am meisten.“

(Frau Kim, Z. 280)

„Gemeinsam schöne Erlebnisse zu haben. Da spielt ja auch das Soziale, Emotionale ein bisschen mit rein.“

(Frau Fischer, Z. 630f.)

„Ich habe mal ein schüchternes, unsicheres Kind erlebt, das durch die Musik verändert wurde.“

(Frau Kim, Z. 564f.)

181

2. Codierung des Materials

2.1 Deutschland