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I. Geistesgeschichtliche Traditionen in Deutschland und Südkorea

1. Ästhetische Erfahrung, Erziehung und Bildung im Westen

2.1 Die Entwicklung der Li-Yue-Lehre (禮樂, Ritus-Musik-Lehre) im Konfuzianismus Konfuzianismus

2.1.6 Individualistische Philosophie des Menzius

Unter der konfuzianistischen Schule zählt Menzius (um 372 v. Chr. - um 289 v. Chr.; auch anders transkribiert als Mong Dsi oder Mengzi) als der wahre und vornehmste Nachfolger des Konfuzius. Seine Lebenszeit fällt mitten in die Zeit der Streitenden Reiche (403-221 v. Chr.), in welcher die einzelnen Fürstentümer unabhängig geworden waren und ständig nach Führung sowie nach der Vereinigung Chinas strebten. Menzius hatte das Ziel, die politischen Ideen des Konfuzius in seiner Zeit fortzusetzen. Aber der Versuch, die Tradition der Zhou-Dynastie wiederherzustellen, war damals bereits zum Scheitern verurteilt, da die ehemalige

32 feudalistische Machtstruktur völlig zerfallen war.

Obgleich Menzius auch das Erbe der alten Dynastie respektierte, konzentrierte er sich eher auf die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, da Menzius allgemein gegen die Privatisierung des Grundbesitzes war und auf feudale wirtschaftliche Beziehungen zurückgriff (vgl. Feng, Youlan; Park, Sung-Kyu 1999, S. 194f.). Die kulturelle Seite, die Sitten und Riten, wurden als dem Menschen immanent angesehen und durch die Theorie der Persönlichkeitsbildung ergänzt.

Für Menzius haben alle Menschen in sich eine angeborene gute Natur. Die Quelle der Sittlichkeit und Moralität findet er darin, dass die Ansätze der Tugend vom Himmel verliehen wurden, dass man sie bewahren und vervollkommnen und anschließend in die Gesellschaft und Politik einbringen solle. Während Konfuzius die gesellschaftliche Berufung bereits auf die Gelehrtenschicht ausweitet, sind bei Menzius nun alle Menschen für die Pflege ihrer Mitmenschlichkeit und für deren politische Anwendung zuständig. Ein König hat nicht mehr das direkte Mandat vom Himmel sondern ist Vertreter des Volkes, welches der Träger der Moralität ist (vgl. Du, Lun 2008, S. 11-13).

Diese individualistisch begründete Philosophie diente dazu, die alte Aristokratie abzuschaffen und die Umwandlung zu einer zentralisierten Staatsmacht zu beschleunigen. Dabei spielte die Musik nun verstärkt eine integrierende Rolle zwischen Herrscher und Volk. In dem Gespräch mit dem König von Qi warnte Menzius vor der Spaltung des Musikgeschmacks unter den gesellschaftlichen Schichten:

Der König errötete und sprach: „Der Liebe zur ernsten, alten Musik bin ich nicht fähig, ich liebe eben nur die leichte, weltliche Musik.“ […] [Menzius] sprach: „[…] ob es alte oder neue Musik ist, darauf kommt es dabei nicht an. […] Ein König nun, der mit seinem Volke seine Freuden teilt, der wird der König der Welt.“(Menzius1B:1)

Der Gedanke, die Freuden der Musik mit dem Volk zu teilen (與民同樂), wurde in die Musikästhetik der Konfuzianer eingeführt und ließ die höfische und klassische Musik ständig Elemente des Volkstümlichen in sich aufnehmen.

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2.2 Die Musik in der Zeit der Joseon-Dynastie (1392-1910) in Korea

In der Zeit der Joseon-Dynastie (1392-1910) war der Neo-Konfuzianismus des chinesischen Theoretikers Zhu Xi (1130-1200) die beherrschende Lehre, während zuvor in der Goryeo-Dynastie (918-1392) der Buddhismus in den Status der Staatsreligion versetzt worden war.

Der Buddhismus wurde nun unterdrückt und stattdessen die Li-Yue-Lehre (Ritus-Musik-Lehre) eingesetzt, um einen neuen modernen Staat nach einem rechtlichen und moralischen Idealbild zu gründen. Die neuen Herrscher versuchten, eine starke königliche Macht aufzubauen und einen exemplarischen Standard für die Musik zu setzen. Einer strengen äußeren Ordnung durch Riten und Sitten stand als Ausgleich das Prinzip der inneren Harmonie durch Musik gegenüber. Demgemäß galt die Musik im damaligen Verständnis als wichtig, sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft (vgl. Howard 1996, Sp.

735f.; Seo, Han-Beom 1996, S. 246). Im Vordergrund stand die höfische Musik (Cheongak:

‚Korrekte Musik‘):

Der Konfuzianismus schrieb vor, daß Musik aufbauend für den Geist sein solle. Langsame, würdevolle Melodien mit gemäßigten Gefühlen wurden bevorzugt, da sie korrekt [...] waren und die Menschen sich durch sie ruhig fühlten [...] (Howard 1996, Sp. 736)

Daneben wurde aber auch die modernere, von Menzius stammenende Idee einer Musik des Volkes gefördert.

In der traditionellen koreanischen Musik sind zwei Arten zu unterscheiden: Cheongak und Minsogak. Als Cheongak wird die höfische Musik der Oberschicht bezeichnet, Minsogak ist die koreanische Volksmusik. Cheongak ist wiederum in drei Arten unterteilt: Aak, Tangak und Hyangak. Aak ist die konfuzianische Ritualmusik (‚Ritus für Konfuzius‘ Munmyo Cheryeak), die aus der chinesischen Song-Dynastie (960-1279) eingeführt wurde. Tangak ist eine aus den chinesischen Dynastien Tang (618-907) und Song (960-1279) stammende Hofmusik, die bei Zeremonien für Feiern und für den Einmarsch des Königs und seines Gefolges dargeboten wurde. Nur zwei Stücke aus diesem Repertoire sind überliefert, allerdings in einer koreanisch angepassten Gestalt: das Gesangsstück Nagyangchun (Frühling in Lolang) und das instrumentale Boheoja (Wandeln in der Leere). Hyangak ist ebenfalls

höfische Musik, aber vom Ursprung her koreanisch (vgl. Seo, Han-Beom 1996, S.

108-110).

34 Während der Regierungszeit des vierten Königs der Joseon-Dynastie, Sejong (1418-1450), erfuhr die Musik einen Aufschwung und wurde systematisch weiter ausgebaut. Folgende Neuerungen sind hervorzuheben:

1. Der Musiktheoretiker Park Yeon (1378-1458) rekonstruierte die konfuzianische Ritualmusik (Aak) vollkommener als im Ursprungsland China und schuf so die Grundlagen für die traditionelle koreanische Musik;

2. Musikinstrumente wie Bronzeglocken (Pyeonjong) und Klingsteine (Pyeongyeong) wurden neu geschaffen;

3. Ein Notationssystem, Cheongganbo, das Rhythmus und Tonhöhe bezeichnen konnte, wurde entwickelt;

4. Einige Notenhandschriften wurden verfasst; so ist z. B. die konfuzianische Ritualmusik (Aak) in der Handschrift Aakpo überliefert;

5. Zwei bedeutende repräsentative Gesangsstücke wurden neu geschrieben:

Cheongdaeeop (das Gründen der Dynastie) und Botaepyeong (Das Erhalten des Friedens);6

6. Im Jahr 1446 erfand König Sejong die koreanische Schrift Hangeul und veranlasste ein langes episches Werk, Yongbieocheonga (Drachen steigen in den Himmel auf), um die Tauglichkeit der neuen Schrift zu überprüfen. Von den verschiedenen überlieferten Vertonungen dieses Werkes wird eine heute noch aufgeführt, Yeomillak (Der König teilt die Freuden mit seinem Volk; vgl. Howard 1996, Sp. 735f.; Seo, Han-Beom 1996, S.

247-250).

Eine wichtige Quelle aus der späteren ‚Seongjong‘-Regierungszeit (1469-1494) ist die musiktheoretische Schrift Akhak Kwebeom, die die enthaltene Musik in Aak, Tangak und Hyangak unterteilt. Theorie und Praxis werden in diesem Werk erstmals zusammengeführt.

Es enthält Notenaufzeichnungen, Abbildungen von Musikinstrumenten sowie eine Darlegung grundlegender musikalischer Prinzipien. Außerdem wurden in dieser Zeit einige Instrumente verbessert und ein Tabulaturschrift-System für das Saiteninstrument Geomungo entwickelt (vgl. Howard 1996, Sp. 736; Seo, Han-Beom 1996, S. 250f.).

6 Später, in der Regierungszeit Sejos (1455-1468), eines Sohnes des vierten Königs, wurden diese beiden Stücke für den ‚Ritus der königlichen Ahnen‘ Chongmyo Cheryeak angepasst.

35 In der Spätzeit der Joseon-Dynastie gab es weitere musikalische Änderungen: Die höfische Musik, Zeremonien, Riten sowie die Anzahl der Hofmusiker wurden reduziert, da es finanzielle Schwierigkeiten durch Kriege7 und anschließendes Chaos gab. Dies verursachte einen Rückgang des Musikkonsums der Oberschicht. Gleichzeitig wurde die koreanische Volksmusik seit dem 18. Jahrhundert bemerkenswert entwickelt. Erstmals trat die neue musikalische Gattung Pansori auf, eine Art volkstümliche „Ein-Mann-Oper“ mit einem Sänger und einem begleitenden Trommler. Daneben gab es weitere volkstümliche Gattungen, wie Sanjo, eine langsame Solo-Musik für zwölfsaitige Zither und Trommel, sowie die Volksliedgattung Minyo. Die Entwicklung der Volksmusik trug zur Vielfalt der Musikgattungen und Verbreitung des Musiklebens des Volkes bei (vgl. Lee, Hong-Soo 1990, S. 19f.; Howard 1996, Sp. 740-743).

7 Japanische Invasion in Korea (1592-1598) und die Zweite Manchu-Invasion in Korea (1636-1637)

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3. Zusammenfassung

Die geistesgeschichtlichen Traditionen des Westens und Ostens bilden einen allgemeinen kulturellen Hintergrund für die musisch-ästhetische Bildung in Deutschland und Südkorea.

Dies bezieht sich nicht nur speziell auf die Musik, sondern auch auf andere, benachbarte pädagogische Bereiche wie Kunst, Theater, Dichtung und Tanz. Die musische Erziehung im Westen basiert auf ästhetischen Theorien, die mit Namen wie Friedrich Schiller und John Dewey verknüpft sind. Historische Grundlage in Ostasien ist die Li-Yue-Lehre (禮樂, Ritus-Musik-Lehre) aus der konfuzianischen Tradition.

Wenngleich Schiller sich mit dem Thema Ästhetik bereits in seinen vorherigen Schriften beschäftigt, wird der Ausdruck ‚ästhetische Erziehung‘ doch erstmals in seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ (1795) geprägt. Ausgangspunkt der Briefe ist seine tiefe Enttäuschung über die Französische Revolution. Es wird die Möglichkeit eines Ausgleichs der beiden Grundtriebe Sinnlichkeit und Vernunft durch die ästhetische Erfahrung betont. Im Sinne einer „Veredelung“ des Menschen zielt Schiller auf die harmonische Persönlichkeit und letztlich auf die Freiheit des Individuums. Dies kann auch mittelbar zu einer Verbesserung der politischen Verhältnisse führen. Damit kommt der Welt der Kunst als dem natürlichen Ort ästhetischer Erfahrung eine Schlüsselrolle zu, da auch im Kunstwerk der Ausgleich von Sinnlichkeit und Vernunft, von Stoff- und Formtrieb, verwirklicht ist. Für Schiller ist der Kern ästhetischer Erfahrung etwas Privates und Individuelles. An Schillers Auffassung lehnt sich im 20. Jahrhundert Klaus Mollenhauer (1928-1998) an.

Die Ästhetik John Deweys lässt sich als Gegenposition zu Schillers Ansatz verstehen.

Deweys Ästhetik geht von einer sozialgesellschaftlichen Idee aus. Sein Demokratiebegriff stellt die Chancengleichheit aller Mitglieder der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Dies berührt auch den Bereich der Kunst, die nicht den Eliten vorbehalten sein soll. In seinem Buch „Art as Experience“ (1934) kritisiert Dewey die Trennung zwischen Kunst und alltäglicher Erfahrung und fordert eine Stärkung populärer Kultur. Diese ist demnach ein legitimer und gleichberechtigter Gegenstand ästhetischer Erfahrung. Primärer Bezugspunkt ist nicht das Kunstwerk, sondern die Erfahrungsebene.

37 Bei der ästhetischen Erziehung in Südkorea ist die besondere Situation Ostasiens zu berücksichtigen. Neben den modernen Strömungen sind auch alte Vorstellungen wirksam, die bis in die Zeit des Konfuzius zurückreichen. Die konfuzianische Li-Yue-Lehre (

禮樂

, Ritus-Musik-Lehre) als staatliche Ideologie der Joseon-Dynastie (1392-1910) geht von der politisch-gesellschaftlichen Idee einer ‚Regierung durch Kultur‘ aus. Konfuzius glaubte, dass die ideale Herrschaft auf kultureller Basis aufgebaut sei. Die Kultur soll nach Konfuzius zwei Facetten haben: ‚Ritus‘ und ‚Musik‘. Unter ‚Ritus‘ versteht man rituelle Sitten und Gebräuche, die den Alltag des Volkes bestimmen. ‚Musik‘ bezeichnet gemeinsame Tätigkeiten wie Musik, Dichtung und Tanz, die der Erbauung und dem gemeinschaftlichen Empfinden dienen. Im Idealfall sollen Ritus und Musik eine harmonische und stabile Verbindung eingehen. Die Bevorzugung der elitären höfisch-klassischen Musik in der Ritus-Musik-Lehre erinnert entfernt an Schillers Auffassung einer „Veredelung“ des Menschen durch Kunst. Die jeweiligen Ausgangspunkte sind jedoch sehr unterschiedlich. Im Gegensatz zu Schillers individualistischer Auffassung basiert die Ritus-Musik-Lehre mehr auf der Gemeinschaft.

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