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I. Geistesgeschichtliche Traditionen in Deutschland und Südkorea

1. Ästhetische Erfahrung, Erziehung und Bildung im Westen

2.1 Die Entwicklung der Li-Yue-Lehre (禮樂, Ritus-Musik-Lehre) im Konfuzianismus Konfuzianismus

2.1.4 Ritus-Musik-Lehre

2.1.4.1 Die Ritus-Musik-Lehre als Regierungsinstrument

Im alten China gab es vier Methoden und zugleich Aufgaben des Herrschens: Ritus (), Musik (), Gesetz () und Führung (). Unter ‚Ritus‘ verstand man Sitten und Gebräuche sowie ethische Vorbilder, die den Alltag des Volkes bestimmten. ‚Musik‘ bezeichnete gemeinsame Tätigkeiten, die der Erbauung und dem gemeinschaftlichen Empfinden dienten.

‚Gesetz‘ bezog sich auf die Kontrolle des Volkes durch Strafe und Belohnung.

‚Führung‘ bedeutete Finanzierung und Gestaltung der Regierungsgeschäfte. In der Staatsführung sollten alle vier Elemente beachtet werden:

Der Ritus mäßigt die Gesinnung des Volkes. Die Musik macht die Stimme des Volkes friedlich. Durch die Führung setzt man es um. Durch das Gesetz verhindert man es. Wenn der Ritus, die Musik, die Führung und das Gesetz auf allen Gebieten erreicht und vollendet sind, dann heißt das, dass der Weg des Königs geebnet ist. (樂記, 禮節民心 樂和民聲 政以行 之 刑以防之 禮樂刑政四達而不悖 則王道備矣 Li Gi, 19:6, vgl. Wilhelm 1981, S. 72)4

4 Der Verfasser der Schrift ist unbekannt.

28 Konfuzius hielt es trotzdem für ungenügend, politische Ziele ausschließlich mithilfe von Zwang zu erreichen. Im Idealfall treffe jeder einzelne Mensch selbst ethische Entscheidungen und folge freiwillig einem tugendhaften Herrscher:

Will man Gehorsam durch Gesetze und Ordnung durch Strafe, dann wird sich das Volk den Gesetzen und Strafen zu entziehen versuchen und alle Skrupel verlieren. Wird hingegen nach sittlichen Grundsätzen regiert und die Ordnung durch Beachtung der Riten und der gewohnten Formen des Umgangs erreicht, so hat das Volk nicht nur Skrupel, sondern es wird auch aus Überzeugung folgen. (Lunyu 2:3)

Konfuzius glaubte, dass die ideale Herrschaft auf kultureller Basis aufgebaut sei. Im Idealfall sollten Musik und Ritus eine solide Gemeinschaft bilden und dadurch zur Regierung beitragen.

2.1.4.2 Musik als Bildungsmittel

Auf der anderen Seite spielte die Musik auch eine große Rolle bei der Bildung und Erziehung.

Konfuzius betrachtete sie als einen wichtigen pädagogischen Bereich neben Alphabetisierung und Ritualen:

Die Lieder erheben den Menschen. Die Riten geben ihm Halt. Die Musik macht ihn vollkommen. (Lunyu 8:8)

Die Musikerziehung sollte zur Vervollkommnung der Persönlichkeit beitragen, indem sie das Gefühl stimulierte und die Moral förderte. Sein Maßstab für eine gute Musik war demzufolge das Schöne und Gute. Die höfische Musik der Zhou-Dynastie befriedigte diese beiden Kriterien:

Konfuzius sagte von der Musik des alten Kaisers Shun: Sie ist vollendeter Wohlklang und zugleich vollendeter Ausdruck edler Gesinnung. Zur Musik des kriegerischen Königs Wu meinte er: Auch sie ist sehr wohlklingend, aber sie drückt nicht in höchster Weise edle Gesinnung aus. (Lunyu 3:25)

Konfuzius lehrte jedoch nicht nur höfische Musik. Er sammelte chinesische Volkslieder, wählte die tugendhaftesten aus und komponierte auch selbst. (vgl. Sima, Quian; Kim, Won-Jung 2013, S. 910) Er glaubte, dass „Volkslieder Emotionen wecken, das Wissen über die

29 Welt erweitern und lehren, mit Menschen umzugehen und falsche Macht zu verspotten“ (詩 可以興 可以觀 可以群 可以怨 Lunyu 17:9, vgl. Moritz 1982, S. 115).

2.1.4.3 Die Ritus-Musik-Lehre als gesellschaftliches Prinzip

Mozi (um 470 v. Chr. - um 391 v. Chr.), ein Zeitgenosse des Konfuzius, kritisierte das Regierungsprinzip durch Ritus und Musik. Er nahm eine radikal utilitaristische Haltung ein:

„Alles, was zusätzliche Aufwendungen erfordert und dem Volke nicht weiter nützt, das ließen die vorbildlichen Könige beiseite.“ (Mozi; Schmidt-Glintzer 1975, S. 50) Anschließend beklagte er, dass Musik und Zeremonien nur dem Adel dienten und wider die Interessen des Volkes seien. Musik und Tanz sollten verboten werden (vgl. Mozi; Schmidt-Glintzer 1975, S.

119). Er argumentierte, dass Musik einerseits die Produktivität störe und andererseits das Volk seiner Erholungszeit beraube.

Konfuzius akzeptierte teilweise die Kritik und appellierte an die Herrscher, dass Musik und musische Tätigkeiten die Menschen nicht belasten sollten:

Wer einen Staat von tausend Kriegswagen regiert, der muss bei allem, was er tut, korrekt und gewissenhaft sein. Er muss maßhalten können und die Menschen lieben. (Lunyu 1:5) Die Zeremonien sollten eher schlicht als prunkvoll sein. Bei einem Begräbnis ist die Trauer wichtiger als die minutiöse Beachtung der zeremoniellen Regeln. (Lunyu 3:4)

2.1.4.4 Die konfuzianische Musiktheorie

Als ein erneutes Plädoyer für Musik verfasste Xunzi (um 298 v. Chr. - um 238 v. Chr.) das erste chinesische Buch über Musiktheorie.5 Er war überzeugt, dass die Quelle der Musik im Bestreben liege, menschliche Gefühle auszudrücken. „Musik besagt Freude, ein Gefühl, welches beim Menschen nicht fehlen darf. Darum kann der Mensch nicht leben ohne Musik.“ (Xunzi; Köster 1967, S. 261) Musik und Tanz sollten dazu dienen, Gefühle und Ideen zu entfalten und damit die Gemeinschaft zu prägen.

5 Über die Musik: Xunzi; Köster 1967, S. 261-269.

30 Auf der anderen Seite stellte Xunzi auch fest, dass Musik auf die Emotionen von Menschen einwirke. Daher verlangte er, dass der Herrscher ein gutes Musiksystem aufbauen sollte, dem die Menschen folgen könnten:

Dabei gelang es ihnen: 1. in den Melodien die Freude so zum Ausdruck zu bringen, daß es nicht zu Ausgelassenheit kam; 2. in ihren Liedertexten die Ordnung zu preisen, ohne nachdenklich (trübsinnig) zu stimmen; 3. in ihren Rhythmen, welcher Art sie auch waren, nur die guten Seiten im Herzen der Menschen anzuregen; 4. keinerlei Anlaß zu abwegiger und melancholischer Stimmung zu geben. Auf dieser Grundlage schufen die Könige des Altertums Musik. (Xunzi; Köster 1967, S. 262)

Die vorbildliche Musik sollte dazu führen, dass der Staat sich zu einer harmonischen und vereinten Gesellschaft gestaltete. Dieser Aspekt, dass Musik die Interaktion zwischen Individuen und Gesellschaft auslöse, hat die folgenden Generationen der konfuzianischen Schule beeinflusst. Die Schrift Li Gi (禮記), welche in der Han-Dynastie (206 v. Chr. - 220 n.

Chr.) als Kompilation des Konfuzianismus verfasst wurde, erkennt Ritus und Musik als abstrakte Werte an. Diese Werte wurden als zwei Grundprinzipien der Gesellschaft akzeptiert.

Unter dem Einfluss der kosmologischen Theorie wurden ihr philosophische Züge verliehen:

Die Musik lässt die Menschen sich vereinigen. Der Ritus lässt sie unterschieden sein.

(樂者爲同禮者爲異) […] Die Musik heißt die Harmonie von Himmel und Erde. Der Ritus heißt ihre Ordnung. (樂者天地之和也 禮者天地之序也) […] Die Musik kommt von innen heraus und der Ritus wird von außen gestiftet (樂由中出, 禮自外作). (Li Gi 19:2, vgl.

Wilhelm 1981, S. 75)

Im klassischen Konfuzianismus wirkt die Musik als ein Prinzip der Integration von Mitgliedern der Gesellschaft. Das Ritual wird als das Prinzip verstanden, welches ihre Mitglieder voneinander unterscheidet und ihnen eine angemessene Rolle zuweist. Nur kluge Führer finden den richtigen Weg zur goldenen Mitte zwischen diesen Prinzipien.