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Welches sind die zentralen Merkmale einer „Regierungskonferenz“?

Die Regierungskonferenzen der 1950er bis 1970er Jahre unterscheiden sich deutlich von denen der 1980er Jahre. Während sich die ersten Konferenzen mit Detailfragen wie etwa den Niederländischen Antillen (1962) oder mit Budgetfragen (1970) beschäftigt haben, deren kurze Tagesordnungen innerhalb weniger Stunden abgearbeitet werden konnten, waren spä-tere Regierungskonferenzen im Hinblick auf ihr Themenspektrum sehr viel breiter angelegt und es waren Veranstaltungen, die auch ein sehr viel größeres Medieninteresse gefunden haben. Auf diesen Wandel von Regierungskonferenzen hat Desmond Dinan hingewiesen:

„Today, by contrast, IGCs are major events in the political life of the EU.

Beginning with the 1985 IGC that resulted in the SEA and culminating in the 1996-97 IGC that brought about the Amsterdam Treaty, IGCs have been transformed into lengthy, complex, factious bargaining sessions, subject to scrutiny by a special public“ (Dinan 1999: 291).

Regierungskonferenzen können allgemein definiert werden als „kompliziertes und langwie-riges Wechselspiel zwischen Mitgliedstaaten, Institutionen, Themen, Interessen und Indivi-duen“ (Dinan 1999: 290; meine Übersetzung). Ein zentrales Merkmal von

Regierungskon-ferenzen ist eine spezifische Form des „Multilateralismus“: Dazu gehören (in den früheren Konferenzen) eine begrenzte Zahl von Akteuren, die unmittelbar in die Verhandlungen einge-bunden sind und die ein hohes Maß an Vertrauen und Vertrautheit im Umgang miteinander verbindet (Smith 2002: 6; Ruggie 1993).48 Regierungskonferenzen sind also geprägt von einem auf Konsens und Kompromiss ausgerichteten Verhandlungs- und Politikstil, der für die Europäische Gemeinschaft typisch ist (vgl. u.a. Hrbek 1981, Wallace/Wallace 2000; Wessels 1980).

Insgesamt lassen sich nach Brendan Smith drei Typen von Regierungskonferenzen unter-scheiden: „rechtliche“, „themenspezifische“ und „konstitutionelle“ Konferenzen (vgl. Smith 2002: 6-12). Obwohl ich mich in meiner Arbeit auf den Typus der „konstitutionellen“ Regie-rungskonferenz konzentriere, sollen die anderen beiden Formen hier kurz vorgestellt werden.

2.2.1 „Rechtliche“ Regierungskonferenzen

Die Einberufung einer Regierungskonferenz ist im Vertrag der Gemeinschaft genau geregelt.

Der entsprechende Artikel zur „Änderung der Verträge“ sieht folgendes Verfahren vor: „Die Regierung jedes Mitgliedstaats oder die Kommission kann dem Rat Entwürfe zur Änderung der Verträge, auf denen die Union beruht, vorlegen“ (Artikel 48 EU-Vertrag, Ex-Artikel N).49 Nach Anhörung des Europäischen Parlaments und (gegebenenfalls) der Kommission gibt der Rat eine Stellungnahme zur Einberufung einer „Konferenz von Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten“ ab, welche durch den amtierenden Vorsitz des Rates einberufen wird.

Sollen institutionelle Änderungen, die einen Bezug zur Währungsunion haben, vorgenommen werden, muss auch die Europäische Zentralbank angehört werden (Art. 48 Abs. 2 EUV). Die Vertragsänderungen treten erst dann in Kraft, wenn sie von allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden sind; das Verfahren der Ratifikation richtet sich dabei nach den verfassungsrecht-lichen Vorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten. Während in einigen Staaten neben dem nationalen Parlament zusätzlich auch die Wahlbevölkerung im Rahmen eines Referendums ihre Zustimmung zu den Vertragsänderungen geben muss, beschränkt sich in der Mehrzahl

48 Zum analytischen Konzept des „Multilateralismus“ vgl. Ruggie (1993) und Caporaso (1993).

49 Dies gilt für EG-, EAG-, EGKS- und EU-Vertrag mit ihren Anhängen und Protokollen. Zu unter-scheiden ist davon die sogenannte „kleine Vertragsrevision“ nach Artikel 95 Abs. 3 und 4 EGKS, wo-nach eine „Anpassung der Vorschriften“ auf Vorschlag der Kommission „im gegenseitigen Einver-nehmen“ zwischen den Mitgliedstaaten möglich ist, wenn grundlegende und unvorhergesehene Verän-derungen auf den Montanmärkten eine Änderung des Vertragstextes erforderlich machen; vgl. dazu ausführlich Pechstein/Koenig (1998: Kap. 9).

der Mitgliedstaaten die Ratifizierung auf die Zustimmung im Parlament bzw. auf die je-weiligen Kammern.

„Rechtliche Regierungskonferenzen“ sind nach Brendan Smith Konferenzen mit dem Ziel einer Vertragsänderung, die sich des Artikels 236, des „Vorgängers“ des jetzigen Artikels 48 (EUV), bedient haben, um kleinere Änderungen am Vertrag vorzunehmen. Das waren, wie angedeutet, minimale Neuerungen im Vertrag wie etwa das bereits erwähnte Abkommen über die Niederländischen Antillen von 1962, das Protokoll über die Europäische Investitionsbank von 1975 oder auch der für die Integration wichtige Fusionsvertrag von 1967, der einen ein-heitlichen Rat und eine einheitliche Kommission für die drei Gemeinschaften EGKS, EWG und Euratom schuf.50 Über den Fusionsvertrag konnten sich die Verhandlungsführer sehr schnell einigen, er wurde innerhalb eines einzigen Tages, am 8. April 1965, beschlossen und unterzeichnet (Edwards/Pijpers 1997a: 5).

2.2.2 „Themenspezifische Regierungskonferenzen“

Der zweite Typus von Regierungskonferenz wird als „themenspezifisch“ bezeichnet, weil sich Vertragsänderungen auf Einzelfragen und klar umrissene Probleme beschränken. Eine besondere Bedeutung kommt hier dem Artikel 49 (Ex-Artikel O) EUV zu, der den Beitritt neuer Mitgliedstaaten regelt.51 Mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten ergibt sich automa-tisch eine Reihe von „Anpassungen der Verträge“ und solche Anpassungen werden laut EU-Vertrag durch „ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat geregelt“ (Artikel 49 Abs. 2 EUV). Die einzelnen Erweiterungen der Europäischen Gemein-schaft, also die Aufnahme von Irland, Großbritannien und Dänemark (1973), Griechenland (1981), Spanien und Portugal (1986) und schließlich die Erweiterung um Österreich, Finnland und Schweden (1995) machten Anpassungen des Primärrechts (wie auch die nachfolgenden Erweiterungen) erforderlich und wurden durch entsprechende Verträge mit den Aufnahme-staaten und der Gemeinschaft geregelt. Hier ging es also nicht um die umfassende Reform der Verträge, sondern in der Regel nur um die entsprechende Anpassung einzelner Artikel, wie etwa die Nennung der neuen Mitgliedstaaten in den Artikeln, in denen explizit alle Staaten aufgezählt werden. Gleichzeitig bieten solche Erweiterungsverträge, die formal im Rahmen einer Regierungskonferenz beraten und beschlossen werden, jedoch die Gelegenheit, kleinere

50 Der Artikel 9 des Amsterdamer Vertrags hat die Bestimmungen des Fusionsvertrags aufgehoben (Art. 9 Abs. 1 EUV).

51 Vor 1991 wurden die Erweiterungen auf der Basis von Artikel 237 EGV durchgeführt.

Anpassungen der Verträge, die keinen unmittelbaren Bezug zur Aufnahme der neuen Staaten haben, vorzunehmen.

Eine andere Variante wurde im Vertrag von Maastricht gewählt. Hier wurde in einzelnen Artikeln explizit die Notwendigkeit einer Vertragsänderung festgeschrieben – gewissermaßen als „Hausaufgabe“ für die Regierungen der Mitgliedstaaten. Entsprechende Revisionsklauseln finden sich – in der damaligen Zählung – in Artikel 189b EGV (Verfahren der Mitent-scheidung), Artikel B EUV (Ziele der Union) sowie Artikel J.4 und J.10 EUV (WEU und Ge-meinsame Aktionen in der GASP und auch Erklärung Nr. 16 zur Rangordnung der Rechtsakte der Gemeinschaft). In Artikel N des Maastrichter Vertrags wurden eine „Änderung des Ver-trags“ und die Einsetzung einer „Folgekonferenz“ als Evolutionsklausel eingefügt, auf die sich die oben genannten Vertragsartikel beziehen. In Absatz 2 dieses Vertragsartikels ver-pflichtet sich die Europäische Union, einzelne Bestimmungen des Vertrags bereits nach kur-zer Zeit im Rahmen einer Regierungskonferenz auf den Prüfstand zu stellen. Die geplante Revision sollte dabei auf den Grundlagen und Aufgaben der Union (Art. A EUV) und auf der Basis der „Ziele der Union“ (Art. B EUV) erfolgen, das heißt, eine Revision sollte den Status quo des historischen Einigungswerkes nicht in Frage stellen, sondern sich nur in den Bahnen der „Pfadabhängigkeit“ bewegen: „Im Jahr 1996 wird eine Konferenz der Vertreter der Regie-rungen der Mitgliedstaaten einberufen, um die Bestimmungen dieses Vertrags, für die eine Revision vorgesehen ist, in Übereinstimmung mit den Zielen der Artikel A und B zu prüfen“

(Art. N EUV in der Fassung von Maastricht). Da die Ratifizierung des Maastrichter Vertrags mehr Zeit als geplant in Anspruch genommen hatte, war die vorgesehene Frist, nach der eine Revisionskonferenz einberufen werden sollte, deutlich kürzer: Aufgrund der Probleme bei der Ratifizierung (Referenden in Dänemark und Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht) konnte der am 7. Februar 1992 unterzeichnete Vertrag von Maastricht erst am 1. November 1993 in Kraft treten. Die ursprüngliche Planung war, dass der Vertrag bereits zum 1. Januar 1993 in Kraft treten würde (Art. R EUV).

2.2.3 „Konstitutionelle Regierungskonferenzen“

Der dritte Typus einer Regierungskonferenz ist im Hinblick auf Anspruch und Reichweite von ganz anderem Kaliber. Der Begriff „konstitutionell“ verweist nicht nur darauf, dass den Gemeinschaftsverträgen ein „Verfassungs“-Charakter zugeschrieben wird (Smith 2002: 8),

sondern dass solche Regierungskonferenzen über eine bloße Anpassung und Revision der Verträge in einzelnen Punkten deutlich hinausgehen:

„Instead, this is grand-bargaining that enshrines, through lengthy treaty changes, the parameters and direction within which future EU integration and policy-making take place. It shapes the entire course of European integration“ (Smith 2002: 9).

Konstitutionelle Regierungskonferenzen zeichnet also die von Anthony Giddens (1984, 1991) beschriebene „Dualität der Struktur“ aus, von der bereits oben gesprochen wurde: Solche Regierungskonferenzen sind sowohl das Ergebnis als auch der Ausgangspunkt von (zukünf-tigem) Akteurshandeln. Dabei ist festzustellen, dass die wachsende Komplexität von Regie-rungskonferenzen einhergeht mit der zunehmenden Komplexität des gesamtem EU-Systems, wovon sie wiederum ein Teil sind: „Although unique in many respects, IGCs are charac-teristic of general EU bargaining and decision-making“ (Dinan 1999: 292).

Drei Merkmale zeichnen konstitutionelle Regierungskonferenzen aus (Smith 2002: 9-10):

(1) Konstitutionelle Regierungskonferenzen können definiert werden als formelle oder informelle Verhandlungen, die im Rahmen einer Regierungskonferenz stattfinden und die einschneidende Änderungen der „Verfassung“ der Gemeinschaft herbeiführen (sollen). Bereits die Intention einer Vertragsänderung qualifiziert eine Regierungskon-ferenz als konstitutionelle RegierungskonRegierungskon-ferenz. Das heißt, am Ende eines Verhand-lungsprozesses muss nicht notwendigerweise ein konkretes Ergebnis stehen bzw. ein Ergebnis, das zu Beginn als Ziel formuliert worden ist. Bei einer solch engen Defini-tion würden nur solche Konferenzen als konstituDefini-tionelle gelten, an deren Ende ein neuer Vertrag steht, der in allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist und damit in Kraft treten konnte. Die Definition von Brendan Smith, der ich hier folge, umfasst also Veränderungen der Vertragstexte, die Schaffung neuer Verträge sowie am Ende ge-scheiterte Regierungskonferenzen, die jedoch mit entsprechenden Ambitionen gestar-tet sind (vgl. Smith 2002: 9).

(2) Konstitutionelle Regierungskonferenzen sind in der Regel mit konkreten Zielen und Zwecken verbunden, die nach Abschluss des Ratifikationsverfahrens erreicht bzw.

erfüllt sein sollen. Häufig sind solche Zielbestimmungen, wie etwa beim Binnemarkt-projekt oder bei der Wirtschafts- und Währungsunion, auch mit festen Zeitplänen

verbunden. Es kommt aber auch vor, dass nachfolgende Regierungskonferenzen auf die Pläne und Ziele vorangegangener Gipfeltreffen zurückkommen müssen, weil sie als „Überbleibsel“ („left overs“) auf der Tagesordnung der nachfolgenden Regierungs-konferenz wieder auftauchen. Und schließlich werden

(3) entsprechende europapolitische Ziele flankiert von einer Reihe institutioneller Anpas-sungen; dazu gehören etwa kleinere Veränderungen der Arbeitsmethoden einzelner Institutionen wie Rat, Kommission oder Europäisches Parlament oder auch die inter-institutionellen Regelungen und Vereinbarungen, die dann bei späteren Vertragsän-derungen aufgenommen und primärrechtlich verankert werden (Smith 2002: 10).

Von „konstitutionellen Regierungskonferenzen“ ist dann zu sprechen, wenn alle drei Kriterien erfüllt sind. Auf der Basis dieser Definition lassen sich für meinen Untersuchungszeitraum – je nach Zählung – acht bzw. zwölf konstitutionelle Regierungskonferenzen unterscheiden (Smith 2002: 10). Das Ergebnis der ersten Regierungskonferenzen waren der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EKGS), die Verhandlungen zu den Römi-schen Verträgen führten zur EuropäiRömi-schen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und EuropäiRömi-schen Atomgemeinschaft (Euratom); in formaler Hinsicht kann hier also von zwei unterschiedlichen Regierungskonferenzen gesprochen werden (Smith 2002: 10). Die nächste konstitutionelle Regierungskonferenz, die zugleich die erste grundlegende Veränderung des Gemeinschafts-vertrages hervorbrachte, endete 1985 mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA). In einem engen formellen Verständnis müsste auch hier von zwei Regierungskonferenzen ge-sprochen werden, da der Gipfel von Mailand in seinen Schlussfolgerungen noch unter-schieden hatte zwischen einem Vertrag über eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Vertragsänderungen auf der Basis von Artikel 236 EUV. Da sich die Regierungen jedoch in der Folge auf eine einheitliche Regierungskonferenz und auf die Erarbeitung eines einzigen Vertrags geeinigt haben, soll hier auch nur von einer Regierungskonferenz gesprochen werden (Smith 2002: 10).

Die nächste wichtige konstitutionelle Regierungskonferenz brachte den Vertrag von Maas-tricht, der 1993 in Kraft getreten ist. Auch hier könnte man wieder im Prinzip von zwei Regierungskonferenzen sprechen, da sich die Staats- und Regierungschefs zwei Konferenzen, die zwei unterschiedliche Projekte parallel verfolgen sollten, vorgenommen hatten – zum

einen die Schaffung einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und zum anderen die Gründung einer Politischen Union.

Mit dem Vertrag von Maastricht erhöhte sich die Frequenz, in der Regierungskonferenzen einberufen wurden und es setzte das eingangs bereits erwähnte „Gesetz der Serie“ ein: Der Maastrichter Vertrag war erst wenige Monate in Kraft, als sich die Staats- und Regierungs-chefs bereits darauf verständigten, im Rahmen einer neuen Konferenz eine Reihe von Re-formen auf den Weg zu bringen. Diese Konferenz von 1996/97 wurde zunächst unter der Überschrift „Maastricht II“ bekannt, der Begriff wurde dann bald nicht mehr verwendet, weil die Assoziation mit „Maastricht“ als problematisch angesehen wurde.

Mit der bereits erwähnten Revisionsklausel im Vertrag von Maastricht (Art. N, Abs. 2 EUV) hatten sich die Staats- und Regierungschefs zu einer Überprüfung verpflichtet. Erklärtes Ziel dieser Überprüfung war es, die Europäische Union auf die mit Ende des Ost-West-Konfliktes und der „Rückkehr nach Europa“ der einstmaligen „Ostblockstaaten“ möglich gewordene Osterweiterung institutionell vorzubereiten und eine Antwort zu finden auf die ganz neuen Bedingungen der internationalen Politik.

Die höhere Taktung von Revisionsprozessen und Regierungskonferenzen hielt in den Fol-gejahren an und nahm sogar noch zu. Gerade mal wenige Wochen waren vergangen zwischen dem In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrages am 1. Mai 1999 und der Einberufung einer neuen Regierungskonferenz auf dem Europäischen Rat in Köln Anfang Juni 1999. Diese Regierungskonferenz führte nach schwierigen Verhandlungen schließlich im Dezember 2000 zum Vertrag von Nizza.

Neben diesen mehr oder weniger erfolgreichen Regierungskonferenzen – „erfolgreich“ in dem Sinne, dass am Ende ein Ergebnis stand und der neue Vertrag in allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden konnte – gab es auch Regierungskonferenzen, die am Ende gescheitert sind.

Dazu gehören die Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) Anfang der 1950er Jahre, deren Ergebnis am Widerstand der Französischen Nationalver-sammlung gescheitert ist; oder auch die Fouchet-Pläne von 1961, die eine engere politische

Kooperation vorsahen und schließlich scheiterten, weil die Vorstellungen über die Zukunft der Gemeinschaft innerhalb der Sechser-Gemeinschaft zu weit auseinander lagen.52

2.2.4 Kontexte und zentrale Merkmale von Regierungskonferenzen: Ebenen und Akteure Regierungskonferenzen finden auf mindestens drei Ebenen statt: (1) auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs, die als „Herren der Verträge“ formal das letzte Wort bei Vertragsände-rungen haben; (2) auf der Ebene der Außenminister und (3) auf der Ebene der persönlichen Beauftragten der Minister. Während die Staats- und Regierungschefs sich in langen Nachtsit-zungen um die großen Linien und auch Detailfragen streiten, treffen sich die Außenminister – abhängig vom Zeitplan, den die Ratspräsidentschaft vorgibt – sehr viel häufiger. Da Vertrags-änderungen im Rahmen von Regierungskonferenzen dem Modell eines „state-to-state-bar-gaining“ (Smith 2002: 14) folgen, sind die Außenminister die eigentlichen Verhandlungs-führer. Da ohne eine gewisse Kohärenz die Verhandlungen von vornherein jedoch zum Scheitern verurteilt wären, übernehmen die Außenminister die politische Verantwortung für alle Politikfelder, die verhandelt werden; sie weichen damit ab von der üblichen Ressortauf-teilung im Rat im „Normalbetrieb“ der Europäischen Union (vgl. Smith 2002: 14; McDonagh 1998: 20; Stubb 2002: 14).

Die kaum sichtbare Hauptrolle in den monatelangen Verhandlungen spielen die Persönlichen Repräsentanten der Außenminister, die sich zum Teil wöchentlich treffen und in der Regel ein sehr gutes und vertrauensvolles Arbeitsverhältnis untereinander pflegen – was sie mitunter in eine schwierige Lage bringen kann, weil jeder Kompromiss, auf den sie sich verständigen, am Ende noch die Zustimmung der „Chefs“ erhalten muss:

„(...) being squeezed between the Heads of States and Government, which have the final say on the package, while providing over-all direction, and the personal representatives that have a better grasp on the nuances of the negotiations, the Foreign Ministers often have difficulty in carving out an influential role for themselves“ (Smith 2002: 15).53

52 Die Verhandlungen zwischen den europäischen Staaten zum Aufbau des Europarates, der Westeuro-päischen Union (WEU) und zur EuroWesteuro-päischen Freihandelszone (EFTA) werden im Rahmen dieser Ar-beit nicht behandelt. Sie können zwar nach den oben aufgeführten Kriterien als „Regierungskonfe-renzen“ beschrieben werden, sie bleiben hier jedoch ausgeblendet, da sie nicht als Beitrag zur euro-päischen Integration im engeren Sinne verstanden werden.

53 Dies wird auch von den an den Verhandlungen direkt beteiligten Akteuren so gesehen (vgl. McDonagh 1998: 20, Dehousse 1999, Stubb 2002).

In vielen Fällen sind die Persönlichen Repräsentanten der Außenminister identisch mit den Ständigen Vertretern, die die Mitgliedstaaten im COREPER vertreten.54 So waren von den 15 Regierungsvertretern der Amsterdamer Regierungskonferenz sechs gleichzeitig als Botschaf-ter im COREPER tätig – sie wechselten gewissermaßen nur ihren „Hut“, wenn auf der Tages-ordnung Themen der Regierungskonferenz standen (vgl. Smith 2002: 15; Grünhage 2001: 28;

McDonagh 1998: 233). Auf dieser Ebene wurde – wie noch zu zeigen sein wird –im Rahmen der Amsterdamer Regierungskonferenz 1996/97 die Hauptlast der Verhandlungen getragen und dort wurden die Verhandlungspakete („package deals“) geschnürt, die im nächsten Schritt auf Ministerebene bzw. auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs behandelt wurden.

Nach Schätzungen von Insidern ist davon auszugehen, dass 90 (!) Prozent der Verhandlungen auf der Ebene der Persönlichen Repräsentanten bzw. im COREPER vorentschieden wurden, das heißt, dass nur sehr wenige Streitfragen bei den Staats- und Regierungschefs landeten (Svensson 2000: 37).55 Dies zeigt, dass die Verhandlungen im Rahmen von Regierungskonfe-renzen – zumindest seit Mitte der 1990er Jahre – zu einem fast schon „normalen“ Teil der EU-Politik geworden sind, und somit in die üblichen Verfahren und eingespielten Routinen der Entscheidungsfindung integriert wurden: „The complexity of IGCs also reflects the complexity of the broader EU system. Although unique in many respects, IGCs are charac-teristic of general EU bargaining and decision-making“ (Dinan 1999: 292; vgl. auch Chris-tiansen/Jørgensen 1998).

Dies führte dann dazu, dass der Kreis der an einer Regierungskonferenz Beteiligten sich nicht länger auf Vertreter der mitgliedstaatlichen Regierungen beschränkte, wie es der Wortlaut des Artikels N des EU-Vertrages in der Fassung von Maastricht nahelegt, der neben der Kom-mission, die an zweiter Stelle genannt wird, nur die Regierungen der Mitgliedstaaten nennt.

54 Der in der Europäischen Gemeinschaft üblicherweise verwendete französische Begriff COREPER („Comité des représentants permanents“, zu deutsch: „Ausschuss der Ständigen Vertreter“, AStV) ist das zentrale Gremium des Rates, in dem Vertreter der Mitgliedstaaten im Botschafterrang vertreten sind, und das die Aufgabe hat, „die Arbeiten des Rates vorzubereiten und die ihm vom Rat übertragenen Aufträge auszuführen“ (Art. 207 EGV). Vgl. dazu ausführlich Nugent (2003: 156-160), Lewis (2002) und Hayes-Renshaw/Wallace (1997).

55 Die Rolle des COREPER als de facto-Entscheidungsgremium in der Europäischen Union ist im Rah-men der Amsterdamer Regierungskonferenz nie diskutiert worden. Dies überrascht insofern, als diese Regierungskonferenz sich das Ziel gesetzt hatte, die Demokratie und Legitimität der EU zu stärken; es überrascht andererseits jedoch auch wieder nicht, da die Botschafter kein Interesse daran haben konn-ten, ihren politischen Einfluss selber zu beschneiden (vgl. Lewis 2002: 293). Alle vorliegenden Studien zeigen jedoch, dass die Arbeit des mit hohen und sehr erfahrenen mitgliedstaatlichen Beamte besetzten COREPER unverzichtbar ist für die Entscheidungsfindung in der Europäischen Gemeinschaft, da in diesem Kreis eine personale Kontinuität und ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen bzw. Sozial-kapital vorhanden ist, auf das multilaterale Verhandlungen angewiesen sind.

Ohne Zweifel spielen die Vertreter der mitgliedstaatlichen Regierungen auf allen Ebenen eine herausgehobene Rolle, sie besitzen de facto aber keine Monopolstellung (Smith 2002: 16;

Falkner 2002a). Denn neben den „Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten“, wie es in Art. 48 EUV heißt, sind eine Reihe weiterer Institutionen, wie etwa das Ratssekretariat, in die Verhandlungen, die sich über Monate hinziehen können, eingebunden (Beach 2002, 2003).

Da der Vertrag keine expliziten Vorschriften über die Beteiligung des Europäischen Parla-ments oder der Kommission macht, ist deren Teilnahme prinzipiell auch nicht ausgeschlos-sen, sie variiert von Regierungskonferenz zu Regierungskonferenz.56 Während bei den Maas-tricht-Verhandlungen zur Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) die Kommission und der Delors-Ausschuss eine extrem wichtige Rolle spielen konnten und sich als „policy en-trepreneur“ eingebracht hatte, spielte die Brüsseler Behörde bei der nachfolgenden Regie-rungskonferenz eher wieder eine Nebenrolle (vgl. Dyson/Featherstone 1999: 706-723 und

Da der Vertrag keine expliziten Vorschriften über die Beteiligung des Europäischen Parla-ments oder der Kommission macht, ist deren Teilnahme prinzipiell auch nicht ausgeschlos-sen, sie variiert von Regierungskonferenz zu Regierungskonferenz.56 Während bei den Maas-tricht-Verhandlungen zur Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) die Kommission und der Delors-Ausschuss eine extrem wichtige Rolle spielen konnten und sich als „policy en-trepreneur“ eingebracht hatte, spielte die Brüsseler Behörde bei der nachfolgenden Regie-rungskonferenz eher wieder eine Nebenrolle (vgl. Dyson/Featherstone 1999: 706-723 und