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Die Regierungskonferenzen zur Europäischen Wirtschafts- und Atomgemeinschaft:

3 Regierungskonferenzen von den Anfängen der europäischen

3.3 Die Regierungskonferenzen zur Europäischen Wirtschafts- und Atomgemeinschaft:

Die Entstehung der Römischen Verträge

Die Verhandlungen, die schließlich zu den Römischen Verträgen geführt haben, zeigen eine Reihe von Besonderheiten, die auch bei den nachfolgenden Regierungskonferenzen zu beo-bachten sind. Die Erfahrungen und die Praktiken von Vertragsreformen aus den 1950er Jah-ren schufen die Grundlagen und legten die Bahnen für spätere Verhandlungen. Dazu gehört die Rolle von eigens eingerichteten Ausschüssen, um die eigentlichen Verhandlungen zwi-schen den Regierungsvertretern vorzubereiten, wie etwa der „Spaak-Ausschuss“. Ferner zeigte sich hier bereits die besondere Bedeutung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich, die Rolle der Benelux-Staaten als Motoren der Integration und das internationale Umfeld (Suez-Krise!) sowie die Lehren, die aus früheren Verhandlungen gezogen wurden.

Eine weitere Pfadabhängigkeit lässt sich bei den Verhandlungen zu den Römischen Verträgen beobachten: Jean Monnet hatte, wie schon beim Schuman- und Plevenplan, nun in seiner Funktion als Präsident der Hohen Behörde, einen ganz entscheidenden Anteil an der „Relance européenne“. Wenige Tage nach dem Scheitern der EVG-Pläne in der Nationalversammlung wurden in der Hohen Behörde und in einigen Hauptstädten erste Überlegungen angestellt, wie die Integration trotz dieses Scheiterns fortgesetzt werden könnte und die Fehler der Vergan-genheit in Zukunft vermieden werden könnten. Jean Monnet fühlte sich in gewisser Weise mitverantwortlich für die Ablehnung der EVG-Pläne durch die Nationalversammlung, da er sich bei den Parlamentariern nicht persönlich für die Annahme des Planes eingesetzt hatte.

Schon am 1. September 1954, also zwei Tage nach der entscheidenden Sitzung in Paris, be-mühte er sich in Gesprächen mit der französischen Regierung „zu retten, was noch zu retten war“ (Küsters 1982: 65). Auch bei den Befürwortern der Integration, den Regierungen in Brüssel, in Den Haag und Bonn, machte man sich Gedanken, wie an den Stand der Debatte zur Gründung der EPG erfolgreich angeknüpft werden könne: „Aufgrund der bis August 1954 geführten Diskussionen waren die Experten zu dem Urteil gekommen, dass eine politische Gemeinschaft nicht ohne ein wirtschaftliches Fundament existieren könne“ (Küsters 1982:

65).

Auf der Basis des Vorschlages des niederländischen Außenministers Beyen, der eine Zoll-union und die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes vorsah, wurden im Sommer 1954 dann Pläne diskutiert, die, neben der Zollunion als dem Kern des Gemeinsamen Marktes, eine

Reihe von ergänzenden Maßnahmen vorsahen. Dazu gehörten ein freier Waren- und Kapi-talverkehr, die Freizügigkeit des Dienstleistungs- und Personenverkehrs, die Herstellung ech-ter Wettbewerbsverhältnisse, ein Schutzklauselsystem bei wirtschaftlichen Störungen, die Ko-ordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sowie die Errichtung eines europäi-schen Hilfsfonds zur Überwindung von Anpassungsschwierigkeiten der gewerblichen und landwirtschaftlichen Unternehmen für eine Übergangszeit (vgl. Küsters 1982: 65). Die Regie-rung in Den Haag hatte aus dem Scheitern von EVG und EPG den Schluss gezogen, dass eine echte politische Integration im Moment nicht mehrheitsfähig sei, auf dem „wirtschaftlichen Gebiet die Möglichkeiten einer supranationalen Einigung [dagegen] noch nicht ausgeschöpft seien“ (Küsters 1982: 77). Aus dieser Überzeugung heraus und auf der Basis der Überlegun-gen Monnets, dass die friedliche Nutzung der Atomenergie „eine der wichtigsten Vorausset-zungen für die Entwicklung der westlichen Industriegesellschaften“ (Küsters 1982: 73) sei, wurden weitere Schritte der Integration entwickelt und in einem gemeinsamen Memorandum der Benelux-Staaten präsentiert. Die Idee, die europäische Zusammenarbeit auf dem Energie-sektor voranzubringen und diesen Bereich als „Hebel“ für die Integration zu nutzen, geht zurück auf Etienne Hirsch, einen Ingenieur, der Monnet aus seiner Zeit in Algerien bekannt war, und auf Louis Armand, Generaldirektor der Staatlichen Französischen Eisenbahn und ein in Energiefragen ausgewiesener Experte.90

Am 20. Mai 1955 wurde dieses Memorandum den anderen Regierungen der EGKS-Staaten vorgelegt; diskutiert werden sollte es auf einem Treffen der Außenminister in Messina im Juni. Die Benelux-Regierungen verfolgten mit ihrem Memorandum mehrere Ziele: (1) Die gemeinsame Basis der ökonomischen Entwicklung in den EGKS-Staaten sollte erweitert wer-den, vor allem in den Bereichen Verkehr, Energie und friedliche Nutzung der Atomenergie;

(2) die Errichtung eines gemeinsamen Marktes und der Abbau von mengenmäßigen Be-schränkungen und Zöllen, sowie die Harmonisierung der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpo-litik in den Mitgliedstaaten; (3) die schrittweise Harmonisierung einiger Sozialbestimmungen wie Arbeitszeitregelungen, Überstundenvergütung und Urlaub; und (4) sollte eine Konferenz konkrete Texte vorlegen, die diese Überlegungen aufgreifen. An der Konferenz sollten nicht nur die Mitgliedstaaten der Montanunion und ihre assoziierten Staaten teilnehmen, sondern bei Bedarf auch die Mitgliedstaaten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa (OEEC) (vgl. Küsters 1982: 109). Am 14. Mai 1955 hatte die Versammlung der

90 Vgl. Monnet (1978: 530-534) und Küsters (1982: 73).

EGKS dann in einer einstimmig verabschiedeten Resolution die Einberufung einer Regie-rungskonferenz zur Zukunft der europäischen Integration beschlossen.

Auf der Konferenz in der sizilianischen Hafenstadt Messina Anfang Juni 1955 trat acht Monate nach dem Scheitern der EVG der Ministerrat zum ersten Mal wieder zusammen. Auf dem Treffen von Messina verständigte man sich nach schwierigen Verhandlungen, die bis in die frühen Morgenstunden des 3. Juni dauerten, auf eine Resolution, die vier Ziele für die Schaffung eines vereinten Europas benannte: die Weiterentwicklung gemeinsamer Institutio-nen; den schrittweisen Zusammenschluss der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten; die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die stufenweise Harmonisierung der Sozialpoli-tik (Küsters 1982: 122). Die Außenminister sprachen sich dafür aus, diese Ziele möglichst schnell umzusetzen; eine oder mehrere Regierungskonferenzen sollten die dafür notwendigen Verträge und Vereinbarungen ausarbeiten. Die Vorbereitung dieser Konferenzen wurde einem Ausschuss aus Regierungsvertretern und Sachverständigen übertragen – ein Verfahren, das hier zum ersten Mal zum Einsatz kam, und bei den folgenden Regierungskonferenzen obliga-torisch wurde.91 Den Vorsitz dieses Ausschusses sollte eine Person übernehmen, die in der Lage sein würde, „bei dem überaus technischen Charakter das Politische stärker“ (Küsters 1982: 124) herauszukehren. Die Wahl fiel auf Paul-Henri Spaak, den belgischen Außenmi-nister, der zusammen mit Monnet und Beyen bereits die Messina-Initiative auf den Weg ge-bracht hatte. Obwohl oder gerade weil Spaak in den technischen Fragen der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes kein Experte war, galt er den anderen Regierungen als der richtige, um bei „den Sachverständigen den notwendigen Willen zur Durchführung der Pläne zu wecken“.

Spaak brachte für seine Aufgabe – so beschrieb er es selbst – eine „fachliche Inkompetenz“

mit; diese sollte sich jedoch „eher förderlich als hemmend auswirken (Küsters 1982: 125).

Spaak gelang es, dass aus dem „eher technisch angelegten Prüfungsauftrag des Komitees“ ein umfassendes Integrationskonzept entwickelt wurde, das gleichzeitig auch mehrheitsfähig war (Loth 2002: 13).

Die Mitglieder im Spaak-Ausschuss waren nicht nur Vertreter aus den sechs EGKS-Staaten, sondern auch Repräsentanten der britischen Regierung, der Organisation für Wirtschaftliche

91 Vgl. etwa den Dooge-Ausschuss zur Vorbereitung der 1985er Regierungskonferenz, die Rolle des Delors-Ausschusses bei der Maastricht-Konferenz, die Reflexionsgruppe zur Vorbereitung der Amsterdamer Regierungskonferenz und die Gruppe der „Drei Weisen Männer“ im Vorfeld der Regierungskonferenz 2000.

Zusammenarbeit in Europa (OEEC), des Europarats, der EGKS sowie des Komitees der euro-päischen Transportminister. Die Vorbereitung der Regierungskonferenz zeichnete sich also durch ein „gewisses Maß an Flexibilität“ aus (Smith 2002: 57). Bis zum Oktober 1955 sollte der Spaak-Bericht vorliegen; die Wende vom technischen zum politischen Ansatz, die Spaak vornahm, kam für die Regierungen jedoch überraschend. Vor allem die französische Regie-rung zeigte sich verstimmt über diese ÄndeRegie-rung der Agenda und wies darauf hin, dass ihre Zustimmung zur Einrichtung dieses Ausschusses von dessen technischem Charakter abhing (Smith 2002: 57). Ein weiteres Muster künftiger Regierungskonferenzen zeichnete sich in den Verhandlungen zu den Römischen Verträgen auch schon ab: Politisch kontrovers diskutierte Fragen wie etwa die Einbeziehung der Überseegebiete und Regelungen zur Agrarpolitik wur-den ausgespart und sollten bei zukünftigen Verhandlungen gelöst werwur-den (Smith 2002: 58).

Diese Methode ist dem Verhandlungsansatz Spaaks zuzuschreiben und zeigt, dass die Politi-ker hier dem funktionalistischen Ansatz folgten; darauf weist auch Ernst Haas ausdrücklich hin:

„When the experts disagreed, Spaak ordered them to postpone considering the differences of opinion and to concentrate first on questions permitting agreement. He advanced the formula whereby institutional questions were reserved for discussion after the functional needs of the new schemes had been fixed“ (Haas 1968: 515).

Allen Beteiligten war klar, dass eine verfrühte Diskussion der institutionellen und verfas-sungspolitischen Fragen die französische und auch die britische Regierung in Schwierigkeiten gebracht hätte. Die Regierung in London war gegen jegliche institutionellen Neuerungen und sprach sich dafür aus, die Aufgaben, die unter dem Dach der OEEC angesiedelt waren, nicht zu duplizieren und plädierte dafür, anstelle einer Zollunion eine Freihandelszone in Europa zu errichten (Smith 2002: 58-59). Diese Präferenzen führten dazu, dass die britische Regierung lange Zeit eine Strategie des „Wait and see“ verfolgte, womit sich London als ernstzuneh-mender Teilnehmer aus den Verhandlungen ausschloss. Spaak hatte die Briten dann im No-vember 1955 mit dem Hinweis, die Verhandlungen würden jetzt eine politische Dimension erreichen, auch formal ausgeschlossen. Zu den Gesprächen waren von nun an nur noch die Montanunion-Mitglieder zugelassen – unterstützt von Experten der Hohen Behörde (Smith 2002: 59-60).

Die Parlamentswahlen in Frankreich zum Jahresbeginn 1956 brachten keiner Partei eine re-gierungsfähige Mehrheit, sie machte aber die Sozialisten (SFIO) zur „heimlichen Siegerin“

der Wahlen und verhalf Guy Mollet als Führer der größten Gruppe der Republikanischen Front in das Amt des Premierministers. Die Haltung der neuen Regierung in Paris hatte inso-fern Einfluss auf die Verhandlungen, als sie sich in Abkehr zur zuletzt eingenommenen Posi-tion der Faure-Regierung eindeutig „zu einem positiven Abschluß der Brüsseler Arbeiten“ be-kannte und somit „den schwachen pro-europäischen Kräften in der Administration den Rücken stärkte“ (Küsters 1982: 222). Auch die deutsche Regierung war in ihrem europapoliti-schen Handlungsspielraum zunächst eingeengt. Die Differenzen zwieuropapoliti-schen dem von Ludwig Erhard geführten Wirtschaftsministerium sowie anderen Ressorts und dem Kanzler, unter-stützt vom Auswärtigen Amt, über den „richtigen“ europapolitischen Ansatz, konnten erst nach einem Machtwort und einer Weisung Adenauers im Januar 1956 beigelegt werden. Der Gebrauch der Richtlinienkompetenz durch den Bundeskanzler zielte vor allem auf Erhard und den für Atomfragen zuständigen Minister Franz-Josef Strauß (vgl. Küsters 1982: 222-226;

Müller-Roschach 1974: 41; Schukraft 2002: 34).

Eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Atomenergie, die für die relance européenne eine besondere Rolle spielen sollte, erschien in vielerlei Hinsicht zukunftsträchtig: „(...) it was a fresh area ready for development that seemed to be free of well-entrenched national interests“

(Smith 2002: 60). Vor allem Jean Monnet sah, wie oben erwähnt, in einer engen Kooperation auf dem Gebiet der Nuklearwirtschaft hohe politische und ökonomische Gewinne für alle Seiten und erkannte die Chance, die Ergebnisse der Verhandlungen ohne größere Probleme in den Mitgliedstaaten durchzubringen – das Trauma der gescheiterten Ratifizierung des Vor-gängerprojektes und die begründete Hoffnung, dass hier keine Blockade zu erwarten war, be-stimmten das politische Vorgehen. Die Schließung des Suez-Kanals und eine befürchtete

„Energielücke“ machten eine enge europäische Zusammenarbeit in Atomfragen plausibel.

Spaak selber hatte noch vor dem Ende der Arbeiten an seinem Bericht den Schwerpunkt auf den Gemeinsamen Markt gelegt und eine Gruppe aus „Drei Weisen“ beauftragt, eine Zusam-menfassung der verschiedenen technischen Berichte vorzulegen und auf der Grundlage dieser Synthese einen kohärenten Gesamtbericht zu erstellen. Eine Gruppe von „Weisen“ zu befragen verweist auf eine sehr lange historische Tradition. Die Gruppe der „Sieben Weisen“

setzte sich zusammen aus diesen sieben antiken griechischen Philosophen und Politikern des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr.: Thales, Solon, Periandros, Kleobulos, Chilon, Bias von Priene

und Pittakos. Sie werden in Verbindung gebracht mit Spruch- und Lebensweisheiten wie

„Erkenne dich selbst“ oder „Nichts im Übermaß“. Die regelmäßig wiederkehrende Einsetzung einer Gruppe von „Weisen“ zur Vorbereitung von Reformen in bestimmten Phasen des euro-päischen Einigungsprozesses lassen sich als eine spezifische Form der historischen „Pfad-abhängigkeit“ interpretieren.

Zu den „Weisen“, die in einer schwierigen Phase der frühen Integrationsgeschichte einen Ausweg finden sollten, gehörten Pierre Uri von der Hohen Behörde, dessen Mitarbeiter Huepperts sowie Hans von der Groeben aus dem Wirtschaftsministerium in Bonn. Von der Groeben und Uri gingen ohne Weisungen an die Arbeit und konnten so – da Spaak die poli-tische Verantwortung trug – relativ selbständig ihren Bericht erstellen. Da sie die Positionen der einzelnen Regierungen sehr gut kannten, konnten sie „eventuellen Schwierigkeiten und Einwänden im Vorhinein so weit wie möglich Rechnung“ (Küsters 1982: 237) tragen. Der fertige Bericht, der in weniger als vier Wochen erarbeitet wurde, stellte eine „Mischung aus politischem Rahmenprogramm für die Aufnahme von Regierungsverhandlungen und nüch-terner Beschreibung sachlicher und allgemein durchsetzbarer Integrationsschritte“ (Küsters 1982: 237) dar. Am 6. Mai übergab Spaak den Bericht auf der Ratstagung der NATO in Paris seinen Kollegen aus den anderen fünf EGKS-Staaten. Die europäischen Außenminister be-schlossen, die Vorschläge des Berichts auf einer Tagung Ende Mai in Venedig zu diskutieren.

Der Bericht stellte eine „folgenreiche Weichenstellung“ für den Fortgang der europäischen Integration dar: „Während vorher die Zusammenführung der beteiligten Volkswirtschaften durch einen Gemeinsamen Markt in der Sicht mancher Regierungen zwar eine prinzipiell notwendige Sache war, aber nicht unbedingt die Hauptsache, wurde sie nun – neben dem Projekt einer Atomgemeinschaft – zum Um und Auf der Integration“ (Schneider 1992: 12-13). Der Spaak-Bericht zielte darauf ab, dass das vereinigte Europa in den Bereichen aufhole, in denen es im Vergleich mit der US-amerikanischen Wirtschaft zurücklag: Der Bericht zählte dazu den technologischen Entwicklungsstand, das niedrige Produktivitätsniveau und die unzulänglichen Produktionsmethoden.

Der Spaak-Bericht ist aus drei Gründen bemerkenswert und er wurde stilbildend für die Art und Weise, wie in der Europäischen Gemeinschaft Vertragsänderungen vorbereitet werden (Smith 2002: 61): Der gewählte Ansatz zeigte die Effizienz, mit der ein kleines

Redaktions-team, zusammengesetzt aus einer überschaubaren Zahl an Experten, ein kohärentes und über-zeugendes Dokument in sehr kurzer Zeit erstellen kann und darin Debatten zwischen Regie-rungsvertretern, die den Bericht später als Grundlage für ihre Verhandlungen nehmen, über-legen ist. Dass ein Team von Spezialisten in enger Zusammenarbeit mit Vertretern der Hohen Behörde die Grundlage der nachfolgenden Regierungskonferenz liefern und damit die Tages-ordnung derselben maßgeblich bestimmen konnte, zeigt, welche Rolle supranationalen Akteu-re im Vorfeld der Regierungsverhandlungen und in der Phase des Agenda setting spielen können. Darauf hatte auch Ernst Haas aufmerksam gemacht, als er den Einfluss von Pierre Uri auf den endgültigen Bericht so beschrieb: „It represented not only the actual political compromising performed at the expert level, but the translation of the High Authority’s integration doctrine into concrete policy“ (Haas 1968: 516).

Auf dem Treffen der Außenminister in Venedig im Mai 1956 wurde der Spaak-Bericht von allen Sechs angenommen und der Beschluss gefasst, den Bericht als Basis für die nun anste-henden Verhandlungen zur Errichtung des Gemeinsamen Marktes und der Schaffung der EURATOM zu übernehmen. Dass der Bericht als Ausgangspunkt für die Verhandlungen akzeptiert wurde, war nicht selbstverständlich, denn die Bedenken, die von deutscher Seite gegenüber dem Euratom-Projekt geäußert wurden und die Vorbehalte Frankreichs gegenüber dem Gemeinsamen Markt machten eine Fortsetzung der Verhandlungen ungewiss (Küsters 1982: 260).

Die Vorschläge des Berichts zum Institutionensystem und die Frage, wie die Balance zwi-schen supranationalen und intergouvernementalen Elementen aussehen sollte, zeigen, dass man sich stark an der EGKS orientierte und auch hier eine Pfadabhängigkeit zu erkennen ist:

Die institutionelle Struktur orientierte sich weitgehend an der Montanunion. Hier wie dort bil-deten eine Kommission, ein Ministerrat, ein Gerichtshof und eine parlamentarische Ver-sammlung die wichtigsten Organe. Diese Form von „Pfadabhängigkeit“ – in dem Sinne, dass einmal getroffene institutionelle Lösungen beibehalten werden – mag manche Beobachter auch deshalb überrascht haben, weil es, knapp zwei Jahre nach dem Scheitern der supranatio-nalen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, den „Föderalisten unter den Sachverstän-digen“ gelungen war, ein „föderales Organ in das Entscheidungssystem der neuen Gemein-schaft einzubauen“ (Küsters 1982: 265). Nach den Erfahrungen mit der EVG war nicht zu erwarten, dass dieser Vorschlag von den Regierungen angenommen werden würde.

Es wurden nicht, wie man hätte erwarten können, für die unterschiedlichen Themenbereiche zwei getrennte Regierungskonferenzen einberufen, so wie bei den Verhandlungen zum Ver-trag von Maastricht, sondern nur eine einzige, diese wurde aber in zwei Sektionen aufgeteilt (Smith 2002: 61). Die Annahme des Spaak-Reports gab der europäischen Idee „neuen Auf-trieb“ (Küsters 1982: 264). Schon vier Wochen nach der Konferenz von Venedig, Ende Juni, wurden dann die Verhandlungen aufgenommen – den Regierungen blieb damit wenig Zeit für die Vorbereitung der Gespräche. Am 26. Juni 1956 wurden die diplomatischen Verhand-lungen von Spaak eröffnet. Die Gruppe der Delegationsleiter war, mit Ausnahme von Lint-horst Homan vom Wirtschaftsministerium in Den Haag und dem Staatssekretär für Auswär-tige Beziehungen in Paris, Maurice Faure, identisch mit dem Regierungsausschuss, der die Verhandlungen vorbereitet hatte (Küsters 1982: 276) – auch dies eine Parallele etwa zu den Verhandlungen in Rahmen der 1996/97er Regierungskonferenz, in der die Mitglieder der vorbereitenden „Reflexionsgruppe“ in Teilen identisch war mit den Delegationsleitern in der nachfolgenden Regierungskonferenz.

Die Verhandlungen, die zur EWG führen sollten, waren geprägt von den beiden Ausschuss-vorsitzenden von der Groeben und Guillaumat, die keiner nationalen Delegation angehörten und deshalb eine „mehr oder weniger (...) neutrale Schiedsrichterrolle“ (Küsters 1982: 277) einnehmen und Kompromisse aushandeln konnten. Aber auch die erfahrenen Beamten, die von den Regierungen in die Verhandlungen geschickt wurden und auch die „Solidaritäts-effekte“ (Küsters 1982: 279) zwischen den beteiligten Akteuren, die sich mit der Dauer der Verhandlungen einstellten, prägten den Verhandlungsprozess.

Die ersten Monate der Verhandlungen waren durch eine gewisse Richtungslosigkeit und

„einige Anlaufschwierigkeiten“ (Küsters 1982: 279) gekennzeichnet; erst im September 1956 wurden die Gespräche zielstrebiger geführt. Nach einer Einigung zwischen Deutschland und Frankreich über die Saar-Frage gelang es dann, einige der strittigen Themen wie die Einbezie-hung der Landwirtschaft zu klären und eine Einigung in wichtigen institutionellen Fragen zu Mehrheitsentscheidungen im Rat und zu den Kompetenzen der Parlamentarischen Versamm-lung herbeizuführen (Loth 1996: 130; Smith 2002: 63-64).

Noch am Morgen des 25. März 1957, an dem der Vertrag mit seinen 246 Artikeln schließlich unterzeichnet werden sollte, wurde am Text gearbeitet: „[R]edaktionelle Kämpfe und neue

Einwände verschiedener Delegationen“ (Küsters 1982: 430) machten eine kurzfristig einbe-rufene Außenministerkonferenz erforderlich, auf der in den letzten Zügen der Verhandlungen noch einmal die nationalen Sonderwünsche vorgetragen wurden. Während die niederländi-sche Delegation auf der Stärkung der Parlamentariniederländi-schen Versammlung beharrte, die franzö-sische Seite – einen britischen Vorschlag aufgreifend – einen Entschließungsantrag über die

„Herstellung organischer Verbindungen zwischen den europäischen Versammlungen“

(Küsters 1982: 431) einbrachte, legte die Bundesregierung ein „Protokoll über den innerdeut-schen Handel und die damit zusammenhängenden Fragen“ und eine „Gemeinsame Erklärung betreffend Berlin“ vor. Da die Frage der traditionellen Energie im Vertrag ausgespart blieb und damit ein seit der Venedig-Konferenz offen gebliebenes Problem noch nicht gelöst war, forderten die Minister die Hohe Behörde auf, Lösungsvorschläge für die Behandlung der Energiefragen vorzulegen – ein Beispiel dafür, dass die Expertise der Hohen Behörde genutzt wurde, um eine „funktionale“ Lösung für ein politisches Streitthema zu ermöglichen. Nach-dem sich die Delegationen auf diese Fragen geeinigt hatten, wurde die Zeit bis zur feierlichen Unterzeichnung, die weltweit übertragen werden sollte, knapp. Man bediente sich deshalb

(Küsters 1982: 431) einbrachte, legte die Bundesregierung ein „Protokoll über den innerdeut-schen Handel und die damit zusammenhängenden Fragen“ und eine „Gemeinsame Erklärung betreffend Berlin“ vor. Da die Frage der traditionellen Energie im Vertrag ausgespart blieb und damit ein seit der Venedig-Konferenz offen gebliebenes Problem noch nicht gelöst war, forderten die Minister die Hohe Behörde auf, Lösungsvorschläge für die Behandlung der Energiefragen vorzulegen – ein Beispiel dafür, dass die Expertise der Hohen Behörde genutzt wurde, um eine „funktionale“ Lösung für ein politisches Streitthema zu ermöglichen. Nach-dem sich die Delegationen auf diese Fragen geeinigt hatten, wurde die Zeit bis zur feierlichen Unterzeichnung, die weltweit übertragen werden sollte, knapp. Man bediente sich deshalb