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Der historische Kontext und die Verhandlungen im Rahmen der Regierungskonferenzen 1990/91: Die Ergebnisse von „Maastricht“

3 Regierungskonferenzen von den Anfängen der europäischen

3.7 Der historische Kontext und die Verhandlungen im Rahmen der Regierungskonferenzen 1990/91: Die Ergebnisse von „Maastricht“

3.7.1 Das Agenda setting: Die Vorbereitung der Regierungskonferenz

Der Nachfolger Margaret Thatchers in 10 Downing Street, John Major, verglich, wie in der Einleitung bereits zitiert, die Verhandlungen von Maastricht mit einem „12-level chess game“

(Ross 1995: 33). Die Beschreibung des britischen Premierministers veranschaulicht sehr gut die Komplexität von Regierungskonferenzen – ein Spiel, an dem insgesamt zwölf Regierun-gen beteiligt sind und ein politisches RinRegierun-gen, das die höchsten Schwierigkeitsgrade erreicht.

Mit der Aufnahme Spaniens und Portugals zum Jahresbeginn 1986 war die Gemeinschaft nach langjährigen Verhandlungen auf nun zwölf Mitgliedstaaten gewachsen. Die Erweiterung und die positive Entwicklung des Binnenmarktprojektes in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre standen in deutlichem Kontrast zur Zeit der „Eurosklerose“, die noch wenige Jahre zu-vor die europapolitische Stimmung drückte. Die Europäische Kommission hatte im Novem-ber 1988 einen ZwischenNovem-bericht zur Verwirklichung des Binnenmarktes vorgelegt, der, trotz der Tatsache, dass erst ein Drittel der Maßnahmen umgesetzt waren, ein sehr positives Bild lieferte. Denn die europäischen Unternehmen und Wirtschaftsakteure hatten die Vollendung des Projekts antizipiert und sich schon vor der Vollendung darauf eingestellt (Brunn 2002:

250; Middlemas 1995: 149). Dies brachte einen allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung, eine Vielzahl von multinationalen Joint ventures und eine neue Boom-Phase, die die Basis bereitete für eine Konsolidierung bzw. Vollendung des Projekts Wirtschafts- und Währungs-union, das ja in der Einheitlichen Akte schon angelegt war (Middlemas 1995: 151). Wichtig war nicht nur, dass sich die Lage objektiv verbessert hatte, sondern dass dies auch die „Zeit einer fast grenzenlosen Aufschwungstimmung“ (Brunn 2002: 251) war.

Hinzu kamen weitreichende politischen Veränderungen in der Sowjetunion und in anderen Warschauer Pakt-Staaten, die den Druck verstärkten, so die damalige Wahrnehmung, das Projekt einer „Europäischen Union“ einen entscheidenden Schritt voranzubringen. Deshalb begann der deutsche Außenminister Genscher im ersten Halbjahr 1988, in dem die Bundesre-gierung die Ratspräsidentschaft innehatte, mit „einer Kampagne für die Wirtschafts- und Währungsunion“ (Genscher 1995: 387). Ende Februar 1988 legte Genscher öffentlich ein Pa-pier vor, das im Auswärtigen Amt (AA) von einem leitenden Beamten, Wilhelm Schönfelder,

erarbeitet worden war. Mit einer unabhängigen Europäischen Zentralbank, die dem Modell der Deutschen Bundesbank folgen sollte, skizzierte dieses Papier die Grundlinien der deut-schen Position für die Verhandlungen in der Maastrichter Regierungskonferenz; das Papier aus dem AA wurde in der Bundesbank und im Finanzministerium skeptisch beäugt. Mit dem Memorandum hatte sich Genscher jedoch – ähnlich wie bereits im Vorfeld der Einheitlichen Akte – als „policy entrepreneur“ betätigt und einen Prozess angestoßen, der eine eigene Dy-namik entwickeln sollte (Dyson/Feathersone 1999: 327-332). Auf dem Europäischen Rat in Hannover wurde dann auf Vorschlag Genschers ein europäisches Sachverständigengremium – in Anlehnung an entsprechende Vorbilder aus der Vergangenheit – einberufen; Genscher dachte „an eine Art ‚Rat der Weisen‘“ (Genscher 1995: 389). Geleitet werden sollte dieser Ausschuss vom Kommissionspräsidenten Delors und besetzt werden sollte er mit den Vorsit-zenden der mitgliedstaatlichen Zentralbanken, einem Kommissionsmitglied und drei weiteren Sachverständigen (vgl. ausführlich Dyson/Featherstone 1999: 691-745; Middlemas 1995:

169-173). Dass Genscher den Kommissionspräsidenten Delors als Vorsitzenden dieses Gre-miums vorschlug und nicht etwa den Bundesbankpräsidenten Pöhl, hatte viele Beobachter, und Pöhl wohl am meisten, überrascht und irritiert. Es war jedoch „ein genialer Schachzug“

Delors’, die Zentralbankpräsidenten damit zu beauftragen, einen Plan für eine europäische Zentralbank auszuarbeiten und „damit indirekt ihre eigene Entmachtung vorzubereiten“

(Brunn 2002: 262). Da die mitgliedstaatlichen Zentralbankpräsidenten einerseits als die besten Kenner der Materie galten und sie sich andererseits am dezidiertesten gegen eine europäische Zentralbank positionieren würden, konnte von ihnen am ehesten erwartet werden, dass sie einen „realistischen und realisierbaren Plan“ vorlegen würden (Brunn 2002: 263).

Der am 17. April 1989 vorgelegte „Delors-Bericht“ wurde einstimmig angenommen und folgte in wesentlichen Punkten dem Dreistufenplan, wie er schon 1970 im sogenannten Wer-nerplan angelegt war.123 Der Bericht nannte drei Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Währungsunion gelingen kann: „Uneingeschränkte, irreversible Konvertibilität der Wäh-rungen; vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs und volle Integration der Banken- und sonstigen Finanzmärkte; Beseitigung der Bandbreiten und unwiderrufliche Fixierung der Wechselkursparitäten“ (zitiert nach Brunn 2002: 392).124 Mit dem Delors-Bericht war der Höhepunkt des Einflusses der Kommission in dieser – für den späteren Verlauf der

123 Zu den mitgliedstaatlichen Reaktionen des Delors-Berichts vgl. Wolf (1999: 105-119).

124 Vgl. dazu ausführlich u.a. Dinan (1994: 418-426) und Dyson/Feathersone (1999: 713-720).

tungen – sehr wichtigen Agenda setting-Phase erreicht, dann ging das Heft des Handelns über an den Rat der Finanzminister, das EC Monetary Committee und den Ausschuss der Zentral-bankpräsidenten. Der Europäische Rat von Madrid nahm den Bericht an und verständigte sich auf den 1. Juli 1990 als Termin für die erste Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion; da-rüber, wann die zweite und dritte Stufe erreicht werden sollten und ob dazu eine Regierungs-konferenz vonnöten sei, gab es in Madrid keinen Konsens. Vor der Bundestagswahl im Herbst 1990 war auch die Neigung der Bundesregierung unter Kanzler Kohl, eine Regie-rungskonferenz einzuberufen, die ja die D-Mark schließlich abschaffen würde, nicht allzu stark ausgeprägt. Somit war im Sommer 1989 nicht klar war, ob dem ehrgeizigen Projekt einer Währungsunion „nicht ein ähnliches Schicksal beschieden sein würde wie dem Werner-plan“ (Brunn 2002: 264). In dieser Phase der Unsicherheit kam mit den Massendemonstra-tionen und der sich abzeichnenden Wende in der DDR und in den anderen Staaten des kom-munistischen Einflussbereiches eine neue (externe) Dynamik auf, die das Projekt einer Wirt-schafts- und Währungsunion sehr beschleunigen würde. Mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 veränderten sich in der Folgezeit die Parameter der internationalen Politik ganz grundlegend. Vor allem die französische Regierung und dann auch die italienische ver-stärkten den Druck auf die Deutschen, einer Regierungskonferenz jetzt zuzustimmen und wahltaktische Überlegungen zurückzustellen. Für den französischen Präsidenten war eine entsprechende Zusage „der Lackmustest dafür, ob Bonn auch weiterhin zur Europäischen Union entschlossen war“. Um nicht die „geringste(n) Zweifel an dem fortdauernden europäi-schen Engagement Deutschlands“ aufkommen zu lassen (Genscher 1995: 390), setzte sich die deutsche Regierung dann an die Spitze der Bewegung und erreichte auf dem EG-Gipfel in Straßburg im Dezember 1989, auf dem alle Beteiligten die Bilder vom Fall der Mauer im Kopf hatten, dass die Einberufung einer Regierungskonferenz, wieder auf der Basis von Arti-kel 236 des EWG-Vertrag, beschlossen wurde.125

Am Tag der deutschen Einheit am 03. Oktober 1990, als im Ausland die Sorge um ein zu mächtiges Deutschland einen Höhepunkt erreicht hatte, bekräftigte Außenminister Genscher die deutsche Strategie der „Selbstbindung im wohlverstandenen Eigeninteresse“ in einem

125 Zu den Befürchtungen und Erwartungen der europäischen Partner an die deutsche Regierung vgl. u.a.

Keßler (2002: 129-136).

Interview126 so: „Dieses größere Gewicht wollen wir nicht für mehr Macht, sondern für mehr Verantwortung nutzen. Wir wollen dieses vereinte Deutschland in die Europäische Union ein-bringen, wir bieten den anderen Europäern weitere Souveränitäts-Einschränkungen um Euro-pas willen an. Das ist auch der Auftrag des Grundgesetzes“.127 Die Idee, den historischen Um-bruch und die politische „Wende“ zu nutzen, um die Integration der Europäischen Gemein-schaft einen großen Schritt voranzubringen, prägte die Politik der Bundesregierung und auch der europäischen Partner in dieser Zeit.

3.7.2 Decision shaping: Die Entscheidung, zwei Regierungskonferenzen einzuberufen

Nach der Einigung, eine Regierungskonferenz abzuhalten, waren die folgenden Monate davon geprägt, das Mandat und die Fragen, über die im Einzelnen verhandelt werden sollte, zu klären. In seiner Rede vor dem Europäischen Parlament im Januar 1990 wies Delors als einer der ersten darauf, dass über die Frage der Währungsunion hinaus zusätzliche Anpassungen des EG-Vertrags nötig seien; er dachte dabei an die Stärkung der Außenpolitik und an insti-tutionelle Reformen. Die Rede wurde zur Initialzündung: Eine Reihe von uni- und bilateralen Memoranden und Papieren schlossen sich dem Vorstoß des Kommissionspräsidenten an. Am 20. März 1990 legte die belgische Regierung ein Memorandum zur Politischen Union vor, in dem u.a. auf das „wachsende ‚Demokratiedefizit‘ des derzeitigen institutionellen Rahmens“

hingewiesen wird und eine „Reform im Sinne einer Übertragung politischer Befugnisse auf Gemeinschaftsebene und eine bessere Definition des Subsidiaritätsprinzips“ angemahnt wur-de.128 Wenige Wochen später, am 18. April, übergaben der französische Präsident und der deutsche Bundeskanzler der Irischen Ratspräsidentschaft einen gemeinsamen Brief. Mitterand und Kohl forderten darin, die Vorbereitungen für die im Grundsatz beschlossene „Regie-rungskonferenz über die Wirtschafts- und Währungsunion zu intensivieren“ und darüber hinaus eine „Regierungskonferenz über die Politische Union einzuleiten“. Bei dieser zweiten, parallel abzuhaltenden Regierungskonferenz gehe es darum, „die demokratische Legitimation der Union zu stärken, ihre Institutionen effizienter auszugestalten, die Einheit und die Kohä-renz der Aktion der Union in den Bereichen der Wirtschaft, der Währung und der Politik

126 Zur möglichen Rolle Deutschland als „Weltmacht“ vgl. die Analyse von Rittberger (1991) und zur öffentlichen Debatte in Deutschland und im Ausland vgl. Der Spiegel, Nr. 40, 01.10.1990 („Nach der Einheit: Weltmacht Deutschland?“).

127 SPIEGEL-Gespräch mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher über Deutschlands neue Rolle in Europa und in der Welt, in: Der Spiegel, Nr. 40, 01.10.1990, S. 30-35 (hier: 32).

128 Belgisches Aide-mémoire zur Politischen Union vom 20. März 1990 (abgedruckt in Weidenfeld 1994:

95-101; hier: 95).

sicherzustellen, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik festzulegen und in die Tat umzusetzen“.129 Ein konkretes Zieldatum wurde auch schon genannt: Am 1. Januar 1993 sollte der neue Vertrag nach der Ratifizierung durch die mitgliedstaatlichen Parlamente bzw.

durch Referenden in Kraft treten. Hier setzte sich die Gemeinschaft wieder, wie auch beim Binnenmarktprojekt, unter Druck, indem man sich eine Deadline gab.

Auf dem Europäischen Gipfel in Dublin im April 1990 stellten sich die britische und die por-tugiesische Regierung gegen die Einberufung einer Regierungskonferenz über eine Politische Union. Erst als auf dem folgenden Gipfel im Juni beschlossen wurde, kein Land dürfe überstimmt werden, wenn der Europäische Rat zum Jahresende zusammentrete, um die Arbeit an der Regierungskonferenz zu beginnen, wurde eine Einigung möglich. Die Erfahrungen des Luxemburger Gipfels, auf dem die letzte Regierungskonferenz mit einem Mehrheitsvotum beschlossen worden war, wirkten offensichtlich noch nach. Die Versuche, vor allem auch von deutscher Seite, die beiden parallel tagenden Regierungskonferenzen zu synchronisieren und ihnen ein gleich großes Gewicht zu geben, blieben ohne Erfolg. Während die Vorbereitungen für die Wirtschafts- und Währungsunion schon vor Beginn der Verhandlungen sehr weit ge-diehen waren, krankte die zweite, nachgeschobene Regierungskonferenz von Anfang daran, dass ein Einvernehmen darüber, was eine „Politische Union“ sei bzw. sein solle und welche Themenbereiche hier zu behandeln seien, nicht zustande kam.

Die unterschiedlichen Leitbilder und Deutungen der aktuellen europapolitischen Situation (Schneider 1992) erschwerten die Verhandlungen von Anfang an. Dies erinnert an die Situa-tion zur Zeit der Fouchet-Verhandlungen (Smith 2002: 121). Ehe im Dezember 1990 die Ver-handlungen aufgenommen wurden, legte die dänische Regierung im Oktober ein Memoran-dum vor. Beide Regierungskonferenzen sollten sich der Aufgabe einer verstärkten europäi-schen Zusammenarbeit widmen. Drei „Säulen“ nennt das Papier: „die gemeinschaftliche Zusammenarbeit, die Wirtschafts- und Währungsunion, die zwischenstaatliche Zusammen-arbeit und die außenpolitische ZusammenZusammen-arbeit“. Durch die Verankerung des Subsidiaritäts-prinzips und die Stärkung einzelner Politikbereiche wie etwa der Umweltpolitik und der „So-zialen Dimension“ sowie die „Stärkung der demokratischen Grundlage der EG-Zusammen-arbeit“ durch die Einbeziehung der nationalen Parlamente, eine größere Transparenz, einen

129 Gemeinsame Initiative des französischen Präsidenten, François Mitterand, und des deutschen Bundeskanzlers, Helmut Kohl, vom 18. April 1990 zur Vorbereitung der Europäischen Union (abgedruckt in Weidenfeld 1994: 103-104).

Ombudsman und das Wahlrecht für EU-Ausländer sowie die Errichtung eines Regionalorgans versprach sich die dänische Regierung eine Verbesserung der aktuellen Situation.130

3.7.3 Decision making: Die Verhandlungen im Rahmen der beiden Regierungskonferenzen zur WWU und zur Politischen Union und die Ergebnisse von „Maastricht“

Auf dem Europäischen Rat von Rom im Dezember 1990 wurden dann, wie geplant, zwei parallel tagende Regierungskonferenzen einberufen. Die beiden Konferenzen waren – rein formal gesehen – unabhängiger voneinander, als dies bei den Verhandlungen zu den Römi-schen Verträgen der Fall gewesen war. Damals waren EWG- und Euratom-Verhandlungen nur zwei Teile ein und derselben Regierungskonferenz. In der Praxis bestand jedoch bei den Maastrichter Verhandlungen eine enge Verbindung zwischen beiden Konferenzen (Smith 2002: 113). Gerade von deutscher Seite wurde immer wieder auf die notwendige Parallelität der Integration in Richtung Wirtschafts- und Währungsunion und die Schaffung einer Politi-schen Union hingewiesen; man leitete aus dem inhaltlichen Zusammenhang auch ein Junktim ab, was die Verhandlungen nicht einfacher machte: „Key negotiators operated with ill-defined and inconsistent preferences about what should be the appropriate relationship between EMU and political union, most notably in Germany“ (Dyson/Featherstone 1999: 32).131

Vier unterschiedliche Erwartungen an beide Regierungskonferenzen und darüber, ob, wie und wann ein Junktim sinnvoll sei, trafen zum Beginn der Verhandlungen aufeinander:

(1) Für den deutschen Außenminister Genscher, Bundeskanzler Kohl und den französi-schen Staatspräsidenten Mitterand war die Europäische Währungsunion der Weg und das Mittel, auch eine Politische Union zu erreichen.

(2) Andere dagegen, wie etwa der Vize-Präsident der Bundesbank, Hans Tietmeyer, favo-risierten den umgekehrten Ansatz. Für ihn und andere Anhänger der

130 Memorandum der dänischen Regierung vom 04. Oktober 1990 zu den laufenden Vorbereitungen der Regierungskonferenzen über die Politische Union und die Wirtschafts- und Währungsunion (abgedruckt in Weidenfeld 1994: 105-114).

131 Vgl. dazu u.a. Rede des Bundeskanzlers Helmut Kohl vor dem Deutschen Bundestag am 06.06.1991 („Verantwortung für das Zusammenwachsen Deutschlands und Europas“); Erklärung des Bundes-kanzlers vor der Bundespressekonferenz in Bonn am 01.07.1991 („Herausforderungen für den Eini-gungsprozeß in Deutschland und Europa“); Beitrag des deutschen Außenministers Hans-Dietrich Gen-scher für die „Nordsee-Zeitung“ („In Maastricht muß Europa Farbe bekennen“) vom 05.10.1991; Inter-view Genschers mit der niederländischen Zeitung „Algemeen Dagblad“ vom 16.10.1991; InterInter-view Kohls mit der französischen TV-Gesellschaft „Antenne 2“ am 24.11.1991; Interview Kohls im „heute-journal“ (ZDF) am 04.12.1991; Interview Genschers mit dem US-amerikanischen Nachrichtensender CNN am 05.12.1991; Interview mit Thomas Goppel, Staatsminister für Bundes- und Europaangelegen-heiten des Freistaats Bayern im Südwestfunk am 09.12.1991 (sämtliche hier genannten Dokumente wurden dem Autor vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zur Verfügung gestellt).

rie“ war die politische Integration die Vorbedingung für die Währungsunion. Diesen Ansatz verfolgte Tietmeyer seit den 1970er Jahren, als er als Vertreter des Wirt-schaftsministeriums an den Beratungen des Werner-Plans beteiligt war. Zu dieser The-orie bekannte er sich noch Jahrzehnte später, als er für das Konzept der „mehreren Ge-schwindigkeiten“ plädierte (Tietmeyer 1994).

(3) Es gab zu Beginn der Verhandlungen keine Einigkeit darüber, was eine „Politische Union“ beinhalten und konkret bedeuten solle: etwa eine koordinierte ökonomische Strategie auf Gemeinschaftsebene mit bindenden Regeln und Sanktionsmechanismen, eine Art europäischer Fiskalföderalismus, mit eigenen Steuern und Ausgaben? Zudem war nicht klar, welche Rolle die Gemeinschaftsorgane spielen und ob neue Kompeten-zen etwa im Bereich von Außen- und Sicherheitspolitik notwendigerweise Teil der Politischen Union sein sollten.

(4) Eine Position, wie sie vor allem auch im Bonner Wirtschaftsministerium vertreten wurde, verstand schließlich die Währungsunion als ‚Stand-alone‘-Projekt, das in erster Linie eine „technische“ Dimension habe und das keine weiteren politischen Implika-tionen im Sinne eines „spill over“ haben sollte (Dyson/Featherstone 1999: 32; Smith 2002: 113).

Im Folgenden gehe ich zunächst auf die WWU-Verhandlungen ein und ergänze sie im zweiten Teil um eine Darstellung und Analyse der Regierungskonferenz zur Politischen Union. Die oben beschriebene Gemengelage unterschiedlicher Leitbilder, tief verankerte Wertvorstellungen („belief systems“) und Ideen darüber, wie eine Währungsunion auszu-gestalten sei, brachte zwei „advocacy coalitions“ (Sabatier/Jenkins-Smith 1993, Dyson/Fea-therstone 1999: 28) hervor. Diese Unterstützer-Koalitionen hatten sich bereits Ende der 1980er Jahre im Delors-Ausschuss gegenüber gestanden: Auf der einen Seite waren die „Öko-nomisten“, die die Geldpolitik zunächst in nationaler Hand belassen wollen und eine Einführung eines gemeinsamen Zahlungsmittels abhängig machen von der Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung; ein „Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ ist in diesem Modell eine plausible Option. Auf der anderen Seite standen die „Monetaristen“132, die davon ausgehen, dass die Einführung eines gemeinsamen Zahlungsmittels den nötigen po-litischen Druck entwickelt, dass sich die in einer Währungsunion zusammengebundenen

132 Die Theorie des „Monetarismus“ wird üblicherweise in einem anderen Zusammenhang diskutiert und ist als Geldmengensteuerungstheorie geläufig, die mit dem Namen Milton Friedman in Verbindung gebracht wird.

ten wirtschaftlich angleichen (müssen). In diesem Modell wird eine große Zahl von (wirt-schaftlich unterschiedlich starken) Mitgliedstaaten als unproblematisch angesehen, weil sich durch den Konvergenzdruck eine Angleichung gewissermaßen automatisch ergibt (Dyson/

Featherstone 1999: 29-30; Schönfelder/Thiel 1994).

Das „monetaristische“ Vorgehen, das sich schließlich bei den Maastricht-Verhandlungen durchgesetzt hat, beschreibt Heinrich Schneider so:

„Wer A sagt, muß auch B und C sagen: wer einen Gemeinsamen Markt wirklich haben und vor Zerreißproben schützen will, muss eine WWU ins Werk setzen; und wer eine WWU konsolidieren will, braucht eine ‚Politi-sche Union‘, nämlich eine Stärkung des politi‚Politi-schen Steuerungssystems, die wiederum nicht ohne demokratische Legitimitätssicherung akzeptanz- und also funktionsfähig ist“ (Schneider 1999a: 15).

Die Folge des funktionalistischen spill-over-Ansatzes war, dass die Regierungskonferenz zur Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) vor allem als technokratische Angelegenheit be-handelt wurde; die Frage nach der demokratischen Legitimation einer Währungsunion hatte bei den Verhandlungen keine Rolle gespielt.133 Drei Dinge verstärkten den „funktionalisti-schen“ Ansatz noch zusätzlich: (1) Der Delors-Ausschuss sollte als Expertengremium ar-beiten und er hatte durch die Konzentration auf die technisch konsensfähigen Fragen und durch das Ausblenden der politisch kontroversen Fragen, wie etwa die Frage, wie der Über-gang in die dritte Stufe der WWU zu regeln sei, die Basis für die nachfolgenden Verhand-lungen in der Regierungskonferenz gelegt (Moravcsik 1998: 436; Grant 1994: 120-124).

(2) Der Kreis der an den Verhandlungen beteiligten Akteure war klein und beschränkte sich auf die „Kern-Exekutive“; keine Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerverbände oder andere Inte-ressengruppen waren – weder auf europäischer noch auf mitgliedstaatlicher Ebene – in die Verhandlungen direkt eingebunden, sondern es waren die Finanzministerien der Mitgliedstaa-ten, die den Kontakt pflegten zu einzelnen Interessengruppen (Smith 2002: 115; Dyson/Fea-therstone 1999: 13-14; Mazzucelli 1997: 89). Und (3) Die Verhandlungen zur WWU wurden dadurch erleichtert, dass die Mitglieder des Delors-Komitees weitgehend identisch waren mit den wichtigsten, später an der Regierungskonferenz beteiligten Akteuren (Smith 2002: 116) – das heißt, es war schon zu Beginn der „echten“ Verhandlungen eine Vertrauensbasis

133 Interview des Autors mit ehemaligem Kommissionbeamten, November 1999.

den und musste nicht erst mühsam aufgebaut werden. Trotz der guten Ausgangsbedingungen benötigte man in den Gesprächen einige Zeit, um zu einem Ausgleich und zu einer inhaltlichen Annäherung in den zum Teil weit auseinander liegenden Positionen zu kommen.

Weil sich die europäischen Regierungen wohl darüber im Klaren waren, dass die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion eine „Transformation“ im Sinne der „longue durée“

(Christiansen 1998) ihrer Volkswirtschaft und ihrer „Staatlichkeit“ bedeutete, wurden die Verhandlungen von den Regierungen gut vorbereitet und zwischen den Ministerien abge-stimmt. Während sich in der Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder Konfliktlinien zwischen einzelnen Ministerien – traditionell zwischen dem Außen- und dem Wirtschaftsministerium – und zwischen Bund und Ländern gezeigt hatten, so waren diesmal die WWU-Verhandlungen besser koordiniert und zwischen den einzelnen Ministerien und Ebenen abgestimmt worden.134 Die Folge dieser engen interministeriellen Koordinierung war,

(Christiansen 1998) ihrer Volkswirtschaft und ihrer „Staatlichkeit“ bedeutete, wurden die Verhandlungen von den Regierungen gut vorbereitet und zwischen den Ministerien abge-stimmt. Während sich in der Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder Konfliktlinien zwischen einzelnen Ministerien – traditionell zwischen dem Außen- und dem Wirtschaftsministerium – und zwischen Bund und Ländern gezeigt hatten, so waren diesmal die WWU-Verhandlungen besser koordiniert und zwischen den einzelnen Ministerien und Ebenen abgestimmt worden.134 Die Folge dieser engen interministeriellen Koordinierung war,