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Vorkolonialer Rechtspluralismus

Im Dokument Recht als Übersetzung (Seite 107-112)

3 Gewohnheitsrecht in ghanaischen Ge- Ge-richten

3.2 Historische Entwicklung des offiziellen Rechtspluralismus

3.2.1 Vorkolonialer Rechtspluralismus

Rechtspluralismus ist kein Phänomen, dass die Existenz moderner Staatlichkeit bzw. staatlichen Rechts voraussetzt.311 Schon vor der

An-311 Vgl. etwa die Beispiele bei Tamanaha, 30 Sydney Law Review (2008), 375 (377 ff.).

kunft der europäischen Kolonialmächte lebten verschiedene Gesell-schaften im Gebiet des heutigen Ghana und hatten Rechtsordnungen.

Diese Gesellschaften standen seit jeher im Austausch, etwa durch Handel, aber auch durch kriegerische Auseinandersetzungen. Spätes-tens im 15. Jahrhundert entstanden mit dem Aufkommen größerer Handelsströme nördlich der Regenwaldzone zentralisierte Reiche, wie Dagomba und Gonja. Im Laufe des 18. Jahrhunderts konnte sich die Asante-Föderation als bestimmende Macht im Landesinneren etablie-ren.Ein militärstrategischer Vorteil der Asante war der effiziente Ein-satz von Feuerwaffen. Diese tauschten sie (insbesondere gegen Gold und Sklaven) mit den sich seit dem 16. Jahrhundert zunehmend an den Küsten etablierenden europäischen Händlern.312 Die Asante-Föde-ration, auch »Asanteman« genannt, stellte das räumlich größte Reich der Vorkolonialzeit dar. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatten sich die bislang eher dezentralisierten Asante unter dem Militärführer Osei Tutu vereinigt und sich von der Herrschaft der Denkyira befreit.313 An der Spitze des Asante-Reiches stand der Asantehene, unter dem sich ein aristokratisches System mit verschiedenen Ämtern herausgebildet hatte.314 Dieses System zeichnete sich durch eine ausdifferenzierte Hierarchie dieser Ämter aus: An höchster Stelle standen die »Omanhe-ne«, die Oberhäupter besonders einflussreicher Familien sowie der freiwillig beigetretenen oder unterworfenen Gesellschaften. Diese wurden später durch die englische Kolonialmacht als »Paramount Chiefs« bezeichnet. Auf der untersten Stufe fanden sich die einfachen

»Chiefs«, die einzelne Dörfer führten.Ähnliche Herrschaftsstrukturen existierten auch in anderen Gesellschaften, beispielsweise den Ewe im Osten oder den Ga im Gebiet des heutigen Accra, deren »Mantse« sich jedoch die Macht mit verschiedenen Priesterämtern teilen mussten.

Die Herrschaftsstrukturen dieser Gesellschaften waren jedoch nicht im selben Maße zentralisiert wie in der Asante-Föderation, an deren Spitze der Asantehene in Kumasi thronte.Die spätere Verwendung des

312 McCaskie, State and Society in Pre-colonial Asante, 1995, S. 25 ff.

313 Gocking, The History of Ghana, 2005, S. 22 ff.

314 Vgl. zur Herrschaftsorganisation der Asante: Goldschmidt, National and Indigen-ous Constitutional Law in Ghana, 1981, S. 27 ff.

Begriffs »Chief« durch die britische Kolonialmacht führte also zu einer Vereinheitlichung unterschiedlicher Ämter und Strukturen.315

Die »Chiefs« waren keine absoluten Regenten, sondern in der Ver-waltung auf die Kooperation mit Ältestenräten angewiesen, die sich aus den Oberhäuptern einflussreicher Familien zusammensetzten. Oft gab es zudem auch Mechanismen, um Mitglieder nicht-royaler Famili-en an EntscheidungFamili-en zu beteiligFamili-en, etwa durch Einbindung der Ver-treter bestimmter militärischer Einheiten, den asafo. Gleichzeitig wa-ren in der Person des »Chiefs« verschiedene Aufgaben und Kompetenzen vereinigt: Er erließ mitunter Regeln, schlichtete Streitig-keiten und sprach hierbei Recht, war aber auch für die Verwaltung na-türlicher Ressourcen zuständig und wies etwa Mitgliedern der Gesell-schaft Teile des GemeinGesell-schaftslandes zur Nutzung zu. Den »Chiefs«

kamen auch wichtige religiöse Funktionen zu; sie galten etwa als Mit-tler zwischen der Gemeinschaft und den verstorbenen Vorfahren.316 Diese Machtfülle wurde durch ein dichtes Netz von Regeln und Mit-wirkungsmöglichkeiten der Gemeinschaft begrenzt, die den jeweiligen Herrscher selbst banden. Verletzte ein »Chief« diese Regeln oder wa-ren seine »Untertanen« aus andewa-ren Gründen mit seiner Regierungs-führung unzufrieden, konnte dies zu seiner Enthebung führen, die im Süden als »destoolment« bezeichnet wurde. Mitunter erfolgten solche Amtsenthebungen gewaltsam und waren dann mit der Vertreibung oder Tötung des Entmachteten verbunden. Obwohl der Begriff des

»Chiefs« dies suggeriert, war dieses aristokratische Herrschaftssys-tem in vielen Gesellschaften kein rein männliches: Insbesondere bei den Akan nahmen weibliche Verwandte eines Herrschers als »ɔhe-maa« oder »Queenmother« – für diese Übersetzung ins Englische zog die Kolonialmacht das Vokabular der eigenen Monarchie heran317 – an der täglichen Verwaltung teil und bei der Bestimmung der Nachfolge von »Chiefs« eine bedeutende Rolle ein. So war es beispielsweise ihre Aufgabe, einen neuen Herrschenden am Ende des Auswahlverfahrens

315 Der Begriff war zudem Ausdruck der Beherrschung durch die englische Krone. Af-rikanische Aristokratie wurde so als unter- und andersartig – und zwar rückstän-dig – eingeordnet, vgl. Arndt, Häuptling, in: Arndt/Hornscheid (Hrsg.), Afrika und die deutsche Sprache, 2004, S. 142 ff.

316 Harvey, Law and Social Change in Ghana, 1966, S. 67.

317 Die Bezeichnung geht auf Rattray, Ashanti, 1923, S. 81 f. zurück.

in das Amt zu heben. Gleichzeitig spiegelten sich Geschlechtertren-nungen auch bei der Aufgabenverteilung wider, galten weibliche Auto-ritäten doch in erster Linie als zuständig für die »Frauenangelegenhei-ten« in einer Gemeinschaft und waren den männlichen Ämtern an-sonsten untergeordnet. Die Herrschaftsstrukturen waren damit Aus-druck einer Gegenüberstellung unterschiedlicher Geschlechterrollen in Verwaltung und Konfliktlösung. Durchbrochen wurde diese Ord-nung nur in Einzelfällen, in denen »männliche« Ämter mit Frauen, also gewissermaßen »weiblichen Chiefs«, besetzt wurden. Auch gab es im-mer wieder besonders einflussreiche ɔhemaa, die die Politik einer Ge-sellschaft aufgrund ihrer individuellen Autorität über die ihnen for-mell zustehenden Mitwirkungsmöglichkeiten beeinflussen konnten.318 Insbesondere im Norden des heutigen Ghana fanden sich dagegen neben zentralisierten Gesellschaften – mit Ämterbezeichnungen wie

»Naba«, »Na«, »Pe« und »Koro« – zahlreiche als »akephal« bezeichne-te Gesellschafbezeichne-ten, die als lose Dorfgemeinschafbezeichne-ten ohne zentrale Auto-rität organisiert waren. Traditionelle AutoAuto-ritäten wie die »Chiefs« im südlichen Ghana gab es hier in dieser Form also zunächst nicht bzw.

nicht überall. Sakrale Aufgaben, aber auch die Verwaltung von Land wurden innerhalb dieser Gesellschaften von Priestern wahrgenom-men, den »Teendanas«. Außerdem existierte hier eine weit größere Zahl von Gesellschaften mit eigenen Sprachen und Regeln. Diese Un-terschiede zwischen Norden und Süden spiegeln sich auch auf symbo-lischer Ebene wider: Im Süden wird die Einheit einer Gesellschaft aus Vorfahren, Lebenden und kommenden Generationen durch einen schnitzten Stuhl symbolisiert. Im Norden dient das »Skin«, die ge-spannte Haut eines Rinds, als entsprechendes Symbol. Zwar war Schriftsprache in einigen Gesellschaften zumindest den Eliten be-kannt.319 Es fand aber kein allgemeine Verbreitung von Schrift statt.

Auch die normativen Ordnungen der jeweiligen Gesellschaften waren nicht schriftlich fixiert, sondern wurden mündlich tradiert.

318 Zur Stellung von Frauen im traditionellen Herrschaftssystem siehe auch Odotei, Women in Male Corridors of Power, in: Odotei/Awedoba (Hrsg.), Chieftaincy in Africa, 2006, S. 81 ff.

319 Vgl. Goody, Restricted Literacy in Northern Ghana, in: Goody (Hrsg.), Literacy in Traditional Societies, 1968, S. 199 ff. Allerdings war die Schriftsprache in diesem Fall Arabisch, also in den jeweiligen Gesellschaften eine Fremdsprache.

Immer wieder kam es neben kriegerischen Auseinandersetzungen auch zu Wanderbewegungen von Gesellschaften, bei denen Neuan-kömmlinge auf Alteingesessene trafen, diese unterwarfen, vertrieben oder integrierten. Auslöser für solche Wanderungen war nicht immer gewaltsame Vertreibung. Nicht selten spalteten sich Bevölkerungsteile auch aus Unzufriedenheit mit ihren jeweiligen Führern ab und mi-grierten in andere Gebiete. Diese Form des Widerstands – die heute noch in zahlreichen Gründungsmythen verschiedener Gesellschaften anklingt – war zu einer Zeit, in der noch genügend unbesiedeltes Land zur Verfügung stand und sich die landwirtschaftliche Produktion auf Subsistenzwirtschaft beschränkte, oft näherliegend als eine gewaltsa-me Auseinandersetzung.320 Abwanderung stellte eine ernsthafte Ge-fahr dar, da die Bevölkerungszahl ein wichtiger Aspekt für den Macht-erhalt traditioneller Autoritäten und die Basis für das Überleben einer Gesellschaft war. Dies war ein zusätzlicher Faktor, der die Machtfülle traditioneller Eliten begrenzte; auch Gruppenmitglieder mit niedri-gerem Status konnten so einen gewissen Einfluss auf politische Ent-scheidungen ausüben. Abspaltungen und Wanderbewegungen ver-deutlichen zudem, dass es sich bei der Zugehörigkeit zu einer Gesell-schaft nicht um eine starre, unveränderliche Zuordnung handelte. Ent-sprechende Zuschreibungen und Selbstverständnisse hatten einen eher dynamischen Charakter und überlappten sich nicht selten.321

Neben diesem »inter-ethnischen« Austausch stellt die Verbreitung des Islam – vor allem im nördlichen Teil des heutigen Ghana – einen weiteren Prozess dar, der die Rechtslandschaft in vorkolonialer Zeit nachhaltig prägte. Die frühesten islamischen Einflüsse gehen auf den Handelskontakt mit dem nördlichen Afrika über die trans-savanni-schen Handelsrouten zurück. Im 17. Jahrhundert nahm die Ausbrei-tung des Islam stark zu; große Teile der Bevölkerung im Norden folg-ten nunmehr – zumindest zu einem gewissen Teil – islamischen Leh-ren und Geboten.322 Im Rahmen dieses Prozesses wurden auf der

320 Lonsdale, Political Accountability in African History, in: Chabal (Hrsg.), Political Domination in Africa, 1986, S. 146.

321 Lentz/Nugent, Ethnicity in Ghana, in: Lentz/Nugent (Hrsg.), Ethnicity in Ghana, 2000, S. 2 ff.

322 Vgl. zur Verbreitung des Islam: Weiss, Between Accommodation and Revivalism, 2008, S. 43 ff.

Shari'a basierende Normen eingeführt, die sich zu einem gewissen Grad mit den lokalen Ordnungen verschmolzen.

Handelskontakte, Wanderungsbewegungen und Eroberungszüge führten dazu, dass bereits vor der Entwicklung des Kolonialstaats ver-schiedene Rechtssysteme aufeinander trafen und diese verver-schiedenen normativen Ordnungen oft gleichzeitig Geltung verlangten. Dieser vor-koloniale Rechtspluralismus erlangte eine neue Qualität, als sich das britische Königreich als Kolonialmacht im Süden durchsetzen konnte.

Im Zuge der Kolonialisierung etablierte sich auf dem Gebiet des heuti-gen Ghana erstmals eine Form von Staatlichkeit, durch die ein das ge-samte Gebiet übergreifender organisatorischer Rahmen geschaffen wurde. Auch wenn der südliche Teil des heutigen Ghana erst verhält-nismäßig spät offiziell zur Kronkolonie erklärt wurde, erstreckte sich der britische Einfluss hier schon früh über den bloßen Handels-kontakt hinaus.

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