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Rawlings und die Rückkehr zur Demokratie

Im Dokument Recht als Übersetzung (Seite 142-147)

3 Gewohnheitsrecht in ghanaischen Ge- Ge-richten

3.2 Historische Entwicklung des offiziellen Rechtspluralismus

3.2.7 Rawlings und die Rückkehr zur Demokratie

Unmittelbar vor diesen Wahlen, am 4. Juni 1979, putschten sich er-neut junge Offiziere unter Führung des Fliegerleutnants Jerry John Rawlings an die Macht. Als »Armed Forces Revolutionary Council«

(AFRC) wollten sie Ghanas politische wie wirtschaftliche Elite von korrupten Mitgliedern »reinigen«, um so der neuen Zivilregierung eine bessere Ausgangslage zu verschaffen. Unter den Opfern der nun folgenden Hinrichtungswelle befanden sich nicht nur Vertreter des SMC wie Acheampong und Akuffo, sondern auch Führungsoffiziere des alten Regimes wie General Afrifa, der als Gegner der Einheits-regierung selbst unter den Repressalien des SMC gelitten hatte. Im ganzen Land herrschte eine Welle der Gewalt, und Ghana drohte, im Chaos zu versinken. Wider Erwarten wurden die Wahlen aber plan-mäßig am 22. Juni 1979 durchgeführt. Am 24. September 1979 trat die neue Verfassung in Kraft. Sie sah eine Präsidialdemokratie nach dem Vorbild der US-amerikanischen Verfassung vor.Das Militär kehrte widerstandslos in die Kasernen zurück und übergab die Macht mit nur leichter Verspätung an die neu gewählte Zivilregierung unter Prä-sident Hilla Limann.414 Die Verfassung von 1979 stellte insbesondere im Verhältnis des Staates zu den traditionellen Autoritäten eine be-merkenswerte Neuausrichtung dar: Zuvor hatten sämtliche Regierun-gen in Fortführung kolonialer Strategien versucht, einen mehr oder weniger direkten Einfluss auf die Besetzung traditioneller Ämter zu nehmen. Die ausdrückliche Festschreibung staatlicher Nichteinmi-schung in Chieftaincy-Angelegenheiten durch Art. 177 Abs. 2 der Ver-fassung legte erstmals offiziell einen autonomen Bereich traditioneller Herrschaft fest.415

Auch der Dritten Republik war jedoch keine dauerhafte Existenz vergönnt. Es gelang Limann nicht, wirksame Maßnahmen gegen Kor-ruption und Schattenwirtschaft durchzusetzen. Mehrere Korrupti-onsskandale kosteten der Regierung den Rückhalt in der Gesellschaft,

414 Ursprünglich hatte die Zivilregierung ihre Arbeit bereits am 1. Juli 1979 aufneh-men sollen, vgl. Petchenkine, Ghana in Search of Stability, 1993, S. 93 f.

415 Goldschmidt, 18 African Law Studies (1980), 43 (54 ff.); Ray, 37-38 Journal of Legal Pluralism (1996), 181 (189 f.).

der von Beginn an nicht stark ausgebildet war.416 Auch die Wirt-schaftspolitik der neuen Regierung zeigte keine positiven Effekte; die Lage blieb katastrophal. Am 31. Dezember 1981 übernahm der in der Bevölkerung nach wie vor sehr populäre Rawlings mit Hilfe des Mili-tärs erneut die Macht. Wieder einmal wurde die Verfassung aufgeho-ben, das Parlament aufgelöst und ein Parteienverbot erlassen. Raw-lings setzte sich an die Spitze des »Provisional National Defence Coun-cil« (PNDC), der unter Einbindung einiger Vertreter der Zivilgesell-schaft überwiegend von Militärs gebildet wurde. Rawlings erklärte die Bekämpfung der Korruption zum obersten Ziel. In den ersten Regie-rungsjahren setzte er dabei auf die Mobilisierung breiter Bevölke-rungsschichten. Mit der Einrichtung von Basiskomitees und revolutio-nären Volksgerichten verfolgte er zudem eine sozialistisch ausgerich-tete Politik. Volksläden sollten unter Vorgabe eines Festpreissystems die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen.417 Unternehmer und Politiker, die durch Korruption reich geworden waren, ließ er ankla-gen und enteignen. In den Anfangsjahren wurden wie schon unter dem AFRC Personen ohne Anklage oder Verfahren hingerichtet. Im Jahre 1982 fielen diesen geheimen Exekutionen die Richterin Sarko-dee und die Richter Agyepong und Addow zum Opfer. Diese hatten sich zur Zeit des AFRC öffentlich gegen die Verfolgungspraxis von Rawlings' Regime ausgesprochen. Nicht zuletzt der Skandal um diese Hinrichtungen weitete sich zu einer zunehmend öffentlichen Verurtei-lung der staatlichen »Säuberung« aus. Rawlings distanzierte sich von der Hinrichtung und ließ die Verantwortlichen von einem öffentlichen Tribunal zum Tode verurteilen. In der Folgezeit übernahmen »Regio-nal Tribu»Regio-nals« die Rolle der Volksgerichte.418 Diese Tribunale, bei de-nen neben juristisch Geschulten auch Laien an der Rechtsprechung beteiligt wurden, existierten parallel zu den Strafgerichten. Sie befass-ten sich neben Fällen von schwerer Kriminalität mit Verbrechen gegen den Staat – worunter neben Verschwörung auch sogenannte wirt-schaftliche Sabotage fiel. Die Tribunale waren dafür berüchtigt, in

416 Petchenkine, Ghana in Search of Stability, 1993, S. 115 f.

417 Petchenkine, Ghana in Search of Stability, 1993, S. 121 ff.

418 Vgl. Gocking, 95 African Affairs (1996), 197 ff.

Schnellverfahren drakonische Strafen, vor allem und häufig die To-desstrafe, zu verhängen.

Rawlings konnte sich der Zustimmung für seine Vorgehensweise durch die breite Bevölkerungsschicht sicher sein. Der wirtschaftliche Aufschwung blieb aber zunächst aus. Im Jahre 1983 vollzog Rawlings angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage, die durch eine Dürre-periode noch verschärft wurde, eine drastische wirtschaftspolitische Kehrtwende: Er setzte nunmehr auf die Kooperation mit Weltbank-gruppe und Internationalem Währungsfonds und unterwarf Ghana deren liberalen Strukturanpassungsmaßnahmen. Unter dem Namen

»Economic Recovery Program« erfolgten Preiserhöhungen, die Ab-wertung des Cedi, die Schließung oder Privatisierung unproduktiver Staatsbetriebe und eine strikte Sparpolitik. Diese Maßnahmen brachten erhebliche Härten für die Bevölkerung mit sich und konnten nur aufgrund von Rawlings diktatorischer Macht durchgesetzt wer-den. Die Mitte der 80er Jahre erlebte auch eine Reihe gesetzlicher Re-formen im Bereich des Gewohnheitsrechts. In dieser Zeit wurden die PNDC Gesetze 111, 112, 113 und 114 erlassen. Insbesondere das PNDC Law 111 – das Intestate Succession Law – stellte den bis dato radikalsten gesetzlichen Eingriff in ein Rechtsgebiet dar, das bis dahin weitgehend durch gewohnheitsrechtliche Normen reguliert wurde.419 Auch änderte der PNDC seine anfängliche Zurückhaltung in Chief-taincy-Angelegenheiten: Hatte das Regime zu Beginn die in der Verfas-sung von 1979 erstmals festgeschriebene Politik der Nichteinmi-schung fortgesetzt, wurde nunmehr erneut die Bestätigung traditio-neller Autoritäten durch eine staatliche Stelle erforderlich.420 Auslöser für diese Kursänderung waren anhaltende und gewaltsame Nachfolge-streitigkeiten, die vor allem im Norden Ghanas zahlreiche Opfer for-derten.

Anfang der 90er Jahre zeigten sich jedenfalls auf makroökonomi-scher Ebene erste Erfolge der marktliberalen Wirtschaftspolitik. Ins-besondere die Inflation war deutlich zurückgegangen. Der internatio-nale Druck betraf aber nicht mehr nur die Wirtschaftspolitik. Das Re-gime wurde immer wieder aufgefordert, den Weg für eine Rückkehr

419 Zum PDNCL 111 unten 3.3.1.3.

420 Ray, 37-38 Journal of Legal Pluralism (1996), 181 (189).

zu einer demokratisch legitimierten Zivilregierung frei zu machen.

Diesem Druck gab Rawlings schließlich nach und ließ im November 1991 eine beratende Versammlung einsetzen, die eine neue Verfas-sung entwerfen sollte. Deren Entwurf richtete sich weitgehend nach dem Vorbild der Verfassung von 1979. Durch ein Referendum bestä-tigt trat die Verfassung am 28. April 1992 in Kraft. Wenige Monate später, am 3. November 1992, wurden Präsidentschaftswahlen ab-gehalten, aus denen Rawlings an der Spitze des von ihm gegründeten

»National Democratic Congress« (NDC) als klarer Sieger hervor-ging.421 Trotz verbreiteter Kritik am PNCD war der charismatische Rawlings in weiten Teilen der Bevölkerung nach wie vor beliebt. Als faktischer Amtsinhaber hatte er gegenüber den oppositionellen Kan-didaten auch große Vorteile in Bezug auf die Organisation des Wahl-kampfs: Das Parteienverbot war im Mai aufgehoben worden, neu zu gründende Parteien konnten sich aber erst im September offiziell registrieren lassen. Da die wichtigsten Oppositionsparteien die an-schließenden Parlamentswahlen wegen solcher Behinderungen boy-kottierten, blieb Ghana faktisch ein Ein-Parteien-Staat. Die Legislatur-periode wurde von gewaltsamen »ethnischen« Auseinandersetzungen im Norden Ghanas überschattet. Hintergrund war einmal mehr der Streit um die Besetzung von »Paramount Chieftaincies« und die damit verbundene Herrschaft über Land. Bereits seit geraumer Zeit herrsch-ten Spannungen zwischen der Minderheit der Konkomba und den Na-numba und Dagomba. Im Februar 1994 kam es schließlich zu blutigen Auseinandersetzungen, denen mindestens 2000 Menschen zum Opfer fielen und die den Einsatz des Militärs erforderten.422 Obwohl die Regierung nicht zuletzt wegen dieses Militäreinsatzes kritisiert wur-de, konnte sich Rawlings persönlich als Vermittler profilieren.

Schwieriger gestaltete sich die Wirtschaftspolitik. Der wirtschaftli-che Aufschwung war Mitte der 90er Jahre zum Erliegen gekommen.

Dennoch konnten Rawlings und der NDC ihren Erfolg bei den Wahlen im Jahre 1996 wiederholen. Rawlings selbst verkündete gegen Ende

421 Zu den Wahlen: Jeffries/Thomas, African Affairs (1993), 331 ff.

422 Mindestens 178.000 Menschen wurden zudem vertrieben. Zum Konflikt und sei-ner Vorgeschichte: Bogsei-ner, The 1994 Civil War in Northern Ghana, in: Lentz/Nu-gent, Ethnicity in Ghana, 2000, S. 183 ff.

seiner regulären Amtszeit, dass er gemäß der Verfassung nicht noch einmal zur Wahl antreten werde. In seiner letzten Amtsperiode geriet Ghana erneut in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die Bedingungen für den internationalen Handel hatten sich abermals deutlich verschlech-tert: Die Rohstoffpreise für Gold und Kakao waren wieder drastisch gesunken,423 der Ölpreis dagegen gestiegen. Der Cedi verlor erheblich an Wert. Gleichzeitig berichtete die Presse immer häufiger über Kor-ruption und Misswirtschaft. Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2000 verloren Rawlings Nachfolgekandidat – der bisherige Vizepräsi-dent John Atta Mills – und der NDC im zweiten Wahlgang die Mehr-heit. Damit endete nach 20 Jahren die Ära Jerry Rawlings. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes erfolgte ein demokratischer Macht-wechsel. Sieger der Wahlen war die »New Patriotic Party« (NPP) mit ihrem Kandidaten John Agyekum Kufuor. Diese beschrieb sich als Ver-fechterin der »Danquah-Busia-Tradition« und damit als Nachfolgerin der United Gold Coast Convention und der Popular Party. Neben un-terschiedlichen politischen Ausrichtungen weisen beide Groß-Partei-en auch eine deutliche »ethno-geographische« TrGroß-Partei-ennung auf: Wäh-rend die Kerngefolgschaft des NDC vorwiegend den Ewe zuzurechnen sind, deren wichtigstes Siedlungsgebiet erst mit dem Anschluss Bri-tisch-Togolands kurz vor der Unabhängigkeit in das Staatsgebiet auf-genommen worden war, wird die NPP traditionell als Partei der As-hanti und Akyem angesehen.424

Durch die Teilnahme am Entschuldungsprogramm des Internatio-nalem Währungsfonds und der Weltbank konnte sich Ghana von ei-nem erheblichen Teil seiner Auslandsschulden befreien. Die Wahlen am 7. Dezember 2004 bestätigten Kufuor bereits im ersten Durchgang für weitere vier Jahre im Amt. Die Regierungszeit der NPP war durch eine – zumindest oberflächlich – rigoros durchgesetzte Politik der Nichteinmischung gegenüber den traditionellen Autoritäten gekenn-zeichnet. So wurde etwa ein reformierter Chieftaincy Act (Act 759)

er-423 Der Fall des Goldpreises lag unter anderem daran, dass zahlreiche Industrienatio-nen sich entschieden hatten, eiIndustrienatio-nen Teil ihrer Goldreserven zu veräußern. Dies soll-te ironischerweise gerade dazu dienen, die Mitsoll-tel für Entwicklungshilfe aufzusto-cken, vgl. Gocking, The History of Ghana, 2005, S. 240.

424 Zur Bedeutung von Ethnizität für die Wahlen jüngerer Zeit: Amoah, Reconstruct-ing the Nation in Africa, 2007, S. 174 ff.

lassen, der den Grundsatz der Nichteinmischung konsequent umsetzt.

Allerdings wurden die hoheitlichen Befugnisse traditioneller Autoritä-ten auch nicht weiter durch den Staat anerkannt. Das Gesetz nennt in Sec. 30 zwar ausdrücklich »customary arbitration« als Aufgabe tradi-tioneller Autoritäten und garantiert den Bestand dieser Form der Rechtsprechung. Welche Standards hierbei einzuhalten sind und wie sich das Verhältnis zur staatlichen Rechtsprechung gestaltet, wird je-doch nicht geregelt. Im Übrigen entspricht das reformierte Gesetz in weiten Teilen seinen Vorgängern. Insbesondere die Bedeutung weibli-cher Autoritäten wird nach wie vor nicht ausdrücklich behandelt. Im Jahre 2006 wurde ein Projekt zur umfassenden Verschriftlichung der Gewohnheitsrechte, wie sie schon der Chieftaincy Act im Jahre 1961 vorgesehen hatte, vom National House of Chiefs ins Leben gerufen.

Dieses Projekt befindet sich jedoch nach wie vor in seiner Anfangs-phase.425 Bei den Wahlen im Dezember 2008 konnten sich Mills und der NDC durchsetzen, und es kam zu einem erneuten Regierungs-wechsel. Im Jahre 2012 wurde der NDC wiedergewählt, diesmal mit John Mahama an der Spitze.426 Der Fund von Erdöl vor der Küste Gha-nas führte zudem zu weiterem wirtschaftlichen Wachstum, weshalb das Land abermals – diesmal auch unter Hinweis auf die Festigung ei-ner demokratischen Kultur in den letzten 20 Jahren – als Vorbild für viele Länder Westafrikas gilt.

Im Dokument Recht als Übersetzung (Seite 142-147)