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5. Diskussion

5.2 in vivo

Die in der Zellkultur beobachteten Effekte wie Wachstumshemmung und Apoptose machen Sulindac als potentiell tumorhemmendes Medikament interessant.

Entsprechend den In-vitro-Ergebnissen hemmt der biologisch aktive Sulindac-Metabolit Sulindac-Sulfid HeLa-Zellen im Wachstum, was für die anschließend durchgeführten Tierversuche (siehe 4.2.1) von großer Bedeutung war. Vor allem aber hemmt Sulindac-Sulfid auch den G1-S-Übergang weiterer Zervixkarzinom-zelllinien, die sich im HPV-Typ und der viralen Kopienzahl unterscheiden. Damit käme diese Substanz möglicherweise für die Behandlung von Zervixkarzinomen in Betracht, da die „high-risk“-Typen 16 und 18 die höchste Prävalenz weltweit besitzen (LOWY u. HOWLEY, 2001).

Im Vergleich zum Tierversuch erfordern die In-vitro-Versuche relativ hohe Dosen von Sulindac bzw. Sulindac-Sulfid zur Auslösung der beschriebenen Wirkungen. Dieser Unterschied beruht auf den unterschiedlichen Transportmechanismen, mit denen Sulindac und andere NSAIDs in vitro und in vivo die Zielzellen erreicht (Abb. 28).

Während das Medikament in der Zellkultur durch Diffusion in die Zelle gelangt, wird Sulindac im Körper in eine Transportform umgewandelt. Nach Reduktion seiner Sulfoxidgruppe und der Acyl-Glucuronidierung folgt die Bindung des Sulindac-Acyl-Glucuronids an Albumin (KROEMER u. KLOTZ, 1992). Somit erhält das Arzneimittel in etwa die Halbwertszeit von Albumin von ca. 20 Tagen. Außerdem wird Albumin

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wie auch Albumin-Addukte, welche nur ein Fremdmolekül (z. B. Sulindac-Metabolite) enthalten, in entzündlichem wie auch im Tumorgewebe bevorzugt aufgenommen.

Daher erklärt sich die außerordentliche Diskrepanz zwischen den hohen Dosierungen in vitro und den erheblich geringeren Sulindac-Dosierungen in vivo.

Rezeptor-vermittelte Endocytose durch die Zellmembran NSAID Acyl-Glucuronidierung

NSAID-Acyl-Glucuronid

reversible Bindung des NSAID-Acyl-Glucuronids an Albumin verlängert so seine Halbwertszeit auf nahezu die des Albumins NSAID-Acyl-Glucuronid-Albumin

NSAID-Acyl-Glucuronid Albumin

NSAID-Acyl-Glucuronid

Kovalente Bindung an Proteine in der Zelle NSAID-Acyl-Glucuronid-Protein

Transporter-vermittelte Aufnahme NSAID-Metabolite NSAID

pH-abhängige Hydrolyse oder Rearrangement pH-abhängige Hydrolyse oder Rearrangement

Abbildung 28: Schematische Darstellung der NSAID-Metabolisierung.

Daher erfolgt in entzündetes präkanzeröses und kanzeröses Gewebe eine selektiv verstärkte Aufnahme dieser NSAID-Acyl-Glucuronid-Albumin-Komplexe. Nach Eintritt in die Zelle durch Endozytose wird der Kompex gespalten: Albumin wird für den Zellstoffwechsel genutzt, während die NSAIDs an Zellproteine gebunden werden.

Aufgrund ihrer Proteinbindung reichern sich diese Arzneimittel trotz ihres kleinen Verteilungsvolumens speziell in entzündetem, präkanzerösem oder kanzerösem Gewebe an. Durch das Freiwerden des kovalent bindenden Sulindac aus dem Acyl-Glucuronid-Albumin entsteht eine Bindung an die intrazellulären Proteine, welche

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eine höhere Affinität aufweist als durch Diffusion in die Zelle gelangte Metabolite. Daher erfolgt die Effusion der kovalent an Proteine gebundene Sulindac-Metabolite langsam, so dass am Wirkort (intrazelluläre Proteine) effektive Wirkstoff-spiegel aufrechterhalten werden, währen die SerumWirkstoff-spiegel vergleichsweise schnell abfallen (UNGEMACH, 1999). Deshalb besitzen NSAIDs mit stabiler Acyl-Glucuronid-Bildung eine selektivere Wirkung als beispielsweise Acetylsalicylsäure.

5.2.1 Etablieren eines Tiermodells

Subkutan an der Flanke inokulierte HeLa-Zellen können in Nacktmäusen zu Tumoren auswachsen (SOTO et al., 1999). Auch am medialen Oberschenkel wachsen die Zellen an; allerdings reicht eine geringere Zellmenge als an der Flanke aus (6 × 106 Zellen statt 1 × 107 Zellen). Darüber hinaus bietet diese Lokalisation eine bessere Blutversorgung und damit bessere Voraussetzungen für die Aufnahme des Medikaments. Offensichtlich ist eine kritische Zellzahl notwendig, um das Tumor-wachstum zu initiieren: Die zelluläre Abwehr spielt auch bei Nacktmäusen eine wichtige Rolle. Daher gelingen Heterotransplantationen in immunologisch priviligiertem Gewebe (Gehirn, Nierenkapsel, Hoden) sogar in Tieren ohne Immun-defekt, jedoch bleibt das Tumorgewebe nur während einiger Tage wachstumsfähig und wird danach abgestoßen.

Da bei der Zellinokulation der Hautstich der Kanüle (seitliche Brustwand) von der Implantationstelle in der Kniefalte entfernt war, wurde so eine mögliche spätere Keiminvasion vermieden. Außerdem wird so das Rückfließen der Tumorsuspension verhindert.

Unbehandelt zeigt der Tumor ein schnelles Wachstum. Allerdings stellt er die klinische Situation nur unzureichend dar; das Zervixkarzinom entwickelt sich im Menschen bedeutend langsamer, i. a. über Jahre. Darüber hinaus erhält die Maus eine große Menge Tumorzellen auf einmal, während die Anzahl der malignen Zellen bei der Entwicklung des Zervixkarzinoms langsam ansteigt und sich erst aus Vorläuferstadien entwickelt. Die Entwicklung von langsamer wachsenden Tumoren wäre dabei wünschenswert; möglicherweise wachsen Tumore durch Inokulation von

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anderen Zervixkarzinomzelllinien (etwa CaSki oder SW756) langsamer oder wachsen mit geringeren Zellzahlen an.

Eine Verabreichung des Medikaments per Injektion hätte, um ausreichende Wirkspiegel aufrecht zu erhalten, mindestens zwei bis drei Mal täglich inkl.

Wochenende erfolgen müssen. Dies ist für eine Person technisch fast unmöglich, zumal jegliche Manipulation der Mäuse nur an der sterilen Werkbank möglich ist, was zusätzlichen Zeitaufwand beinhaltet.

Versuche, Sulindac über das Trinkwasser zu applizieren, scheiterten vor allem an dem Geschmack, der ohne weitere Geschmackszutaten derart störend wirkt, dass die Mäuse die Trinkwasseraufnahme reduzierten. Durch die Entwicklung eines Futterriegels ist es jedoch gelungen, den Sulindacgeschmack mit Fructose, andere Geschmackszutaten und dem Getreidegeschmack des Grundfutters zu kaschieren.

Die maximale tolerierte Arzneimitteldosis wurde mit verschiedenen Riegeln und unterschiedlichen Hilfsstoffen ausprobiert. Das kuchenartige Riegelfutter wurde von den Mäusen den harten Pellets vorgezogen.

Die eingesetzte Sulindacdosis im Tierversuch (ca. 180 mg / kg Futter) entspricht in etwa der in der Literatur beschriebenen wirksamen Menge (ca. 200 mg / kg Futter) für die Maus. Eine höhere Sulindacmenge im Futter führte zu einer geringeren täglichen Futteraufnahme. Da die exakte Sulindacdosis pro Maus durch das Futter nicht bestimmt werden konnte, sichern ausreichendes Angebot an Futter zu jedem Zeitpunkt des Versuchs in den Käfigen für jedes Tier die Aufnahme der Diät. So üben wahrscheinlich Hierarchien in der Gruppe keinen Einfluss auf die Nahrungsaufnahme aus.

Die im Futter enthaltene Menge Sulindac wurde von den Mäusen gut vertragen. Als Nebenwirkung trat ein etwas weicherer Kot auf. Weitere Schädigungen wie (petechiale) Blutungen oder Ulcerationen im Gastrointestinaltrakt waren bei der Sektion nicht zu beobachten. Alle Tiere hatten während des ganzen Versuchs ein ungestörtes Allgemeinbefinden. Auch der wachsende Tumor am Bein schränkte sie nicht in ihrer Fortbewegung oder ihrem Normalverhalten ein.

Das Körpergewicht der Mäuse wurde während des Versuchs durch Wiegen zweimal wöchentlich kontrolliert. Es nahm in beiden Gruppen unabhängig von der

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Behandlung durchschnittlich um ca. 1,5 g zu. Neben dem Tumorwachstum ist diese Zunahme auch auf das Körperwachstum zurückzuführen, da die Tiere zum Zeitpunkt des Versuchs z. T. noch nicht vollständig ausgewachsen waren. Bei der Sektion wurde bei einigen Tieren eine mäßige Fetteinlagerung im Darmgekröse festgestellt.

Dies zeigt auch, dass die Mäuse während des Versuchs genug Nahrung aufgenommen haben.

5.2.2 Tumorhemmung

Das Ergebnis des Tierversuchs ergab eine signifikante Wachstumshemmung der Tumoren durch Sulindac. Die In-vitro-Daten, in denen sich der biologisch aktive Sulindacmetabolit Sulindac-Sulfid in verschiedenen Zervixkarzinomzelllinien mit unterschiedlichem HPV-Typ und viraler Kopienzahl als wirksam erwies, legen nahe, dass Sulindac auch in Tumoren aus anderen Zervixkarzinomzellen das Wachstum hemmt.

Die inokulierten HeLa-Zellen entwickelten sich zu einem relativ schnell wachsenden Tumor, der nach drei Wochen die von der GV-SOLAS vorgegebene Maximalgröße erreicht; dies begrenzte die Behandlung auf diese Zeitspanne. Möglicherweise könnte man mit einer langsamer wachsenden Zelllinie eine noch stärkere Wachstumshemmung erzielen.

Eine Behandlung mit Sulindac konnte zwar das Tumorwachstum verlangsamen, jedoch nicht komplett verhindern. Auch die behandelten Tumoren wuchsen während des Versuchs kontinuierlich (langsamer) und bildeten sich nicht zurück.

Mikroskopisch fanden sich sowohl in den behandelten als auch in den unbehandelten Tumoren zwischen den Arealen mit proliferierenden Zellen teils ausgedehnte Gebiete mit Zelltrümmern (Nekrosen). Um zu überprüfen, ob die Sulindacwirkung in den Tumoren auf Nekroseinduktion beruht, wurde deren Anteil in HE-gefärbten Paraffinschnitten gemessen.

Die Gewebeschnitte repräsentieren in etwa einen Querschnitt durch die Mitte der Tumore und repräsentieren damit nur eine Schnittebene des Tumors. Mögliche

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Unterschiede, die das angewandte Verfahren nicht aufdecken kann, wären gegebenenfalls durch die Untersuchung mehrerer Schnitte pro Tumor darstellbar.

Der geringere Anteil an Nekrosen in der behandelten Gruppe ist eventuell auf einen Zusammenhang zwischen Tumorgewicht und Nekroseanteil zurückzuführen: Mit zunehmender Tumorgröße können besonders zentral liegende Gebiete nicht mehr optimal mit Nährstoffen versorgt werden, was dort zum Tod von Zellen führen kann.

Um die Zellen sichtbar zu machen, die spezifisch durch Apoptose untergegangen sind, eignet sich der TUNEL-Assay. Bei ihrer Quantifizierung zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den behandelten und den Kontrolltumoren. Da sich auch nicht-zelluläre Partikel anfärben, erwies sich die Auszählung als problematisch.

Neben der Induktion von Apoptose kam aufgrund der In-vitro-Versuche die Wachstumshemmung durch Sulindac in Frage. Diese ließ sich immunhistochemisch durch Untersuchung des Proliferationsmarkers Ki-67 untersuchen.

Das Protein Ki-67 ist ein nukleäres Protein, dessen Funktion bislang unbekannt ist. In den Gewebeschnitten der im vorliegenden Versuch aus den Mäusen gewonnenen Tumoren waren alle intakten Zellen angefärbt, sowohl in der behandelten als auch in der Kontrollgruppe. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Beobachtungen des proliferierenden Gewebes im HE-gefärbten Schnitt. Auch in den behandelten Tumoren proliferierten die lebenden Zellen und befanden sich nicht etwa in einem

„Ruhezustand“, der evtl. die verminderte Größe der mit Sulindac behandelten Tumoren erklärt hätte. Möglicherweise ist die bloße Anfärbung von proliferativen Zellen nicht geeignet, geringe Unterschiede in der Verteilung bzw. Dauer der Zellzyklusphasen in vivo darzustellen.

Um einen genaueren Einblick in die Zellzyklusverteilung der Tumorzellen zu erhalten, wurden der Anteil der Zellen in den einzelnen Phasen mittels Durchflusszytometrie von allen 16 Tumoren bestimmt. Allerdings zeigte sich auch kein Unterschied zwischen behandelten und unbehandelten Tumoren. Obwohl Sulindac und Sulindac-Sulfid in vitro einen G1-Arrest herbeiführen können, ließ sich dies in vivo auf diese

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Art nicht nachweisbar. Bei dieser Methode fiel jedoch auf, dass die Zellzyklusmessung innerhalb des Tumors oft erheblich abweichende Befunde erbrachte (es wurden immer zwei Gewebeproben eines Tumors gemessen). Es wäre also für die weiterführenden Untersuchungen wichtig, etwa histologisch vergleichbare Proben (z. B. Arreale mit hohem Proliferationsanteil, eher Randgebiete des Tumors oder Gebiete mit Blutgefäßen) mit den FCM-Daten zu vergleichen.

Allerdings könnten auch andere Mechanismen für die Wachstumshemmung verantwortlich sein. Entscheidend für das Tumorwachstum ist seine Versorgung mit Nährstoffen über das Blut, eine ausreichende Kapillarbildung ist daher unerlässlich.

Krebszellen produzieren daher pro-angiogenetische Faktoren, die zur Rekrutierung und Proliferation endothelialer Zellen führen (CARMELIET u. JAIN, 2000).

Da gezeigt werden konnte, dass NSAIDs anti-angiogene Eigenschaften besitzen (GULLINO, 1995), wäre es denkbar, dass die Wachstumshemmung in vivo damit in Verbindung steht. Ob die E7-Suppression auch im Tumor stattfindet, ließ sich histologisch aufgrund unspezifischer Reaktionen des E7-Antikörpers nicht nach-weisen.

5.2.3 Therapie

Die Befunde legen eine mögliche Anwendung der Substanz für die Chemoprävention HPV-positiver Tumoren nahe, um das Auswachsen von Tumorvorläuferstadien (CIN) zu Tumoren zu verhindern. Dies ließe sich in Tiermodellen weiter prüfen, in denen z. B. Tumoren über die Expression von HPV16-Oncogenen induziert werden (ARBEIT et al., 1996). Möglicherweise könnte Sulindac auch präventiv bei Patientinnen eingesetzt werden, denen ein Zervixkarzinom chirurgisch entfernt wurde, um so das Wachstum von evtl. auftretenden Rezidiven zu verhindern oder zu verlangsamen. Aufgrund der guten Verträglichkeit, die sich schon bei FAP-Patienten gezeigt hat, ist eine dauerhafte Einnahme von Sulindac denkbar.

Da die Zervix von außen zugänglich ist, wäre auch eine lokale Behandlung von CIN-Läsionen mit Sulindac möglich. Studien mit Chemotherapeutikum-haltigen

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Vaginalzäpfchen oder Salben zeigten Erfolge, z. T. in Form von Rückbildungen der Läsionen bis zum ihrem völligen Verschwinden (MASUDA et al., 1981, BARTEN, 1987). Es zeigte sich aber auch, dass die Wirkung von lokal appliziertem Cisplatin nur etwa 2 mm in die Tiefe des Gewebes reichte (FUJII et al., 1995). Es ist fraglich, ob Sulindac oder auch Sulindac-Sulfid als NSAIDs lokal appliziert ins Gewebe diffundieren oder auch nur oberflächlich einen wachstumshemmenden Effekt bewirken können. Auf diese Weise wäre es einerseits möglich, systemische Nebenwirkungen zu umgehen, andererseits findet so die Verstoffwechselung und Acyl-Glucuronidierung nicht statt, was evtl. höhere Konzentrationen erfordert. Man könnte auch eine kombinierte Anwendung (orale Aufnahme und lokale Applikation) in Betracht ziehen.

Inwieweit die Therapie HPV-positiver Tumoren hingegen durch die alleinige Gabe von Sulindac möglich ist, müssen weitere Versuche – mit anderen heterotrans-plantierten Zelllinien oder der Behandlung transgener Tiere – erbringen. Zu denken ist allerdings auch an die Kombination mit anderen, bereits eingesetzten Therapie-verfahren. Hier kommt zunächst die Bestrahlung in Betracht, denn es wurde bereits gezeigt, dass NSAIDs für die Bestrahlung sensibilisieren und so die Steigerung ihrer Effektivität bewirkt (CHOY u. MILAS, 2003). Dies wäre auch für die Behandlung des Zervixkarzinoms denkbar, das mittels Bestrahlung behandelt werden kann. Ein möglicher Synergismus von Sulindac-Behandlung und Bestrahlung wäre zunächst in der Zellkultur und dann im Tiermodell zu testen. Vorklinische Studien haben auch gezeigt, dass bei gleichzeitigem Einsatz von COX-2-Hemmern Tumoren besser auf Chemotherapeutika reagieren (MILAS et al., 2003).

Da Sulindac außerdem im Vergleich zu herkömmlichen Chemotherapeutika nicht myelotoxisch und gut verträglich ist, könnte diese Substanz eine Alternative oder Ergänzung zu bisher angewandten Therapien darstellen.

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