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1. Einleitung

1.6 Versuchsmodelle

Im Folgenden soll versucht werden, auf der Grundlage von bisher erworbenen wissenschaftli-chen Erkenntnissen, den Aufbau eines geeigneten Versuchmodells zur Toleranzinduktion bzw. zum Vergleich immunsuppressiver Therapiekonzepte zu entwickeln. Eine Reihe von publizierten Arbeiten haben in der Vergangenheit die Effizienz der immunsuppressiven The-rapie mit Cyclosporin A mit der von Tacrolimus im Bereich der Leber- und Nierentransplan-tation untersucht, aber Langzeit-Vergleichsstudien dieser Medikamente im Bereich der Lun-gentransplantation sind seltener. Zahlreiche Versuchsmodelle zur Toleranzinduktion sind zeit-lich befristet angelegt103 104. Auf diese Weise ist die Übertragbarkeit von Studienergebnissen

aus solchen Versuchen auf die klinische Situation nur begrenzt möglich. Wenn die Ver-suchstiere auf Grund einer zeitlichen Befristung der Versuche frühzeitig getötet werden, kön-nen spät auftretende Abstoßungsreaktiokön-nen nicht mehr erfasst werden. Es gibt finanzielle Gründe für die zeitliche Befristung solcher Versuchsvorhaben, aber auch die Wahl der Ver-suchstiere führt zu einer Verkürzung des Beobachtungszeitraums. Nagetiere haben beispiels-weise eine ohnehin kürzere Lebenserwartung und sind auch nicht so belastungsfähig in Bezug auf die notwendigen Verlaufsuntersuchungen.

In vielen klinischen Studien untersuchte man mit Tacrolimus behandelte Patienten, die sekun-där von Cyclosporin A auf Tacrolimus umgestellt wurden105. Die primäre oder Induktions- Therapie mit Tacrolimus ist hingegen in der Lungentransplantation unüblich und die Erfah-rungen damit sind entsprechend äußerst begrenzt106. Dies steht in einem offensichtlichen Wi-derspruch zur großen Bedeutung, die der initialen immunsuppressiven Therapie aus immuno-logischer Sicht zukommt. Die erstmalige Konfrontation naiver T-Zellen mit Spenderantigen, das Priming und die folgende Ausbildung einer balancierten Immunantwort, die entweder eher vom regulierenden Typ ist (unter wünschenswert idealen Voraussetzungen) oder die vom Effektortyp ist (und damit zur Abstoßung führt), finden alle unter dem Schutz der primären Immunsuppression statt. In Studien konnte gezeigt werden, dass insbesondere die erste Zeit nach einer Antigenexposition wichtig für die immunregulatorischen Vorgänge ist107 108. Da also wie beschrieben die ersten Wochen nach der Transplantation entscheidend für das Trans-plantatüberleben sind, ist in dieser Zeit eine besonders effektive Immunsuppression notwen-dig. Unter der Annahme, dass Tacrolimus möglicherweise eine höhere immunsuppressive Potenz besitzt, ist die Umstellung auf Tacrolimus nach begonnener Abstoßung, also Wochen nach der Transplantation eventuell zu spät, um das vollständige Potential des Medikamentes auszuschöpfen.

In den meisten Transplantationszentren wird zurzeit nach der Lungentransplantation primär mit Cyclosporin A therapiert und nur bei Insuffizienz dieser Therapie ein Medikamenten-wechsel vorgenommen. In einigen Studien, die sich jedoch nicht speziell auf eine isolierte Tacrolimus-therapie beziehen, sondern andere Medikamente wie ATG oder CTLA4-Antikörper mit untersuchen109, wird der Vorteil einer primär auf Tacrolimus beruhenden Im-munsuppression nach einer Lungentransplantation beschrieben. Im Zusammenhang mit der stärkeren immunsuppressiven Potenz von Tacrolimus stellt sich die Frage, ob auch das Trans-plantatüberleben signifikant verbessert und eine bleibende Toleranz erzeugt werden kann. In

einer Vergleichsstudie von Tacrolimus und Cyclosporin A von J.S. Allan konnte mit Hilfe einer hochdosierten Tacrolimustherapie eine wesentliche Verlängerung des Transplantatüber-lebens im Vergleich zu einer auf Cyclosporin A basierenden Therapie erreicht werden129. In der genannten Studie wurden die Versuchstiere nur für 12 Tage medikamentös therapiert und mit einer sehr hohen Medikamentendosis behandelt.

Ursache kann möglicherweise die in vielen Versuchen wie beispielsweise bei einer Studie an Ratten beschriebene stärkere und langfristigere Supprimierung der Calcineurinphosphatase-aktivität durch Tacrolimus als durch Cyclosporin A sein110. In dem genannten Versuch wurde die Calcineurinaktivität im Blut der Ratten gemessen, aber eine Verbesserung des Transplan-tatüberlebens nach der Transplantation auf Grund einer primären Tacrolimustherapie wurde nicht untersucht.

Bei einem validen Toleranzinduktionsmodell erscheint die hoch dosierte immunsuppressive Dreifachtherapie in den ersten vier Wochen nach der Transplantation, wie in der Klinik üb-lich, besonders entscheidend, um dem Immunsystem Zeit für Adaptationsvorgänge zu geben.

In einigen experimentellen Toleranzinduktionsprotokollen wurde eine auf kurze Zeit begrenz-te Induktionstherapie vorgenommen111 und, wenngleich die Cyclosporintherapie in jenen Stu-dien mit einer ganzen Reihe von weiteren Maßnahmen kombiniert worden war, konnte den-noch in einem Nierentransplantationsmodell in Makaken gezeigt werden, dass die vierwöchi-ge Cyclosporintherapie sowohl nötig als auch (in Verbindung mit den weiteren Protokollbe-standteilen) zur Induktion von Transplantationstoleranz ausreichend ist112. Eine praktische Überlegung zugunsten einer vierwöchigen Immunsuppression in solchen Versuchsmodellen besteht in der Verhinderung der frühpostoperativen Transplantatabstoßung. Es konnte in un-terschiedlichen Tierversuchsprotokollen zur Lungentransplantation gezeigt werden, dass Ver-suchstiere, die nach der Transplantation keine Immunsuppression erhielten, gehäuft in den ersten 6-8 Tagen starben113 114. Eine zeitlich begrenzte Immunsuppression ist bei der Entwick-lung eines Versuchskonzepts vorteilhaft, da sich hierdurch die Versuchszeit verringert. Unter fortgesetzter medikamentöser Immunsuppression tritt eine messbare chronische Abstoßungs-reaktion klinisch oft erst nach Jahren auf, und dann mit hoher interindividueller Unterschied-lichkeit115, sodass sich ein solches Modell experimentell nicht sinnvoll verwenden ließe. Zur Klärung der Fragestellung einer bleibenden (stabilen) Toleranz ist auch eine Versuchsphase ohne Immunsuppression erforderlich.

1.6.2 Versuchstiere

Forschungsvorhaben, die sich mit der Entwicklung von Toleranzinduktionsprotokollen oder mit der Ausarbeitung neuer immunsuppressiver Kombinationsmedikationen befassen, sind sehr experimentell und aus ethischen und medizinischen Gründen noch weit von der Umset-zung in der Klinik entfernt. Daher muss für eine Toleranzinduktionsstudie im Rahmen der Lungentransplantation ein valides und sicheres Tiermodell gewählt werden, welches ver-gleichbar mit der Lungentransplantation beim Menschen ist. Die in manchen Studien präfe-rierten Großtiermodelle an Hunden und Primaten sind einerseits aus Gründen des Tierschut-zes und andererseits auch wegen der Kosten nicht praktikabel. Kleintierversuchsmodelle zur Lungentransplantation sind gut etabliert, aber limitiert in ihrer immunologischen Aussagekraft und wegen der eingeschränkten diagnostischen Möglichkeiten für ein langfristig angelegtes Versuchskonzept nachteilig. Auch die bronchoalveoläre Lavage bzw. Bronchoskopie ist aus anatomischen Gründen nicht an Nagetieren möglich. Weniger kostenintensiv und unkompli-ziert in der tierschutzgerechten Haltung sind Schweine, deren Nutzung als Versuchstiere we-niger aufwendig ist als die von Primaten und Hunden. Außerdem gibt es große Zuchtlinien, die eine kostengünstige Auswahl von gleichaltrigen, gleichgewichtigen und genetisch ver-wandten Tieren ermöglicht. Des Weiteren sind Schweine auch auf Grund ihrer anatomischen und molekularbiologischen Verwandtschaft mit dem Menschen gut für Transplantationsver-suche geeignet. Besonders vorteilhaft im Rahmen eines solchen Forschungsziels scheint die Arbeit mit den kostenintensiveren Göttinger Minipigs anstatt mit dem gemeinen Haus-schwein: Sie stammen aus einer sehr gut definierten Zuchtlinie mit bekanntem genetischem Hintergrund, sind spezifisch pathogenfrei gehalten und haben, verglichen mit den größeren und schwereren Hausschweinen, einen geringeren Medikamentenbedarf und sind wesentlich einfacher zu handhaben.

Von entscheidender Bedeutung beim Einsatz von Immunsuppressiva ist die Metabolisierung der Medikamente. Diese kann bei verschiedenen Spezies erheblich variieren und die Über-tragbarkeit der Ergebnisse einer Tierversuchsstudie auf den Menschen beeinträchtigen. Das für die Metabolisierung von Calcineurininhibitoren verantwortliche Leberenzym Cytochrom P450 3A erwies sich in einer Studie an Minipigs als molekular dem menschlichen Cytochrom P450 3A sehr verwandt. Somit kann man zwar die Ergebnisse einer Studie an Minipigs auf den Menschen übertragen116, allerdings nur unter der Berücksichtigung der unterschiedlichen Pharmakodynamik und Kinetik im Minipig, wie noch später im Abschnitt „Medikamentöse Therapie“ diskutiert wird.

Obgleich die Bedeutung einer HLA-Inkompatibilität für die Entwicklung von Abstoßungs-reaktionen in vielen Studien belegt wurde, ist in der Klinik die entsprechende HLA-Abstimmung nicht üblich und faktisch ist die HLA-Übereinstimmung oder -Inkompatibilität zwischen Organspender und -empfänger völlig zufällig, da vor allem die Fallzahlen in der Lungentransplantation zu klein und die individuelle Dringlichkeit oft zu hoch sind um eine sinnvolle HLA-Abstimmung zu ermöglichen. Um also mit der klinischen Realität vergleich-bare Versuchsbedingungen zu schaffen, sollte in einer Toleranzinduktionsstudie bewusst eine HLA-Inkompatibilität generiert werden. Eine HLA inkompatible Versuchstierpaarung ist bei Minipigs gut möglich, da eine Reihe von HLA-Haplotypen der Minipigs identifiziert worden sind117. Unterstützend kann zusätzlich durch die gezielte Paarung von weiblichen Empfänger-tieren und männlichen SpenderEmpfänger-tieren ein „minor antigen mismatch“ erzeugt werden.

Ein weiterer Vorteil der Minipigs als Versuchstiere liegt in ihrer Haltung. Die SPF-Haltung der Minipigs trägt zur Standardisierung der Versuchsbedingungen bei, sodass nicht steuerbare Variabeln, wie zum Beispiel Infektionen mit unbekannten Erregern, verringert werden können. Ein Kritikpunkt an der SPF-Haltung könnte sein, dass menschliche Trans-plantatempfänger ein immunologisches Gedächtnis besitzen, da sie in ihrer Lebenszeit vor der Transplantation einer Vielzahl von Krankheitserregern ausgesetzt waren118.

1.6.3 Operation

Die Lungenentnahme bei den Versuchstieren sollte von der operativen Technik her im We-sentlichen wie die Lungenentnahme bei einem menschlichen Organspender erfolgen. Wäh-rend allerdings bei einem menschlichen Organspender der Hirntod bereits eingetreten ist, be-vor die Lunge entnommen wird, kann man in einem zeitlich planbaren Versuchsmodell den Versuchstieren die Lunge zum Zeitpunkt des klinischen Todes entnehmen. Auf diese Weise wird das Transplantatüberleben nicht durch ein mögliches Lungenödem infolge hormoneller Dysregulation negativ beeinflusst, wie es nach dem Hirntod des Spenders auftreten kann. Ein weiterer Vorteil zur Transplantation am Menschen ist, dass als Spenderorgane gesunde Lun-gen von junLun-gen Spendern gewählt werden können. Die Spenderorgane in der Klinik können hingegen durch Kontusionsschäden, einen pulmonalen Hypertonus, durch Embolien bzw.

andere Organveränderungen oder durch ein höheres Spenderalter vorgeschädigt sein. Diese ideal gewählten Faktoren erlauben standardisierte Bedingungen, durch die der Einfluss der medikamentösen Immunsuppression erst überprüfbar wird. Um die Beeinträchtigung der

Ver-suchsergebnisse durch Störvariablen zu vermeiden sollte es Ziel sein alle nicht direkt den For-schungsgegenstand betreffende Faktoren zu standardisieren und somit zu relativieren.

Die antegrade Perfusion der Spenderlunge mit kalter Euro Collins-Lösung ist die in der Klinik übliche Konservierungstechnik und es gibt weltweit die größte Erfahrung mit dieser Konser-vierungstechnik. Die Perfusion mit Euro Collins-Lösung, die ursprünglich für den Bereich der Nierentransplantation entwickelt worden war, ist weltweit eine Standardtechnik. Darüber hin-aus gibt es zahlreiche jüngere Studien zur Verwendung neuartiger Perfusionslösungen119, wie zum Beispiel der Low Potassium Dextrane-Lösung, der University of Wisconsin-Lösung oder der Celsior-Lösung, die nicht zuletzt auf Grund einer anderen Elektrolytzusammensetzung speziell für die Lungentransplantation besser geeignet sind120. In einer Studie an Minipigs wurde vergleichend der Reperfusionsschaden bei einer Perfusion mit Low Potassium Dextra-ne-Lösung und bei einer Perfusion mit Euro Collins-Lösung nach einer Lungentransplantation untersucht. In dieser Studie wurde nachgewiesen, dass Low Potassium Dextrane-Lösung die Surfactantfunktion geringer beeinträchtigt als Euro Collins-Lösung121. Auch zur retrograden Perfusion wurden einige Erfolg versprechende Versuche gemacht. Bei Transplantationsversu-chen anSchweinen wurde ein positiver Effekt auf die Transplantatfunktion nach der retrogra-den Perfusion festgestellt122 123.

Eine große Komplikationsgefahr bei der Lungentransplantation ergibt sich aus dem direkten anatomischen Kontakt des Transplantates mit der Umwelt über die Atemluft und der dadurch bedingten Möglichkeit einer Kontaminierung mit möglichen Krankheitserregern. Kleintier-modelle, vor allem in Mäusen, basieren deshalb häufig auf einer nicht vaskularisierten hetero-tropen Tracheatransplantation, wobei der Kontakt zur Atemluft nicht erhalten ist 124 125. Das Einzellungentransplantationsmodell in Schweinen hingegen repräsentiert ein vollwertiges Modell der klinischen Situation in allen anatomischen und immunologischen Belangen. Die bilaterale Lungentransplantation oder Einzellungentransplantation mit kontralateraler Pneu-mektomie, die in mehreren Großtiermodellen als günstig beschrieben werden, erscheinen auf Grund der hohen perioperativen Mortalität als ungeeignet126.Daher erscheinen bei einem Ver-suchsmodell, in dem insbesondere die langfristigen immunologischen Veränderungen im Empfängerorganismus untersucht werden sollen, mit hoher perioperativer Mortalität behaftete Operationstechniken nachteilig. Vorteilhafter ist die unilaterale Lungentransplantation ohne kontralaterale Pneumektomie. Diese Operationstechnik ist mit weniger Komplikationen ver-bunden und ermöglicht eine verhältnismäßig schnelle Genesung der Versuchstiere, da die

kontralaterale Lunge eine ausreichende Oxygenierung des Blutes sichert. Des Weiteren er-möglicht die erhaltene rechte Lunge einen direkten Vergleich zwischen transplantiertem und nicht transplantiertem Organ und somit eine interne Kontrolle für röntgenologische, zytologi-sche und histologizytologi-sche Untersuchungen.