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Versorgung und versagte Fürsorge

Im Dokument JAHRBUCH 2009 (Seite 44-47)

Beredtes Zeugnis der Durchsetzungskraft der Opferthese war das 1949 beschlossene und 1950 in Kraft getretene Kriegsopferversorgungsgesetz (KOVG).34 Anspruch auf diese Versorgungsleistung hatte, wer „für die Re-publik Österreich, die vormalige österreichisch-ungarische Monarchie oder deren Verbündete oder nach dem 13. März 1938 als Soldat der ehemaligen deutschen Wehrmacht militärische Dienste geleistet und hiedurch […] eine Gesundheitsschädigung (Dienstbeschädigung) erlitten hat“.35 Schon in den Verhandlungen über das Gesetz stand des Öfteren die Frage im Raum, wie mit den ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS zu verfahren sei. Dabei war die Regierung weniger von grundsätzlichen Bedenken geleitet, ob es vertret-bar sei, Angehörige einer verbrecherischen Organisation als Kriegsopfer zu behandeln, sondern man machte sich vielmehr Sorgen darüber, dass „ein Gesetz, das sich mit der SS beschäftigt, im Ausland keinen guten Eindruck hervorrufen wird“.36 Schließlich einigte man sich auf einen beinahe salomo-nisch (oder auch österreichisch) zu bezeichnenden Kompromiss und nannte die Waffen-SS zwar nicht im Gesetzestext selbst, machte diese aber in den Durchführungsbestimmungen des Ministeriums für soziale Verwaltung kur-zerhand zu einem Teil der Wehrmacht, wodurch die Kriegsopferversorgung auch für ehemalige Waffen-SS-Freiwillige gesichert war.37

Bezugsberechtigt waren ausdrücklich auch Personen, die sich selbst ver-letzt hatten, um „sich zur Dienstleistung für die nationalsozialistischen Machthaber untauglich zu machen“, oder die „als Folge versuchter oder ge-lungener Entziehung aus der Dienstleistung für die nationalsozialistischen Machthaber“ gesundheitliche Schädigungen erlitten hatten sowie die Hinter-bliebenen von Soldaten, die Opfer einer „Justifizierung“ (sprich einer Exe-kution) geworden waren.38 Mehr als 500.000 Menschen (Kriegsversehrte und Hinterbliebene) hatten Anfang 1950 Anspruch auf Sozialleistungen nach

34 BGBl. 197/1949, 2. 9. 1949 (wiederverlautbart als BGBl. 152/1957).

35 § 1 Abs. 1 KOVG.

36 So etwa ÖVP-Finanzminister Georg Zimmermann im Ministerrat vom 25. 2. 1947.

Zit. n. Sandner / Manoschek, Krieger, S. 126.

37 Brigitte Bailer, Der „antifaschistische“ Geist der Nachkriegszeit. Referat anlässlich eines Symposiums zur politischen Kultur in Österreich 1945 bis zur Gegenwart, 9.–11. De-zember 1999, Universität Paris. Unter www.doew.at/thema/antifageist/antifageist.html (27. 11. 2008).

38 § 5 KOVG.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 dem KOVG.39 Ob sich darunter auch Deserteure und Selbstverstümmler

befanden, wie die Formulierung von § 5 durchaus nahelegt, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Im heutigen Sozialministerium wird die Anzahl der KOVG-Anträge von Deserteuren als „relativ gering“ eingeschätzt.40

Während die ehemaligen Soldaten und ihre Hinterbliebenen also recht umfangreiche Versorgungsleistungen von der jungen Republik erwarten konnten, mussten die Opfer des Nationalsozialismus auf staatliche Fürsorge hoffen. Das bereits im Juli 1945 erlassene erste Opferfürsorgegesetz (OFG) umfasste überhaupt nur einen sehr eng begrenzten Kreis an politischen Wi-derstandskämpferInnen.41 Erst mit dem neuen, 1947 in Kraft getretenen Op-ferfürsorgegesetz konnten auch Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, die nicht „mit der Waffe in der Hand gekämpft“ hatten, um Fürsorgeleistungen ansuchen.42

Anders als das KOVG, dessen praktisch einziges Kriterium die gesund-heitliche Schädigung des Antragstellers war, stellte das OFG sehr stark auf die Motivlage der Betroffenen ab. Man musste zumindest den politischen oder religiösen Hintergrund der Verfolgung durch die nationalsozialistischen Behörden nachweisen können. Dabei gingen die Beamten des zuständigen Sozialministeriums recht rigide vor, insbesondere was Ansprüche von Wehr-machtsdeserteuren betraf: „Die Delikte der […] Fahnenflucht und Zersetzung der Wehrkraft können nicht ohne weiteres als politische […] gewertet wer-den“, da „in solchen Fällen sehr oft persönliche und nicht politische Motive zugrunde lagen“, hieß es etwa im Opferfürsorgeerlass aus dem Jahr 1948.43

Angelus F. bekam diese Politik schmerzhaft zu spüren. Er stellte gleich mehrere Opferfürsorge-Anträge, und zwar am 1. August 1952 auf Amtsbe-scheinigung, einen Monat später auf Haftentschädigung und am 26. März 1954 auf die Ausstellung eines Opferausweises. Am 7. November 1955 lehn-te die Behörde alle diese Anträge mit einer bemerkenswerlehn-ten Begründung ab: „Diese Art von Wehrkraftzersetzung würde aber auch – besonders im

39 Vgl. Sandner / Manoschek, Krieger, S. 128.

40 Maria Fritsche, Entziehungen. Österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in der Deutschen Wehrmacht, Wien u. a. 2004, S. 184 f.

41 StGBl. 90/1945, 17. 7. 1945.

42 BGBl. 183/1947, 4. 7. 1947.

43 Eduard Tomaschek, Das Opferfürsorgegesetz. Gemeinverständliche Erläuterung des Geset-zes und seiner Durchführungsbestimmungen, Wien 1950, S. 31–33, zit. n. David Forster, Die Opfer der NS-Militärgerichtsbarkeit und die Zweite Republik. Fürsorge und Entschädi-gung, in: Manoschek (Hrsg.), Opfer, S. 651–703, hier 654.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 Kriegsfall – in demokratischen Ländern verfolgt und bestraft werden.“

Außerdem verfüge F. über zwei ungetilgte Vorstrafen aus der Nachkriegs-zeit.44 Zum einen stand also der Lebenswandel des Antragstellers zur Dis-position, und zum anderen bediente sich die Opferfürsorge-Abteilung der Stadtgemeinde Wien jener rechtspositivistischen Argumentation, die jahr-zehntelang die Debatten dominieren sollte: Fahnenflucht sei in allen Armeen der Welt strafbar und somit ein militärisches, kein politisches Delikt.

Die Republik machte aber durchaus Ausnahmen. Ernst Stojaspal befand sich unter den Selbstverstümmlern, die im Herbst 1944 von Karl Everts und Leopold Breitler verfolgt wurden. Er hatte sich die Hand brechen lassen und war zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden.45 Nach dem Krieg mach-te Stojaspal als Fußballer Karriere. Mit Austria Wien wurde er zwischen 1946 und 1954 dreimal Meister und fünfmal Torschützenkönig. Er war Mit-glied der österreichischen Nationalmannschaft, die 1954 bei der Weltmeis-terschaft in der Schweiz den dritten Rang belegte, und wechselte im Herbst seiner Karriere als Legionär nach Frankreich.46 Im Juli 1952, Stojaspal war gerade zum vierten Mal Torschützenkönig und mit der Wiener Austria Vizemeister geworden, suchte er um Opferfürsorge an. Zwei Monate später erhielt er eine Amtsbescheinigung (der Amtsarzt erklärte den Profikicker gar zum 50-Prozent-Invaliden) und wenig später eine Entschädigung für die sie-ben Monate, die er in NS-Haft abgesessen hatte.47 Zum Nachweis seiner po-litischen Gesinnung genügte die eigene Aussage, er habe sich „mit ca. 40 Ka-meraden gegen das NS-Regime betätigt und mich für ein freies, demokrati-sches Österreich eingesetzt“.48

Karl Lauterbachs Mutter Emilie hatte weniger Glück. Ihr Sohn, ein Ak-tivist der Kommunistischen Jugend und einer der Hauptorganisatoren der so genannten „Selbstverstümmlerseuche“ des Sommers 1944, hatte Ernst Stojaspal und zumindest zwei weiteren Soldaten bei der Selbstverletzung ge-holfen, sich selbst dem Wehrdienst durch zweimaligen Armbruch entzogen und war am 7. Februar 1945 am Militärschießplatz Wien-Kagran hingerichtet worden.49 Emilie Lauterbach suchte am 3. September 1946, am 2. Juli 1948,

44 MA 12, OF Wien, F 340/52.

45 ÖStA, AdR, Div. 177, St. L. III/59/44 (Kopien in DÖW 6054).

46 Vgl. David Forster, „Es wär a Sünd’ g’wesen, hätt’ ich nicht auch noch den Tormann über-spielt.“ Nachruf auf Ernst Stojaspal, in: ballesterer FM 8 (2003), S. 42–44.

47 MA 12, OF Wien, ST 136/52.

48 Ebenda.

49 ÖStA, AdR, Div. 177, St. L. III/59/44 (Kopien in DÖW 6054).

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 am 24. September 1948, am 23. November 1948, am 15. Dezember 1950, am

17. Jänner 1952, am 18. Mai 1966, am 7. September 1966, am 3. Mai 1967, am 2. April 1968 und am 13. Juli 1972 um Opferfürsorge an. Alle Anträge wurden abgelehnt, da das Amt keine politischen Hintergründe in Lauterbachs Taten und keinen Kampf um ein „freies, demokratisches Österreich“ zu er-kennen vermochte, obwohl eine Bestätigung der KPÖ vorlag.50 Am 23. Jän-ner 1976 wandte sich Emilie Lauterbach in einem Schreiben an den Sozial-minister, was die Behörde als Antrag auf Haftentschädigung wertete. Minis-ter Rudolf Häuser antwortete vier Monate späMinis-ter, am 19. Mai: „Da diese Tat nicht aus politischen Motiven erfolgte und auch kein sonstiger politischer Einsatz nachgewiesen werden konnte, mußte Ihr Antrag auf Gewährung von Haftentschädigung abgewiesen werden, da trotz allem menschlichen Mitge-fühl für Ihr damaliges Leid die Bestimmungen des Opferfürsorgegesetzes nicht umgangen werden können.“ Dieser Brief erreichte Emilie Lauterbach jedoch nicht mehr. Sie war am 20. April 1976 verstorben.51

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