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Loyalitäts- und Kontrollfragen

Im Dokument JAHRBUCH 2009 (Seite 119-125)

Nach der Moskauer Deklaration und Klagen Pollaks über weiterhin fehlende Zeichen sozialistischen Widerstands (was der Stellung des LB in der Macht-konstellation des Exils nicht gut tat) begann Wirlandner im Winter 1943/44 höhere Risiken bei der Auswahl von KurierInnen nach Österreich einzuge-hen. Anfang Dezember 1943 bekam Wirlandner über seine Mittelsmänner einen Schweizer Diplomaten namens Trumpe (Deckname „Hill“) als Kurier nach Wien angeboten, der im eidgenössischen Konsulat in Istanbul arbeitete.

Im Zuge der üblichen Überprüfungen stellte sich heraus, dass Trumpe bereits Dienste für MI6 ausgeführt hatte, was Wirlandner in Sicherheit wiegte.41 Trumpe erklärte sich bereit, während einer Dienstreise in die Schweiz gegen gute Bezahlung Kontaktbriefe in Wien abzuliefern. Wirlandner hatte seinen persönlichen Freund und Genossen, den Ottakringer Arbeiter Franz Mehlich („MN.4“), als Empfänger im Auge.42 Die Kontaktaufnahme sollte im Namen des Exil-Gewerkschafters Franz Novy erfolgen. Gedye reagierte zunächst mit Zurückhaltung auf Wirlandners Vorschlag, Trumpe zu nutzen, da ihm bekannt war, dass Trumpe „definitely [was] in contact on one occasion with the Germans“.43 Eine neuerliche Überprüfung durch MI6 reduzierte Gedyes Vorbehalte. Trumpe verließ Istanbul Anfang Jänner 1944. Am 12. Februar kehrte er nach Istanbul zurück und berichtete, Mehlich habe ihm erklärt, bei einem nächsten Besuch eine schriftliche Mitteilung für Novy bereitzuhalten.

Als auch die Auflösung eines Kennworts eintraf, verfassten Wirlandner und Gedye eine Nachricht für Mehlich, um ihn auf den Empfang eines Lebens-mittelpakets mit einem verborgenen Funkgerät, in handelsübliche Fisch-dosen verschweißte Mikroaufnahmen mit Arbeitsanweisungen, Codes und Muster für Propagandamaterial vorzubereiten. Mehlich wurde – entgegen den Tatsachen – versichert, dass das Funkgerät im Eigentum der Partei und ausschließlich für ihre Zwecke verwendet werden sollte. Ihm wurde weiters die Infiltration eines Funkers per Fallschirm angeboten.44 Mitte März brachte Trumpe eine kurze handschriftliche Mitteilung von Mehlich zurück. Darin berichtete er von bestehenden geheimen Organisationen in vielen Fabriken und unter den Eisenbahnern. Man verfüge über einigen Sprengstoff, benötige

41 Situation Report No. I/27, 10. 12. 43. PF Wirlandner 1.

42 Hill and MN.4, PF Wirlandner 2.

43 Ebenda.

44 Lieber F., Februar 1944, PF Wirlandner 1.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 aber noch mehr: „Let us know when to strike, and what we should do […].“45 Wirlandner und Gedye waren von der Echtheit der Botschaft überzeugt, auch Novy in London bestätigte ihre Authentizität.46 Gedye ließ seine Techniker das subversive Paket anfertigen. Trumpe übernahm es und begab sich für 50 Gold-Sovereigns auf eine neuerliche Zugreise nach Wien.

Die gelungene Kontaktaufnahme mit Mehlich euphorisierte die einge-weihten Exil-Sozialisten, zugleich rührte sie zentrale Fragen an, die bislang offenbar in Schwebe geblieben waren. Wer entscheidet über die weitere Vor-gangsweise? Welche Interessen sollen in den Vordergrund gestellt werden?

Die Exil-Sozialisten, allesamt mehr oder weniger Novizen im geheimdienst-lichen Feld, zeigten Nerven. Wirlandner äußerte gegenüber Gedye den Ver-dacht, dass SOE die Parteigenossen im Inland für kurzfristige militärische Zwecke (Sabotage) benutzen könnte, die den langfristigen Interessen der So-zialistInnen nach einer Reorganisation der Partei zuwiderliefen. Er verlangte, Kontaktleute wie Mehlich generell nicht durch Sabotageaufträge zu gefähr-den, und forderte zumindest ein Mitentscheidungsrecht bei der Festlegung von Operationszielen eingeschleuster SOE-Fallschirmagenten, die dieser Kontaktaufnahme folgen könnten. Beides wies Gedye als Anmaßung zu-rück.47

In London trug sich dieselbe Debatte zu. Pollak, Novy und Czernetz wollten gegenüber ihren Inlandsgenossen jeden Eindruck vermeiden, im Auftrag des britischen Geheimdienstes zu arbeiten. Bei einem Gespräch mit Offizieren der X Section versuchten sie vehement, den mühsam errungenen Kontakt für den Wiederaufbau ihrer Partei zu sichern.48 Ronald Thornley war bemüht die Aufregung der Exil-Sozialisten abzukühlen und die weitere Ko-operation zu sichern. Der 34-jährige Chef der X Section wies Gedye an, Mehlich zunächst mit der Bildung von absolut zuverlässigen sozialistischen Zellen zu beauftragen: „Of paramount importance is the reorganisation of the Social Democratic Party. This should be undertaken before anything else.“49 Nach weiteren Beratungen in London stellte Thornley in einer Mitteilung an Gedye dann die Machtverhältnisse klar: „I would like you to point out to A/H259 [Wirlandner] that we have [the renaissance of the Socialist party] so

45 Hill and MN.4, [o. D.], PF Wirlandner 2.

46 Meeting X/GER, Pollak, Novy, Czernetz. From X/GER to X, 14. 4. 44, PF Wirlandner 2.

47 A/H.259. Political Problems. From D/H98 to X, 24. 3. 44, PF Wirlandner 1.

48 From O.P. to Whirlwind, 17. 4. 44, PF Wirlandner 1.

49 Letter No. 834, 2. 4. 1944, PF Wirlandner 1.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 much at heart that we are giving their Party a chance to play a part in the post

war world that, without our help, would certainly not have been theirs. We finance their efforts, enable them to contact their friends ‚inside‘, place the necessary equipment at their disposal.“50

Was Thornley im Gegenzug verlangte, war Loyalität und vorbehaltlose Mitarbeit. Das LB hatte der X Section bislang außer Wirlandner von sich aus keinen einzigen weiteren sozialistischen Aktivisten zur Verfügung gestellt.

Thornley empfahl Pollak & Co. weniger Energie auf den politischen Exil-Kleinkrieg mit Kommunisten und Monarchisten zu verschwenden, sondern sich darauf zu konzentrieren, mit Hilfe von SOE die Partei im Inland vor-anzubringen und zumindest in dieser Hinsicht den Kommunisten den Rang abzulaufen. Thornley versicherte, dass die sozialistischen Kontakte in Ös-terreich nur zum Nutzen der Sozialisten verwendet würden und SOE bereit sei, alle im Exil zur Verfügung gestellten und geeigneten Männer für Infil-trationen auszubilden.51 Thornley verlangte Rekruten, wollten die Exil-So-zialisten bei Operationsplänen mitentscheiden. Damit gestand Thornley den Sozialisten eine eigene „sozialistische“ Infiltrationslinie zu, die etwa von rein paramilitärisch orientierten Infiltrationsversuchen getrennt wurden. Was fehlte, waren Exil-Sozialisten, die diese Einsätze auch durchführten. Bis Juni 1944 kamen zum bislang einzigen weiteren Sozialisten im Agentenpool von SOE, dem Wiener Sozialwissenschafter Theo Neumann, bloß zwei weitere hinzu: der steirische Landarbeitergewerkschafter Hans Hladnik und der jun-ge Journalist Walter Hacker. Wirlandners wiederholt vorjun-getrajun-genen Wunsch, selbst zu Mehlich nach Wien zu fahren oder „blind“ per Fallschirm abge-worfen zu werden, lehnten Gedye und Thornley ab. Sie wollten ihren hoch-wertigen Mitarbeiter in einem derart frühen Stadium einer Operation nicht gefährden.52

Am 22. 4. 1944 kehrte Trumpe von seiner dritten Kurierreise nach Wien zurück und berichtete Gedye persönlich über die erfolgreiche Ablieferung des Funkgeräts bei Mehlich.53 Was Mehlich für die Inbetriebnahme des Sen-ders noch fehlte, waren Signalpläne und Codes. Da Trumpe nach Ägypten versetzt wurde, begann für Gedye neuerlich die mühsame Suche nach Ku-rierInnen. Erst am 7. 7. 1944 reiste über die Vermittlung Trumpes ein

Schwei-50 From X to D/H98, 7. 4. 44, PF Wirlandner 1.

51 Ebenda.

52 Sitrep No.I/60, o.D., PF Wirlandner 1.

53 Hill and MN4, PF Wirlandner 2.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 zer mit einem neuerlichen Paket für Mehlich nach Wien. Anfang August wur-de die erfolgreiche Übernahme wur-des Pakets gemelwur-det.54 Nun begann in den Funkstationen von SOE in Istanbul, Cairo und Süditalien das Warten auf Morsesendungen des Senders „Maus“ in Wien.

Stefan Wirlandner war es neben einer ganzen Reihe vergeblicher Kon-taktversuche in der Zwischenzeit gelungen, eine zweite Linie nach Wien aufzubauen. Unter den Technikern Gedyes befand sich ein Österreicher namens Hochleitner („Thunder“), der u. a. für die Präparierung von Lebens-mittelkonserven zuständig war und zu dem Wirlandner Vertrauen gefasst hatte. Hochleitner lebte in Istanbul mit einer verheirateten Frau griechisch-türkischer Herkunft (Nowak, „Blitz“) zusammen, die von ihm ein Kind erwartete. Im Februar erfuhr Wirlandner, dass Nowak mit einem legalen deutschen Visum nach Wien reisen durfte, um die Scheidung von ihrem ös-terreichischen Mann abzuwickeln und nach ihrer Rückkehr Hochleitner zu heiraten.55 Wirlandner überredete sie, Nachrichten bei Gewerkschaftsführer Johann Böhm und dem Sozialisten Michael Brey abzuliefern.56 Bei ihrer Rückkehr aus Wien Mitte Februar überbrachte sie mündliche Nachrichten von den beiden, die um Vorbereitungszeit baten, jedoch durchaus positiv waren.57 Vor diesem Hintergrund entspannte sich im Mai eine Diskussion da-rüber, ob Wirlandner mit Hans Hladnik, Theo Neumann und dessen Funker Eric Sanders, einem jungen jüdischen Flüchtling aus Wien, mit Hilfe der jugoslawischen Partisanen via Slowenien nach Österreich infiltriert werden könnten.58 Wirlandner drängte vehement und wiederholt auf diese Variante.

SOE-Offiziere arbeiteten in ganz Jugoslawien bereits mit Kommandostäben der PartisanInnen zusammen. Auch Gedye setzte auf eine Kooperation mit den PartisanInnen. Doch aus London kam ein Veto. Die X Section ging wie Pollak – mit einigem Recht – davon aus, dass die tiefe Kluft zwischen den österreichischen Exil-SozialistInnen und den Exil-KommunistInnen eine In-filtration führender SozialistInnen nach Österreich mit Hilfe der PartisanIn-nen verunmöglichte.59 Wirlandner drängte, ihn ziehen zu lassen. Thornley stellte unmissverständlich klar: „We are not persuaded that the Partisan lea-ders would not betray the Socialists to the Gestapo. Not to-day perhaps, nor

54 Ebenda.

55 Complete List,TNA, HS7/146.

56 From D/H98 to X, 30. 5. 44; Schemes, A/H.259 – Blitz, File 222B, PF Wirlandner 1.

57 Schemes, A/H.259 – Blitz, File 222B. PF Wirlandner 1.

58 A/H.259’s penetration scheme, 26. 7. 44. PF Wirlandner 1.

59 From O.P. to Whirl, 19. 6. 44, PF Wirlandner 1.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 tomorrow … but eventually. It is a risk we feel not justified in taking. We may

change our minds but that is the present decision.“60

Thornleys Entscheidung ist vor dem Hintergrund bereits laufender Infil-trationsversuche der SOE-Mission „Clowder“ von Slowenien nach Öster-reich zu sehen, die seit Mai 1944 kaum Fortschritte zu verzeichnen hatte.

Vermutlich ging es auch darum, bestehende Projekte nicht zu kreuzen. Doch die Erfahrung der SOE-Offiziere in Slowenien zeigte, dass die Verbindungen der Partisanen zur nicht-slowenischen Linken in Kärnten im Mai 1944 nach einer Verhaftungswelle zusammengebrochen waren. Ab August 1944 befan-den sich die beibefan-den späteren hochrangigen SPÖ-Funktionäre Erwin Scharf und Fritz Matzner beim Stab der slowenischen Partisanenführung in Črmosnjice. Die Partisanenführung unterließ es, den Kontakt zu den SOE-Offizieren herzustellen. Scharf wie auch Matzner wurden stattdessen „ex-klusiv“ beim Aufbau der „Österreichischen Bataillone“ innerhalb des jugo-slawischen Partisanenheers genutzt. Zugleich befand sich beim Hauptstab der slowenischen Partisanen eine vorgerückte „Basis“ der Exil-KPÖ, die vor Ort u. a. von Franz Honner vertreten wurde. Von dort lotsten die Partisa-nen in Kooperation mit der KPÖ und den Sowjets eine Gruppe von in der Sowjetunion ausgebildeten österreichischen Exil-Kommunisten („Kampf-gruppe Avantgarde Steiermark“) nach Österreich. Im Schatten der alliierten militärischen Kooperation hatte der geheimdienstliche Wettlauf um Präsenz in einem strategisch kritischen Raum bereits begonnen.61

Damit blieb der Techniker Hochleitner als letzte Möglichkeit, von Istanbul aus einen Mitarbeiter nach Österreich zu bringen. Nachdem ihm Wirlandner gefälschte Dokumente für eine Untauglichkeitsmeldung bei der Wehrmacht beschafft hatte, war Hochleitner bereit nach Wien zu fahren.62 Wirlandner und andere SOE-Mitarbeiter schulten Hochleitner einige Wochen lang am Funkgerät, in Sabotage und trainierten den Ablauf seiner Mission.63 Wirlandner nannte Hochleitner als Anlaufstelle in Wien seine ehemalige Freundin und Genossin Gretl Sima. Wenige Tage nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei ließ sich Hochleitner von den Deutschen nach Wien evakuieren.64 Nun begann auch

60 From X to D/H98, 17. 7. 44, PF Wirlandner 1.

61 Genauer dazu: Pirker, SOE und Österreich, S. 360–364, siehe dort auch weitere Literatur.

62 Evasion of Military Service. From D/H98 to MP51, 21. 7. 44, PF Wirlandner 1.

63 Situation Report No. I/59. From D/H98 to X, 22. 7. 44, PF Wirlandner 1.

64 Thunder operation. 17. 8. 44, PF Wirlandner 1.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 das Warten auf das Anschlagen von „Fuchs“. Wirlandner und Gedye hatten damit die zwei ersten Funkgeräte nach Österreich geschleust – das war der bislang wichtigste kommunikationstechnische Fortschritt für die Österreich-Abteilung bei SOE.

Im Juni/Juli 1944 wurden in London die Weichen für Wirlandners weitere Arbeit gestellt. Pollak vereinbarte mit der X Section, eine „Austrian Social Democrat Group“ unter der operativen Leitung von SOE nahe der SOE-Ba-sis in Monopoli zu etablieren. Von dort sollten ab sofort „sozialistische“

Infiltrationsprojekte per Fallschirm und über die italienischen PartisanInnen nach Österreich durchgeführt werden. Wirlandner übernahm die Leitung die-ser Gruppe, zu der Theo Neumann, Hans Hladnik, Walter Hacker, Hermann Faltitschek und Eric Sanders gehörten. Die Gruppe erhielt ein beachtliches Ausmaß an Autonomie in der Planung und Durchführung ihrer Einsätze. Zur Lösung des Personalproblems hatte man eine andere Lösung gefunden: SOE ermöglichte den Exil-Sozialisten selbstständig Österreicher aus britischen Kriegsgefangenenlagern zu rekrutieren.65 Hintergrund dieser intensivierten Kooperation war eine Interessenkongruenz zwischen den antikommunisti-schen Exil-Politikern des London Büro und den OffizierInnen der X Section, die sich verstärkt ab dem Jahr 1944 aus den Akten ablesen lässt.

Bevor Gedye Wirlandner nach Italien entließ, sandte er eine abschließen-de Bewertung seines „collaborators“ an abschließen-den Leiter abschließen-der X Section, Ronald Thornley. Gedye hatte eine regelrechte Lobeshymne verfasst, mit hoffnungs-vollem Blick auf eine Fortsetzung der Kooperation in der Nachkriegszeit, vor allem zur Eindämmung kommunistischen Einflusses in Österreich.

Als Schlüsselfigur war in Gedyes Augen dafür wie kein anderer Stefan Wirlandner geeignet, weil ihn ein illusionsloser, pragmatischer Sinn für In-teressenkonvergenzen auszeichnete:

„He is completely realist and without illusions. He knows that if we stand for [Austrian] independence, it is not from altruistic motives, but because it suits our policy regarding [Germany]. He realises equally clearly that if he has worn [british] uniform and been financed by us, it is because this contributes towards his own policy – an independent and [socialist Austria]; in other words he gives us loyal collaboration and trusts us because he knows that our interests – at least until the final overthrow of the enemy – march with his. If his political hopes

65 Vgl. zu diesen Einsätzen: Pirker, SOE und Österreich, S. 367–369.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 are realised, and if he survives, I predict that our little A/H.259 will go

far […] And we shall have a valuable friend in him.“66

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