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Agent und „agent complex“ im Nachkriegsösterreich

Im Dokument JAHRBUCH 2009 (Seite 129-134)

Stefan Wirlandner stand bis Dezember 1945 im Dienst von SOE und koope-rierte ebenfalls eng mit dem US-Geheimdienst OSS.90 Im Dezember wurde Wirlandner nach London zur Demobilisierung abberufen.91 Im Jänner 1946 kehrte er, von seinen bisherigen Diensten entbunden, wieder nach Wien zu-rück.

Zwischen Mai und November 1945 lieferten Wirlandner, Theo Neumann und Walter Hacker SOE, dem Foreign Office und dem sozialistischen Exil eine ganze Reihe von umfangreichen und allseits als sehr wertvoll erachteten Berichten über die Provisorische Regierung Renner, die Reorganisation der politischen Parteien und Gewerkschaften, politische und wirtschaftliche Vor-gänge in Österreich. Es ist evident, dass Wirlandner Gedyes Erwartungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit vollauf erfüllte. Neben seinen

Verbin-87 Ebenda.

88 Vgl. Albu / Weisz, Spitzel, S. 181.

89 Detailed interrogation report on Johann Sanitzer, July 1945, TNA KV 2/2556; vgl. Luža, Widerstand, S. 250; Hans Maršálek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, Linz 1995, S. 246.

90 Directive for Operation „Bobby“, [o. D.], PF Wirlandner 2. Bei der OSS-Quelle „Halifax“

dürfte es sich um Wirlandner gehandelt haben. From Vienna to OSS, 17. 9. 45, NARA, RG226 Entry210/Box469/Folder1.

91 J. H. Darton an Foreign Office, 14. 12. 1945, PF Wirlandner 2.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 dungs- und Berichtstätigkeiten hatte Wirlandner ab Sommer 1945 am Wie-deraufbau der Wiener Arbeiterkammer großen Anteil.92 Er stand in dieser Zeit zwar noch formal im Dienste der Briten, praktisch konnte er aber weit-gehend nach eigenem Gutdünken agieren. Er kann für diese frühe Phase ne-ben Walter Wodak, Ernst Lemberger und auch Theo Neumann als wichtige Scharnierstelle der Sozialdemokratie zu den westlichen Demokratien gel-ten.93 Er selbst beschrieb seine Mittlerfunktion so: „Durch mein Verhalten in der Zeit nach dem Februar 1934 hatte ich mir das uneingeschränkte Ver-trauen der Gewerkschaftsführer, insbesondere des Genossen Böhm gesichert.

Meine Englischkenntnisse waren gut genug, um als Verbindungsmann zwi-schen den Arbeitnehmerorganisationen und den maßgeblichen britizwi-schen und amerikanischen Stellen zu fungieren. Von dieser Seite wurde ich aber wieder deshalb fast rückhaltlos akzeptiert, weil ich als Angehöriger der britischen Armee meine Einsatzbereitwilligkeit gegen das nazistische Regime unter Beweis gestellt hatte. Ich konnte also auf beiden Seiten vermittelnd und er-klärend wirken.“94 Die Hoffnungen auf eine politische Karriere versagte ihm die eigene Partei – Wirlandner fand in der SPÖ nicht den nötigen Rückhalt für ein politisches Mandat.95 In diesem Sinne war er tatsächlich auf die Rolle eines Agenten verwiesen, wenn man versteht, dass „der Agent seine Wirk-samkeit nicht als Entscheidungsinstanz, sondern als Medium entfaltet“ und als Kommunikator und Übersetzer wirkt.96 Wirlandner zog sich auf die Ex-pertenebene zurück.

Über seine Kooperation mit SOE schwieg sich Wirlandner zeit seines Le-bens selbst gegenüber engen beruflichen und politischen Weggefährten aus, auf Nachfragen reagierte er nicht. Heinz Kienzl meint, er habe „sich in dem Zusammenhang benommen, als wie wenn er weiterhin im Geheimdienst wäre“.97 Gegenüber der zeitgeschichtlichen Forschung in den 1960er und

92 Wirlandner, Erinnerungen, S. 142; Susanne Kirchner / Fritz Weber (Hrsg.), Die ersten 10 Jahre ... Der gesellschafts- und wirtschaftspolitische Diskurs in der Besatzungszeit, S. 119–123.

93 Vgl. Kuschey, Wodaks. Theo Neumann fungierte zwischen 1950 und 1956 als Arbeits- und Wirtschaftsexperte für das Marshall-Plan-Büro an der US-Botschaft in Wien, der er bis 1965 als Mitarbeiter verbunden blieb. American Embassy Austria, 24. 6. 1965, Nachlass Theo Neumann, privat.

94 Wirlandner, Erinnerungen, S. 152.

95 Ebenda.

96 Eva Horn, Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion, Frankfurt/M. 2007, S. 211.

97 Telefonat mit Heinz Kienzl, 5. 2. 2007.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 70er Jahren verhielt sich Wirlandner ebenso schweigsam – obwohl er neben

Ernst Lemberger als aktivster Widerständler aus dem sozialistischen Exil her-aus gelten muss.

Innerhalb seiner Familie erzählte Wirlandner gelegentlich anekdotenhaft und durchaus mit Stolz von Fallschirmabsprüngen und anderen abenteuer-lichen Erlebnissen beim „englischen Geheimdienst“, ohne nähere Zusam-menhänge zu schildern. Er vermittelte seiner Tochter Susi Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre, diese Geschichten nicht nach außen zu tragen: „[...]

der Schwerpunkt war sicher bei Istanbul oder bei diesen Sachen und so ein gewisser Stolz, dass er halt etwas getan hat, zu einer Zeit, wo viele nichts getan haben und das hat mich auch eigentlich mit Stolz erfüllt, es war so eine Mischung zwischen Stolz und ja nichts weitersagen dürfen“.98 Familienin-tern war der Nationalsozialismus aus einem anderen – wohl schwerwiegen-deren Grund – eine Tabuzone. Wirlandners Ehefrau Elisabeth hatte ihre ge-samte Familie in der Shoah verloren. Sie ertrug es nicht, dass in ihrer Gegen-wart über den Nationalsozialismus gesprochen wurde.99

Die Gründe für Wirlandners langes und konsequentes außerfamiliäres Schweigen dürften vielfältig sein. Zunächst hatte er sich beim Eintritt in den Dienst bei SOE wie alle SOE-Mitarbeiter verpflichtet, über seine Tätigkeit nach der Entlassung Geheimhaltung zu bewahren. Diese Erklärung hinderte viele SOE-Mitarbeiter in verschiedenen Ländern Europas allerdings nicht daran, nach der Auflösung der Organisation im Jahr 1946 über ihre Einsätze zu berichten. Im Falle Wirlandners hat gewiss die enge Kooperation mit Gedye und der negative Verlauf der Infiltrationsversuche eine wichtige Rolle gespielt. Sein Naheverhältnis zu westlichen Nachrichtendiensten dürfte sich nach 1945 nicht geändert haben. Gedye arbeitete Mitte der 1950er Jahre etwa als „Head of Evaluation“ des antikommunistischen CIA-Radios „Radio Free Europe/Radio Freies Europa“.100 Wirlandner und Gedye blieben persönlich eng befreundet,101 ob sich diese Freundschaft auch auf eine weitere geheim-dienstliche Kooperation erstreckt hat, darüber kann hier nicht spekuliert wer-den.102

98 Interview mit Susi Wirlandner, 23. 1. 2007.

99 Ebenda.

100 GERG 30, IWM The Gedye Papers.

101 Interview mit Robin Gedye, 19. 11. 2007; Interview mit Susi Wirlandner, 23. 1. 2007.

102 Einem Konzept von SOE folgend begannen der CIA und MI6 in den späten 1940er Jahren in Westeuropa „Stay-behind“-Gruppen und Waffenlager für den Widerstand gegen eine mög-liche Invasion der Sowjetunion anzulegen. In Österreich dürfte der Gewerkschafter Franz

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 Im Falle Wirlandners haben wohl auch politische Gründe eine Rolle ge-spielt. Die Arbeit mit westlichen Nachrichtendiensten wurde von den Exil-SozialistInnen erst nach langem Zögern, heftigen inneren Konflikten und mit sehr gemischten Gefühlen eingegangen. Die Unsicherheit entsprang neben einer zunächst grundsätzlich politisch reservierten Haltung gegenüber einer Kooperation mit dem Westen schließlich der Antizipation von negativen Nachkriegsreaktionen unter den zum allergrößten Teil im Inland verbliebe-nen GenossInverbliebe-nen. Tatsächlich entspannte sich in der österreichischen Nach-kriegspolitik ein regelrechter Wettlauf im Beschuldigen inner- und außer-parteilicher Gegner, „Agent“ und als solcher von „außerösterreichischen“ In-teressen gekauft und gelenkt zu sein – durchaus mit Bezug auf die Kriegszeit.

Dieses Bild vom Agenten entsprach tatsächlich dem von Gedye 1943 an Wirlandner entdeckten „agent complex“, in dem die Bezahlung und der Sold eine zentrale Rolle spielen. Die Metapher des Agenten wurde etwa in kom-munistisch regierten Nachkriegsländern wie Slowenien politisch verwendet, um liberale Widerstandskämpfer zu diskreditieren und ihre Verfolgung zu rechtfertigen.103 In der österreichischen Nachkriegsgesellschaft mit ihrer schwach ausgeprägten österreichischen Identität entwickelte sich der „Agen-ten“-Vorwurf, verklausuliert oft in einer „Emigranten“-Variante vorgetragen, im beginnenden Kalten Krieg zu einer allseits beliebten politischen Vokabel im symbolischen Kampf darum, wer und welche Partei nun „echt“ und „rein“

österreichisch sei.104

Innerhalb mancher Verbände ehemaliger WiderstandskämpferInnen wur-de das Ressentiment gegen ExilantInnen in wur-den Reihen wur-der Alliierten eben-falls gepflegt. Im Organ des ÖVP-Bundes österreichischer Freiheitskämpfer schrieb ein Autor, „es missfalle [ihm], daß Leute, die als Söldlinge im Aus-land gekämpft haben, jetzt als österreichische Freiheitskämpfer präsentiert

Olah eine wichtige Rolle dabei gespielt haben. Arnold Kopeczek, Die amerikanischen Waf-fenlager, die „Einsatzgruppe Olah“ und die Staatspolizei im Kalten Krieg der frühen fünf-ziger Jahre, in: Erwin A. Schmidl (Hrsg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945–1958.

Wien 2000, S. 101–117. Daniele Ganser, NATO-Geheimarmeen in Europa, Zürich 2008, S. 80 f.

103 Gorazd Bajc, „Plačanci – Agenti/Špijoni Zahoda“, in: Acta Histriae, 1/2007, S. 261–276.

104 Vgl. den Fall Bumballa: Oliver Rathkolb, Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2005, Wien 2005, S. 309; zum Fall Dobretsberger: Peter Autengruber, Univ.-Prof. Dr. Josef Dobretsberger – Vom Bundesministerium für soziale Verwaltung zum Obmann der Demo-kratischen Union, in: DÖW-Jahrbuch, Wien 1996, S. 172–203, hier 197 ff. Diese Feststel-lung kann weiters durch eine Analyse österreichischer Nachkriegszeitungen belegt werden, wofür hier der Platz fehlt.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 werden“.105 Auch die Repräsentation des Widerstandes innerhalb der politi-schen Klasse wurde zu einem Feld, in dem um das „echte“ Österreichertum gestritten wurde, galten der Widerstand und die Opfer der politischen Ver-folgung doch zunächst in Abgrenzung zu den „deutschen Tätern“ als Hort und Ausdruck opferreichen und unbefleckten Patriotismus. Geldflüsse von den Alliierten wurde offenbar das Potential zugedacht, die Reinheit des Wi-derstandes zu beflecken, ein Gedanke, der sich ausgesprochen lange hielt.106 Wirlandners Kooperation mit SOE war von einer Interessenkongruenz getragen, die sich zuletzt auf beiden Seiten darauf verdichtete, eine befürch-tete Macht der KPÖ in der Nachkriegszeit einzudämmen. Erfolg in seiner tatsächlichen Agenten-Rolle als Übersetzer, Vermittler und Ermöglicher zwi-schen Exil, Inlandsgenossen und SOE hatte Wirlandner in der unmittelbaren Nachkriegszeit – darüber liegen zumindest Akten und Zeugnisse vor.

105 Zit. n.: Wo sind die Freiheitskämpfer?, in: Mitteilungsblatt des Verbandes österreichischer antifaschistischer Freiheitskämpfer, August 1948, S. 1–3.

106 Vgl. Siegfried Beer, Laßt die Dokumente sprechen ... Replik auf Fritz Molden, www.contextxxi.at/context/content/view/77/28/.

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