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Deserteursbilder: Die Frühphase

Im Dokument JAHRBUCH 2009 (Seite 40-44)

In der unmittelbaren Nachkriegszeit war es noch keine ausgemachte Sache, dass österreichische Wehrmachtssoldaten im Weltkrieg „heldenhaft ihre

19 Sofern nicht ausdrücklich anders vermerkt, stammen die Angaben aus Metzler, „Soldaten, die einfach nicht im Gleichschritt marschiert sind …“, S. 494–602, insbes. 594–596.

20 Deutsches Bundesarchiv, ehemalige Zentralnachweisstelle Kornelimünster, Meldung des II. Gren.-Rgt. 985, 31. 10. 1944.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 Pflicht erfüllt“ und „die Heimat verteidigt“ hatten. Im Jänner 1946 erklärte

der österreichische Staatsanwalt Theodor Mayer-Maly im Rahmen eines Pro-zesses gegen die Denunzianten eines erschossenen Deserteurs: „Die alliierten Großmächte haben in Moskau und Jalta die Befreiung Österreichs deklariert und alle Österreicher aufgefordert, an der Befreiung ihres Vaterlandes mitzu-arbeiten. Ein Deserteur der deutschen Wehrmacht war daher kein ‚Fahnen-flüchtiger‘, sondern ein Österreicher, der sich weigerte, gegen sein Vaterland für fremde Interessen zu kämpfen. Wer ihn verraten hat, hat damit auch Österreich verraten; er ist ein Kriegsverbrecher, den wir nach dem Gesetz bestrafen werden.“21

Die Alliierten hatten noch während des Kriegs immer wieder betont, dass die Desertion als Akt des Widerstands im Sinne der Moskauer Deklaration vom November 1943 zu betrachten sei: „Der Text [der Moskauer Deklara-tion] war auf jedem Passierschein gedruckt, der deutsche Soldaten dazu ani-mieren sollte, zu desertieren“, referierte der Historiker Stefan Karner anläss-lich der Gedenktagung zum österreichischen Widerstand im Parlament am 18. Jänner 2005.22

Noch im 1946 erschienenen, vom Außenministerium in Auftrag gegebe-nen „Rot-Weiß-Rot-Buch“23, einer kaum verhohlenen Propagandadarstel-lung, in der es ganz explizit darum ging, „Schicksal und Haltung Österreichs während der zwölfjährigen Dauer des Dritten Reiches darzustellen und seinen Anspruch auf den Status und die Behandlung als ‚befreiter Staat‘ im Sinne der Moskauer Deklaration zu begründen“24, und in dem daher vor allem auf „Österreichs Widerstand und Anteil an der Befreiung“ fokussiert wurde, wurde die Rolle der Deserteure durchaus positiv beschrieben. So be-tonte eine nicht näher genannte „militärische Quelle“, dass sich „viele öster-reichische Deserteure zu den bewaffneten Widerstandstruppen in Frankreich, Jugoslawien, Dänemark und in den Ostgebieten [schlugen]; ihre Mitwirkung wurde von diesen Organisationen vielfach lobend hervorgehoben“.25 Ein ös-terreichischer Staatsangehöriger F. R., Oberleutnant des französischen

Ge-21 Butterweck, Verurteilt, S. 99 f.

22 Zit. n. Martin Sattler / Patrick Minar, „Die Dinge darstellen, wie sie sind!“, in: Academia 56 (2005) 1, S. 13–15, hier 14.

23 Rot-Weiß-Rot-Buch. Darstellungen, Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichte und Ge-schichte der Okkupation Österreichs (nach amtlichen Quellen). 1. Teil, Wien 1946.

24 Ebenda, S. 3.

25 Ebenda, S. 155.

www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 neralstabs, wies auf die „zahlreichen österreichischen Deserteure aus der deutschen Armee“ hin, die „aktiv mit der Waffe in der Hand an der Befreiung Frankreichs teilnahmen“,26 und ein weiterer Protagonist des militärischen Widerstands berichtete von einem Geheimbefehl der Heeresgruppe Süd vom März 1945, dem zufolge Wehrmachtangehörige aus den „Donau- und Alpen-gauen“ speziell zu überwachen seien, da sie zur Fahnenflucht neigten und sich dies nicht einmal durch „Androhung von Vergeltungsmaßnahmen ge-gen die Familienangehörige-gen des Deserteurs unterbinden“ ließe.27 Dieser Geheimbefehl habe sich „gegen die Zauderer und Zögerer unter den öster-reichischen Soldaten [gerichtet], die trotz ihrer latenten Empörung den Schritt noch nicht gewagt hatten, der sie aus der sechsjährigen Sklaverei der Hitlerarmee geführt hätte“.28

Diese Ansicht von der Desertion als Patriotenpflicht und als Akt des Widerstands teilte das „Rot-Weiß-Rot-Buch“ allerdings nicht mit der Mehr-heit der österreichischen Bevölkerung. Richard Wadani wurde schon Anfang 1946, kurz nach seiner Rückkehr nach Österreich, mit den hiesigen Reali-täten konfrontiert: „Und in Wien begann dann das normale Leben, wie man so sagt, der Kampf ums Überleben. Arbeiten, schauen, dass man wo unter-kommt. Wohnung haben wir keine gehabt. Und hätten wir auch gar nicht bekommen, weil in dem Augenblick, wenn ich irgendwo am Amt war – ich hab am Anfang noch die [britische] Uniform getragen, aber nicht mehr mit den Aufschriften, sondern nur die Uniform –, war ich sozusagen schon ge-brandmarkt: ‚Wie kommen Sie dazu, in einer fremden Armee zu dienen?‘

und lauter so Sachen.“29

Die Deserteure verschwanden rasch aus der öffentlichen Wahrnehmung.

Dafür waren wohl mehrere Umstände verantwortlich, die einander beein-flussten. Zum einen hatten die sieben Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich das Bild des Deserteurs als „Psychopath“, „Volks-schädling“ oder „Asozialer“ verfestigt30 – sich nach 1945 zur Fahnenflucht

26 Ebenda, S. 166.

27 Ebenda, S. 167.

28 Ebenda.

29 Interview mit Richard Wadani, geführt von Maria Fritsche und Hannes Metzler, 9. 12. 1998.

30 Vgl. dazu die Ausführungen Erich Schwinges, des einflussreichsten Kommentators des Militärstrafgesetzbuches: „Erfahrungsgemäß rekrutieren sich die Fahnenflüchtigen zum größten Teile aus psychopathischen Minderwertigen, deren Anteil an der Gesamtzahl der Verurteilten sich nach ärztlichen Schätzungen zwischen 50 bis 90 v. H. bewegt. Das

Haupt-www.doew.at – Jahrbuch 2009 www.doew.at – Jahrbuch 2009 zu bekennen bedurfte daher großen persönlichen Mutes und war ein Affront

gegen gesellschaftliche Konventionen. Zum anderen ging es den österreichi-schen Parteien nach 1945 auch um die soziale und politische Reintegration ehemaliger Soldaten; schon in seiner Regierungserklärung vom 27. April 1945 hatte Karl Renner die Mitläufer beruhigt: „Jene freilich, die nur aus Willensschwäche, infolge ihrer wirtschaftlichen Lage, aus zwingenden öf-fentlichen Rücksichten wider innere Überzeugung und ohne an den Verbre-chen der Faschisten teilzuhaben mitgegangen sind, sollen in die Gemein-schaft des Volkes zurückkehren und haben somit nichts zu befürchten.“31 Und schließlich geriet die Darstellung des Widerstands gegen den Natio-nalsozialismus schon bald nach Kriegsende zugunsten der erfolgreichen, in der Moskauer Deklaration grundgelegten „Opferthese“ ins Hintertreffen. In diese umfassende Opferkonstruktion ließen sich trefflich auch jene Hundert-tausende Männer integrieren, die zwar nicht desertiert waren, aber immerhin in der Wehrmacht „zu dienen gezwungen“ waren.32 Es ist wenig verwunder-lich, dass sich dieses vergangenheitspolitische Narrativ schließlich durch-setzte – zu reizvoll waren die Verheißungen der damit einhergehenden Kol-lektivunschuld, und zu groß war die Personengruppe, die von dieser Ge-schichtsauffassung unmittelbar profitierte. Für die Deserteure galt dasselbe, was Ernst Hanisch für den antifaschistischen Widerstand festgestellt hat:

„Tatsächlich konnte nur einer Recht haben: entweder der Soldat der deut-schen Wehrmacht oder der Mann und die Frau des Widerstands.“33 Um die Erzählung der Mehrheit zu kanonisieren, mussten die Deserteure also ver-schwinden.

kontingent stellen die Gruppen der Stimmungslabilen und Willensschwachen (Haltlosen), daneben spielen auch die Hysterischen und Phantasten eine Rolle.“ (Militärstrafgesetzbuch nebst Kriegssonderstrafrechtsverordnung. Erläutert von Erich Schwinge, Berlin 1943, S. 174.)

31 BGBl. Nr. 3/1945, 1. 5. 1945.

32 Erläuterungen zur ersten Fassung des Kriegsopferversorgungsgesetzes, zit. n. Günther Sandner / Walter Manoschek, Die Krieger als Opfer. Das Kriegsopferversorgungsgesetz (KOVG) in den Debatten des österreichischen Minister- und Nationalrates und in öster-reichischen Printmedien, in: Hannes Heer u. a. (Hrsg.), Wie Geschichte gemacht wird.

Zur Konstruktion von Erinnerungen an Wehrmacht und Zweiten Weltkrieg, Wien 2003, S. 109–144, hier 109.

33 Ernst Hanisch, Die Präsenz des Dritten Reiches in der Zweiten Republik, in: Wolfgang Kos / Georg Rigele (Hrsg.), Inventur 45/55. Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Re-publik, Wien 1996, S. 33–50, hier 45.

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