• Keine Ergebnisse gefunden

Verbindung von Alphornmusik und Jodel durch den Eidgenössischen Jodlerverband

Während die Zahl der aktiven Alphornbläserinnen und Alphornbläser sowie Jodlerinnen und Jodler im 19. Jahrhundert in der Schweiz relativ gering blieb, vergrösserte sie sich im 20. Jahrhundert kontinuierlich. Dazu trug insbesondere der Eidgenössische Jodlerverband (EJV) bei, der bis heute bestrebt ist, schweizerisches Brauchtum wie Jodeln, Alphornblasen und Fahnenschwingen zu erhalten und zu pflegen. Diese Bemühungen des EJV waren und sind entscheidend für die heute florierende Jodel- und Alphornlandschaft in der Schweiz. Der 1910 gegründete Eidgenössische Jodlerverband1 setzt sich aus fünf regionalen Unterverbänden zusammen und zählte im Jahr 2018 über 20 000 eingetragene Mitglieder (EJV [Hg.] 2018: 21).

Bereits in der Gründungszeit des EJV wird die Vernetzung von Jodel und Alphorn gefördert, insbesondere durch das Engagement des passionierten Jodlers und Schöpfers von Jodelliedern Oskar Friedrich Schmalz (1881–1960). Im Lexikon der Eidgenössischen Jodlerdirigenten- und Komponisten-Vereinigung (ejdkv.ch) steht: «Tatsächlich muss Oskar Friedrich Schmalz in der umfassenden Bedeutung des Wortes als ‹Jodlervater› bezeichnet werden» (ejdkv 2007: o. S.). Schmalz grün-dete zusammen mit seinem Bruder Franz, den Schwingern Hans Stucki, Gottlieb Schild und Ernst Bieri ein Jodlerquintett, mit dem er am Unspunnenfest von 1905 teilnahm (EJV/BKJV [Hg.] 1951: 16). Fünf Jahre später machte Schmalz eine Er-fahrung, die ihn dazu bewog, sich für das Jodellied einzusetzen und Schritte gegen die Vernachlässigung des Schweizer Volksgesangs zu unternehmen. Bei einem Ausflug auf den Napf traf Schmalz auf Berner Schüler, die er bat, ein Heimatlied zu singen. Die Schüler sangen daraufhin das Lied «An der Saale hellem Strande, stehen Burgen stolz und kühn» (EJV/BKJV 1951: 19) des deutschen Historikers Franz Theodor Kugler (1808–1858). Schmalz war enttäuscht, dass die Schüler die Lieder aus ihrer Region nicht singen konnten.

Schmalz verschickte eine Einladung zur Gründung einer schweizerischen Jodlervereinigung an Gleichgesinnte, die dazu führte, dass sich am 8. Mai 1910

«eine Schar von 64 Jodlern» und einige Alphornbläser zur Gründung einfanden und dem neu gewählten Vorstand die Aufgabe übertrugen, «die ersten Satzungen mit Einschluss der Alphornbläser vorzubereiten» (EJV/BKJV 1951: 19). Als Ziel der Vereinigung nannte Schmalz unter anderem die «Förderung unserer natio-nalen Eigentümlichkeiten des Jodelns im Einzeln und im Liede, sowie auch im Alphornblasen» (Schmalz/Krenger 1913: 13). Zum ersten Mal wurden Jodeln

1 Der Verband wird 1910 unter dem Namen «Schweizerische Jodlervereinigung» gegründet und 1932 in «Eidgenössischer Jodlerverband» umbenannt.

144

und Alphornblasen im gleichen Verband gepflegt und die Mitglieder konnten sich über ihre Musik austauschen. Für das Miteinbeziehen der Alphornbläser stützte sich Schmalz auf seinen Kollegen Krenger, der damals das Alphorn im Verschwinden begriffen sah:

Leider ist nicht zu bestreiten, dass in heutiger Zeit das Alphorn in unserm Land zu verschwinden droht. Der Kampf, der vor Jahren gegen die lästige Unsitte des Bettelblasens an viel besuchten Touristenplätzen und Alpenpässen eingesetzt hat, ist heute wohl beinahe überall erfolgreich beendet. Aber damit ist auch die Kunst des Alphornblasens leider sehr zurückgegangen. (Krenger 1921: 5)

Um die Belebung des Alphorns und des Jodels in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun-derts zu unterstützen, gab Schmalz in den Jahren 1913 bis 1931 insgesamt sieben Bände mit Jodelliedern unter dem Titel Bi üs im Bärnerland heraus. Krenger wirkte an mehreren Bänden als Komponist mit und profilierte sich zusätzlich durch seine Publikationen zum Alphorn (Krenger 1921, 1924). Die Zusammenarbeit der Jodel- und Alphornexperten Schmalz und Krenger legt eine Verschränkung von Alphorn- und Jodelmusik nahe, was sich an der Komposition Alphornruf aus dem Jahr 1918 aufzeigen lässt, zu der Schmalz die Jodelmelodien und Krenger den Chorsatz schrieb. (Abb. 40)

Das Stück beginnt mit einem kurzen, das Alphorn imitierenden solistischen Jodel, basierend auf Dreiklangsmotiven, die, übertragen auf das Alphorn, dem Abb. 40: Die ersten fünf Takte aus dem Jodellied Alphornruf

(Sch-malz/Krenger 1918: 26).

zurück

3., 4., und 5. Naturton (oktaviert) entsprechen und legato ausgeführt werden.

Zweifellos wird hier eine Angleichung an den Klang und die Phrasierung des Alphorns beabsichtigt. Der kurze Alphornruf in der Jodelstimme endet auf einer langen Schlussnote, die den Ton an- und abschwellen lässt und als eine weitere Bezugnahme auf die Tongebung des Alphorns zu verstehen ist. Nach der vier-stimmigen Strophe folgt ein Jodel mit der Angabe «Jodelstimme. (Alphorn.)»

(Schmalz/Krenger 1918: 28). (Abb. 41)

Über dem vierstimmigen Chorsatz bewegt sich eine hohe, wiederum das Alp-horn imitierende Jodelstimme. Sie könnte vollständig auf dem AlpAlp-horn geblasen werden, da sie nur auf dem Tonmaterial der Skala vom 5. bis zum 8. Naturton beruht (die Notation muss für das Alphorn eine Oktave tiefer gelesen werden).

Schmalz und Krenger strebten eine Verbindung von Alphornmusik und Jodel an, was sich in ihren Kompositionen sowie durch ihre Wertschätzung von Hu-bers Schaffen ausdrückt. Mehrere von HuHu-bers Jodelliedern wurden von Schmalz

Abb. 41: Jodel aus dem Jodellied Alphornruf (Schmalz/Krenger 1918: 28).

146

und Krenger wiederveröffentlicht oder neu vertont. Das mit einer Alphornweise beginnende Jodellied Meh dass äbbe beispielsweise publizierten Schmalz und Krenger 1913 mit einer neuen Melodie unter dem Titel Wie baas isch mir da obe im ersten Band ihrer Volks- und Jodelliedsammlung Bi üs im Bärnerland. In seinem Begleittext zu dieser Sammlung schreibt Schmalz über Huber, dass ihm

«viel zu verdanken» sei, was «die musikalischen Verbesserungen in den letzten Ausgaben» der Sammlungen von Schweizer Kühreihen und Volksliedern betrifft (Schmalz/Krenger 1913: 6). Beim Jodellied Was heimelig syg, das auch 1913 im ersten Band von Bi üs im Bärnerland erschien, geben Krenger und Schmalz an, dass die Melodie von Huber stamme. (Abb. 42)

Das von Huber komponierte Lied erschien in der Kuhreihensammlung 1826 mit der gleichen Melodie (Wyss 1826a: 42). Der Beginn in der Sopran-stimme zeigt eine charakteristische Alphornmelodie, die in der notierten Form auf dem Instrument gespielt werden kann (vgl. Abb. 42, Takte 1–4). Nicht nur ihre Kompositionen verbinden Schmalz und Krenger mit Huber, auch ihre Aktivitäten für die Förderung des Alphorns und des Jodelns zeigen in verschie-denen Punkten Parallelen zu jenen Hubers. Schmalz setzte sich elf Jahre nach Abb. 42: Erste sechs Takte des Jodellieds Was heimelig syg

(Schmalz/Krenger 1913: 41)

zurück

der Gründung des EJV intensiv für die Belebung des Alphorns im Emmental und im Berner Oberland ein. Dazu gründete er zusammen mit Freunden die erste Alphornkommission des Emmentals (EJV/BKJV [Hg.] 1951: 32). Genauso wie Franz Niklaus König zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Geldsammlung organisiert hatte, um Alphornkurse durchführen zu können, sammelte auch Schmalz hierzu Spenden. Der Hauptsponsor Bruno Kaiser (1877–1941) schrieb am 21. Januar 1921:

Der hochgeschätzte Sänger und verdienstvolle Komponist Oskar Schmalz hat mir heute von seinem Wunsche und Bestreben, das Alphornspiel vor dem Untergang zu retten, Kenntnis gegeben: Da ich absolutes Vertrauen in das selbstlose Schaffen von Herrn Schmalz habe, übergebe ich ihm hiermit Fr. 3000.– (dreitausend) als Grundstock zur Verwirklichung seines Planes. Die Hälfte des Betrages soll zur Anschaffung von Alphörnern, die andere Hälfte zur Abhaltung von Unterrichtskursen dienen. (Kaiser, zit. nach EJV/BKJV 1951: 35)

Am 8. Oktober 1921 fand schliesslich unter der Leitung Krengers der erste Alp-hornkurs im emmentalischen Trub mit zwölf jungen Männern statt, an welche die Alphörner gratis verteilt wurden (Krenger 1924: 179). Der Kurs war pädagogisch erfolgreich, «[m]ehrere von den Kursteilnehmern zeigten ziemlich rasch eine anerkennenswerte Fertigkeit im Blasen» (Krenger 1924: 180). Im darauffolgen-den Jahr wurde wiederum ein Alphornkurs durchgeführt. «Zu darauffolgen-den zehn im Jahr 1921 verteilten neuen Hörnern kamen […] weitere zur Verteilung, so dass […]

im Emmental über zwanzig Instrumente im Gebrauch» standen (Krenger 1924:

180). Auch Krenger selbst erkannte Parallelen zwischen seinen und Hubers Be-mühungen, ein Verschwinden des Alphorns zu verhindern:

Es ist aber auch bekannt, dass vor bald hundert Jahren die gleiche Erscheinung zu Tage trat, und dass auf Veranlassung eines Landammanns von Müllinen im Jahre 1826 der als Liederkomponist noch heute bekannte Ferdinand Huber, Musiklehrer am Fellenberginstitute auf Hofwil, erfolgreiche Versuche veranstaltete, dieser Er-scheinung entgegenzutreten. (Krenger 1924: 178)

Des Weiteren empfand Krenger das Fehlen von Hubers Übungsmelodien als beklagenswert und umso «mehr zu bedauern, als gewiss manche Melodie Hubers der dauernden Erhaltung würdig gewesen wäre» (Krenger 1924: 178). Krenger veröffentlichte 1921 ein erstes Übungsheft für Alphornbläser mit dem Zweck,

«angehenden Alphornbläsern als kurze Anleitung zur Erlernung des Alphorn-blasens zu dienen» (Krenger 1921: 6). Einerseits publizierte Krenger zum ersten Mal Alphornmelodien und Übungshefte für das Instrument, andererseits setzten sich die beiden Freunde für die Entwicklung des Jodellieds ein.

Die Imitation des Alphorns durch die Vokalstimme, wie sie bei Schmalz und Krenger vorkommt, machte zu Beginn des 20. Jahrhunderts Schule. Sie blieb indes nicht auf Jodellieder beschränkt, sondern wurde ebenso in anderen Kompositionen verwendet, die auf einer Naturtonmelodie aufbauen. In seiner Komposition Alphorntön’ aus dem Jahr 1902, die in der für Alphornmusik und Jodel typischen Tonart F-Dur steht, lässt der Gesangslehrer und Komponist

148

Fritz Schneeberger (1843–1906) beispielsweise die erste Sopranstimme das Ton-material des Alphorns nachahmen. (Abb. 43)

Die Sopranstimme wäre auf dem Alphorn in der Tonlage zwischen dem 6. und dem 13. Naturton spielbar. Auch die tiefste Stimme ahmt Tonstufen des Alphorns nach, die auf der Naturtonreihe den Tonumfang vom 6. bis 12. oder auf einem halb so langen Alphorn den 3. bis 6. Naturton umfassen würden. Ähnlich wie in den besprochenen Kompositionen von Schmalz und Krenger werden die Klänge des Blasinstruments im Freien imitiert und der Schlusston soll «verhal-lend» gesungen werden (Schneeberger 1902: 3).

Fazit

Die Zusammenarbeit der Jodelkomponisten und Alphornliebhaber Schmalz und Krenger bestätigt die Allianz zwischen Jodel und Alphornmusik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: «Da Jodeln und Alphornblasen von jeher zusam-mengehörten, ist es nicht verwunderlich, dass gerade diese beiden Männer sich für die Wiedereinführung des Alphorns einsetzten» (Stuker [Hg.] 1960: 127).

Die Aktivitäten Schmalz’ und Krengers konzentrierten sich hauptsächlich auf das Berner Oberland: Ihre Gesangsbücherreihe Bi us im Bärnerland richteten Abb. 43: Refrain des Liedes Alphorntön’ (Schneeberger 1902: 3).

zurück

sie auf das Bernbiet aus und mit ihren Alphornkursen förderten sie gezielt das Alphornspiel im Emmental und im Berner Oberland (Stuker [Hg.] 1960: 127).

Entsprechend existiert aus keiner anderen Schweizer «Jodelgegend» eine ver-gleichbar grosse Anzahl von publizierten Jodelliedern, was sich wiederum auf die Entwicklung des Berner Jodels in den letzten hundert Jahren auswirkte. Schmalz und Krenger beabsichtigten, das Schweizerische in den Volksliedern und Jodel-liedern zu betonen, um sie von den damals gängigen Tiroler VolksJodel-liedern mit Jodelteil abzugrenzen. Dazu schrieben sie eigene Jodellieder, die in einigen Fällen Sequenzen mit Alphornmelodik enthalten.