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1818: Alphorn-fa im Gesang und «jodeln auf dem Alphorn»

Der Verantwortliche der dritten Ausgabe von 1818, Johann Rudolf Wyss, über-gab die musikalische Bearbeitung den lokal bekannten Komponisten Huber und Schnyder von Wartensee (Wyss 1818: 8). Diese Ausgabe mit dem Titel Sammlung von Schweizer-Kühreihen und Volksliedern. Recueil der Ranz de Vaches et Chansons Nationales de la Suisse (Wyss 1818) beinhaltet insgesamt 57 Musikstücke, davon sind 27 aus der vorherigen Ausgabe (1812) übernommen und weitere 30 Stücke kamen hinzu. Der Titel zeigt, dass diese Ausgabe für ein französischsprechendes Publikum erweitert wurde, entsprechend erscheinen zusätzliche Kuhreihen in französischer Sprache: drei Versionen des Ranz des

7 «[…] es existieren vielleicht in der Schweiz mehr als 50 Kuhreihen, alle mit einem rustikalen Charakter, mehr oder weniger bemerkenswert bezüglich der Sitten, dem Geist und dem Grad an Zivilisation der Bergler, die sie singen» (Übers. d. Verf.).

8 «Obwohl dieses Instrument [das Alphorn] in einigen Kantonen mehr verwendet werde als in anderen, benutzen Hirten es überall in der Schweiz; es ersetzt sozusagen das Horn unserer Viehtreiber in Frankreich» (Übers. d. Verf.).

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Vaches des Ormonds, ein Ranz des Vaches mit «modernem Text»9 und zwei Versionen aus den Greyerzer Alpen mit altem und neuem Text. Eine Version des Ranz des Vaches des Ormonts (Wyss 1818: 111) gibt die Melodie Viottis mit dem Text des berühmten Westschweizer Kuhreihens («Les armaillis de Colombettes […]») wieder. Die anderen, unterschiedlich betitelten Melodien aus Ormont und Gruyère sind leicht veränderte Versionen der Melodie, welche heute besonders in der Westschweiz berühmt und beliebt ist und an den Fêtes des Vignerons angestimmt wird. Die stärkere Ausrichtung auf den französisch-sprachigen Teil der Schweiz in dieser Ausgabe mag in Zusammenhang mit der im Jahr 1819 durchgeführten Fête des Vignerons stehen und durch Tarennes Veröffentlichung von 1813 angeregt worden sein.

Die Ausgabe von 1818 enthält neben den französischen auch hochdeutsche Übersetzungen von schweizerdeutschen Dialektwörtern und richtet sich somit auch an ein deutschsprachiges Publikum ausserhalb der Schweiz. Das Jodeln ist in diesen Jahren in ganz Europa durch die Tiroler Nationalsänger bereits bekannt (vgl. S. 127) und die Kuhreihen bildeten durch ihre musikalischen Eigenheiten eine willkommene Erweiterung für die Salonmusik des Bürger-tums. Auch für Klavier oder Gitarre sollte die Publikation dank der notierten Begleitungen attraktiv sein (Burgdorfer, zit. nach Staehelin 1975: 4). In dieser dritten Ausgabe befinden sich viele Lieder mit Jodelteilen (ausschliesslich mit bedeutungsneutralen Silben unterlegte Melodien), die als erste Jodellieder der Schweiz gelten.10

Im Vorwort dieser Ausgabe lässt Wyss seinen musikalischen Ratgeber Huber zu Wort kommen. Huber weist hier erstmals auf die Verwendung des Alphorn-fa im Gesang hin. Folgende Aussage Hubers paraphrasiert Wyss in seinem Vorwort (Wyss 1818: XV, Notenbeispiele im Zitat aus dem Original):

Den Umfang des Instruments [Alphorn] kann man mit demjenigen einer Trompete gleichsetzen [Trompete um 1818: Naturtrompete, ca. 2 Meter lang]. Wie bey dieser und bey dem Waldhorn ist das obere F kein rechtes F, und kein rechtes Fis, – für das erste zu hoch, für das zweyte zu tief, – und so mag dann auch wohl kommen, dass man in den meisten Kühreihen bey Stellen, wie diese, wo die mit + bezeichneten Noten eigentlich F seyn sollten,

9 «avec texte moderne» (Wyss 1818: 117).

10 Die vier Jodellieder sind: Nr. 33 Kühreihen zum Aufzug auf die Alp im Frühling / Der Ustig wott cho (Wyss 1818: 79), Nr. 34 Küher-Leben (Wyss 1818: 82), Nr. 36 Hänsi’s Liebes-Antrag (Wyss 1818: 88) und Nr. 39 Appenzeller-Lied (Wyss 1818: 97). Zudem enthält die Sammlung drei Lieder mit kurzen Jodelsequenzen.

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statt eines F, ein Fis hört, was sich von dem Alphorn auch auf den Gesang scheint übertragen zu haben. Indess eben dieser unregelmässige Ton, dieses mehr Fis als F, ist dem Sennhirten ein angenehmer Ton, und klingt sogar, bey diesem Instrumente wenigstens, dem Ohre des Musikverständigen nicht unangenehm, während von einem Waldhorn dieser Ton ihm sehr beleidigend seyn müsste. Durch Verbesserung des Instrumentes das Fis in ein natürliches F umgewandelt zu finden, möchte gleichwohl dem Aelpler nicht sehr willkommen seyn, was ich auch aus dem Mund eines Kühers hörte, der mir zu verstehen gab: dass wenn er auf seinem Alphorn eine Zeit lang bald leise, bald wilder gejodelt habe, und mit dem Ton, den ich meynte, beschliesse, – doch stets er ihn sanfter und gefälliger finde zum Ausgang. Also selbst der Küher fühlt das Fis als eine Milderung, ungefähr so:

Abb. 22: Notation einer «gejodelten» Melodie mit Alphorn-fa bei Wyss (1818: XV).11

Das Alphorn-fa muss somit auf einem zeitgenössischen Alphorn der Länge einer damaligen Naturtrompete spielbar gewesen sein, es wird im zitierten Notenbei-spiel mit einem + bezeichnet. Dass nicht alle Noten fis so bezeichnet werden, kann bedeuten, dass zwischen Alphorn-fa und fis unterschieden wurde oder dass die Bezeichnungen in der Notation inkonsequent vorgenommen wurden.

Im zweiten von Wyss angegebenen Notenbeispiel ist das fis nicht speziell mit + bezeichnet, im Zusammenhang des Textes aber wahrscheinlich als Alphorn-fa zu verstehen.

Fazit

Die Kuhreihen werden mit dieser Ausgabe international bekannt und gelten als exotisches Kulturgut der Schweiz. Die beiden Musikverantwortlichen der Aus-gabe, Schnyder von Wartensee und Huber, wussten die heikle Aufgabe zu meis-tern, die musikalischen Besonderheiten der Kuhreihen so darzustellen, dass sie von einem internationalen Publikum geschätzt und gewürdigt werden. Einerseits soll die Eigentümlichkeit der Kuhreihen und Lieder erhalten und respektiert werden, andererseits die Musik den Hörwünschen eines auswärtigen Publikums

11 Die abgebildete Melodie beinhaltet Motive aus Rousseaus Ranz des Vaches (1768: Anhang).

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angepasst werden. Dies scheint gelungen zu sein, denn der Erfolg war so gross, dass acht Jahre später eine weitere Ausgabe der Kuhreihensammlungen erschien.