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Szadrowsky unterschied bereits im 19. Jahrhundert drei «Grundtypen» des Jodel-gesangs: «der Appenzeller Gesang, der Berner Oberländer und der Waadtländer Gesang» (Szadrowsky 1864: 512). In dieser Unterteilung zählte Szadrowsky die Zentralschweiz nicht auf, ein Gebiet, in dem heute die Jodel- und Alphornkultur sehr aktiv ist.

Fellmann unterteilte in seiner Schulungsgrundlage die Schweizer Jodelme-lodien gemäss Gassmanns Tonpsychologie (1936) in drei Regionen, MeJodelme-lodien des Mittellandes, der Voralpen und der Hochalpen, sieht diese Unterteilung jedoch als nur im Allgemeinen gültig (Fellmann 1943: 11). In der vierten Auflage der Schulungsgrundlage von 1962 erschien ein ausführlicher Anhang des Komponisten Max Lienert (1906–1964). Lienert unterschied die drei Jodellandschaften Toggen-burg-Appenzell, die Innerschweiz und Bern-Fribourg (Fellmann 1962: 17). Der Obwaldner Naturjodelexperte Edi Gasser folgt Lienerts Einteilung und nennt als Regionen die Ostschweiz mit den beiden Appenzell und Toggenburg, das Berner Oberland und das Emmental sowie die Zentralschweiz mit dem Entlebuch und den Kantonen Schwyz, Ob- und Nidwalden.4 Eine differenzierte Aufteilung der Naturjodelregionen geben die Jodlerinnen Nadja Räss und Franziska Wigger.

4 Edi Gasser, Gedanken zum Kulturgut «Naturjodel», www.giswilerjodler.ch/gedanken%20 zum%20naturjuiz.htm, 11. 6. 2018.

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Sie unterteilen die von Lienert (Fellmann 1962: 17) und Leuthold (1981: 80) be-schriebenen Regionen Ostschweiz, Zentralschweiz und Bern in insgesamt acht Gebiete. (Abb. 52)

Die Grenzen zwischen den genannten Jodelregionen werden seit einigen Jahrzehnten teilweise verwischt, was sich daran zeigt, dass heute ein Innerr-hoder Jodelchor durchaus ein Zäuerli von Ausserrhoden ins Repertoire auf-nehmen kann und ein Berner Jodlerklub auch gerne mal einen Unterwaldner Juiz jodelt. Im Vergleich mit den regionalen Ausprägungen des Naturjodels lassen sich hingegen bei der Alphornmusik keine wesentlichen Regionalstile erkennen. Dieselbe Alphornmelodie kann zwar lokal unterschiedlich inter-pretiert werden, zum Beispiel etwas «zügiger» als anderswo, doch regional spezifische Ausprägungen im Tonsystem oder in der metrisch-rhythmischen Behandlung liegen nicht vor.

In der Region Bern sind in den letzten 200 Jahren schweizweit die meisten Jo-dellieder publiziert worden. Diese intensive Verschriftlichung hat eine Anwendung der gleichstufig temperierten Intervalle und die Einhaltung metrisch-rhythmischer Strukturen begünstigt. Speziell das Verschwinden des Alphorn-fa im Berner Na-turjodel soll gemäss Leutholds Kollegen Hansadolf Waefler (1908–1996) zu den eindeutigen Hinweisen des Verlusts der Ursprünglichkeit zählen. Gemäss Waefler Abb. 52: Einteilung der Schweizer Naturjodelregionen gemäss Räss und Wigger (2010: 29): (a) Appenzell Innerrhoden, (b) Appenzell Ausserrhoden, (c) Toggenburg, (d) Muotatal, (e) Nidwalden, (f) Obwalden, (g) Entlebuch, (h) Berner Oberland.

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zeigen die Jodel des Frutig- und Saanenlandes keine eindeutigen Einflüsse des Alphorns: «Selbst heute sind im Jodelgut beider Alpentäler die typischen Ton-folgen, welche Alphornmelodien eigen sind, äusserst selten zu finden, und das charakteristische ‹Alphorn-Fa› ist in den notierten Überlieferungen überhaupt nirgends anzutreffen» (Waefler, zit. nach Leuthold 1981: 109). Leuthold war spe-ziell mit der Jodellandschaft der Zentralschweiz vertraut und charakterisierte diese anhand einiger Besonderheiten, beispielsweise in Bezug auf Metrik, Rhythmik und Harmonik. Das Alphorn-fa betreffend fügt er an:

Im Luzerner Hinterland ist es ausgestorben, im Entlebuch, wie wir gesehen haben, in minimen Ansätzen noch vorhanden. Zu den klassischen Fa-Gebieten gehören – neben Appenzell-Toggenburg – die beiden Unterwalden und Schwyz-Muotathal.

(Leuthold 1981: 98)

In den Kantonen Obwalden und Nidwalden kann auf Audioaufnahmen seit den 1960er-Jahren sowie an aktuellen Jodelkonzerten vermehrt das Alphorn-fa gehört werden. In den ausgewerteten Aufnahmen aus den 1920er- und 1930er-Jahren lässt sich die Verwendung einer Alphornmelodik im Jodel hingegen nicht erken-nen (vgl. S. 179) und Notatioerken-nen von Zentralschweizer Jodelmelodien aus dem 19. Jahrhundert fehlen.

Das Muotatal, wo durch Aufnahmen in den 1930er-Jahren ein nicht tem-periertes Tonsystem im Jodel belegt werden kann, hebt sich vom Rest der Zent-ralschweiz ab. Die hier verwendeten ekmelischen Intervalle sind aber nicht aus-schliesslich auf das Alphorn zurückzuführen. Die neutrale Terz, die nur schwerlich durch die Naturtonreihe des Alphorns erklärt werden kann, wird im Muotatal prominenter intoniert als das Alphorn-fa. Ganz eindeutig in Zusammenhang mit dem Alphorn respektive dem Büchel stehen hingegen die Bücheljuuze (vgl.

S. 187). Im Muotatal werden dabei die typischen Büchelintervalle gejodelt und die Klangfarbe des Instruments wird durch die Jodelsilben und die Gestaltung des Formantbereichs der Stimme ausgedrückt.

Anders zeigt sich die Situation in der Ostschweiz. Zwei Eigenheiten der Appenzeller und Toggenburger Naturjodel sind im Rahmen dieser Forschung relevant: einerseits die Verwendung des lydischen Modus (vgl. Einfluss E, S. 176), der für eine mögliche Verbindung zum Alphorn sprechen kann, andererseits die Verbindung zwischen dem Appenzeller und Toggenburger Naturjodel und der lokalen Streichmusik. Für eine Beziehung zur Streichmusik mag die in dieser Gegend vielseitig praktizierte Bordunbegleitung stehen, die sowohl beim Löckler (Leuthold 1981: 86) als auch beim Talerschwingen und in rhythmisierter Form bei den Senntumsschellen vorkommt (Bachmann-Geiser 1981: 17). Zahlreiche Naturjodel werden auf den lokalen Streichinstrumenten gespielt, was auf eine musikalische Beziehung zwischen Naturjodel und Streichinstrument hinweist. Die Beeinflussung der lokalen Jodelformen durch das Alphorn in der Nordostschweiz scheint daher fraglich. Einige Quellen aus dem 19. Jahrhundert beklagen zudem die Abwesenheit des Alphorns in der Region Appenzell und trotzdem erscheint das Alphorn-fa in den lokalen Naturjodeln.

158 Fazit

Das Jodeln in der Schweiz erhielt nach dem Zweiten Weltkrieg zusätzlichen Auf-schwung durch Fellmanns Arbeit im Eidgenössischen Jodlerverband und insbe-sondere durch seine Schulungsgrundlage und das aufgebaute Jodelkurswesen.

Fellmann vertrat die Ansicht, dass das Alphorn-fa als Stilmittel in den Naturjodel gehöre, und seine Meinung als Experte hatte in der Jodelszene Gewicht. Vorschläge zur Abgrenzung verschiedener Jodelregionen haben Fellmann (1943), Lienert (in Fellmann 1962), Leuthold (1981), Räss und Wigger (2010) sowie Gasser (s. d.)5 vorgelegt. Da der Jodel starke regionale Unterschiede aufweist, kann auch der Einfluss des Alphorns von Region zu Region unterschiedlich ausfallen.

Trotz der Bemühungen vieler Berner Komponisten (vgl. S. 105 und 143), das Alphorn-fa in den Jodel zu integrieren, wird der Berner Jutz grösstenteils ohne Bezug zum Alphorn gejodelt und in der Zentralschweiz und Nordostschweiz, wo das Vorhandensein ekmelischer Intervalle belegt ist, lassen sich diese nicht nur auf das Alphorn zurückführen.

Ob die musikalischen Möglichkeiten des Alphorns im 19. Jahrhundert zu-liessen, dass damals das Alphorn-fa gespielt und in den Jodel übernommen werden konnte, wird in der Folge anhand einer Untersuchung historischer Alphörner aus dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert überprüft.

5 Edi Gasser, Gedanken zum Kulturgut «Naturjodel», www.giswilerjodler.ch/gedanken%20 zum%20naturjuiz.htm, 11. 6. 2018.

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