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Naturtrompeten in Österreich, das Wurzhorn und der gejodelte Wurzhorner

Die Naturtrompeten Österreichs zeigen organologisch so starke Unterschiede, dass ein Überbegriff in Bezug auf deren Namen erschwert wird; umgekehrt tra-gen unterschiedliche Naturtrompetenformen teilweise denselben Namen (Klier 1956: 17). Einige dieser Instrumentenformen zeigen Ähnlichkeiten zum Alphorn der Schweiz, andere zum Schweizer Büchel und wieder andere ganz eigene Aus-formungen.7

Der Name «Waldhorn» erscheint häufig in Bezug zur Naturtrompete in Österreich und bezeichnet auch im Allgäu vergleichbare Instrumente. Dabei kann «Waldhorn» nicht nur für ein gestrecktes Instrument, sondern auch für eine schneckenförmige Naturtrompete stehen. Das schneckenförmige, drei Me-ter lange Ambraser Instrument (vgl. S. 47) aus dem 16. Jahrhundert «besitzt ein Kesselmundstück aus Zinn, während die jüngeren Instrumente meist nur eine entsprechende Vertiefung im Rohrende» aufweisen (Klier 1956: 19).

«Flatsche» bezeichnet laut Klier (1956: 19) in Österreich und Bayern ebenfalls eine Naturtrompete. Der Name «Flatsche» bezieht sich auf das Band aus Birken-rinde, aus dem das Instrument ursprünglich hergestellt wurde (Klier 1956: 19).

Nef vergleicht die Flatsche formal mit dem Schweizer «Stockbüchel», von dem sie sich jedoch durch ihre kürzere Form unterscheidet (Nef 1907: 24). Die gewundene Flatsche in den Händen des Volksmusikforschers Josef Pommer (1845–1918) auf einer Fotografie von 1917 misst ungefähr einen Meter (Klier 1956: 15). Aus physikalischen Gründen muss angenommen werden, dass diese kurze Flatsche primär zur Signalgebung eingesetzt wurde (Klier 1956: 19).

7 Die folgenden Ausführungen finden sich in einer Übersicht bei Ammann (2016: 14).

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Der deutsche Musikwissenschaftler Alfred Quellmalz (1899–1979) dokumen-tierte in den 1940er-Jahren in Südtirol den «Strebtuter», eine ungefähr 1,2 Meter lange, gerade Naturtrompete (Nussbaumer 2001: 195). Eine Filmaufnahme von Quellmalz zeigt einen Strebtuterbläser, der von einem Berg Signale in das Tal sendet (Ramsauer 2017). Eine dem Strebtuter ähnliche Form besitzt das Schlei-cherhorn, das der Tiroler Musikwissenschaftler Manfred Schneider in Telfs am Ende des 19. Jahrhunderts (Schneider 1978: 84)8 nachweisen konnte.9 Neben den genannten Namen für Naturtrompeten in Österreich kommt dort hauptsächlich der Name «Wurzhorn» vor, doch auch hier sind weder die Längen noch die Formen der so bezeichneten Instrumente einheitlich. Das Wurzhorn trägt diesen Namen, «weil es aus dem Holz verwitterter Zirben, mit Wurzeln umwunden, hergestellt wird» (Klier 1937: 527). Im 18. Jahrhundert konnte das Wurzhorn im oberen Ennstal, im Hochschwabgebiet, im Salzkammergut, in Niederöster-reich sowie in der Gegend von Ternitz nachgewiesen werden (Kotek 1960: 184) und wurde in den 1870er-Jahren in der «Ramsau bei Schladming am Fusse des Dachsteins noch geblasen» (Kotek 1960: 183).

Klier (1937: 532) vermutet, dass im 19. Jahrhundert in den Ostalpen die gebogene Form des Wurzhorns10 weit mehr in Gebrauch war als die gestreckte Form, wofür die ungleich grössere Zahl trompetenartig gebogener Formen in den österreichischen Museen spricht. Solche Instrumente befinden sich in den Volkskundemuseen von Wien, Graz, Leoben, Eisenerz, Linz, Hallstatt, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt.

Bereits 1810 brachte Erzherzog Johann (vgl. S. 81) das Wurzhorn in Zusam-menhang mit «Ludeln», einer österreichischen Jodelart. Der Erzherzog kam im Sommer 1810 von Hallstatt in Oberösterreich über Krippenbrunn zur Gjaidalm und traf dort auf zwei Sennerinnen aus der steirischen Ramsau bei Schladming.

Darüber schrieb er in seinem Tagebuch:

Im Gjaid liess ich mir von der Sennerin die ganze Wirtschaft beschreiben. Abends waren Geiger und Pfeifer da, und von Schladming kamen Bauern mit ihren Alphör-nern (WurzhörAlphör-nern). Sie sind wie Posaunen gemacht, von Lärchenholz und mit Bast umgeben und geben einen reinen, angenehmen, aber zugleich traurigen Ton. Das Blasen der Schwegel, das des Hornes und das Ludeln (Jodeln) der Senninnen, die es vortrefflich können, ist in einem Gebirge, wo es allenhalben wiederhallt, einzig in seiner Art. (Johann von Österreich, zit. nach Lumpe 1995: 20, Ausdrücke in Klam-mern gemäss Lumpe)

Johann von Österreichs Formulierung lässt die Frage offen, ob die Sennerin-nen mit den Wurzhornbläsern zusammen musizierten. Aufgrund verschiedener

8 Das Originalbild befindet sich in der Fotosammlung des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck.

9 Zudem weist der Strebtuter eine Formverwandtschaft mit der Bündner Tiba auf, was sich durch die geografische Nähe Graubündens zum Südtirol erklären lässt.

10 Klier sieht darin eine Umwandlung der gestreckten Alphornform in die bequemere geknickte, die in der Schweiz «Büchel» heisst und in Österreich «Wurzhorn» (Klier 1937: 527).

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Hinweise kann angenommen werden, dass zwischen dem Wurzhorn und dem Jodeln eine musikalische Verbindung bestand. Im Dachsteingebiet kennt man eine Gruppe von stilverbundenen Jodlern unter dem Gattungsnamen «Wurzhorner».

Der Name allein verweist schon auf einen Bezug zwischen dieser Jodlerart und dem Wurzhorn.

Die Musikwissenschaftlerin Gerlinde Haid (1943–2012) verglich die mu-sikalische Form des gejodelten Wurzhorners mit der Musik des gleichnamigen Instruments und kam zum Schluss, dass die spezielle harmonische Struktur des Wurzhorners, die sich auf einen Tonika-Dominant-Wechsel beschränkt, seine Klangfarbe und die typischen Stimmkreuzungen, die sowohl in den gesunge-nen als auch in den instrumentalen Versiogesunge-nen vorkommen, eindeutige Hinweise darstellen, dass die Wurzhorner ursprünglich auch auf dem gleichnamigen Blas-instrument gespielt wurden (Haid 2006: 60).

Eine deutliche Aussage, welche die musikalische Verbindung zwischen dem Wurzhorn (Instrument) und dem Wurzhorner (Jodler) unterstreicht, befindet sich in dem dreistimmigen Jodler in Pommers Sammlung 444 Jodler u. Juchezer aus Steiermark und dem ostmarkischen Alpengebiet mit der Nummer 100 aus Schladming. Pommer schrieb dazu «Aus den Vierziger [sic] Jahren des 19. Jahr-hunderts. Auf Wurzhörnern geblasen von den Söhnen des alten Hofbauern in Schladming. Der eine der beiden Brüder ist nach Kaukasus ausgewandert, der andere gestorben» (Pommer 1942: 104). Dieser Jodler trägt den Titel Der lång’

Wuschzhorner. (Abb. 37)

Der lång’ Wuschzhorner enthält ausschliesslich Tonstufen, die auf dem Wurz-horn wiedergegeben werden können und auf der Naturtonreihe vom 5. bis zum 12. Naturton reichen. Aufgrund der vielen grossen Intervalle, die insbesondere bei den Stimmkreuzungen auftreten, sind die drei Melodiestimmen auf einer Naturtrompete jedoch anspruchsvoll zu spielen. Der österreichische Musikwis-senschaftler Walter Deutsch schreibt über diesen Jodler: «Die auf wenige Töne der Obertonreihe beschränkte Melodik lebt in manchen Jodlern weiter, die als

‹Wurzhorner› bezeichnet werden» (Deutsch 1995: 371).

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts geriet das Wurzhorn in Vergessenheit (Lumpe 1995: 21, Haager 1936: 11), doch seit den 1970er-Jahren beschäftigen sich inter-essierte Personen mit der Wiederbelebung des Wurzhorns (Lumpe 1995: 21) und damit wird eine musikalische Vereinigung von Wurzhorner-Jodler und Natur-toninstrument erneut ermöglicht (Klier 1960: 125, Lumpe 1995: 19).11

11 Auch im Allgäu werden seit den 1950er-Jahren neue Instrumente eingeführt und nach der Form des Schweizer Alphorns hergestellt (Böhringer 2015: 102). In den untersuchten Quellen zur frühen Naturtrompetenmusik im Allgäu können keine Hinweise auf eine musikalische Bezie-hung zwischen dem Allgäuer Jodler und der Naturtrompetenmusik belegt werden.

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Abb. 37: Der lång’ Wuschzhorner (Pommer, zit. nach Deutsch 1995: 371).

Fazit

Die Tiroler oder Steirer Sängergruppen spielten bei ihren Bühnenauftritten keine Naturtrompeten und die Liederbücher Moscheles’ enthalten keine Wurzhorner.

Die Sängergruppen, die im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahr-hunderts in der Schweiz auftraten, trugen somit nicht zur Verbindung von Alp-hornmusik und Jodeln bei. Die dargebotenen Bühnenjodelstücke waren aber damals beliebt und wurden teilweise von Schweizer Jodelgruppen übernommen.

Eine Übernahme musikalischer Besonderheiten des Wurzhorns (Instrument) auf den Wurzhorner (Jodler) wird durch Musiknotationen und schriftliche Quel-len belegt. Sie weitete sich nicht auf andere österreichische Jodlerformen aus,

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wenngleich das Alphorn-fa in frühen Notationen des Tiroler Jodlers vorkam (Kolneder 1981: 23). In heutigen Tiroler Jodlern finden sich generell keine ek-melischen Intervalle.

Förderung des Alphorns und des Jodelns in der zweiten Hälfte des