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8 Ergebnispräsentation Fallstudie

8.1 Dimension 1: Das Unternehmen

8.1.2 Unternehmenskultur

Ich möchte an dieser Stelle den Aspekt Unternehmenskultur aufgreifen, weil er im direkten Zusammenhang mit den Unternehmenszielen steht und von MitarbeiterInnen aktiv ins Ge-spräch eingebracht wurde, als ich nach Werten fragte, die das Unternehmen vorantreiben.

Da der Begriff Unternehmenskultur sehr unterschiedlich verstanden werden kann habe ich Zwischenfragen formuliert („Was verstehen Sie unter Unternehmenskultur?“ oder „Woran

denken Sie, wenn Sie von Unternehmenskultur sprechen?“), um einordnen zu können, was die jeweilige Person darunter versteht. Darauf erhielt ich folgende Antworten:

- „Unternehmenskultur, als zunächst mal ganz banal, wie geht man miteinander um, wie kommuni-ziert man miteinander. Wie so diese Geschlossenheit von einem Unternehmensgebilde, wie auch immer das aussieht.“ (Interview Nr. 12, Zeile 105)

- „Ein bestimmtes Selbstverständnis des Unternehmens sich nach innen wie nach außen hin zu repräsentieren. Ein Selbstverständnis des Umgangs miteinander, der Kommunikation miteinander auch bestimmter Werte, Wertmaßstäbe, die man vertritt.“ (Interview Nr. 16, Zeile 201)

- „Tradition, Leadership, Wertschätzung, Motivation, Kommunikation, als um jetzt ein paar Schlag-worte zu nennen. Das würde mir jetzt da einfallen und da könnte man jetzt hervorragend in die Details gehen.“ (Interview Nr. 18, Zeile 93)

- „Unternehmenskultur ist so das, das Miteinander. Erstens das Mitarbeiten, Miteinander innerhalb von Abteilungen als auch das von Oben nach Unten, von Führungskräften gegenüber ihren Mitar-beitern, Mitarbeiterinnen. Kommunikation. Wie ehrlich ist man seinen Mitarbeitern gegenüber?“

(Interview Nr. 21, Zeile 142)

- „Unternehmenskultur würde ich interpretieren als das persönliche Werteempfinden von Angestell-ten zum Arbeitgeber und umgekehrt.“ (Interview Nr. 22, Zeile 73)

Die Interviewpartner haben eine Idee von Unternehmenskultur bzw. davon was Unterneh-menskultur beinhalten sollte: Kommunikation, Werte, ein respektvolles Miteinander. Die Un-ternehmenskultur bildet in ihren Augen eine Art Leitfaden des Umgangs miteinander und eine Sinnorientierung.

Bei dem Terminus Unternehmenskultur handelt es sich um die Definition bzw. die Beschrei-bung von Kultur innerhalb eines Unternehmens. Der Begriff ist mittlerweile in den allgemei-nen Sprachgebrauch übergangen und hat seine Anfänge in den 1980er Jahren: „Kultur im Kontext wirtschaftlichen Handelns findet im deutschsprachigen Raum seit etwa 1982 in der betriebs-wirtschaftlichen Forderung und Praxis in rasch zunehmenden Maße Beachtung in Gestalt des aus den USA übernommenen Konzepts der Unternehmenskultur (company/corporate culture; compa-ny/corporate identity).“369Amerikanische Manager hatten nach Aufenthalten in Japan vermutet, dass der wirtschaftliche Erfolg Japans in den dort vorherrschenden Unternehmenskulturen zu suchen sei. Hinter dem Begriff Unternehmenskultur steckt laut Reinhold „ein vom Mana-gement zu manipulierendes Konglomerat von Werten, Normen, Zielen, Symbolen usw., mit dem als spezifischen Orientierungsrahmen (‚Kultur’) des Unternehmens seine Mitglieder sich zu identifizieren haben (oder die Entlassung riskieren) und der als wichtiger Erfolgsfaktor im Wirtschaftswettbewerb betrachtet wird.“370 Reinhold setzt Unternehmenskultur hier mit einem manipulativen Instru-ment gleich, das das Denken, Handeln und die Kommunikationen von MitarbeiterInnen in

369 Reinhold, Gerhard: Soziologie Lexikon. A.a.O., S. 692.

370 Ebd.

eine von der Unternehmensführung gewünschten Richtung lenkt. Im Falle des Nicht-Befolgens droht den MitarbeiterInnen möglicherweise eine Entlassung. Das von Reinhold gezeichnete Bild scheint drastisch, doch in seinen weiteren Ausführungen zur Funktion von Unternehmenskultur und zur soziologischen Sicht verdeutlicht er die Problematik des aktuel-len Unternehmenskultur-Verständnisses: „Die Funktion von Unternehmenskultur ist deutlich: Mit zunehmender Größe laufen Unternehmen Gefahr, gesichtslos zu werden; durch Unternehmenskultur sollen den Mitarbeitern Sinn und Zweck für ihr Tun im Rahmen der Gesamtorganisation vermittelt und die Durchführung der Ziele und Strategien des Unternehmens garantiert werden.“371Der Autor kons-tatiert somit, was bereits in Kapitel 1 zum Aufkommen des Corporate-Identity-Ansatzes ge-sagt wurde: Mittels einer bestimmten, vom Management formulierten Bildes soll Unterneh-menskulturoder Unternehmensidentität (beide Begriffe zielen hier auf dasselbe ab) den Mit-arbeiterInnen Sinn vermitteln und über diese Sinn- und Orientierungshilfe möchten die Füh-rungskräfte des Unternehmens das Bild, das bei den Teilöffentlichkeiten über das Unter-nehmen entsteht, z.B. gegenüber dem Wettbewerb, den KundInnen, den JournalistInnen etc.

beeinflussen. Er schreibt weiter: „Aus soziologischer (europäischer) Sicht erscheinen zentral for-mulierte, künstliche Unternehmenskulturen mit dem Druck zur Anpassung an kollektive Geisteshaltun-gen und Denkweisen in einem ausgesprochen individualistisch orientierten sozial-kulturellen Umfeld als herausfordernd bis problematisch. … In einer Zeit, die aus guten Gründen nicht Vereinheitlichung, sondern Pluralität favorisiert, erscheint Unternehmenskultur schließlich als anachronistisch.“372Wenn Reinhold davon spricht, dass das in den Unternehmen gelebte Unternehmenskultur-Verständnis als überholt erachtet werden kann, möchte ich ihm zustimmen. Allerdings kann Unternehmenskultur tatsächlich auch anders verstanden werden. Schaut man sich den Kul-turbegriff in Bezug auf die Gesellschaft auf Systemebene an, wie er von Siegfried Schmidt aufgegriffen wurde, kann eine Analogie zum Kulturbegriff des Unternehmens hergestellt wer-den:

„In diesem Prozess [Anmerk.d.Verf.: Reproduktionsprozess eines gesellschaftlichen Systems]

spielt die Kultur einer Gesellschaft eine wichtige Rolle. Sie ist es, die die für eine Gesellschaft wichtigen Unterscheidungen, deren Beziehungen und Bewertungen zum Ausdruck bringt. Sie liefert die spezifischen Muster und Schemata der Handlungen, Kommunikationen und Wert-orientierungen, die jedes Mitglied einer Gesellschaft erlernen und anwenden muss, um sich in seiner Gesellschaft anschlussfähig, also erfolgreich bewegen zu können.“373

Gleiches gilt für Unternehmen: Jedes Individuum im Sozialsystem Unternehmen ist Mitglied in diesem System und muss spezifische Handlungsweisen, Kommunikationen und Wertori-entierungen erlernen und anwenden, um in der täglichen Arbeit erfolgreich zu sein.

371 Ebd.

372 Ebd.

373 Schmidt, Siegfried J.: Unternehmenskultur als Grundlage jeder Integration von Unternehmenskommunikation.

In: Bergmann, Gustav/Gerd Meurer: a.a.O., S. 364.

Unternehmenskultur muss demzufolge nicht zwangsläufig als ein manipulatives Instrument verstanden werden, sondern kann – natürlich abhängig von den jeweiligen Führungskräften innerhalb eines Unternehmens – auch durchaus als sinnvolles Orientierungsinstrument er-weisen, das Abläufe und Unternehmensziele in sich vereint, ohne gleichzeitig den von Rein-hold beschriebenen Anpassungsdruck auszuüben.

Es ging mir an dieser Stelle der ExpertInneninterviews nicht darum zu überprüfen, ob die Vorstellung der MitarbeiterInnen von Unternehmenskultur vollständig ist oder eine wissen-schaftliche Fundierung hat. Ich möchte vielmehr hervorheben, dass es eine ziemlich präzise Vorstellung dieses doch eher schwer fassbaren Begriffs gibt, was Unternehmenskultur sein sollte. Parallel dazu haben die Angestellten einen Eindruck der eigenen Unternehmenskultur bei Lufthansa Cargo:

- „In New York , mit denen ist da ziemlich heftig umgesprungen worden. Also man sollte, das hat ja auch was mit Kultur zu tun, meiner Meinung nach mit Firmenkultur, Unternehmenskultur, dass man die Kollegen im Ausland, egal wo auf dieser Welt, mit dem Standard, der hier herrscht, auch behandelt. Egal, was die dortigen Verträge vi elleicht hergeben möchten. Ich finde das teilweise nicht Ordnung, was da abgeht finde ich nicht gut. Ist auch ein Zeichen dafür, dass man es hier auch so machen würde, wenn die Verträge es erlauben würden.“ (Interview Nr. 13, Zeile 281) - „So das ist die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Diese Unternehmenskultur sagt dann nur, so

wird es uns zumindest vermittelt, dass es keine Hierarchien geben soll, weil wir ja alle in einem Unternehmen arbeiten, in Folge dessen uns alle mit dem Unternehmen identifizieren sollen. Ist ja vom Prinzip her auch richtig, aber dann soll es auch so gelebt werden.“ (Interview Nr. 15, Zeile 241)

- „Kommunikation, ganz, ganz schwieriges Thema, jeder bemüht sich und nie wird es richtig ge-macht, oder ganz selten zumindest. Das halt ich auch wieder eine ganz, ganz große Vorausset-zung, würde ich sagen, Firmenkultur stattfinden zu lassen.“ (Interview Nr. 18, Zeile 105)

- „Da fällt mir momentan wirklich Verfall ein, denn das was für mich Lufthansa Cargo lange Zeit repräsentierte, sehe ich so langsam ein bisschen zusammenfallen.“ (Interview Nr. 19, Zeile 93) - „Die Lufthansa Cargo hat das Problem, dass die Kultur sehr unterkühlt ist.“ (Interview Nr. 21,

Zeile 146)

- „Das persönliche Wertempfinden, die persönliche Lage eines fast jeden niedrigen Angestellten, sehr unausgewogen ist. Soll heißen, Kollegen die man spricht, sind durch ständige Veränderun-gen mindestens in irVeränderun-gendwelchen Kompetenzen beschnitten. Fühlen sich daher sehr auf den Schlips getreten und im Moment findet von vielen Kollegen eine Abwanderung, keine gewünschte oder in Zukunft anstehende, sondern beschlossene Abwanderung zu anderen Unternehmen statt, weil sie mit der persönlichen Arbeitssituation oder der gesamten Kultur hier nicht wirklich zufrieden sind.“ (Interview Nr. 22, Zeile 73)

Dieser Eindruck ist nicht besonders positiv. Die Kultur wird als hierarchisch und unterkühlt beschrieben, die Kommunikation wird in die Kategorie „schwieriges Thema“ eingeordnet, der Umgang mit KollegInnen in Büros im Ausland wird negativ gesehen, ein langjähriger Mitar-beiter spricht sogar vom Verfall der Kultur.

Unternehmenskultur scheint bei Lufthansa Cargo demzufolge wenig beachtet oder falsch kommuniziert zu werden. Hier zeigt sich, dass der mangelnde Fokus auf das Thema Unter-nehmenskultur nicht bedeutet, dass es keine Kultur gibt oder Lufthansa Cargo keine oder eine schlechte Kultur hat. Es scheint kein Unternehmen ohne Kultur zu geben, ähnlich wie man nicht nicht-kommunizieren kann:

„Ein Unternehmen ist keine Kultur und hat keine Kultur, sondern es operiert gemäß seinem Kulturprogramm. … Kulturprogramme sind keine Optionen, für oder gegen die man sich ent-scheiden kann, denn sie würden solche Entscheidungen bereits zugrunde liegen. Kulturpro-gramme dienen der Aufgabe, alle unternehmensrelevanten Operationen semantisch zu bestimmen, emotional zu besetzen und normativ zu ko-orientieren sowie geeignete symboli-sche Ausdrucksformen dafür zu finden.“374

Die MitarbeiterInnen handeln und kommunizieren entsprechend des bestehenden Kulturpro-gramms. Das Kulturprogramm bestimmt demzufolge mit über ihre Motivation und Identifikati-on, ihre Loyalität gegenüber „dem Unternehmen.“ In den folgenden Kapiteln 9.1.3.ff wird deutlich, dass Lufthansa Cargo durchaus über ein Kulturprogramm verfügt. Ob dieses beste-hende Programm allerdings das vom Management gewünschte Programm ist, ist nicht zu beurteilen. Wie im Folgenden zu sehen sein wird, ist das bestehende Programm aber sicher-lich eine kritische Größe in Bezug auf den Erfolg des Unternehmens.

374 Schmidt, Siegfried J.: a.a.O., S. 370.