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Unternehmensidentität in Netzwerk-Strukturen

6 Identität

6.2 Unternehmensidentität in Netzwerk-Strukturen

Ich habe bisher zugrunde gelegt, dass Identität sich aus der Abgrenzung zwischen System und Umwelt und der daraus beschriebenen Differenz ergibt. Das Sozialsystem bzw. die in-nerhalb des Systems tätigen Personen werden zu Beobachtern, welche im Prozess der Selbstreflexion die Grenze zur Umwelt definieren und über diese Unterscheidung zu dem Ergebnis kommen, was das System auszeichnet. Dieser Prozess ist insofern kritisch zu be-trachten, als dass a) nur die Wahrnehmung bestimmter Individuen einfließen kann, aber die Systemmitglieder bei größeren Unternehmen nicht in ihrer Gesamtheit Stellung beziehen können und b) der Prozess der Selbstreflexion und späteren Definition möglicherweise durch die Erlebnisse und Wahrnehmung der systemzugehörigen Akteure, deren Auffassung nicht einfließen konnte, konterkariert werden kann. Damit nehme ich Bezug auf die von Castells erwähnten Spannungen und Widersprüche.

Im nächsten Schritt übertrage ich die bisherigen Untersuchungsergebnisse auf Unternehmen innerhalb eines Netzwerkes. Für die Identitätsbildung solcher Unternehmen ergibt sich eine doppelte Problemstellung. Diese möchte ich anhand der für diese Untersuchung gewählten Firma, der Lufthansa Cargo AG, darlegen. Wenn sich ein Unternehmen in einem Konzern-verbund befindet, wie es bei der Lufthansa Cargo AG der Fall ist, stellt sich die Frage, wo die Grenze des Sozialsystems liegt. Ich habe dieses Problem der Grenzziehung bereits im Kapi-tel Netzwerk-Kommunikation angesprochen. Je nachdem, wie diese Grenze gezogen wird, beginnt der Identitätsbildungsprozess bzw. die Frage nach der Differenz zur Umwelt.Für die

303 Ich spreche hier von einer wirklichen Unternehmensidentität, um die im Corporate-Identity-Ansatz formulierte Idee zu dekonstruieren, dass es eine objektiv-wahrnehmbare Unternehmensidentität gibt. Dies ist aus erkenntnis-theoretischer Sicht nicht möglich.

304 Castells, Manuel: Das Informationszeitalter II. Die Macht der Identität. Opladen 2002, S. 8.

Lufthansa Cargo heißt das: Ist das Netzwerk „Lufthansa“ das Sozialsystem oder bildet die Lufthansa Cargo AG ein Sozialsystem innerhalb eines Netzwerk-Systems? Mit folgendem Schaubild möchte ich die Schwierigkeiten der Grenzziehung verdeutlichen:

Abbildung 8: System und Systemzugehörigkeit in Netzwerkstrukturen

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 8 verdeutlicht, welche Grenzziehungen aus Sicht der Lufthansa Cargo AG möglich wären: Da ist zum einen der Fokus auf das Unternehmen selbst als ein abgeschlossenes Gebilde (blaue Umrandung). Eine weitere Möglichkeit bestünde in einer Grenzziehung, wel-che erstgenanntes um die Beteiligungen an Allianzen oder Joint Venture erweitert (grüne Umrandung). Als dritte Möglichkeit sehe ich die Systemgrenze des Netzwerks Lufthansa (rote Umrandung). Natürlich könnten auch alle in der Abbildung gezeigten Unternehmen und Allianzen aufgrund ihrer Vernetzung als Netzwerk bezeichnet bzw. betrachtet werden.

Und es ist genau diese Netzwerkstruktur, welche Spannungen und Widersprüche innerhalb des Systems hervorruft, denn die Führungsspitze der Lufthansa Cargo AG definiert die Ziele für das Geschäftsfeld Fracht und nicht für den Lufthansa-Konzern oder eine Fracht-Allianz.

Folgende Fragen stellte ich mir im Rahmen dieser Untersuchungen:

- Wie kann die von der Unternehmensführung formulierte Identität formuliert sein, da-mit sie nicht im Gegensatz zu den Attributen oder Grundsätzen der Deutschen

Luft-Deutsche Lufthansa AG

WOW-Allianz Joint Venture DHL

Legende:

= Kleine Kreise stehen für diverse Teilöffentlichkeiten, wie JournalistInnen, Aktionä-re, Gewerkschaften etc.

--- / --- / ---- = Denkbare Systemgrenzen für die Lufthansa Cargo AG Lufthansa

Technik AG Lufthansa

Cargo AG

Lufthansa Sys-tems GmbH

hansa AG steht, um das beabsichtigte, konsistente Bild des Unternehmens zu vermit-teln? Schließlich ist die Lufthansa Cargo AG eine 100 prozentige Tochtergesellschaft der Deutschen Lufthansa AG.

- Die formulierten „Identitäten“ beider Unternehmen bilden die Orientierungsgrundlage für die MitarbeiterInnen des Unternehmens. Woran orientieren sich die Angestellten generell und in bestimmten Punkten?

- Die geschäftlichen Interessen der Lufthansa Cargo AG verlangen möglicherweise ei-ne andere Positionierung gegenüber Kunden, als es die der Deutschen Lufthansa AG tun. Wir wird man KundInnen der Lufthansa Cargo AG gerecht, die beispielsweise viel mehr Wert auf günstige Frachttarife als auf den Aspekt „Sicherheit beim Fliegen“

legen könnten?

- Muss sich die Lufthansa Cargo aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit (Beispiel: Fluglärm durch Nachtflug) möglicherweise anders gegenüber Anwohnern des Flughafenge-biets äußern und aufstellen, als dies die Deutsche Lufthansa AG tun muss (Beispiel:

Flughafenausbau Frankfurt)?

- Wie positioniert sich das Unternehmen Lufthansa Cargo AG gegenüber Firmenkun-den, welche im Passagierverkehr schlechte Erfahrung mit der Leistung der Deut-schen Lufthansa AG gemacht haben?

- Welche Attribute lassen sich für beide oder alle Unternehmen im Konzernverbund nutzen?

- Wie können die ManagerInnen das Unternehmen Lufthansa Cargo AG als eigenver-antwortliches Unternehmen am Markt positionieren, wenn in der Öffentlichkeit der Nutzen des Geschäftsfelds Fracht durch den Konzernverstand der Deutschen Luft-hansa AG nicht nachdrücklich bejaht oder hervorgehoben wird?

- Was passiert, wenn TarifmitarbeiterInnen der Lufthansa Cargo AG aufgrund von Konzernentscheidungen gekündigt werden müsste?

- Welches der beiden Unternehmen übernimmt welche Rolle?

Diese beispielhafte Aufzählung zeigt, dass sich aus der Netzwerk-Struktur zahlreiche Fragen in Bezug auf die Bildung von Unternehmensidentität ergeben. Denn: Wie kann ein Unter-nehmen mit seinen strukturabhängingen Doppelattributionen Identität bilden? Dabei stehen sich die die Aspekte Eigenverantwortlichkeit und Konzernabhängigkeit, Eigenpositionierung und Konzernpositionierung, Unternehmensbesonderheiten und Konzernbesonderheiten als Gegensätze gegenüber.

Es ist anzunehmen, dass die nur über plurale Identitäten möglich ist. Diese sind wiederum notwendig, um die Komplexität des Konzerns in eine sinnvolle Leitlinie, eine

Orientierungshil-fe für die MitarbeiterInnen, das heißt, Führungskräfte und Angestellte ohne Führungsverant-wortung zu kanalisieren. Daraus ergibt sich für Unternehmen im Konzernverbund eine viel-fach komplexerer Prozess der Identitätsbildung als in einem monolithischen Unternehmen.