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Thesen zur Verknüpfung von Systemtheorie, Radikalem Konstruktivismus und

2 Wissenschaftstheoretische Einordnung

2.2 Thesen zur Verknüpfung von Systemtheorie, Radikalem Konstruktivismus und

Frindte hat in seinem Aufsatz zum Radikalen Konstruktivismus und zum Sozialen Konstrukti-onismus zunächst beide erkenntnistheoretischen Modelle gegenüber gestellt, um neben den Differenzen die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Gemeinsamkeit beider Modelle darin besteht, dass „Menschen keinen oder nur einen indirek -ten Zugang zu einer „objektiven“, externalen Welt haben und demzufolge diese Welt eigendynamisch und selbständig konstruieren“.108 Der Unterschied besteht im Verständnis der Konstruktion über Selbstorganisation: „Im RK konstruiert sich der Einzelne, als Beobachter, aufgrund der neurobiologi-schen und physiologineurobiologi-schen Bedingungen seines Gehirns eine eigene, individuelle Welt. Dabei bilden die individuellen Konstruktionen die Grundlage für das menschliche Handeln wie auch die „sinnvolle Begründung“ für sein Handeln.“109 Im SC hingegen, werden die Konstruktionen ausschließlich über den sozialen Diskurs geschaffen. In der Kommunikation und Interaktion finden die Indi-viduen dann die Gründe für ihr Handeln.110

2.2 Thesen zur Verknüpfung von Systemtheorie, Radikalem Konstruktivismus und Sozialem Konstruktionismus

Frindte hat mit seinem Aufsatz einen interessanten Beitrag geliefert, die Theoriemodelle des Radikalen Konstruktivismus und des sozialen Konstruktionismus miteinander zu verknüpfen.

Er hat diese Verknüpfung in Form von Thesen formuliert und dabei eine weitere Verbindung zur Systemtheorie geschaffen. Einige ausgewählte Thesen möchte ich für meine Arbeit übernehmen, da Frindte über die Annahme seiner Thesen zu einer Formulierung system-spezifischer Ebenen der Wirklichkeitskonstruktion111 kommt. Die Thesen wie auch die Ebe-nen der Wirklichkeitskonstruktion bilden die Voraussetzungen ab, die für meine Arbeit von besonderem Interesse sind: Sie ermöglichen mir eine Einordnung von Individuen in sozialen Systemen, welche bei der alleinigen Betrachtung der Systemtheorie oder einer ausschließ-lich konstruktivistischen Perspektive nicht mögausschließ-lich gewesen wäre.

„These 1: Konstruktion von Wirklichkeit, das heißt, das Schaffen von Orientierungen, Einstellungen, Vorstellungen über die Welt usw., geschieht in autonomen und gleichzeitig miteinander vernetzt le-benden Systemen. Ich unterscheide diverse soziale und personale Systeme.“112 Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass das Individuum seine Wirklichkeit nicht ausschließlich selbst, in

107 Frindte, Wolfgang: a.a.O., S. 112.

108 Ebd., S. 113.

109 Ebd.

110 Ebd.

111 Vgl. S. 41 dieser Arbeit.

112 Frindte, Wolfgang: a.a.O., S. 115.

seinem Geiste konstruiert, sondern auch über Kommunikationen und daraus folgende Inter-aktionen, das heißt, über seine soziale Verbundenheit mit anderen Individuen.

„These 2: Diese Systeme, seien es nun einzelne Menschen oder soziale Gemeinschaften sind zu-nächst einmal autonome Systeme. Das was sie tun, wie sie sich verhalten, ist Ergebnis der systemin-ternen Bedingungen (also ihrer Strukturdeterminiertheit). Gleichzeitig sind diese Systeme auch mitein-ander vernetzt. Die Vernetzung, Verknüpfung der verschiedenen Systeme geschieht mittels system-übergreifender Kommunikationen.“113 Hier betont Frindte, dass Individuen autonome Systeme sind, das heißt, er folgt an dieser Stelle den VerteterInnen des Radikalen Konstruktivismus, kommt aber über den Begriff der Vernetzung zurück auf das Soziale. Er beschreibt, dass Kommunikation die Voraussetzung für die Verknüpfung der Systeme ist. Über die Begriffe der Strukturdeterminiertheit, der autonomen Systeme und der Vernetzung der autonomen Systeme über Kommunikation bewegt er sich auf der Ebene der Systemtheorie.

„These 3: Kommunikation ist die wechselseitige Anregung zur Konstruktion von Informati-on/Wirklichkeit in und zwischen personalen und sozialen Systemen. Das heißt: Ich gehe davon aus, dass Informationen nicht – wie in traditionellen Kommunikationstheorien – übertragen und ausge-tauscht werden, nehme aber an, dass es einen über Sprache vermittelten Prozess (Diskurs) gibt, durch den sich Menschen in und zwischen sozialen Systemen zur wechselseitigen Informationspro-duktion anregen.“114Frindte greift auch hier mit dem Begriff des sozialen System s auf die temtheorie zurück und entwickelt einen Kommunikationsbegriff entlang der klassischen Sys-temtheorie. Er definiert Kommunikation als eine Art „rekursives Netzwerk“. Kommunikation löst weitere Kommunikationen aus, und über diese Kommunikation wird das soziale System produziert.115

These 4: Über ihre jeweiligen Wirklichkeitskonstruktionen schaffen sich Menschen und soziale Ge-meinschaften die Gründe (im Sinne von: Begründungen) für weitere Kommunikationen, Interaktionen und individuelle Handlungen.“116 Diese These verdeutlicht nochmals die beiden Ebenen der Wirklichkeitskonstruktionen: Die personale Ebene und die soziale Ebene. Damit betont Frind-te, dass Individuen nicht nur ihre eigenen Wirklichkeitskonstruktionen als Grundlage für Kommunikationen oder Interaktionen nehmen, sondern auch Wirklichkeitskonstruktionen sozialer Gemeinschaften Interaktionen auslösen können, sowohl mit Bezug auf individuelle Ziele als auch mit Bezug auf die Ziele der Gemeinschaft. Hier verschwimmt die Grenze zwi-schen Radikalem Konstruktivismus und sozialem Konstruktionismus zugunsten eines Theo-riemodells, das beide Sichtweisen miteinander verknüpft.

113 Ebd., S. 115.

114 Ebd.

115 Vgl. Luhmann, Niklas: a.a.O., S. 193 ff.

116 Frindte, Wolfgang: a.a.O., S. 115.

„These 5: Die Begründungen (Gründe) fortlaufende Kommunikationen, darauf bezogene Interaktionen und individuelle Handlungen besitzen eine Systemspezifik. Zur Beschreibung dieser systemspezifi-schen Begründungen von “…greife ich auf die Begriffe Sinn und Bedeutung zurück.“ Sinn wird defi-niert als die selbstreferentiellen, emotional-kognitiven Konstruktionen, die sich ein Mensch für den Umgang mit seinen lebensnotwendigen Verhältnissen schafft117. … (These 6:) „…Bedeutung definiert als die interindividuell übereinstimmenden Wirklichkeitskonstruktionen im Sinne Hejls, der diese als

‚Parallelisierung interner Zustände und Schaffung sozialer Bereiche’ zum Zwecke der sozialen Ver-ständigung und des sozialen Anschlusses definiert.“118Frindte führt zwei Gründe für fortlaufende Kommunikationen und daraus folgende Handlungen an: Sinn und Bedeutung. An dieser Stel-le habe ich die Thesen 5 und 6 seiner Arbeit in eine These zusammengefasst, weil seine Ausführungen zu Beginn von These 6 zum „Leib-Seele-Problem“ (Leibniz, Descartes)119 kei-ne zusätzlich relevante Information für meikei-ne wissenschaftstheoretische Fundierung liefern.

Frindte nimmt auch hier Bezug auf Luhmanns systemtheoretische Ausführungen zur Selbstreferentialität des Systems120 und verknüpft Systemtheorie und den gemäßigten radi-kalen Konstruktivismus in der Definition von Sinn und Bedeutung.

Frindte folgend, treffe ich eine weitere Unterscheidung im Bereich der Wirklichkeitskonstruk-tion auf sozialer und personaler Ebene (Vgl. Abbildung 4): Er beschreibt zunächst eine Ebe-ne, auf der durch sozial-historische Entwicklungen von Gesellschaften Angebote für Wirk-lichkeitskonstruktionen bereitgestellt werden. Dazu nennt er Mythen, Legenden, Wissen etc.

und meint damit, dass diese Angebote zur Wirklichkeitskonstruktion soziale Möglichkeiten für die Orientierung im eigenen Leben geben.121 Etwas enger gefasst ist die darauffolgende Ebene der „Deutegemeinschaften“. Dies ist die Ebene, auf der den möglichen sozialen Kon-struktionen durch interindividuell übereinstimmende WirklichkeitskonKon-struktionen (Parallelisie-rung) Bedeutung zugewiesen wird. Unter Deutegemeinschaften versteht Frindte soziale Ge-meinschaften, die sich durch eine gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Kultur auszeichnen. Deutegemeinschaften können demnach auch Ge-meinschaften mit einer gemeinsamen Zielsetzung im Sinne eines Unternehmens sein. Die in Abbildung 4 dann folgende Ebene der „Gruppen“ bezieht sich auf Menschen mit interindivi-duell übereinstimmenden Wirklichkeitskonstruktionen und ihre Interaktionsräume. Mit Inter-aktionsräumen bezeichnet Frindte „das raum-zeitlich koordinierte Handeln zwischen Menschen, das vornehmlich in Gruppen mit formalisierten Rollen- und Kommunikationsstrukturen stattfindet.122 Beispielhaft führt er Gruppenidentität, Gruppensprachen, Gruppenrituale und Intergruppen-konflikte an. Dies könnten, bezogen auf ein Unternehmen, Bereichs-, Abteilungs- oder

117 Frindte, Wolfgang: a.a.O., S. 115.

118 Ebd., S. 116.

119 Ebd.

120 Vgl. Luhmann, Niklas: a.a.O., S. 64ff.

121 Frindte, Wolfgang: a.a.O., S. 116.

122 Ebd., S. 118

jektziele sein. Richtet man seine Beobachtung auf einen Konzern, könnte dies auch das Tochterunternehmen einer Muttergesellschaft sein. Frindtes Betrachtung endet (oder beginnt – je nach Lesart) mit der Ebene der individuellen Sinnräume, „auf der sich die Menschen je indi-viduell und autonom ihre emotional-kognitiven Begründungen für den Umgang mit ihren lebensnot-wendigen Verhältnissen schaffen.“123 Diese Wirklichkeitskonstruktionen beziehen sich dann auf die personale Identität, subjektive Ideen oder Theorien, Handlungs- oder Lebensziele.

Abbildung 4: Systemspezifische Ebenen der Wirklichkeitskonstruktion Quelle: Frindte, Wolfgang: a.a.O., S. 117.

123 Ebd.

Frindte hat mit der Darstellung „systemspezifischer Ebenen der Wirklichkeitskonstruktionen“

eine bildhafte Verzahnung des Radikalen Konstruktivismus, des Sozialen Konstruktionismus und der Systemtheorie vorgenommen. Er hat nachvollziehbar und logisch dargelegt, wie man die Systemtheorie mit radikal-konstruktivistischen und sozial-konstruktionistischen The-oriemodellen verknüpfen kann, das heißt, das Individuum in den Mittelpunkt der Betrachtun-gen stellen bzw. als Ausgangspunkt erklären kann, ohne die systemtheoretischen Ebenen aus den Augen zu verlieren. Hervorzuheben ist die Beschreibung der über Kommunikationen entstandenen Sinn, Bedeutungs- und Interaktionsräume, die entsprechend der in den Sys-temen agierenden Individuen ausgestaltet werden.